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Simar: Dogmatik [1899]: Die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes

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A. Wesen, Zweck und Wirkungen der Unfehlbarkeit

1. Der Glaube ist der Anfang des menschlichen Heiles, die Grundlage und die Wurzel der Rechtfertigung und Heiligung. Aus diesem Grunde erscheint die Lehrgewalt als die fundamentalste aller kirchlichen Gewalten, ihre Wirksamkeit als die Voraussetzung der übrigen. Durch sie soll die von Gott geoffenbarte Wahrheit, das unerlässliche Mittel des menschlichen Heiles, allzeit unverfälscht bewahrt und allen Menschen dargeboten werden; den Glauben an diese Wahrheit soll die Kirche mit göttlicher Autorität gebieten, auftauchende Zweifel oder Streitigkeiten mit gleicher Autorität entscheiden (§ 7, 1).  Sie würde weder die eine noch die andere Aufgabe erfüllen können, wenn sie der Gefahr ausgesetzt wäre, in ihrer Lehrverkündigung auch nur im mindesten von der göttlich geoffenbarten Wahrheit abzuirren. Nur die von Christus ihr anvertrauten Wahrheiten allein, nicht aber menschliche Irrtümer oder Erfindungen, können Gegenstand des göttlichen, das Heil bedingenden Glaubens sein, und nur für die von Christus ihr anvertraute Heilslehre kann und darf sie den Glauben im Namen Gottes gebieten. Nur dann ist auch die rückhaltlose Unterwerfung unter ihre Autorität oder der Glaube selbst sittlich erlaubt, wenn es feststeht, dass sie denselben stets nur für die Wahrheit und niemals für den Irrtum fordern kann. Das Gleiche gilt in analoger Weise von dem geoffenbarten Sittengesetz.

Mit obigen Sätzen ist das Wesen der Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes sowie die in der Natur der Sache begründete Notwendigkeit derselben bereits bezeichnet. Sie besteht wesentlich darin, dass die Kirche bei Ausübung ihrer göttlichen Lehrgewalt niemals von der ursprünglichen apostolischen Glaubenshinterlage abirren, niemals eine geoffenbarte Wahrheit oder ein geoffenbartes christliches Lebensgesetz preisgeben, nie ein der Offenbarung fremdes oder ihr gar widersprechendes Element in ihre Sitten- und Glaubenspredigt aufnehmen kann. Der Zweck des kirchlichen Lehramtes, die Bestimmung der Kirche, Christi Stellvertreterin auf Erden zu sein, fordern diese Prärogative der Indefektibilität oder der Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes ganz unbedingt. Die Kirche ist ohne dieselbe nicht denkbar.

2. Christus selbst hat das kirchliche Lehramt eingesetzt. Er hat ihm den Auftrag erteilt, seine Offenbarung allen Völkern der Erde zu verkündigen und sie zum gläubigen Gehorsam gegen dieselbe zu verpflichten; zur Erfüllung dieser Aufgabe hat er demselben seinen Beistand bis zum Ende der Zeiten verheißen. Zuvor schon hatte er seinen Aposteln die Verheißung gegeben, er werde ihnen den Heiligen Geist senden, damit er sie in alle Wahrheit einführe und ewig bei ihnen bleibe. Hiermit hatte der Erlöser die beständige Fortdauer und die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes verheißen und geweissagt, zugleich auch ihre wirkende Ursache bezeichnet. Die Apostel haben auf Grund jenes göttlichen Auftrages die christliche Heilslehre verkündigt und jede Fälschung derselben durch auftauchende Neuerungen mit allem Nachdruck bekämpft, die Kirche selbst aber wegen jener göttlichen Prärogative ihres Lehramtes eine “Säule und Grundfeste der Wahrheit” genannt, ferner es als eine unschätzbare Gnade bezeichnet, dass die Glieder der Kirche durch das kirchliche Lehramt in der Einheit des Glaubens erhalten, vor den Schwankungen des Zweifels sowie vor dem unheilvollen Wirkungen des Irrtums beschützt und zum vollen Besitz und Genuss der Wahrheit geführt werden. In der Tradition wird das Dogma nicht bloß bezeugt, sondern auch in mannigfacher Weise aus dem Zusammenhang der Glaubenslehren begründet.

