Eine ZENIT-Serie beschäftigt sich mit dem Selbstverständnis von Liturgie
Don Mauro Gagliardi
ROM, 5. November 2009 (ZENIT.org).- „Im Kontext der Liturgie entscheidet sich das Schicksal des Glaubens und der Kirche. Daher hat die Frage nach der Liturgie eine Bedeutung gewonnen, die wir nicht vorhersehen konten”, ist die Feststellung von J. Ratzinger im Band: “Singet dem Herrn ein neues Lied” (S. 9).
Es ist wahrhaftig unbestreitbar, dass sich das Verständnis der Liturgie heute zu einem der wichtigsten Bereiche für das Selbstverständnis der Kirche an sich und seine wahre Reform entwickelt hat.
Die große Liturgiereform, die durch das Vatikanum II. gefördert wird, ist zu einem historischen Umbruch in der Geschichte der Kirche geworden.
In den letzten vierzig Jahren hat die katholische Kirche ihren eigenen Kultus vollständig reformiert, und zum ersten Mal in der Geschichte alle ihre liturgischen Bücher ex novo veröffentlicht. So hat sie zur Schaffung einer neuen Form des Gottesdienstes beigetragen.
Dieser Schritt ist noch nicht ganz getan und wird nicht schmerzlos vor sich gehen, und es gibt derweil noch viele, die noch nicht im Frieden mit dem Grundthema der kirchlichen Liturgie und ihrer Form leben können.
Der damalige Theologe und Kardinal J. Ratzinger hat der Kirche einen wichtigen Beitrag in diesem Bereich geliefert. In einer Zeit, die oft von Unsicherheit geprägt ist, hat er einen Weg zum Nachdenken über die Liturgie und die theologischen Kriterien für die Feier des Gottesdienstes vorgegeben.
Ratzinger hat dazu beigetragen, die Liturgie von ihrer „wesentlichen” Natur her zu verstehen. Dazu gilt es vom Wesen der Kirche auszugehen, das auf dem Gebet beruht, dem wirksamen Gebet, in dem Christus gegenwärtig ist und in unsere Gegenwart einbricht.
Dieses Verständnis ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich:
1) Es ist notwendig, niemals das Studium der Liturgie von der des Dogmas zu trennen. Nur die enge Verbindung zwischen Dogma und Liturgie kann eine fruchtbare Entwicklung der Theologie und der liturgischen Praxis vorantreiben.
Wird das Studium der Liturgie nicht in erster Linie als liturgische Theologie betrieben, reduziert sich diese auf historische und philologische Studien über liturgische Quellen. Oder es führt zu einem willkürlichen Studium der Spiritualität verbunden mit einer Anpassung der Liturgie in Funktion der Seelsorge.
2.) Das theologische Verständnis von Liturgie muss in ihrem doppelten Aspekt von Gottesdienstes und Heiligung des Menschen als echtem Einbrechens Gottes in die Welt hervorgehoben werden.
Dies schließt auch den kosmischen Charakter der Liturgie mit ein. Der Kardinal schreibt: „Der christliche Gottesdienst bedeutet Universalität. Es ist ein Gottesdienst unter geöffneten Himmel. Niemals bleibt es ein Ereignis einer Gemeinschaft, die sich an einem bestimmten geographischen Ort befindet. Die Eucharistie feiern bedeutet, in die Anbetung Gottes einzutreten, der Himmel und Erde umarmt“. (Einführung in den Geist der Liturgie, S. 46).
Die Liturgie ist also Anbetung und Christus ist der Fleisch gewordene Logos geworden (vgl. Joh 1,14): so kann der Gottesdienst der Kirche nichts anderes sein als logiké latreia oder „vernünftiger Gottesdienst” (Röm 12,1), wie der heilige Paulus es formuliert.
3) Daraus folgt, dass die Liturgie nicht nur das Werk unserer Hände werden kann. Im Kern der Liturgie, erhalten wir die Liturgie von Gott selber geschenkt.
