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JOHANNES PAUL II.: BOTSCHAFT AN DIE FRANZÖSISCHE JUGEND

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HAND IN HAND MIT DEM HERRN

Die folgende für die Begegnung des Papstes mit den französischen Jugendli­chen vorbereitete Ansprache wurde diesen als „Botschaft an die Jugend Frank­reichs” übergeben. Johannes Paul II. aber beantwortete im Pariser Parc-des­-Princes am Abend des 1. Juni 1980 Fragen, die ihm von den Jugendlichen zugeleitet worden waren.

Liebe Jugend Frankreichs!

1. Tausend Dank, daß ihr so zahlreich gekommen seid, so fröhlich, so ver­trauensvoll, so einig untereinander! Dank den Jugendlichen von Paris und aus der Umgebung von Paris! Dank den jungen Leuten, die voll Enthusiasmus aus allen vier Himmelsrichtungen Frankreichs gekommen sind! Zu gern würde ich jedem von euch die Hand drücken, einen Blick mit ihm wechseln, ein persönli­ches, freundschaftliches Wort zu ihm sagen. Daß das technisch unmöglich ist, stellt jedoch kein Hindernis dar für die tiefe Gemeinschaft des Geistes und des Herzens. Der Austausch eures Zeugnisses ist dafür ein Beweis. Eure Versamm­lung ist eine Freude für meine Augen und rührt mein Herz. Euer Jugendtreffen wollte sich den Mengen junger Menschen würdig an die Seite stellen, mit de­nen ich im Verlauf meiner apostolischen Reisen bereits zusammengetroffen bin: zuerst in Mexiko, dann in Polen, in Irland, in den Vereinigten Staaten und vor kurzem in Afrika. Ich darf es euch anvertrauen: Gott hat mir – wie so vielen Bischöfen und Priestern – die Gnade geschenkt, die jungen Leute, die sicher­lich von Land zu Land verschieden, aber in ihrer Begeisterung und ihren Enttäuschungen, ihren Sehnsüchten und ihrer Großmut einander sehr ähnlich sind, leidenschaftlich zu lieben! Diejenigen unter euch, die die Möglichkeit hatten, Kontakte und Freundschaften mit der Jugend einer anderen Provinz, eines anderen Landes, eines anderen Kontinents als ihrem eigenen zu pflegen, verstehen vielleicht besser und teilen gewiß einen Glauben an die Jugend, weil sie überall, heute wie gestern, Trägerin großer Hoffnungen für die Welt und für die Kirche ist. Jugendliche Frankreichs, die ihr überzeugte Christen seid oder mit dem Christentum sympathisiert, ich möchte an diesem unvergeßlichen Abend, daß wir alle zusammen einen Aufstieg machen, ja uns wirklich gemein­sam emporseilen zu den schwierigen, zugleich aber die Spannkraft fördernden Gipfeln der Berufung des Menschen, des Christen. Ja, ich möchte mit euch als Freund mit Freunden meine eigenen Überzeugungen als Mensch und als Die­ner des Glaubens und der Einheit des Gottesvolkes teilen.

2. Eure Probleme und eure Leiden als Jugendliche sind mir, zumindest auf allgemeiner Ebene, bekannt: eine gewisse Unbeständigkeit, die eure Alters­periode kennzeichnet und die durch geschichtliche Umwälzungen noch ver­mehrt wird; ein gewisses Mißtrauen in bezug auf sichere Überzeugungen, das durch das Schulwissen, das man sich angeeignet hat, und durch die häufig von systematischer Kritik geprägte Umwelt noch verschärft wird; die Unruhe hin­sichtlich der Zukunft und die Schwierigkeiten bei der Eingliederung ins Be­rufsleben; die Anreize und die Maßlosigkeit von Wünschen und Begierden in einer Gesellschaft, die den Genuß zum Lebensziel erhebt; das peinigende Ge­fühl des Unvermögens, die zweifelhaften oder unheilvollen Folgen des Fort­schritts in den Griff zu bekommen; die Versuchung zu Aufruhr, zur Flucht oder Selbstaufgabe. Das alles kennt ihr bis zum Überdruß. Ich ziehe es vor, mit euch die Höhen zu erklimmen. Ich bin überzeugt, daß ihr aus dieser die Kräfte zer­störenden Atmosphäre herauskommen und den Sinn einer wahrhaft menschli­chen, weil für Gott offenen Existenz, mit einem Wort eure Berufung als Men­schen in Christus, vertiefen oder neu entdecken wollt.

