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Die Suche nach voller Einheit der Christen im Ökumenismusdekret auf der Basis der Kirchenkonstitution

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concilio

 

Von Stephan Otto Horn SDS 

Das Jahr des Glaubens, das Papst Benedikt XVI. ausgerufen hat, hat am 11. Oktober 2012 mit dem Konzilsjubiläum begonnen. So liegt es nahe, in diesem Jahr auch das Konzil für das persönliche Leben und für die uns gestellten Aufgaben fruchtbar zu machen. Die Reihe von Hinführungen zum Konzil soll wegen der Weltgebetsoktav um die Einheit der Christen, die vom 18. bis 25. Januar begangen wird, mit dem Blick auf das Ökumenismusdekret beginnen. Die Gebetswoche steht im Jahr 2013 unter dem Motto „Mit Gott gehen“ (Micha 6.6‐8). Ein echter, vor allem geistlicher Ökumenismus ist für die Kirche gerade in einer Zeit der Säkularisierung wichtig – nicht zuletzt für den Auftrag der Neuevangelisierung.

Das Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio scheint beim ersten Hinsehen nur ein Dekret unter vielen zu sein. In Wirklichkeit hat es einen besonderen Rang. Denn schon in der Absicht von Johannes XXIII. ist die Suche nach der Einheit der Christen neben der Erneuerung der katholischen Kirche das Hauptziel des Zweiten Vatikanischen Konzils.1 Es ist das erste Mal in der Geschichte der Kirche, dass ein Konzil sich so umfassend über die Einheit der Kirche, wie Jesus Christus sie gewollt hat, und über die vielen Spaltungen der Kirche geäußert hat, um den Weg zu einer Vertiefung der Beziehungen bis hin zur vollen Einung zu beschreiten.

1 Vgl. Kurt Cardinal Koch, Ökumene im Wandel. Zum Zukunftspotential des Ökumenismusdekrets Unitatis redintegratio, in: Jan‐Heiner Tück (Hg.), Jan‐Heiner Tück herausgegebene Buch „Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil“, 335‐ 368, Zitat 338.

Die Bedeutung ökumenischer Bemühungen für die Neuevangelisierung

Einen besonderen Rang hat das Dekret gleichzeitig im Blick auf die Bezeugung des Evangeliums in der ganzen Schöpfung. Besonders seit der ersten Weltmissionskonferenz von 1910 in Edinburgh ist der Schaden, der der Evangelisierung der Völker durch die Spaltungen in der Kirche ins Bewußtsein gerückt. Fünfzig Jahre später hat diese Perspektive ganz neue Dimensionen bekommen. Ein früher Entwurf für die Beschreibung von Sinn und Ziel des Zweiten Vatikanischen Konzils, verfasst von dem jungen Konzilstheologen Ratzinger, stellt das Konzil in die Situation der Gottesfinsternis der Zeit hinein, deren entscheidender Grund in den Spaltungen der Kirche gesehen wird. „Die Situation des 20. Jahrhunderts… beschreibt Ratzinger mit dem Zustand, in dem ‚sich die göttliche Sonne (vgl. Ps 84, 12) verdunkelt zu haben und der Herr inmitten des Gewittersturmes zu schlafen scheint (vgl. Mt 4, 37).“  Und weiter:

„Die Väter wissen, dass das Licht des Gotteswortes in der Welt verdunkelt ist, solange der Leib des Herrn durch die Uneinigkeit der Christen zerrissen wird. Sie wissen auch, dass gerade in dieser Stunde der Schatten und sich verbreitender Gott‐Vergessenheit unter den Menschen der einmütige Glaube aller, die dem Wort Gottes anhangen, noch dringender notwendig ist, als in früheren Zeiten.“2

Mit der ökumenischen Bewegung ist die Hoffnung verbunden, durch die Einheit und schon durch den Weg auf die Einung hin könne die Säkularisierung aufgehalten oder sogar überwunden werden. Kardinal Koch hat kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass es als ein „schönes ökumenisches Zeichen zu würdigen“3 sei, dass Papst Benedikt im Jahr des Gedenkens an hundert Jahre Weltmissionskonferenz einen neuen Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung errichtet hat. Kardinal Koch weist in diesem Zusammenhang auch auf ein Wort des Papstes hin, in dem dieser die ökumenische Dimension der Neuevangelisierung unterstreicht: „Die Herausforderung der Neuevangelisierung ruft die universale Kirche auf den Plan und macht es auch erforderlich, dass wir mit aller Kraft fortfahren, nach der vollen Einheit unter den Christen zu suchen.“4