Die Glaubensentscheidungen der allgemeinen Konzilien werden als Aussprüche des Heiligen Geistes bezeichnet, welche an Ansehen der Heiligen Schrift gleichkommen. So heißt es von den Vätern des ersten Konzils von Nizäa, sie hätten in der Kraft des Heiligen Geistes geredet (Basil., Ep. 114. Cyr. Alex., Ep. 39), der Heilige Geist habe sie zusammengeführt, um die Häresie zu vernichten (Greg. Naz., Or. 21, 4). Vinc. Lir., Common. 43 )

Mit der Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes ist die Irreformabilität der kirchlichen Lehrentscheidungen notwendig gegeben; alle Glaubenszweifel und alle Lehrstreitigkeiten erhalten durch sie ihre definitive Erledigung. Daher gebraucht auch das Vaticanum I die Ausdrücke “infallibel” und “irreformabel” als gleichbedeutend.

3. Das Prinzip oder die wirkende Ursache der Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes ist sonach der Heilige Geist vermöge des Beistandes (assistentia), welchen er den Trägern desselben bei der Ausübung der kirchlichen Lehrgewalt leiht. Dieser Beistand bewirkt es, dass von dem kirchlichen Lehramt allzeit die ursprüngliche apostolische Glaubenshinterlage (depositum fidei apostolicae) unversehrt bewahrt, irrtumslos gelehrt und erklärt wird. Da zu einer solchen Lehrverkündigung nicht nur die irrtumslose Erkenntnis der Wahrheit, sondern auch der gute Wille, die Wahrheit unverfälscht zu lehren, erforderlich ist, so erstreckt sich jener Beistand des Heiligen Geistes ebensowohl auf die Erkenntnis als auf den Willen der lehrenden Kirche. Letztere wird durch jenen Beistand oder durch die Gabe (das Charisma) der Unfehlbarkeit nicht mit einem göttlichen Attribut ausgestattet, nicht sie selbst wird dadurch allwissend oder des Irrtums schlechthin unfähig, sondern der allwissende und irrtumsunfähige Geist Gottes bewirkt durch seinen Einfluss auf die an sich irrtumsfähigen menschlichen Geister, dass die kirchliche Lehrverkündigung vor jedem Irrtum bewahrt bleibt.

Die Gnade der Unfehlbarkeit ist daher auch nicht als eine Inspiration der lehrenden Kirche durch den Heiligen Geist aufzufassen, sofern man darunter eine direkte göttliche Mitteilung zuvor unbekannter Wahrheiten oder Tatsachen (revelatio) sich zu denken hätte. Jene Auffassung wäre aus einem doppelten Grunde irrig; einmal, weil die Aufgabe des kirchlichen Lehramtes nicht darin besteht, neue Offenbarungen von Gott zu empfangen und solche der Welt zu verkündigen, sondern vielmehr darin, die für immer abgeschlossene Heilsoffenbarung zu bewahren, zu verkündigen und auszulegen, sodann auch aus dem Grunde, weil der lehrenden Kirchen nur der Beistand (assistentia) des Heiligen Geistes, nicht aber die göttliche Inspiration oder Offenbarung der zu verkündigenden Wahrheit verheißen ist. Jene assistentia setzt aber ihrem Begriffe gemäß die eigene Tätigkeit oder Mitwirkung des Lehramtes zum Zwecke der Erkenntnis und Aussprache der Wahrheit als ein unerlässliches Moment voraus.

Als bloße assistentia divina (nicht revelatio oder inspiratio) setzt mithin die Gabe der Unfehlbarkeit auf seiten des Lehramtes den Gebrauch der natürlichen Mittel und Tätigkeiten zur Erhebung und Aussprache der Wahrheit voraus. Man kann auch sagen, dieselbe schließe den Gebrauch jener Mittel ein. Denn auch das gehört zu den Wirkungen jener Assistenz, dass die genannten natürlichen Mittel in genügender Weise bei den Tätigkeiten des unfehlbaren Lehramtes zur Anwendung kommen. Auch hierauf sind die Verheißungen, welche Christus dem Lehramte gab, zu beziehen. Wie den Zweck (die irrtumslose Lehrverkündigung), so müssen sie auch mit ihrer Wirksamkeit die zu jenem Zwecke unentbehrlichen Mittel umfassen.

