Kardinal Giovanni Battista Re im Gespräch über Papst Montini
Rom, 19. Oktober 2014 (ZENIT.org) Wlodzimierz Redzioch
Am 6. August 1978, dem Fest der Verklärung des Herrn, übergab Papst Paul VI. seine Seele ruhevoll in die Hände des Herrn. Für die Menschen geschah dies völlig unerwartet: Am Mittwoch zuvor hatte Papst Montini wie gewohnt die Generalaudienz gehalten und hatte beinahe bis zu seinem Tode gearbeitet. Am 6. August fühlte er sich schwach und ließ die hl. Messe von seinem Sekretär halten, von dem er auch die Krankensalbung empfing. Danach rezitierte er bis zu seinem Tod das „Vater Unser“. Auf diese Weise endete das fruchtbare und manchmal auch dramatische, am 21. Juni 1963 und somit 15 Jahre zuvor begonnene Pontifikat von Giovanni Battista Montini.
36 Jahre nach jenem warmen Nachmittag, an dem Paul VI. in den Himmel zurückkehrte, findet auf dem Petersplatz in Rom die feierliche Seligsprechung dieses Papstes statt.
Zur Erinnerung an diesen großen Menschen führte ZENIT ein Interview mit Kardinal Giovanni Battista Re, dem emeritierten Präfekten der Bischofskongregation und Landsmann von Papst Montini.
Kardinal Re und Papst Montini wurden in der gleichen Diözese Brescias geboren, besuchten das gleiche Priesterseminar. Im Jahre 1971 wurde der damals als Sekretär in der Apostolischen Nuntiatur in Teheran tätige Re von Paul VI. ins Staatssekretariat berufen. Sieben Jahre lang arbeitete er an der Seite von Papst Montini.
Paul VI. ist als Papst des 2. Vatikanischen Konzils in die Geschichte eingegangen…
Das stimmt. Das Konzil wurde von Johannes XXIII. ausgerufen und eröffnet, doch Paul VI. hat es mit sicherer Hand vorwärts gebracht, indem er die vollkommene Freiheit der Konzilsväter voll und ganz respektierte, jedoch als Papst gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen ergriff. Er war der wahre Steuermann des Konzils.
Was können Sie der Welt von heute über die große Öffnung Pauls VI. mitteilen?
Paul VI. wurde zwar nicht immer verstanden, doch er liebte die Welt der Moderne. Er bewunderte deren kulturelle und wissenschaftliche Reichtümer und unternahm alles, um ihr Herz für Christus, den Erlöser der Welt, zu öffnen. Die große Sorge Pauls VI. bestand darin, dem Menschen von heute als Stütze auf seinem irdischen Weg und zugleich als Wegweiser zum ewigen Ziel zu dienen. Diese Sorge bewog ihn zur Suche nach dem Dialog mit allen, selbst den Nichtgläubigen, um so in Gerechtigkeit, Solidarität und Liebe einen durch gegenseitige Öffnung und uneingeschränkten Respekt gekennzeichneten Stil des menschlichen Zusammenlebens einzuführen. Er blickte mit Augen des Wohlwollens auf unsere moderne Welt. Einmal sagte er: „Wenn die Welt sich dem Christentum fremd fühlt, fühlt sich das Christentum in der Welt nicht fremd“.
Welche wesentlichen Merkmale zeichneten die Spiritualität von Papst Montini aus?
Die Spiritualität Pauls VI. war gekennzeichnet durch das Gebet, die Meditation, grenzenloser Liebe zu Christus, zur Gottesmutter und zur Kirche. In ihm wirkte eine hohe geistliche Spannung, die eine Neigung zur Sammlung, zum inneren Leben und zur Reflexion bedingte. Er besaß eine mystische Tendenz, die ihn zur Betrachtung des Geheimnisses Gottes bewog.
Paul VI. ist allen Menschen als körperlich schwacher Papst in Erinnerung…
Er war ein offensichtlich anfälliger und schmächtiger Mensch, der ständig von Gesundheitsproblemen betroffen war. Allerdings verfügte er über eine außergewöhnliche Intelligenz und eine einzigartige Willenskraft.
Paul VI. war der Papst der „Primate”. Können Sie uns von einigen der erstmals von diesem Papst gesetzten Gesten berichten?