3  Kurt Kardinal Koch, in: Erinnerung an die Zukunft (Anm. 1) 3582 Zitiert nach Michaela Christine Hastetter, Intervention in Zeiten der Gottesfinsternis. Zum Programm der Neuevangelisierung Europas bei Benedikt XVI., in: Ein hörendes Herz. Hinführung zur Theologie und Spiritualität von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI., herausgegeben von Michaela Christine Hastetter und Helmut Hoping, Regenburg 2012,  116‐148, Zitat: 118f.

4 Zitiert nach Kurt Kardinal Koch, in: Erinnerung an die Zukunft, ebenda 359.

Das Konzil geht im Blick auf die Christen, die nicht der katholischen Kirche angehören, von dem aus, was sie verbindet. Deshalb geht die Kirchenkonstiution ganz von der Taufe aus, die für jeden Getauften eine Beziehung zu Christus schafft, sodass sie in dieser gemeinsamen Zugehörigkeit zu ihm auch tief mit einander verbunden sind. So sagen die Konzilsväter: Deshalb „weiß sich die Kirche aus mehrfachem Grunde“ mit ihnen verbunden. Zu diesen Gründen gehört auch dazu, dass sie „auch andere Sakramente in ihren eigenen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften“ empfangen. Die Gläubigen, die in ihnen getauft werden, sind der Kirche zwar nicht voll eingegliedert, mit ihr aber verbunden.

Der Blick richtet sich hier freilich durchweg auf den einzelnen Gläubigen und seine Verbundenheit mit der katholischen Kirche. Es stellt sich aber die Frage: Was kann das Konzil über die einzelnen getrennten Gläubigen hinaus von den getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sagen? Wie ist die katholische Kirche mit den anderen Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften verbunden? Diese Frage wird im Ökumenismusdekret aufgenommen. Ein Dekret hat mehr als die Dogmatischen Konstitutionen des Konzils eine pastorale Ausrichtung. Aber gerade das Ökumenismusdekret hat doch einen theologischen Tiefgang. Seine grundlegende Linie ist freilich in der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium (Nr. 15) schon vorgezeichnet.

Lumen gentium nimmt eine entscheidende Weichenstellung vor. Sie identifiziert nämlich die katholische Kirche nämlich nicht einfachhin mit der Kirche Jesu Christi, sagt also nicht, die Kirche, die Christus gegründet hat, sei die katholische Kirche. Vielmehr sagen die Konzilsväter, sie sei in der katholischen Kirche verwirklicht (subsistit in). Sehr einleuchtend ist der Sinn und die Bedeutung dieses viel besprochenen Wortes herausgestellt worden von Kardinal Kurt Koch und von Papst Benedikt während einer Diskussion in Castelgandolfo. Kardinal Koch spricht von einer Doppelabsicht dieses Begriffs:

„Er bringt auf der einen Seite zum Ausdruck, dass die eine Kirche Jesu Christi, die wir im Credo bekennen, keine platonische Größe ist, sondern in der katholischen Kirche in der Einheit mit dem Papst gegeben ist. Auf der anderen Seite soll damit aber auch ausgedrückt werden, dass es außerhalb der katholischen Kirche kein kirchliches Vakuum, sondern kirchliche Realität gibt.“ 5 Von da aus widmet sich das Ökumenismusdekret beherzt der Frage nach der Einheit und Einzigkeit der Kirche Jesu Christi und nach den voneinander getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Damit ergänzt es die Dogmatische Konstitution Lumen gentium.