3. Das menschliche Dasein ist ein körperliches Sein. Diese so einfache Behaup­tung hat schwerwiegende Folgen. So materiell der Körper auch sein mag, so ist er doch nicht ein Gegenstand unter anderen, ein Objekt unter anderen Objek­ten. Vor allem ist er jemand in dem Sinn, daß er Erscheinung der Person ist, ein Mittel der Anwesenheit vor den anderen, der Kommunikation, des äußerst mannigfaltigen Ausdrucks. Der Körper ist ein Wort, eine Sprache. Ein Wunder und ein Wagnis zugleich! Junge Leute, Jungen und Mädchen, habt größte Achtung vor eurem Körper und vor dem der anderen! Euer Körper soll eurem tiefsten Ich dienen! Eure Gebärden, eure Blicke seien stets der Widerschein eu­rer Seele! Anbetung des Körpers? Nein, niemals! Verachtung des Körpers? Das schon gar nicht. Beherrschung des Körpers? Ja! Läuterung des Körpers? Das noch mehr! Nicht selten könnt ihr diese so schöne Transparenz der Seele bei Männern und Frauen in der täglichen Erfüllung ihrer menschlichen Aufgaben bewundern. Denkt an den Studenten oder den Sportler, die alle ihre physischen Kräfte in den Dienst ihres jeweiligen Ideals stellen. Denkt an den Vater und die Mutter, in deren Zügen die tiefe Freude der Vater- und der Mutterschaft auf­strahlt, wenn sie sich über ihr Kind beugen. Denkt an den Musiker oder den Schauspieler: er identifiziert sich mit den Komponisten oder Autoren, die er le­bendig werden läßt. Blickt auf den Trappisten oder den Kartäuser, auf die Kar­melitin oder die Klarissin, die sich vollkommen der Kontemplation hingeben und Gott aufscheinen lassen.

Ich wünsche euch wirklich, daß ihr die Herausforderung dieser Zeit aufgreift und alle Meister seid in der christlichen Beherrschung des Körpers. Der Sport, richtig verstanden, wie er heute über den Berufssport hinaus wieder neu auf­kommt, ist ein sehr guter Helfer dazu. Diese Beherrschung ist entscheidend für

die richtige Einordnung der Sexualität in euer Leben als junge Menschen und als Erwachsene. In der heutigen Zeit, von einer Enthemmung gekennzeichnet, die sich durchaus erklären läßt, die aber leider von einer wahren Ausbeutung des Geschlechtstriebs begünstigt wird, ist es schwierig, über Sexualität zu spre­chen. Jugendliche Frankreichs, die körperliche Vereinigung ist immer die stärkste Sprache gewesen, die zwei Menschen einander sagen konnten. Und darum fordert diese Sprache, die an das heilige Geheimnis von Mann und Frau rührt, daß die Gesten der Liebe nur vollzogen werden, wenn die Bedingungen einer totalen und endgültigen Annahme des anderen sichergestellt sind und die Verpflichtung dazu öffentlich in der Eheschließung übernommen wird. Ju­gend Frankreichs, bewahre dir eine gesunde Sicht der Werte des Körpers oder entdecke sie wieder neu! Blickt vor allem auf Christus, den Erlöser des Men­schen! Er ist das fleischgewordene Wort, das unzählige Künstler sehr reali­stisch gemalt haben, um uns klarzumachen, daß er volle Menschengestalt angenommen hat, einschließlich der Geschlechtlichkeit, die er in der Keusch­heit auf eine höhere Ebene hob.

4. Der Geist ist die ursprüngliche Gabe, die den Menschen grundlegend von der Welt der übrigen Lebewesen unterscheidet und ihm die Macht verleiht, über das Universum zu herrschen. Ich kann nicht widerstehen, euch euren un­vergleichlichen Schriftsteller Pascal zu zitieren: „Der Mensch ist nur ein schwankendes Rohr, das schwächste in der Natur; doch er ist ein denkendes Rohr. Um ihn zu vernichten, braucht sich nicht das ganze Universum zu be­waffnen …; aber wenn das Universum ihn vernichtete, wäre der Mensch noch immer erhabener als der, der ihn tötet, weil er weiß, daß er stirbt; das Univer­sum aber weiß nichts von der Überlegenheit, die es über ihn besitzt. Unsere ganze Würde besteht somit im Denken …, arbeiten wir also daran, gut zu den­ken” (Gedanken, Nr. 347).

