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Benedikt XVI. – Joseph Ratzinger und der selige/heilige Johannes Paul II.

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‚Die Zusammenarbeit mit dem Heiligen Vater war immer von Freundschaft und Vertrauen geprägt’. Die doktrinellen Herausforderungen eines Pontifikats.

Teil 1 – Mit Genehmigung von Benedikt XVI.

Von Armin Schwibach

Rom (kath.net/as) „Haben Sie Benedikt XVI. je um Rat gefragt?“ war eine der Fragen, mit der Papst Franziskus in seinem Interview mit der italienische Zeitung „Corriere della Sera“ konfrontiert wurde. „Ja“, sagte er kurz und bündig und betonte dabei, dass der emeritierte Papst „keine Statue in einem Museum“ sei: „Er ist eine Institution“. Benedikt XVI. sei diskret, bescheiden, er wolle nicht stören. Aber: „Wir haben darüber gesprochen und gemeinsam beschlossen, dass es besser wäre, wenn er Leute sieht, hinausgeht und am Leben der Kirche teilnimmt … Seine Weisheit ist ein Geschenk Gottes“.

Gesagt, getan: Anfang März wurde in Italien das Buch „Accanto a Giovanni Paolo II. Gli amici e i collaboratori raccontano“ („Neben Johannes Paul II. Die Freunde und Mitarbeiter erzählen“) des polnischen Vatikanisten Włodzimierz Rędzioch mit dem ersten Interview veröffentlicht, das der Papst emeritus nach seinem Amtsverzicht gegeben hat.

Benedikt XVI. bietet wichtige Einblicke in sein persönliches Verhältnis zum bald heiligen Papst, zur Geschichte eines historischen Pontifikats mit seinen kontroversen Problematiken (die Enzykliken und ihre Gewichtung, „Dominus Iesus“, Befreiungstheologie). Mit den Antworten auf die ihm gestellten Fragen folgt er beratend und klärend dem Wunsch des Papstes, aktiv am Leben der Kirche teilzunehmen. Es wird deutlich, dass Benedikt XVI. alles andere als eine „Statue in einem Museum“ ist.

kath.net veröffentlicht diese erste Wortmeldung des emeritierten Papstes im deutschen Originaltext in zwei Teilen. Ich danke Seiner Heiligkeit Benedikt XVI. für die freundliche Unterstützung und Erlaubnis zur Veröffentlichung.

 

Heiligkeit, die Namen Karol Wojtyła und Joseph Ratzinger sind in verschiedener Hinsicht an das II. Vatikanische Konzil gebunden. Haben Sie sich bereits während des Konzils kennengelernt?

Benedikt XVI.: Die erste bewusste Begegnung zwischen Kardinal Wojtyła und mir hat erst in dem Konklave stattgefunden, in dem Johannes Paul I. gewählt worden ist. Während des Konzils haben wir zwar beide an der „Konstitution über die Kirche in der Welt von heute“ mitgearbeitet, aber offenbar in verschiedenen Sektionen, so dass wir uns nicht begegnet sind. Bei dem Besuch der polnischen Bischöfe in Deutschland (September 1978) war ich als persönlicher Abgesandter von Johannes Paul I. in Ecuador: Die Kirche von München-Freising ist mit der Kirche in Ecuador in einer Patenschaft verbunden, die von Erzbischof Echeverría Ruiz (Guayaquil) und Kardinal Döpfner begründet wurde. So habe ich zu meinem ganz großen Bedauern die Gelegenheit versäumen müssen, damals dem Krakauer Erzbischof persönlich zu begegnen. Natürlich hatte ich von seiner philosophischen und von seiner pastoralen Arbeit gehört und wünschte mir schon lange, ihn kennenzulernen. Wojtyła seinerseits hatte meine „Einführung in das Christentum“ gelesen, die er auch in den Exerzitien zitiert hat, die er in der Fastenzeit 1976 für Paul VI. und die Kurie gepredigt hatte. So haben wir innerlich gleichsam schon auf eine Begegnung miteinander gewartet. Ich habe von Anfang an große Verehrung und herzliche Sympathie für den Krakauer Metropoliten gespürt. Im Prä-Konklave 1978 hat er in beeindruckender Weise für uns das Wesen des Marxismus analysiert. Vor allem aber habe ich seine menschliche Ausstrahlung sofort stark empfunden und an seiner Gebetshaltung gespürt, wie tief er mit Gott verbunden war.