Katholische Kirche und orientalische Kirchen

Besonders erhellend ist der Blick auf die orientalischen Kirchen. Von ihnen wird gesagt, dass in diesen Kirchen durch die Feier der Eucharistie die Kirche Gottes erbaut wird: „So baut sich auf und wächst durch die Feier der Eucharistie des Herrn in diesen Einzelkirchen die Kirche Gottes…(Nr.15).“  Die eine Kirche Christi ist in der Katholischen Kirche konkret da, aber sie ist aber demnach auch in den orientalischen Kirchen gegenwärtig, sie überschreitet weit die Grenzen der katholischen Kirche.

Daraus ergibt sich: Es gibt also trotz der Grenzen eine tiefe innere Zugehörigkeit von ihr und den orientalischen Kirchen, es gibt eine wahre Gemeinschaft miteinander, sodass das Konzil von einer nicht vollendeten Gemeinschaft redet. Wörtlich spricht es von der so erwünschte(n) Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft zwischen den orientalischen Kirchen und der katholischen Kirche“ (Nr. 14). Und diese innere Zugehörigkeit und bereits gegebene Gemeinschaft ist nicht einfach eine unsichtbare Wirklichkeit, sondern sie ist im anerkannten Bischofsamt in apostolischer Sukzession und in der Eucharistie (und der Sakramente insgesamt) doch auch eine sichtbare Wirklichkeit. Diese Kirchen sind, wie das Ökumenismus‐Dekret ausdrücklich sagt, vor allem in der Kraft der apostolischen Sukzession im Priestertum und der Eucharisitie „in ganz enger Verwandtschaft bis heute mit uns verbunden“ (Nr.15).

5 Das Zweite Vatikanische Konzil. Die Hermeneutik der Reform, herausgegeben im Auftrag des Schülerkreises von Papst Benedikt XVI. von Stephan Otto Horn SDS und Siegfried Wiedenhofer, Augsburg 2012, 61. Papst Benedikt unterstreicht (ebenda, 62) diese Linie: „Subsistit ist ein Begriff der scholastischen Philosophie. Die Subsistenz ist die Weise, wie ein Subjekt als solches exisitiert. Insofern wird von der katholischen Kirche ausgesagt, dass in ihr die Kirche Christi subsistiert, als Subjekt, konkret in der Geschichte da ist und eben nicht eine platonische Idee bleibt. In dem Sinne ist es eine sehr starke Konkretisierung. Die katholische Kirche ist die Subsistenz der Kirche selbst. Andererseits ist es [besagt das „subsistit“] zugleich doch auch eine größere Weite, denn es ist damit eben nicht ausgeschlossen, dass außerhalb der Subsistenz kirchliche Realität da ist. Insofern hat man doch dadurch für den Plural Kirchen neben dem Singular Platz geschaffen.“

Katholische Kirche und kirchliche Gemeinschaften

Von der Auferbauung der Kirche spricht das Ökumenismusdekret aber nicht bloß im Blick auf die orientalischen Kirchen, die in der Apostolischen Sukzession stehen. Es spricht vielmehr auch allgemeiner von Elementen und Gütern, die außerhalb der sichtbaren Grenzen der Katholischen Kirche existieren können.

Damit ist zunächst gesagt, dass „in kirchlichen Gemeinschaften“, die aus der Reformation entstanden sind, Elemente kirchlicher Realität, Dimensionen des Kirche‐seins gegeben sind. Aber zugleich heißt das, dass auch in solchen Gemeinschaften Elemente da sind, welche in einer tieferen Schicht der einen Kirche Christi zugehören. Die Konzilsväter sagen denn auch im Dekret ganz allgemein im Blick auf getrennte Kirchen und Gemeinschaften: „Hinzu kommt, dass einige, ja sogar viele und bedeutende Elemente und Güter, aus denen insgesamt die Kirche erbaut wird und ihr Leben gewinnt, auch außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche existieren können: das geschriebene Wort Gottes, das Leben der Gnade, Glaube, Hoffnung und Liebe und andere innere Gaben des Heiligen Geistes und sichtbare Elemente: all dieses, das von Christus ausgeht, gehört rechtens zu der einzigen Kirche Christi“ (Nr. 3).