Wenn ich so vom Geist spreche, meine ich den Geist, der fähig ist zu verstehen, zu wollen, zu lieben. Eben dadurch ist der Mensch Mensch. Wahrt um jeden Preis in euch und um euch die geheiligte Herrschaft des Geistes! Ihr wißt, daß es in der heutigen Welt leider noch immer totalitäre Systeme gibt, die den Geist lähmen, die die Integrität und Identität des Menschen schwer beeinträchtigen, indem sie ihn zu einem Objekt, zu einer Maschine herabsetzen und ihn seiner Kraft, sich innerlich selbst zu finden, und seines Aufschwungs zu Freiheit und Liebe berauben. Ihr wißt auch, daß es Wirtschaftssysteme gibt, die, ganz von der ungeheuren Ausweitung auf industriellem Gebiet eingenommen, zugleich die Zerrüttung, die Zerstörung des Menschen vermehren. Selbst die Massen­medien, die zur ganzheitlichen Entwicklung der Menschen und zu ihrer gegen­seitigen Bereicherung in einer wachsenden Brüderlichkeit beitragen sollen, hämmern oft Gedanken ein und lösen Vorstellungen aus, die der Gesundheit des Geistes, des Urteils und des Herzens schädlich sind und die Fähigkeit des Menschen, das Gesunde vom Ungesunden zu unterscheiden, verbilden. Ja, wofür sind noch so großzügige soziale und politische Reformen gut, wenn der Geist, der auch Gewissen ist, seine Klarheit und seine Kraft verliert? Praktisch gesprochen: in dieser Welt, wie sie ist und aus der ihr nicht entfliehen könnt, lernt immer besser nachdenken, euch Gedanken machen! Eure Studien sollen eine bevorzugte Lehrzeit für das Leben des Geistes sein. Entlarvt die Slogans, die falschen Werte, die Täuschungen, die Sackgassen! Ich wünsche euch den Geist der Sammlung, der Innerlichkeit. Jeder von euch muß in seinem Bereich den Primat des Geistes fördern und selbst dazu beitragen, das, was Ewigkeits­wert hat, noch mehr hochzuhalten als das, was für die Zukunft Wert hat. Wenn ihr so lebt, seid ihr, ob gläubig oder nicht gläubig, Gott ganz nahe. Gott ist Geist!

5. Ihr seid das wert, was euer Herz wert ist. Die ganze Geschichte der Mensch­heit ist die Geschichte des Verlangens, zu lieben und geliebt zu werden. Dieses ausgehende Jahrhundert macht – vor allem in den sozial hochentwickelten Ge­genden – die Entfaltung eines gesunden Gefühlslebens recht schwierig. Zwei­fellos deshalb suchen viele junge und auch nicht mehr so junge Menschen den Kreis kleiner Gruppen auf, um der Anonymität und manchmal auch der Angst zu entrinnen, um ihre tiefe Berufung zu zwischenmenschlichen Beziehungen wiederzufinden. Wenn man einer gewissen Werbung glauben darf, dann wäre unsere Zeit sogar verliebt in das, was man als „Doping des Herzens” bezeich­nen könnte.

Auch auf diesem Gebiet gilt es, wie bei den vorangegangenen, klar zu sehen. Welchen Gebrauch auch immer die Menschen davon machen mögen, das Herz – Symbol der Freundschaft und der Liebe – hat ebenfalls seine Gesetze, seine Ethik. Beim harmonischen Aufbau eurer Persönlichkeit dem Herzen seinen Platz einräumen hat nichts mit Gefühlsduselei noch mit Sentimentalität zu tun. Herz heißt Öffnung des ganzen Seins für die Existenz der anderen, die Fä­higkeit, sie zu erfassen, sie zu verstehen. Solch eine echte und tiefe Sensibilität macht verwundbar. Deshalb sind manche versucht, sich davon loszusagen, und verhärten sich.

