Wir dokumentieren im Folgenden in einer eigenen Übersetzung die Worte von Papst Franziskus beim Angelusgebet von Sonntag, dem 13. März 2016.
Heute, vor genau drei Jahren, am 13. März 2013, ist Kardinal Jorge Bergoglio zum Papst erwählt geworden.
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[Vor dem Angelus:]
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
Das Evangelium des heutigen fünften Sonntags der Fastenzeit (vgl. Joh 8,1-11) ist von großer Schönheit. Ich lese es immer wieder gerne. Es handelt von der Frau, die Ehebruch begangen hat und beleuchtet das Thema der Barmherzigkeit Gottes, der niemals den Tod des Sünders wünscht, sondern dass dieser zu Lebzeiten umkehrt. Die Szene ereignet sich am Plateau des Tempelberges. Stellt sie euch hier vor, am Vorplatz [des Petersdoms]. Jesus erteilt den Menschen Lehren. Auf einmal kommen einige Schriftgelehrte und Pharisäer, die eine beim Ehebruch überraschte Frau vor Jesus schleppen. Diese Frau befindet sich somit zwischen Jesus und der Menge (vgl. V.3), zwischen der Barmherzigkeit des Gottessohns und der Gewalt, der Wut ihrer Beschuldiger. In Wahrheit sind diese nicht zum Meister gekommen, um ihn nach seiner Ansicht zu befragen – es handelte sich um böse Menschen –, sondern um ihm eine Falle zu stellen. Wenn Jesus nämlich dem strengen Gesetz entsprechend handelt und die Steinigung der Frau befürwortet, verliert er seinen Ruf als von Milde und Güte geprägter Mensch, der das Volk so sehr fasziniert. Wenn er hingegen Barmherzigkeit üben will, muss er das Gesetz brechen, von dem er selbst gesagt hat, dass er es nicht abschaffen, sondern erfüllen will (vgl. Mt 5,17). Jesus wurde in diese Lage gebracht.
Diese böse Absicht verbirgt sich hinter der Frage an Jesus, was er dazu sage (vgl. V. 5). Jesus gibt darauf keine Antwort. Er schweigt und vollbringt eine rätselhafte Geste: Er kniet sich hin und beginnt, mit den Finger in der Erde zu schreiben (vgl. V. 7). Vielleicht zeichnete er. Manche sagen, dass er die Sünden der Pharisäer aufschrieb… jedenfalls schrieb er und war gleichsam woanders. Auf diese Weise lädt er alle zur Ruhe ein; dazu, nicht den Impulsen folgend zu handeln, sondern nach der Gerechtigkeit Gottes zu suchen. Diese bösen Menschen sind jedoch beharrlich und erwarten sich eine Antwort von ihm. Sie scheinen nach Blut zu dürsten. Daher hebt Jesus den Blick und sagt: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie (vgl. V. 7). Diese Antwort verstört die Beschuldiger; sie entwaffnet sie im wahrsten Sinne des Wortes: Alle legten die „Waffen“, d.h. jene Steine nieder, die darauf warteten auf sie geworfen zu werden: sowohl die sichtbaren gegen die Frau, als auch die verborgenen gegen Jesus. Während der Herr weiter in die Erde schreibt, oder zeichnet, ich weiß es nicht …, gehen die Ankläger, beginnend bei den ältesten, denen stärker bewusst ist, nicht frei von Sünden zu sein, nacheinander mit gesenktem Haupt weg. Wie gut es uns tut im Bewusstsein zu leben, dass auch wir Sünder sind! Wenn wir schlecht über andere reden – alles Dinge, die wir gut kennen –, wie gut wird es uns dann tun, den Mut dazu aufzubringen, jene Steine fallen zu lassen, die wir auf die anderen werfen, und ein wenig an unsere eigenen Sünden zu denken!
Übrig blieben nur die Frau und Jesus: das Elend und die Barmherzigkeit, einer vor dem anderen. Wie oft geschieht uns das, wenn wir vor dem Beichtstuhl innehalten und uns schämen, um unser Elend zu offenbaren und um Vergebung zu bitten! Frau, wo bin ich? (vgl. V. 10), fragt sie Jesus. Es genügen diese Feststellung und sein von Barmherzigkeit und Liebe erfüllter Blick, um diesen Menschen spüren zu lassen – vielleicht zum ersten Mal – dass er Würde besitzt, nicht seine Sünde ist, Menschenwürde besitzt, die das Leben verwandeln kann, dass er aus seiner Versklavung austreten und einen neuen Weg einschlagen kann.