Das Wort: „all dieses… gehört rechtens zu der einzigen Kirche Christi“ bringt zum Ausdruck, dass diese Elemente wirklich der einen Kirche Christi zugehören. Daraus kann man folgern: Sie sind trotz der Trennung in der Tiefenschicht mit der katholischen Kirche verbunden. Auch kirchliche Gemeinschaften sind demgemäß in vielen Elementen der einen Kirche Jesu Christi zugehörig. So gibt es auch im Blick auf sie trotz der sichtbaren Grenzen eine tiefe Verbundenheit mit der Katholischen Kirche, auch wenn der Riß viel tiefer ist als derjenige der orientalischen Kirchen.

Kardinal Koch hat diesen „ökumenischen Neuansatz“ des Zweiten Vatikanischen Konzils hervorgehoben und trefflich auf den Punkt gebracht.

„Während das Selbstverständnis der katholischen Kirche weitgehend von einem extensiven Anspruch auf vollständige und exklusive Identifikation der Kirche Jesus Christi mit der Katholischen Kirche und dementsprechend von einem ökumenisch letztlich vereinnahmenden Kirchenbegriff geprägt gewesen ist, ist das ekklesiologische Selbstverständnis der Katholischen Kirche vom Konzil dahingehend neu formuliert worden, dass das ökumenische Anliegen in ihm selbst inbegriffen ist. Das Konzil hat dies vor allem mit einem gestuften Kirchenverständnis erreicht, demgemäß die nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in einer abgestuften Weise an der Einheit und Katholizität der Katholischen Kirche partizipieren und in einer nicht vollen Gemeinschaft (communio non plena) mit ihr leben.“6

Zur Bedeutung der apostolischen Sukzession der Bischöfe

Das Konzil legt freilich großen Wert auf die Stellung der Bischöfe, die in der Nachfolge der Apostel stehen. Sie haben zwar nicht die einzigartige Berufung wie die Apostel als der Augen‐ und Ohrenzeugen von Leben, Sterben und Auferstehen des Herrn, aber sie haben doch teil an deren Auftrag als Hirten, durch den sie die Kirche in der Treue zum Herrn bewahren und festigen. Bald nach dem Konzil entwickelte freilich besonders Hans Küng die Auffassung, es gebe zwei gleichermaßen legitime Weisen Kirche zu sein. Der eine Weg wäre das Stehen im Glauben der Apostel durch die apostolische Nachfolge der Bischöfe (successio apostolica) – das Kirche‐sein, wie es bis zur Reformation und danach weiter in der östlichen Kirchen und in der katholischen Kirche gelebt wurde und wird. Der andere Weg bestände daarin, Kirche zu sein in einer charismatischen Weise und so in der Erwartung, dass das Wirken des Gottesgeistes die Kirche immer wieder von Irrwegen zurückrufen werde.

In den großen Zerreiss‐Proben der Kirche des ersten Jahrtausends, in denen es um die Mitte des Glaubens, um das rechte Verständnis Jesu Christi ging, konnte der überlieferte Glaube der Kirche durch viele Wirren hindurch gerade von Bischöfen in apostolischer Nachfolge in Einheit mit dem Bischof von Rom festgehalten und auf die neuen Fragen hin formuliert werden. Die Schrift allein konnte das Bleiben in der Wahrheit nicht für sich allein garantieren.

Das Festhalten der Kirche an der Autorität der Bischöfe, unter bestimmten Bedingungen glaubensverbindliche dogmatische Entscheidungen zu treffen, ist für das Bewahren und Wiedergewinnen der Einheit unerlässlich. Ohne sie würde auf Dauer die Christenheit in unzählige Richtungen auseinanderbrechen

– wie es sich außerhalb der Grenzen der orientalischen Kirchen und der katholischen Kirchen schon jetzt in einem erschreckenden Maß vollzieht. Ihr Wahrheitsanspruch wäre aufs Tiefste verdunkelt. Nach dem hohepriesterlichen Gebet des Herrn ist aber gerade die Einheit der Jünger für die Welt jenes Zeugnis, das die Menschen zum Glauben an Jesus Christus führt.