Lieben heißt also seinem Wesen nach sich den anderen hingeben. Weit entfernt davon, eine instinktive Zuneigung zu sein, ist die Liebe eine bewußte Willensentscheidung, auf die anderen zuzugehen. Um wirklich lieben zu kön­nen, muß man sich von vielen Dingen und vor allem von sich selbst losmachen, muß man unentgeltlich geben und lieben bis ans Ende. Diese Selbstentäuße­rung – ein Werk, das lange Zeit beansprucht – ist mühsam und erhebend. Sie ist die Quelle des inneren Gleichgewichts. Sie ist das Geheimnis des Glücks. Jugendliche Frankreichs, richtet eure Blicke öfter auf Jesus Christus! Er ist der

Mensch, der am meisten geliebt hat, am bewußtesten, am freiwilligsten und völlig ungeschuldet! Denkt nach über das Testament Christi: „Es gibt keine größere Liebe als das Leben hinzugeben für die, die man liebt.” Betrachtet den Gottmenschen, den Mann mit dem durchbohrten Herzen! Fürchtet euch nicht! Jesus ist nicht gekommen, die Liebe zu verurteilen, sondern die Liebe von ihren Zweideutigkeiten und ihren Verzerrungen zu befreien. Er ist es, der das Herz des Zachäus, das Herz der Samaritanerin verwandelt hat und der auch heute noch in der ganzen Welt ähnliche Bekehrungen bewirkt. Es ist mir, als ob Christus heute ab end jedem von euch zuflüstere: „Schenk mir dein Herz … Ich will es läutern, ich will es stärken, ich will es auf alle jene hinlenken, die seiner bedürfen: auf deine eigene Familie, auf deine Schul- und Universtätsgemein­schaft, auf deinen Gesellschaftsbereich, auf die, die kaum Liebe erfahren, auf die Ausländer, die auf Frankreichs Boden leben, auf die Bewohner der ganzen Welt, die nichts zum Leben haben und keine Entwicklungsmöglichkeiten be­sitzen, auf die Kleinsten, Geringsten unter den Menschen. Liebe verlangt Tei­len!”

Liebe französische Jugend, es ist mehr denn je die Stunde, um Hand in Hand an der Gesellschaft im Zeichen der Liebe zu arbeiten, wie der meinem großen Vorgänger Paul VI. so teure Ausdruck lautet. Was für eine gewaltige Baustelle! Was für eine begeisternde Aufgabe!

Auf der Ebene des Herzens, der Liebe, habe ich euch noch etwas anzuver­trauen. Ich glaube mit allen meinen Kräften, daß viele von euch imstande sind, mit ihrer ganzen Liebesfähigkeit die totale Hingabe an Christus und an ihre Brüder zu wagen. Ihr versteht ganz richtig, daß ich von der Berufung zum Prie­stertum und zum Ordensleben sprechen will. Eure Städte und eure Dörfer in Frankreich warten auf Priester mit glühendem Herzen, die das Evangelium ver­künden, die Eucharistie feiern, die Sünder mit Gott und mit ihren Brüdern ver­söhnen. Sie warten auch auf Frauen, die sich vollkommen dem Dienst an der christlichen Gemeinde und ihren menschlichen und geistlichen Bedürfnissen widmen. Eure etwaige Antwort auf diesen Anruf liegt genau auf der Linie der letzten Frage Jesu an Petrus: „Liebst du mich?”

6. Ich habe von den Werten des Körpers, des Geistes und des Herzens gespro­chen. Aber dabei habe ich eine wesentliche Dimension durchblicken lassen, ohne die der Mensch zum Gefangenen seiner selbst oder der anderen wird: ich meine die Öffnung auf Gott hin. Ja, ohne Gott verliert der Mensch den Schlüs­sel zu sich selbst, er verliert den Schlüssel zu seiner eigenen Geschichte. Denn seit der Schöpfung trägt er die Ebenbildlichkeit mit Gott in sich. Sie bleibt als unausgesprochenes Verlangen und unbewußtes Bedürfnis in ihm, trotz der Sünde. Der Mensch ist dazu bestimmt, mit Gott zu leben. Auch hier offenbart sich Christus als unser Weg. Aber dieses Geheimnis verlangt vielleicht eine größere Aufmerksamkeit von uns.