Das ist richtig. Das Pontifikat Pauls VI. war gekennzeichnet von einigen nie dagewesenen Initiativen und Gesten. Er war der erste Papst, der sich mit dem Flugzeug fortbewegte, nach Palästina, dem Herkunftsort des hl. Petrus, zurückkehrte, sich zur UNO begab, wo er sich als Pilger vorstellte, der seit 2000 Jahren eine allen Völkern zu überbringende Botschaft hätte: das Evangelium der Liebe und des Friedens. Als erster Papst ist er auch nach Afrika, Lateinamerika und in den fernen Osten gereist.
In die Geschichte ist auch eine andere Geste dieses Papstes eingegangen: der Verkauf der Tiara…
Ja, korrekt. Paul VI. wollte auf die Tiara verzichten. Am 13. November 1964 nahm er sie öffentlich vom Haupt und übergab sie zur Versteigerung. Der Erlös wurde an die Armen verteilt. Der Papst wollte mit dieser Geste jedoch betonen, dass die päpstliche Autorität nicht mit einer politischen Macht zu verwechseln sei.
Paul VI. hat auch den Vatikan verändert…
Papst Montini hat den Vatikan insofern verändert, als er den päpstlichen Hof abgeschafft hat. Ferner wollte er der römischen Kurie einen einfacheren Lebensstil und eine pastoralere und internationalere Ausrichtung verleihen, sodass die Kirche mehr als je zuvor im Dienst der gesamten Menschheit stehen konnte.
Laut Kardinal Siri war Paul VI. der Papst, der in den letzten Jahrhunderten am meisten gelitten hat. Worauf ist dies zurückzuführen?
Sein Pontifikat – das eine Gnade für die Kirche und die Welt war – erlebte er selbst aufgrund der Erfahrung außergewöhnlichen Leidens als einen schweren Kreuzweg. Er musste die Kirche durch eine ihrer schwierigsten Zeiten führen, denn das Schiff Petri war starkem Gegenwind ausgesetzt, der auch von dem in der Gesellschaft wirkenden Klima des Protestes gestützt wurde.
Man muss sich an die gegen die traditionelle Gesellschaft und deren Werte und jegliche auch kirchliche Autorität gerichtete Bewegung von 1968 erinnern, aber auch an die heikle Phase nach dem Konzil. Nicht vergessen darf man außerdem die Angriffe gegen die Veröffentlichung der Enzyklika „Humanae Vitae“ im Jahr 1968.
Aus diesem Grund bezeichnete Paul VI. unsere Erde als „groß“, aber auch „schmerzhaft und dramatisch“.
Wie gestaltete sich Giovanni Battista Montinis Beziehung zu Polen? Was können wir darüber sagen?
Msgr. Montini war am Beginn seines Dienstes beim Heiligen Stuhl sechs Monate lang in der Apostolischen Nuntiatur von Warschau tätig und hatte dort Gelegenheit, die Frömmigkeit der Polen kennenzulernen. Daher betrachtete er Polen stets mit Aufmerksamkeit und auch Sympathie. Als Substitut des Staatssekretariates verfolgte er das leidvolle Schicksal Polens infolge der Invasion durch Nazideutschland. Hingegen hegte er als Papst anlässlich der 1000-Jahr-Feier Polens den brennenden Wunsch, sich in das Land zu begeben, doch die damalige kommunistische Regierung erteilte ihm nicht die Erlaubnis dazu.
Der während der Amtszeit von Paul VI. in der Kurie tätige Kardinal Deskur hat mir mitgeteilt, dass der Papst gleichsam den Weg für die Wahl von Kardinal Wojtyla bereitet hat.
In diesem Zusammenhang möchte ich wiederholen, dass Paul VI. Polen und den Polen große Sympathie entgegenbrachte und als ersten Schritt Msgr. Wojtyla zum Kardinal kreiert hat. 1976 vertraute er ihm als Prediger die geistlichen Übungen der Kurie an, entsandte ihn zu verschiedenen Synoden und bestimmte ihn zum Relator der bedeutenden Synode über die Evangelisierung. All diese Maßnahmen dienten dazu, die weltweite Bekanntheit dieses Kardinals aus Krakau zu erhöhen. Daher können wir mit Sicherheit sagen, dass Paul VI. wegbereitend für das schmerzhafte und dramatische Pontifikat eines polnischen Papstes war.
Das Interview erschien in polnischer Sprache in der Wochenzeitschrift „Niedziela“. Ebenso wird es in englischer Sprache im Magazin „Inside the Vatican“ publiziert werden.
(19. Oktober 2014) © Innovative Media Inc.