Was haben Sie empfunden, als Sie Johannes Paul II. rief, um Ihnen die Leitung der Kongregation für die Glaubenslehre anzuvertrauen?

Benedikt XVI.: Johannes Paul II. hatte mich wohl im Jahr 1979 gerufen, um mich zum Präfekten der Erziehungskongregation zu ernennen. Seit meiner Bischofsweihe in München waren erst zwei Jahre vergangen, und ich hielt es für unmöglich, so schnell den Sitz des heiligen Korbinian wieder zu verlassen. Die Bischofsweihe war ja irgendwie doch ein Treueversprechen gegenüber meiner Heimatdiözese. So habe ich damals den Papst gebeten, von dieser Ernennung abzusehen. Er hat dann Kardinal Baum von Washington in dieses Amt gerufen, aber zugleich schon angekündigt, dass er später mit einem anderen Auftrag auf mich zukommen werde. Es war dann wohl im Lauf des Jahres 1980, dass er mir sagte, er wolle mich Ende 1981 als Nachfolger von Kardinal Šeper zum Präfekten der Glaubenskongregation ernennen. Da ich mich nach wie vor meiner Heimatdiözese verpflichtet fühlte, habe ich mir erlaubt, eine Bedingung für die Annahme des Amtes zu stellen, die ich für unerfüllbar hielt. Ich habe gesagt, ich spürte die Verpflichtung, auch weiterhin theologische Arbeiten zu veröffentlichen. Nur wenn dies mit dem Amt des Präfekten vereinbar sei, könne ich Ja dazu sagen. Der Papst, der immer sehr gütig und nachsichtig mit mir war, hat mir erklärt, er werde sich über diese Frage informieren und eine Meinung bilden. Bei meinem nächsten Besuch erklärte er, dass theologische Veröffentlichungen mit dem Amt des Präfekten vereinbar seien. Auch Kardinal Garrone habe als Präfekt der Erziehungskongregation theologische Werke veröffentlicht. So habe ich dann den Auftrag angenommen, im Wissen um die Schwere der Aufgabe, aber auch in dem Bewusstsein, dass nun der Gehorsam dem Papst gegenüber ein Ja von mir verlange.

Könnten Sie uns erzählen, wie die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Johannes Paul II. verlief?

Benedikt XVI.: Die Zusammenarbeit mit dem Heiligen Vater war immer von Freundschaft und Vertrauen geprägt. Sie hatte vor allem zwei Ebenen – die offizielle und die private. Der Präfekt der Glaubenskongregation hat jeden Freitag um 18 Uhr Audienz beim Papst und legt ihm dabei die angefallenen Probleme zur Entscheidung vor. Dabei gibt es vorrangig natürlich die Probleme der Glaubenslehre, dazu aber auch disziplinäre Fragen – die Laisierung von Priestern, die darum gebeten haben, die Gewährung des paulinischen Privilegs für Ehen, in denen ein Partner nicht Christ war usw. Später kam auch die laufende Arbeit am „Katechismus der katholischen Kirche“ hinzu. Der Heilige Vater erhielt jeweils rechtzeitig die wesentliche Dokumentation und kannte also bereits die Fragen, um die es ging. So haben wir über die theologischen Probleme immer fruchtbar miteinander sprechen können. Der Papst war sehr belesen, auch in neuester deutscher Literatur, und es war – wohl für beide Seiten – immer schön, miteinander nach den rechten Entscheidungen in diesen Dingen zu suchen.

Neben diesen eigentlich offiziellen Kontakten gab es verschiedene Typen halb offizieller und nicht offizieller Begegnungen. Halb offiziell würde ich die Audienzen nennen, in denen über mehrere Jahre hin am Dienstagvormittag in Gruppen mit wechselnden Zusammensetzungen die Mittwochs-Katechesen besprochen wurden. Der Papst hatte sich entschlossen, durch die Katechesen im Lauf der Zeit einen Katechismus darzubieten; er gab die Themen vor und ließ erste Gesichtspunkte für ihre Ausarbeitung vorbereiten. Da immer Vertreter verschiedener Spezialisierungen anwesend waren, waren dies sehr schöne und lehrreiche Gespräche, an die ich mich gern erinnere. Auch hier zeigte sich die theologische Kompetenz des Papstes. Zugleich aber habe ich seine Lernbereitschaft bewundert.