6 Erinnerung an die Zukunft (Anm. 1) 338.

Das Zweite Vatikanische Konzil und die Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre „Dominus Jesus“

Ich möchte hier noch auf die Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre eingehen, die vielfach als Rückschlag gegenüber den Aussagen des Konzils verstanden wurde. So sagt der junge rumänisch‐orthodoxe Theologe Ioan Moga bei seiner Darstellung der orthodoxen Rezeption des Ökumenismusdekrets: „Dass Rom ein paar Jahre später (d.h. nach der Veröffentlichung der Enzyklika Ut unum sint) mit der Erklärung Dominus Jesus gewissermaßen auf Konfrontationskurs ging und gerade an entscheidenden Stellen des Ökumenismusdekrets und der Kirchenkonstitution anknüpfte, jedoch um die Akzente anders zu setzen, sorgte wiederum für eine langanhaltende Ernüchterung in der Orthodoxen Kirche. Das berühmte und viel bemühte „subsistit in“ (Lumen gentium 8) wird diesmal ausdrücklich im Sinn einer exklusiven Subsistenz der Kirche in der römisch‐katholischen Kirche verstanden.“7

Der Anstoß dafür lag vor allem in einem Wort, in dem die Kontinuität der von Jesus Christus gestifteten Kirche mit der katholischen Kirche betont wurde:

„Die Gläubigen sind angehalten zu bekennen, dass es eine geschichtliche, in der apostolischen Sukzession verwurzelte Kontinuität zwischen der von Christus gestifteten und der katholischen Kirche gibt: ‚Dies ist die einzige Kirche Christi… Sie zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen (vgl. Joh 21,17), ihm und den übrigen Aposteln hat er ihre Ausbreitung und Leitung anvertraut (vgl. Mt 28,18ff.). Für immer hat er sie als

‚die Säule und das Fundament der Wahrheit‘ (1 Tim 3,15) errichtet.“  (Nr. 6)

Diese Worte konnten besonders dann, wenn sie aus dem größeren Zusammenhang gerissen wurden, so verstanden werden, dass nicht nur Kontinuität, sondern damit zugleich volle Identität der von Christus gegründeten Kirche und von katholischer Kirche ausgesagt wäre. Dies wurde denn auch bei der Veröffentlichung von den Medien so dargestellt und führte zu großer Verwirrung der Gläubigen. In der Tat konnte die Verknüpfung des

7 Ioan Moga, Verhaltene Öffnung, verhaltene Freude? Zur orthodoxen Rezeption des Ökumenismusdekrets, in: Erinnerung an die Zukunft (Anm. 1) 383‐395, Zitat 391.

einleitenden Satzes mit dem Zitat aus der Kirchenkonstitution („Dies ist…“) das Missverständnis hervorrufen, die katholische Kirche sei einfachhin die einzige Kirche Christi. Damit wäre das „subsistit“ zumindest in Frage gestellt.

Aber warum betont und erklärt nun die Kongregation gleich nach dem zitierten Text das subsistit, mit dem ja doch eine einfache Identität ausgeschlossen ist? Dass Kontinuität und nicht einfachhin Identität von der Kongregation gemeint ist, wird vollends dadurch deutlich, dass gleich im folgenden Absatz das Konzil mit seiner Aussage präzis aufgenommen wird: „Es gibt also eine einzige Kirche Christi, die in der katholischen Kirche subsistiert und vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen mit ihm geleitet wird.“ ( Nr. 7)

Von den Kirchen, die „durch engste Bande, wie die apostolische Sukzession und die gültige Eucharistie mit ihr verbunden bleiben“, wird wie im Ökumenismusdekret gesagt, sie seien echte Teilkirchen, ja es wird nun zu Recht gesagt, die Kirche Christi sei „auch in ihnen gegenwärtig“. Damit zeigen die Begriffe „in ihnen gegenwärtig“ und „verwirklicht in“ eine große Nähe von katholischer Kirche und orientalischen Kirchen an. Die Begriffe sind in ihrer Unterschiedlichkeit belassen, weil die volle Gemeinschaft der orientalischen Kirchen mit der katholischen Kirche wegen der Nichtannahme des Primats nicht gegeben ist.