Jesus Christus, der Mensch gewordene Sohn Gottes, hat all das, was den Wert unserer menschlichen Natur, Körper, Geist und Herz, ausmacht, in einer völlig freien, vom Siegel der Wahrheit geprägten und von Liebe erfüllten Beziehung zu den anderen gelebt. Sein ganzes Leben und seine Worte haben diese Frei­heit, diese Wahrheit, diese Liebe und besonders die freiwillige Hingabe seines Lebens für die Menschen offenkundig gemacht. So konnte er das Grundgesetz einer glücklichen Welt, ja: einer glücklichen Welt auf dem Weg der Armut, der Sanftmut, der Gerechtigkeit, der Hoffnung, der Barmherzigkeit, der Reinheit, des Friedens, der Treue bis in die Verfolgung hinein verkündigen, und 2000 Jahre danach ist dieses Gesetz in das Herz unserer Zusammenkunft einge­schrieben. Aber Christus hat nicht nur das Beispiel gegeben und gelehrt. Er hat Männer und Frauen wirklich von dem befreit, was ihren Körper, ihren Geist und ihr Herz gefangen hielt. Und seitdem er für uns gestorben und auferstan­den ist, tut er das weiter für die Männer und Frauen jedes Standes und jeden Landes, sobald sie ihm ihren Glauben schenken. Er ist der Retter des Men­schen. Er ist der Erlöser des Menschen. „Ecce homo”, sagte Pilatus, ohne die Tragweite dieser seiner Worte zu verstehen: „Seht den Menschen!”

Wieso wagen wir, liebe Freunde, das zu sagen? Das Erdenleben Christi war kurz, noch kürzer war sein Wirken in der Öffentlichkeit. Aber sein Leben ist einzigartig, seine Persönlichkeit ist auf der Welt einzigartig. Er ist nicht nur unser Bruder, Freund, Mann Gottes. Wir erkennen in ihm den einzigen Sohn Gottes, der eins ist mit Gott, dem Vater, und den der Vater der Welt geschenkt hat. Mit dem Apostel Petrus, dessen demütiger Nachfolger ich bin, bekenne ich: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.” Und weil Christus zugleich an der göttlichen Natur und an unserer menschlichen Natur Anteil hat, erreicht die Hingabe seines Lebens in seinem Tod und in seiner Auferste­hung auch uns, uns heutige Menschen, sie rettet uns, läutert uns, macht uns frei und erhöht uns: „Der Sohn Gottes hat sich gleichsam mit jedem Menschen ver­bunden.” Und ich möchte hier den Wunsch aus meiner ersten Enzyklika wie­derholen: „Jeder Mensch soll Christus finden können, damit Christus jeden einzelnen auf seinem Lebensweg begleiten kann mit jener kraftvollen Wahr­heit über den Menschen und die Welt, wie sie im Geheimnis der Menschwer­dung und der Erlösung enthalten ist, mit der Macht jener Liebe, die davon aus­strahlt” (Redemptor hominis, Nr. 13).

Wenn Christus unser Menschsein befreit und erhöht, führt er es in den Bund mit Gott ein, mit dem Vater, mit dem Sohn und mit dem Heiligen Geist. Heute feiern wir das Fest der Heiligsten Dreifaltigkeit. Hier ist der wahre Zugang zu Gott, nach dem sich jedes Menschenherz sehnt, auch wenn es nicht darum weiß. Christus bietet ihn dem Glaubenden an. Es handelt sich um einen per-

sönlichen Gott und nicht bloß um den Gott der Philosophen und der Weisen, sondern um den in der Bibel geoffenbarten Gott, den Gott Abrahams, den Gott Jesu Christi, der im Mittelpunkt unserer Geschichte steht. Es ist der Gott, der alles, was eurem Körper, eurem Geist und eurem Herzen gegeben ist, erfassen und fruchtbar machen kann, mit einem Wort, der euer ganzes Sein erfassen und es in Christus schon jetzt und über den Tod hinaus erneuern kann.

Das ist mein Glaube, das ist der Glaube der Kirche seit ihren Anfängen, der ein­zige Glaube, der sich auf das Zeugnis der Apostel gründet, der einzige, der Schwankungen standhält, der einzige, der den Menschen rettet. Ich bin sicher, daß viele von euch bereits diese Erfahrung gemacht haben. Möge mein Besuch ihnen eine Ermutigung sein, sie mit allen Mitteln, die die Kirche ihnen zur Ver­fügung stellt, zu vertiefen.