Schließlich gehörte es zu den Gewohnheiten des Papstes, die Bischöfe, die zum Ad-Limina-Besuch da waren, wie auch andere je nach Umständen zusammengestellte Gruppen von Bischöfen und Priestern mittags zu Tisch einzuladen. Dies waren fast immer „Arbeitsessen“, bei denen häufig ein theologisches Thema vorgegeben war. In der ersten Zeit gab es eine ganze Reihe von Mittagessen, in denen der neue Kodex Stück um Stück diskutiert wurde. Eine vorläufig-endgültige Fassung lag vor, die wir in diesen Mahlzeiten durchgearbeitet und auf die Schlussfassung vorbereitet haben. Später standen die verschiedensten Themen zur Debatte. Durch die Vielzahl der Anwesenden war das Gespräch immer sehr weit gefächert. Immer aber hatte auch der Humor seinen Raum. Der Papst lachte gern, und so waren die Arbeitsessen durchaus bei allem Ernst in der Sache Gelegenheiten eines fröhlichen Beisammenseins.

Was waren die doktrinellen Herausforderungen, denen Sie zusammen mit Papst Johannes Paul II. während Ihrer Amtszeit in der Kongregation für die Glaubenslehre begegnet sind?

Benedikt XVI.: Die erste große Herausforderung, der wir begegnet sind, war die in Lateinamerika sich ausbreitende Theologie der Befreiung. Die allgemeine Meinung darüber sowohl in Europa wie in Nordamerika war: Es gehe dabei um die Hilfe für die Armen und so um eine Sache, der man nur rundum zustimmen kann. Dies ist aber ein Irrtum. Gewiss waren die Armut und die Armen Thema der Befreiungstheologie, aber in einer sehr spezifischen Perspektive. Unmittelbare Hilfen für die Armen, Reformen, die ihre Situation besserten, wurden als Reformismus beurteilt, der systemstabilisierend wirkt: Sie dämpfen – so sagte man – den Zorn und die Empörung, die aber für die revolutionäre Umwandlung der Systeme nötig seien. Nicht um unmittelbare Hilfe und um Reformen ging es, sondern um den großen Umsturz, der eine neue Welt heraufführen sollte. Der christliche Glaube wird dabei als Motor für diese revolutionäre Bewegung eingesetzt und so zu einer politischen Kraft umgewandelt. Die religiösen Überlieferungen des Glaubens dienen der politischen Aktion. Damit ist der Glaube zutiefst seiner selbst entfremdet, und auch die wirkliche Liebe zu den Armen ist abgestumpft. Natürlich treten diese Ideen in verschiedenen Variationen auf und sind nicht immer in voller Schärfe gegenwärtig, aber die Gesamtbewegung ging in diese Richtung. Dieser Verfälschung des christlichen Glaubens – gerade auch um der Armen und des Dienstes für sie wegen – war entgegenzutreten. Papst Johannes Paul II. hat uns hier aufgrund der Erfahrungen seiner polnischen Heimat die entscheidenden Lichter aufgesetzt. Einerseits hatte er die Versklavung durch die marxistische Ideologie erlebt, die der Befreiungstheologie Pate stand. So war ihm aus eigener leidvoller Erfahrung klar, dass diesem Typus von „Befreiung“ entgegengetreten werden muss. Andererseits hat er gerade in der Situation seiner Heimat gesehen, dass die Kirche wirklich für Freiheit und Befreiung wirken muss – nicht auf politische Weise, sondern dadurch, dass sie in den Menschen durch den Glauben die Kräfte wirklicher Befreiung erweckt. Der Papst hat uns angeleitet, über beides zu sprechen: einerseits eine falsche Befreiungsidee zu demaskieren und andererseits die wirkliche Berufung der Kirche zur Befreiung der Menschen darzustellen. Das haben wir in den beiden Instruktionen zur Befreiungstheologie zu sagen versucht, die am Anfang meiner Arbeit in der Glaubenskongregation standen.