Daher ist der Einwand unberechtigt, wenn die genannten menschlichen Mittel unentbehrlich seien, so bleibe die geoffenbarte Wahrheit doch schließlich wieder der Willkür und Gebrechlichkeit der Menschen überantwortet; denn es sei ja denkbar, dass die Träger des kirchlichen Lehramtes aus Unwissenheit oder Bosheit jene Mittel entweder gar nicht oder nicht in genügender Weise gebrauchen. Der Einwand übersieht, wie schon angedeutet wurde, dass Christus die Irrtumslosigkeit der kirchlichen Lehrverkündigung nicht etwa geboten, sondern verheißen hat; dass vermöge des höchsten leitenden Prinzips die Lehrverkündiung der Kirche niemals eine bloß natürliche oder menschliche Tätigkeit ist oder sein kann, und dass, wenn die göttliche Vorsehung irgend einen Zweck mit absoluter Gewissheit herbeiführen will, ihre Wirksamkeit auch die zu jenem Zwecke unerlässlichen Mittel mit umfasst. Auch darauf ist also der Einfluss des Heiligen Geistes auf das kirchliche Lehramt vor allem gerichtet, dass nicht unbegründete oder willkürliche Lehraussprüche erfolgen.

Wenn letzteres bezweifelt werden dürfte, so würden auch die kirchlichen Glaubensentscheidungen selbst keine unbedingte Gewissheit mehr besitzen; es ergäbe sich der widersprechende Begriff einer sogenannte bedingten Unfehlbarkeit und einer bedingten Glaubensregel, d.h. die Gläubigen wären nur bedingungsweise verpflichtet, die Lehrentscheidungen der Kirche als unfehlbar und als bindende Glaubensregel zu betrachten, mit dem bedingenden Vorbehalte nämlich, dass die in Rede stehenden natürlichen Mittel in genügendem Maße zur Anwendung gekommen seien. Welchen Wert aber könnte eine solche bedingte Glaubensregel besitzen? Wie könnte sie die Norm eines unbedingten Glaubens sein? Und wie könnte sie zu einem solchen Glauben verpflichten? Nicht der allein heilbringende zweifellose Glaube, sondern nur Zweifel, Ungewissheit und subjektives Belieben könnten aus einer solchen bedingten Glaubensregel entspringen. Wollte man aber entgegnen, die hörende Kirche oder die kirchliche Wissenschaft habe darüber zu befinden, ob die in Rede stehende Bedingung bei einer Lehrentscheidung erfüllt worden sei, so hieße das die unfehlbare und bindende Autorität in Glaubensfragen dem Lehramte absprechen, um sie auf die Gläubigen oder die Wissenschaft zu übertragen. Auch würde in der Regel die Frage vor allem eine unbedingte Lösung fordern und doch niemals finden, welche Wissenschaft oder welche Schule die entscheidende Autorität besitze.

Die Bürgschaft dafür, dass die notwendigen Bedingungen bei einer Lehrentscheidung erfüllt seien, liegt mithin in der Tatsache einer solchen Lehrentscheidung selbst. Wir wissen, dass sie unter der Leitung des Heiligen Geistes und auf ordnungsmäßigem Wege zustande kam, sobald wir sie als eine wirkliche und legitime (also vor allem auch freie) Entscheidung des von Gott gesetzten Lehramtes erkennen. Das für jeden Gläubigen mit Gewissheit wahrnehmbare Kriterium jener Legitimität ist aber in der göttlichen Verfassung der Kirche gegeben. Aus dieser ergibt sich mit unbedingter Gewissheit, welches die legitimen Träger des unfehlbaren Lehramtes seien. Sobald eine Glaubensentscheidung von ihnen ausgegangen und anerkannt ist, bietet sie der Kirche als solche die Bürgschaft der Unfehlbarkeit, der Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift und der Tradition und aller sonstigen Bedingungen eines rechtmäßigen Ursprungs. Die Anwendung der menschlichen Mittel ist eine von Gott gewollte und (kraft der assistentia Spiritus Sancti) stets herbeigeführte Bedingung für das Zustandekommen legitimer kirchlicher Lehrentscheidungen, aber nicht ein (und zwar von der hörenden Kirche zu beurteilendes) Kriterium ihrer Gültigkeit und Unfehlbarkeit.