In diesem Abschnitt war der Blick nicht auf die nichtkatholischen „kirchlichen Gemeinschaften“ gerichtet. Es gilt aber auch für sie die oben beschriebene Konzeption des Konzils gültig, nach der die „nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in einer abgestuften Weise an der Einheit und Katholizität der Katholischen Kirche partizipieren“ (Kurt Card. Koch)8

Ökumenische Spiritualität

Blicken wir nach diesem Exkurs auf die ökumenische Spiritualität der Konzilstexte. Grundgelegt ist sie in der Taufe. Die Taufe und das mit ihr unlöslich verbundene grundlegende Credo der Kirche ermöglicht in der Zugehörigkeit zu dem einen Herrn Jesus Christus eine wahre Geschwisterlichkeit der Christen über alle Grenzen hinweg. Sie muß freilich in geistlicher Freude dankbar erfasst und gelebt werden. Je größer die Einheit und Freundschaft mit Christus ist und die Gemeinschaft mit einander prägt, desto

8  Vgl. Anm. 5.

mehr wird die Christenheit sein Licht und seine Liebe ausstrahlen und auch heute Menschen für den Glauben an ihn gewinnen.

So braucht es nach dem Dekret also vor allem den „geistlichen Ökumenismus“. Es gibt ihn nicht „ohne innere Bekehrung. Denn aus dem Neuwerden des Geistes, aus der Selbstverleugnung und aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach der Einheit. Deshalb müssen wir vom göttlichen Geiste die Gnade aufrichtiger Selbstverleugnung, der Demut und des geduldigen Dienstes sowie der brüderlichen Herzensgüte zueinander erflehen.“ Diesen geistlichen Ökumenismus hat das Konzil ganz entschieden als etwas Zentrales hervorgehoben: „Diese Bekehrung des Herzens und die Heiligkeit des Lebens ist in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit als die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung anzusehen…“ (Nr. 7)

Der bereits zitierte orthodoxe Theologe Joan Moga schreibt zu Recht:

„Während so etwas wie ein „geistlicher Ökumenismus“ im Westen zwischen den Gläubigen der römisch‐katholischen Kirche und der protestantischen Kirchen auch aufgrund der kulturellen Nähe womöglich immer wieder erlebt wurde und wird, scheint mir, dass für die Beziehungen zwischen den Ost‐ und den Westkirchen dieses Stichwort noch ein ungeschöpftes Potenzial beinhaltet. Das Fremdsein und Fremdseinlassen zwischen Ost‐ und Westkirche stellen leider vielerorts immer noch eine Realität dar – auf beiden Seiten.“

Und so sieht er die Lösung darin, sich im Innersten nahe zu kommen:

„Offenheit ist nicht alles. Es braucht vielmehr Freude und Freundschaft, um den anderen wirklich in seiner gottzugewandten Identität aufzunehmen und mit ihm gemeinsam zu wachsen. Wenn wir nur an den enthusiastischen, aber zugleich realistischen Geist der wechselseitigen Kenntnis und Annahme denken, der zwischen vielen Konzilsvätern und den orthodoxen und orientalischen Beobachtern herrschte, dann werden wir manches heute mit viel mehr pneuma zu erfüllen haben. Mit einer solchen inneren Haltung, die weder Relativismus, noch Exklusivismus fördert – wird man den Dialog der Wahrheit als einen Dialog vor Gott weiterführen können.“9

9 Ioan Moga, Verhaltene Öffnung – verhaltene Freude, in: Erinnerung an die Zukunft (Anm.7), 395.

Eine solche Haltung der Geschwisterlichkeit, der Freundschaft und der Glaubensfreude gibt Zuversicht. Überdies ist die heutige Lage der Kirche in der Gesellschaft für uns Christeneine große Herausforderung, uns gegenseitig zu stützen und mit einander  Schritte zu einer größeren Einmütigkeit in Glaube und Liebe zu tun, um so das Zeugnis vor der Welt glaubwürdiger werden zu lassen. Das verlangt von uns vor allem geistliche Haltungen: eine Haltung der Demut im gemeinsamen Eingeständnis der Schuld, Freimut in der gemeinsamen Bezeugung des Glaubens in einer säkularisierten Welt, Mut zur Suche nach neuen und gemeinsamen Wegen der Neuevangelisierung und schließlich Bekennermut und Zusammenstehen in den großen ethischen Herausforderungen.

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Quelle

Das Zweite Vatikanische Konzil – Chance und Anruf zu geistlicher Erneuerung – Erste Folge



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