Ein Hauptproblem unserer Arbeit in den Jahren, in denen ich Präfekt war, ist dann das Ringen um das rechte Verstehen der Ökumene gewesen. Auch hier handelt es sich um einen zweiseitigen Sachverhalt: Einerseits ist der Auftrag zur Einheit mit aller Dringlichkeit darzustellen und die Wege dafür sind zu öffnen. Andererseits müssen falsche Einheitsvisionen abgewiesen werden, die von einer Verdünnung des Glaubens her einen Abkürzungsweg zur Einheit des Glaubens eröffnen möchten. In diesem Zusammenhang sind Texte zu verschiedenen Aspekten der Ökumene entstanden. Am meisten Aufregung hat das Dokument „Dominus Iesus“ (2000) hervorgerufen, das die unverzichtbaren Elemente des katholischen Glaubens zusammenfasst.

Ein zentrales Thema bleibt das Gespräch der Religionen miteinander, zu dem wir allerdings nur einige kleinere Texte veröffentlichen konnten. Wir haben uns an die Frage langsam heranzutasten versucht, vor allem durch Gespräche mit Theologen und mit Bischofskonferenzen. Wichtig war vor allem unsere Begegnung mit den Glaubenskommissionen der asiatischen Länder in Hongkong. Die Frage bleibt sicher eine Hauptherausforderung auf lange Zeit hinaus.

Eine große Herausforderung bedeutete schließlich unsere Beteiligung an der Vorbereitung der Enzyklika des Heiligen Vaters über die Probleme der Moraltheologie „Veritatis splendor“.

Schließlich haben wir uns auch mit der Frage nach dem Wesen und Auftrag der Theologie in unserer Zeit befasst. Wissenschaftlichkeit und kirchliche Bindung erscheint ja weithin heute als Widerspruch. Dennoch kann Theologie nur in und mit der Kirche bestehen. Zu dieser Frage haben wir eine Instruktion veröffentlicht.

 

‚Der Mut der Wahrheit ist in meinen Augen ein erstrangiges Kriterium der Heiligkeit’. Veritatis splendor, Dominus Iesus und die Heiligkeit Johannes Pauls II. –
Teil 2 – Von Armin Schwibach

Rom (kath.net/as) Im zweiten Teil seines Gesprächs mit dem polnischen Vatikanisten Włodzimierz Rędzioch, das Anfang März 2014 in Italien in dem Buch „Accanto a Giovanni Paolo II. Gli amici e i collaboratori raccontano“ („Neben Johannes Paul II. Die Freunde und Mitarbeiter erzählen“) veröffentlicht wurde, geht Papst emeritus Benedikt XVI. der Frage zu den wichtigsten Enzykliken Johannes Pauls II. nach. In besonderer Weise setzt sich Benedikt XVI. dann mit der Heiligkeit seines Vorgängers auseinander, deren erstrangiges Kriterium für ihn der Mut zur Wahrheit ist.

Zu den wichtigsten Enzykliken des Pontifikats Papst Johannes Pauls II. zählt Benedikt XVI. die Lehrschreiben „Redemptor hominis“ (1979), „Redemptor missio“ (1990), „Veritatis splendor“ über die Grundlagen der Moral (1993), „Evangelium vitae“ (1995) sowie „Fides et Ratio“ (1998) über das Verhältnis von Glaube und Vernunft.

Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang die Wertung Benedikts XVI. der zur Zeit ihrer Veröffentlichung heftig attackierten Enzyklika „Veritatis splendor“, die sich dem Verschwinden der naturrechtlichen Grundlegung der Moral sowie dem Fehlen einer christologischen Fundierung derselben widersetzte: „Hier wieder sowohl eine metaphysische Fundierung in der Anthropologie wie auch eine christliche Konkretisierung in dem neuen Menschenbild der Heiligen Schrift zu finden, war eine große Aufgabe, der sich der Papst in dieser Enzyklika gestellt hat. Sie zu studieren und sich anzueignen, bleibt eine große und wichtige Aufgabe“.

Welche von den vielen Enzykliken Papst Johannes Pauls II. erachten Sie für die wichtigste?

