…Beter
Wenn man an den jüngst heilig gesprochenen Papst aus Polen denkt, kommen Bilder von jubelnden Menschenmengen in den Sinn. Der schauspielerisch gebildete und massenmedial begabte Petrusnachfolger wurde wie kein ein anderer gefilmt, geknipst – ja, es gelang ihm die Massen zu begeistern. Alles Talent und geschickte Rhetorik?? Sicherlich ist da etwas dran, aber: sein Geheimnis liegt tiefer, sehr viel tiefer. Dafür lohnt sich ein Blick in seine Lebensgeschichte. Hier kommt man nämlich der Wurzel auf die Spur, was ihn so anziehend machte – ob für die Jugend, die Kranken oder gar für der Kirche fernstehende Menschen.
Karol Wojtylas Lebensgeschichte ist geprägt von einem leidvollen Schicksal: mit Anfang 20 hat er bereits alle seine Familienangehörigen verloren – dazu noch zahlreiche, meist jüdische Freunde. In den Wirren der Kriegszeit treibt ihn die Frage um, wie er sein Leben in eine möglichst sinnvolle, tiefe Weise hingeben kann. In dieser Zeit des Suchens fügt es sich, dass Karol einen begeisterten Laien trifft, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, suchende, junge Männer in ein tiefes geistliches Leben einzuführen. Jan Tyranowski, von Beruf gelernter Schneider, ist ein äußerlich unscheinbarer Mann, jedoch von großer geistlicher Tiefe. Er speist seine Frömmigkeit aus karmelitischen Schriften, vornehmlich Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz. Sein Ziel ist es die jungen Männer, die sich wöchentlich in einer Art Glaubens- und Gebetskreis bei ihm treffen, zum inneren Gebet zu führen. So berichtet einer der damaligen Teilnehmer:
„Lange und geduldig brachte er (Tyranowski) uns bei, was Betrachten ist… Hierbei kommt es nicht auf das Denken an, sondern mit dem ganzen Menschsein soll man erfahren, was es heißt: Gott ist in uns… mit Gottes Hilfe sollen Glaube, Hoffnung und Liebe so sehr im Menschen wachsen, dass er fähig wird, die Gaben des Heiligen Geistes zu empfangen.“
Wie sich dies in Karols Leben niederschlug, berichtet sein Jugendfreund Mieczyslaw Maliński, welcher später Priester der Krakauer Diözese und Autor zahlreicher theologischer Werke wurde:
„Ich ging jetzt öfter in die Kirche. Manchmal traf ich dort Karol. Meistens kniete er mit gesenktem Kopf auf dem nackten Fussboden oder, den Kopf in eine Hand gestützt, am Geländer vor dem Hochaltar“
Die Jahre vergingen und die Aufgaben in Karols Leben wurden zahlreicher: Doktorat, Arbeit als Jugendseelsorger, Habilitation, Lehrtätigkeit an zwei Universitäten… Bischofsweihe, intensive Mitarbeit beim II. Vatikanischen Konzil, schließlich gar die Kardinalsernennung. Jeder weitere Schritt in die größere Verantwortung trifft ihn hart und scheint zunächst eine Bürde, unter die er sich dann aber jedes Mal treu beugt. Die Kraft hierfür findet er wiederum im Gebet, das in den vielen Jahren des geistlichen Lebens zu einem festen Fundament – und zu seinem Markenzeichen wurde. Wieder berichtet sein Freund:
„Es ging auf 24 Uhr zu, und wir pflegten schon vor 6 Uhr aufzustehen. Ich räumte noch ein wenig auf, trug die geliehenen Stühle zurück, schaute unterwegs in die Kapelle hinein. Im Halbdunkel bemerkte ich Karol, der da kniete und ins Gebet vertieft war.“
Nicht selten nutzte Karol regelrechte Auszeiten, um sich auf besondere Anlässe im Gebet vorzubereiten. So etwa als er während des Konzils am Schema XIII. über die Kirche und ihre Sendung arbeitete. Erholungspausen waren für ihn vor allem dann wohltuend, wenn sie mit innerer Einkehr verbunden waren. Ein beliebter Ort war das Kloster der Resurrektionisten in Mentorella, wie M. zu Maliński berichten weiß:
„Karol wurde von den Patres und Brüdern herzlich begrüßt. Dann ging er in die Kirche und verharrte dort mehrere Stunden lang im stillen Gebet. Anschließend hielten wir ein kleines Mahl und traten wieder den Heimweg an… Im Auto las er, betete Brevier oder unterhielt sich mit uns. Wir beteten auch gemeinsam den Rosenkranz.“
…Johannes Paul II – ein großer Beter. In umtriebigen Zeiten kann er uns ein echtes Vorbild tiefer Innerlichkeit und großer Zugewandheit für die Nöte und Fragen der Welt sein.
Alle Zitate entstammen dem Buch: M. Maliński: Johannes Paul II., Freiburg im Breisgau 1979
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