„Die Form des Gottesdienstes kann nicht eine Frage politischer Zugeständnisse sein: Sie hat ihr Maß in sich selbst. Sie kann nur durch das Maß der Offenbarung, von Gott ausgehend angepasst werden”.
„Die wahre Liturgie setzt voraus, dass Gott antwortet und zeigt, wie wir ihn anzubeten haben.”(Einführung in den Geist der Liturgie, pp. 12, 17).
Aber die Liturgie „lebt nicht nur davon, was im Einzelnen oder durch irgendeinen Ausschuss gefunden wird. ( ivi , p. 165). Es ist vielmehr das Entgegenkommen Gottes, es geht darum Gott in unserer Welt zu finden.”(S. 165).
Diese und andere Kriterien, die der Kirche durch die Reflexion von Joseph Ratzinger angeboten werden, sind eine große Hilfe und sehr zeitgemäß. Es ist unbestreitbar, dass sie nicht immer so präsent gewesen sind, und nicht nur aus der Praxis stammen. Sicher, es gibt Stimmen, die uns daran erinnern, dass heute „sehr verschiedene” Themen gibt, denen sich die Kirche stellen muss.
Darauf antwortet Ratzinger: Angesichts der aktuellen politischen Krise und des sozialen und moralischen Drucks, der auf den Christen lastet, könnte auf den ersten Blick soscheinen, dass es wichtigere Probleme gibt als sich mit Liturgie und Gebet zu befassen.
Aber man kann Anbetung nicht getrennt von der Frage der Anerkennung von ethischen Kriterien leben und dem Bündeln vonr Kräften, die notwendig sind, um miteinander die Krise zu bewältigen. […] Denn die Sorge für die angemessene Form des Gottesdienstes kann nicht von der Sorge um den Menschen getrennt werden, weil sie bei de zentral sind.”(Das Fest des Glaubens, S. 9).
„Die Anbetung, und die richtigen Formen des Gottesdeinstes, unsere Beziehung zu Gott, ist konstitutiv für die angemessene menschliche Existenz in der Welt; gerade weil sie uns hilft durch den Alltag die Existenzform des ‚Himmels’, also von Gottes Welt zu teilen, so dass der Glanz des Lichtes der göttlichen Welt in unserer Welt aufscheint “(Einführung in den Geist der Liturgie, S. 17).
Ich glaube, dass die Redaktionsleitung von ZENIT diese Perspektive im Blick hatte, als sie mich baten, die Verantwortung für eine neue Rubrik zum Thema Liturgie zu übernehmen.
Ich bin kein Liturge in dem Sinne, wie der Name denken lässt: ich bin und bleibe Dogmatiker, aber aus Leidenschaft und von Berufs wegen studiere, lehre und arbeite ich auf dem Gebiet der Liturgie, da mich vor allem die „liturgische Theologie” interessiert.
In der Schule des ehemaligen Kardinal Ratzingers, sehen wir, dass es jetzt dies ist, was wir vor allem brauchen und so nahm ich trotz aller Bedenken den Vorschlag an, ab jetzt ad experimentum einen Beitrag zu leisten.
Der Vorschlag ist, den Lesern von ZENIT eine Fortbildung und Information über die Liturgie zu ermöglichen, so dass sie das Wesen oder den „Geist” der Liturgie entdecken und erkunden können.
Ich werde dies nicht alleine angehen, sondern auch andere Wissenschaftler einbeziehen, die diese Vision teilen und die Bedeutung des Augenblicks erkennen, den wir derzeit durchmachen. Gemeinsam werden wir uns auf die Suche nach den echten „Geist der Liturgie machen.”
[Don Mauro Gagliardi ist Professor für Theologie am Päpstlichen Athenäum Regina Apostolorum in Rom, und Berater des Amtes für Liturgische Feiern des Papstes. Übersetzung des italienischen Originals durch Angela Reddemann]
( 5. November 2009) © Innovative Media Inc.