Benedikt XVI.: Ich denke, dass drei Enzykliken von besonderer Wichtigkeit sind. An erster Stelle nenne ich „Redemptor hominis“ – die erste Enzyklika des Papstes, in der er seine persönliche Synthese des christlichen Glaubens vorgelegt hat. Dieser Text zeigt eine Art Summe seines eigenen Ringens mit dem Glauben und bietet so eine Gesamtsicht der Logik des Christentums dar. Als eine Antwort auf die Frage, wie man heute Christ sein und als Katholik glauben kann, ist dieser ganz persönliche und doch ganz kirchliche Text eine große Hilfe für jeden Suchenden.

An zweiter Stelle möchte ich die Enzyklika „Redemptoris missio“ nennen. Es ist ein Text, der die bleibende Bedeutung des missionarischen Auftrags der Kirche herausstellt und dabei besonders auf die Fragen eingeht, die sich der Christenheit in Asien stellen und die die Theologie in der westlichen Welt bewegen. Das Verhältnis von Dialog der Religionen und missionarischem Auftrag wird hier durchleuchtet und gezeigt, warum es auch heute wichtig ist, Menschen aller Erdteile und aller Kulturen die Botschaft von Christus, dem Erlöser aller Menschen, zu verkündigen.

An dritter Stelle möchte ich die Enzyklika über die Moralprobleme – „Veritatis splendor“ – nennen. Sie hat lange Jahre der Reifung benötigt und ist von unveränderter Aktualität. Die Konstitution des II. Vaticanums über die Kirche in der Welt von heute hatte gegenüber der überwiegend naturrechtlichen Ausrichtung der Moraltheologie von damals eine biblische Fundierung der katholischen Morallehre von der Gestalt Christi und seiner Botschaft her verlangt. Dies wurde nur kurze Zeit ansatzhaft versucht, dann setzte sich die Meinung durch, die Bibel habe gar keine eigene Moral zu verkündigen, sondern verweise auf die jeweils gültigen moralischen Modelle. Moral sei eine Frage der Vernunft, nicht des Glaubens. So verschwand zwar die naturrechtlich verstandene Moral, aber es wurde keine christliche Konzeption an ihre Stelle gesetzt. Da man weder eine metaphysische noch eine christologische Fundierung der Moral erkennen konnte, griff man zu pragmatischen Lösungen – zu einer Moral der Güterabwägung, in der es das eigentlich Böse und das eigentlich Gute nicht mehr gibt, sondern nur von der Wirkung her das Bessere oder Schlechtere. Hier wieder sowohl eine metaphysische Fundierung in der Anthropologie wie auch eine christliche Konkretisierung in dem neuen Menschenbild der Heiligen Schrift zu finden, war eine große Aufgabe, der sich der Papst in dieser Enzyklika gestellt hat. Sie zu studieren und sich anzueignen, bleibt eine große und wichtige Aufgabe.

Von erheblicher Bedeutung ist auch die Enzyklika „Fides et Ratio“, in der sich der Papst um eine neue Konzeption des Verhältnisses von christlichem Glauben und philosophischer Vernunft müht.

Unbedingt genannt werden muss schließlich „Evangelium vitae“. Hier geht es um ein Grundthema des ganzen Pontifikats von Johannes Paul II.: die unantastbare Würde des menschlichen Lebens vom ersten Augenblick der Empfängnis an.

Was waren die herausragenden Züge der Spiritualität Johannes Pauls II.?

Benedikt XVI.: Die Spiritualität des Papstes war vor allem geprägt durch die Intensität seines Betens und damit zutiefst verwurzelt in der Feier der heiligen Eucharistie und im Mitbeten mit der Kirche im Stundengebet. In seinem autobiographischen Buch „Dono e mistero“ kann man sehen, wie sehr das Sakrament des Priestertums sein Leben und Denken geprägt hat. So konnte seine Frömmigkeit nie nur individuell sein, sondern war immer auch Mitsorge um die Kirche und um die Menschen überhaupt. Christus zu den anderen zu bringen, war im Kern seiner Frömmigkeit als Auftrag verankert. Seine große Liebe zur Muttergottes haben wir alle gekannt. Wenn er sich Maria ganz zu eigen gab, so bedeutet dies, dass er mit ihr ganz für den Herrn da war. So wie Maria nicht für sich selbst, sondern für Ihn lebte, lernte er von ihr und durch das Mitsein mit ihr die völlige Dienstbereitschaft für Christus.