Liebe Brüder und Schwestern, diese Frau steht für uns alle, die wir vor Gott Sünder, d.h., Ehebrecher und Verräter seiner Treue sind. Seine Erfahrung repräsentiert den Willen Gottes für jeden einzelnen von uns: nicht unsere Verurteilung, sondern unsere Rettung durch Jesus. Er ist die Gnade, die uns von der Sünde und von dem Tod rettet. Er hat in die Erde, in den Staub, aus dem jeder Mensch besteht, (vgl. Gen 2,7) das Urteil Gottes geschrieben: „Ich will nicht, dass du stirbst, sondern dass du lebst“. Gott nagelt uns nicht an unsere Sünde fest. Er identifiziert uns nicht mit dem Bösen, das wir begangen haben. Wir haben einen Namen und Gott identifiziert diesen Namen nicht mit unseren bösen Taten. Er möchte uns befreien, dass auch wir dies mit ihm wollen. Er will, dass unsere Freiheit sich vom Bösen in das Gute verkehrt, und dies ist durch seine Gnade möglich – es ist möglich!
Die Jungfrau Maria helfe uns dabei, uns voll und ganz der Barmherzigkeit Gottes anzuvertrauen, um neue Geschöpfe zu werden.
[Nach dem Angelus:]
Liebe Brüder und Schwestern,
ich grüße euch alle, die ihr aus Rom und verschiedenen Ländern gekommen seid; insbesondere die Pilger aus Sevilla, Freiburg (Deutschland), Innsbruck und Ontario (Kanada).
Mein Gruß gilt dem Haus „Mater Dei“ von Vittorio Veneto. Seid willkommen, ihr zahlreichen Gruppen von Pfarrgemeinden, darunter die Gläubigen aus Boiano, Potenza, Calenzano, Zevio und Agropoli, sowie die jungen Menschen aus vielen Teilen Italiens. Ich kann sie nicht alle aufzählen, erinnere jedoch an jene aus Compiobbi und Mozzanica, der Katholischen Aktion der Diözese von Latina-Terracina-Sezze-Priverno sowie die Firmkandidaten aus Scandicci und Milano-Lambrate.
Nun möchte ich die Geste erneuern, euch ein Evangelium in Taschenbuchformat zu schenken. Es handelt sich um das Lukasevangelium, das wir an den Sonntagen dieses liturgischen Jahres lesen. Das Büchlein trägt den Titel: „Il Vangelo della Misericordia di San Luca“ (Evangelium der Barmherzigkeit des hl. Lukas). So überbringt der Evangelist die Worte Jesu: Seid barmherzig, so wie es euer Vater ist (vgl. 6,36), das die Inspiration zum Thema dieses Jubeljahres lieferte. Es wird euch von den Freiwilligen des Kinderdispensariums „Santa Marta“ im Vatikan mit einigen älteren Menschen und Großeltern Roms unentgeltlich überreicht werden. Wie verdienstvoll die Großeltern sind, die ihren Enkeln den Glauben vermitteln! Ich lade euch dazu ein, dieses Evangelium zu nehmen und daraus zu lesen; jeden Tag einen Abschnitt; so wird die Barmherzigkeit des Vaters in euren Herzen Wohnung beziehen und ihr könnt sie denen überbringen, die euch begegnen. Am Ende, auf Seite 123, finden sich sieben leibliche und sieben geistliche Werke der Barmherzigkeit. Es wäre schön, wenn ihr sie auswendig lernen könntet, dies erleichtert das Tun! Ich lade euch ein, dieses Evangelium entgegenzunehmen, damit die Barmherzigkeit des Vaters durch euch wirke. Und ihr, ihr Freiwilligen, Großväter und Großmütter, die ihr das Evangelium verteilt, denkt an die Menschen in der Piazza Pius XII. – die offensichtlich nicht eintreten konnten – damit auch sie dieses Evangelium erhalten.
Euch allen wünsche ich einen schönen Sonntag. Bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Gesegnete Mahlzeit und auf Wiedersehen!
[Übersetzt aus dem Italienischen von Sarah Fleissner]
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