Endlich ergibt sich aus dem Begriffe des kirchlichen Lehramtes und seiner Unfehlbarkeit, dass die maßgebende Entscheidung darüber, ob eine Glaubensfrage spruchreif (definibilis) sei, d.h. die Entscheidung darüber, was die Quellen der Offenbarung über die betreffende Frage enthalten und ob dies mit genügender Sicherheit konstatiert sei, ausschließlich dem Lehramte zustehe. Denn das ist ja gerade der Zweck des Lehramtes und seiner Unfehlbarkeit, dass das Depositum der Offenbarung unversehrt bewahrt, verkündigt und ausgelegt werde. Hätte eine andere Autorität in der Kirche die obengenannte Frage zu entscheiden, so wäre sie und nicht das Lehramt die nächste Glaubensregel.

Der Beistand des Heiligen Geistes (assistentia Spiritus Sancti), welcher die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes bewirkt, ist eine wesentlich übernatürliche Gnade wie die Inspiration der heiligen Schriftsteller; während aber letztere vermöge ihres außerordentlichen Charakters etwas Wunderbares genannt werden kann, bildet jener Beistand des Heiligen Geistes (bzw. die Unfehlbarkeit des Lehramtes) ein von Christus für alle Zeiten bestimmtes (ständiges) Moment der übernatürlichen Heilsordnung; darum wird sie im kirchlichen Sprachgebrauche nicht als ein Wunder bezeichnet.

Der nächste Zweck der Infallibilität wurde oben bereits hervorgehoben; es ist die Reinerhaltung der kirchlichen Lehre und die Unversehrtheit des kirchlichen Lebens; der entferntere Zweck derselben ist das ewige Heil der Gläubigen und die Ehre Gottes.

Ihre Wirkung ist ebenfalls eine doppelte: Die Reinheit oder Irrtumslosigkeit der kirchlichen Lehrverkündigung und die Unverfälschtheit oder Irrtumslosigkeit des dieser Lehrverkündigung entsprechenden und entstammenden Glaubens der Glieder der hörenden Kirche. In ersterer Beziehung nennt man dieselbe die aktive, in der zweiten Beziehung die passive Unfehlbarkeit. Diese passive Unfehlbarkeit ist teils eine Wirkung der kirchlichen Lehrverkündigung, teils, und vor allem, eine Wirkung der Glaubensgnade und des freiwilligen Gehorsams, kraft deren die Glieder der Kirche der Autorität des Lehramtes sich unterwerfen. Darum ist sie auch nicht absolut wirksam wie die aktive Unfehlbarkeit (bzw. die assistentia Spiritus Sancti).

4. Die vorstehend entwickelten Lehrsätze über das Wesen, den Zweck und die Wirkungen der Unfehlbarkeit hat das Vaticanum (I) ausdrücklich definiert mit besonderer Beziehung auf die feierlichen Entscheidungen des päpstlichen Lehramtes. Sie finden aber auf dieses eben aus dem Grunde unbedingte Anwendung, weil die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes, wie das Konzil andeutet, schlechthin eine und dieselbe ist, möge es nun durch seinen höchsten Inhaber allein oder in einer anderen von Gott verordneten Form sich äußern. Sie gelten ebensowohl für das ordentliche wie für das außerordentliche Lehramt.

(2 Fortsetzungen folgen!)

Quelle: Lehrbuch der Dogmatik von Dr. Theophil Hubert Simar, Bischof von Paderborn, vierte, verbesserte Auflage, zweiter Band, mit Approbation des hochw. Herrn Erzbischofs von Freiburg; Freiburg im Breisgau, Herder’sche Verlagshandlung. 1899. (Seiten 733 bis 741)

Wenn Sie Französisch verstehen, lesen Sie hierzu auch:

L’INFAILLIBILITÉ DU MAGISTÈRE ORDINAIRE DU PAPE



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