Heiligkeit, Sie haben den Weg für die Seligsprechung vor der vom Kirchenrecht festgelegten regulären Zeit eröffnet. Seit wann und auf welcher Grundlage sind zur Überzeugung gekommen, dass Johannes Paul II. ein Heiliger ist?

Benedikt XVI.: Dass Johannes Paul II. ein Heiliger war, ist mir in den Jahren der Zusammenarbeit immer neu und immer mehr klar geworden. Da ist natürlich zunächst seine intensive Gottesbeziehung, sein Eingesenktsein in die Gemeinschaft mit dem Herrn zu nennen, von der ich eben schon gesprochen hatte. Von da her kam seine Fröhlichkeit mitten in den großen Mühsalen, die er zu bestehen hatte, und der Mut, mit dem er seinen Auftrag in einer wahrhaft schwierigen Zeit erfüllte. Johannes Paul II. hat nicht nach Beifall gefragt und nicht ängstlich umgeschaut, wie seine Entscheidungen wohl aufgenommen würden. Er hat aus seinem Glauben und aus seiner Einsicht heraus gehandelt und war bereit, auch Schläge auf sich zu nehmen. Der Mut der Wahrheit ist in meinen Augen ein erstrangiges Kriterium der Heiligkeit.

Nur von seiner Gottesbeziehung her kann man auch seinen rastlosen pastoralen Einsatz verstehen. Er hat sich mit einer Radikalität hingegeben, die nicht anders erklärt werden kann. Sein Einsatz war rastlos – nicht nur in den großen Reisen, deren Programme von Anfang bis Ende dicht gefüllt waren, sondern auch Tag um Tag von der Morgenmesse beginnend bis in die späten Stunden hinein. Bei seinem ersten Besuch in Deutschland (1980) habe ich erstmals diesen ungeheuren Einsatz ganz konkret erlebt. So habe ich für seinen Aufenthalt in München entschieden, dass er eine längere Mittagspause haben müsse. In dieser Pause hat er mich in sein Zimmer hinaufgerufen. Ich fand ihn beim Beten des Stundengebets und sagte zu ihm: „Heiliger Vater, Sie sollten doch ruhen.“ Er darauf: „Das kann ich dann im Himmel tun.“ Nur wer zuinnerst erfüllt ist von der Dringlichkeit seiner Sendung, kann so handeln.

Dann muss ich aber auch seine außerordentliche Güte und Nachsicht rühmen. Er hätte gewiss oft Grund genug gehabt, mich zu rügen oder auch meinen Auftrag als Präfekt zu beenden. Aber er ist mit einer ganz unbegreiflichen Treue und Güte zu mir gestanden. Auch da ein Beispiel. Angesichts des Wirbels, der um die Erklärung „Dominus Iesus“ entstanden war, sagte er zu mir, er wolle bei einem Angelus unzweideutig das Dokument verteidigen. Er lud mich ein, einen Text für den Angelus zu schreiben, der sozusagen wasserdicht sei und keine Umdeutungen gestattete. Es musste völlig unmissverständlich erscheinen, dass er das Dokument uneingeschränkt billigte. Ich habe dann eine kleine Rede geschrieben, aber ich wollte doch nicht zu hart werden und habe versucht, den Text klar, aber ohne Härte zu schreiben. Der Papst hat mich nach der Lektüre noch einmal gefragt: „Ist das wirklich klar genug?“, was ich bejaht habe. Wer die Theologen kennt, wird sich nicht wundern, dass dann doch behauptet wurde, der Papst habe sich vorsichtig vom Text distanziert.

Was empfinden Sie heute in Ihrem Innern, wenn die Kirche offiziell die Heiligkeit „Ihres“ Papstes, Johannes Pauls II., anerkennt, dessen engster Mitarbeiter Sie gewesen sind?

Benedikt XVI.: Meine Erinnerung an Johannes Paul II. ist von Dankbarkeit angefüllt. Ich konnte und durfte nicht versuchen, ihn nachzuahmen, aber ich habe versucht, sein Erbe und seinen Auftrag, so gut ich konnte, weiterzutragen. Und so bin ich ganz sicher, dass seine Güte mich auch heute begleitet und sein Segen mich beschützt.

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Quellen: Teil 1Teil 2

Die zusätzlich eingebauten Links sind von mir [POS]



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