Andere zögern zweifellos noch, diesem Glauben voll zuzustimmen. Manche erklären, sie seien diesbezüglich auf der Suche. Manche halten sich für ungläu­big und vielleicht für unfähig zu glauben oder für gleichgültig gegenüber dem Glauben. Andere lehnen einen Gott ab, dessen Gestalt ihnen schlecht darge­stellt wurde. Wieder andere, vom Widerhall gewisser Philosophien, die die Religion als Illusion oder Entfremdung hinstellen, in Verwirrung gebracht, sind vielleicht versucht, einen Humanismus ohne Gott aufzubauen. Diesen allen wünsche ich indessen, daß sie aus Ehrlichkeit wenigstens ihr Fenster auf Gott hin offenhalten mögen. Andernfalls laufen sie Gefahr, von dem Weg des Menschen, von Christus, der dieser Weg ist, abzukommen, sich in Haltungen des Aufruhrs, der Gewalt abzukapseln, sich mit Seufzern über das eigene Unvermögen oder mit Resignation zufriedenzugeben. Eine Welt ohne Gott wird sich früher oder später gegen den Menschen richten. Gewiß hat es viele soziale oder kulturelle Einflüsse, viele persönliche Ereignisse gegeben, die euren Glaubensweg behindern oder euch davon abbringen konnten. Aber wenn ihr tatsächlich wollt, habt ihr auch unter diesen Schwierigkeiten, die ich verstehe, schließlich in eurem Land, wo Religionsfreiheit herrscht, noch immer viele Möglichkeiten, diesen Weg freizulegen und mit Gottes Gnade zum Glauben zu gelangen! Ihr habt dazu die Mittel! Ergreift ihr sie wirklich? Im Namen der ganzen Liebe, die ich für euch hege, zögere ich nicht, euch aufzufor­dern: „Reißt die Tore weit auf für Christus!” Was fürchtet ihr? Vertraut auf ihn! Wagt es, ihm zu folgen. Das erfordert natürlich, daß ihr aus euch selbst heraus­geht, daß ihr ablaßt von euren Urteilen, eurer „Weisheit”, eurer Gleichgültig­keit, eurer Selbstgefälligkeit, von unchristlichen Gewohnheiten, die ihr euch vielleicht angeeignet habt. Ja, das verlangt Verzicht, eine Umkehr, es verlangt, daß ihr es zuerst wagt, euch danach zu sehnen, im Gebet darum zu bitten und dann mit der praktischen Verwirklichung zu beginnen. Laßt Christus für euch den Weg, die Wahrheit und das Leben sein! Laßt ihn euer Heil und euer Glück sein! Laßt euer ganzes Leben von ihm ergreifen, damit es mit ihm alle seine Dimensionen erreicht, so daß alle eure Beziehungen, Handlungen, Gefühle und Gedanken vollständig in ihn hineingenommen, man könnte sagen „christi­fiziert” werden. Ich wünsche euch, daß ihr mit Christus Gott als die Quelle und das Ziel eurer Existenz erkennt.

Es sind die Männer und Frauen, deren die Welt bedarf, deren Frankreich be­darf. Ihr werdet persönlich das Glück erfahren, das die Seligpreisungen ver­heißen, und ihr werdet in aller Demut, in Achtung vor den anderen und mitten unter ihnen der Sauerteig sein, von dem das Evangelium spricht. Ihr werdet eine neue Welt aufbauen; ihr werdet eine christliche Zukunft vorbereiten. Es ist ein Kreuzweg, gewiß, aber es ist auch ein Weg der Freude, denn es ist ein Weg der Hoffnung.

Mit meiner ganzen Zuversicht und meiner ganzen Liebe lade ich die Jugend Frankreichs ein, aufzuschauen und gemeinsam diesen Weg zu gehen, Hand in Hand mit dem Herrn. Auf, ihr Mädchen und Jungen!

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Quelle: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls – 21 – Predigten und Ansprachen von Papst Johannes Paul II. bei seiner Pilgerfahrt nach Frankreich – 30. Mai bis 2. Juni 1980. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz

Siehe ferner:



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