Der hl. Thomas hat die Kirche eher gelegentlich als „ex professo” behandelt. Anläßlich der „gratia capitis”, der Gnade Christi als des Hauptes der Kirche, die die Quelle der gesamten heiligmachenden Gnade ist und die der Kirche als dem Mystischen Leib zugute kommt, fragt er sich, welches die Glieder dieses Mystischen Leibes sind, dessen Haupt Unser Herr ist. Seine Antwort ist sehr lehrreich: Er unterscheidet jene, die es nur potentiell sind, von jenen, die es tatsächlich sind, seien sie es endgültig — das ist die leidende und die triumphierende Kirche einschließlich der Engel —, seien es jene, die durch den Glauben und die Liebe dorthin „in via” sind, seien es die Sünder, die zwar den Glauben haben, aber verdorrte Glieder sind, da sie nicht die Liebe haben.
Die Kirche als Mystischer Leib betrachtet ist eine geistige Realität, die alle Geister umfaßt, die vom göttlichen Leben leben, das ihnen von Unserem Herrn verliehen wurde, und die wie lebendige Zweige mit dem Weinstock verbunden sind. Leider können sich hier auf Erden viele von ihnen vom Weinstock trennen und zugrunde gehen, andere hingegen können mit ihm durch eine gültige und fruchtbare Taufe verbunden werden und davon leben. Dennoch stellt sich dieser Mystische und für uns unsichtbare Leib hier auf Erden als eine sichtbare hierarchische Gesellschaft dar, die von Unserem Herrn gegründet und dazu bestimmt ist, den Mystischen Leib nach dem von Unserem Herrn Seinen Aposteln erteilten Auftrag wachsen zu lassen. „Gehet also hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.” (Mt 28,19) „Wer glaubt und sich taufen läßt, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.” (Mk 16,16)
Das endgültige Ziel, nämlich das Heil, ist vor allem an den Glauben gebunden. Die gesamte von Unserem Herrn eingesetzte Hierarchie steht im Dienst des Glaubens, der es dem Gläubigen ermöglicht, an den Quellen der Liebe, des Heiligen Geistes und Seiner Gnade seinen Durst zu löschen. Die ganze Geschichte der Urkirche ist eine sehr lehrreiche Veranschaulichung der strikten Befolgung der von Unserem Herrn erteilten Befehle.
Mit der Ausgießung des Geistes beim Pfingstereignis wird die Kirche mit ihrer Lebenskraft geboren und geht auf Befehl Unseres Herrn daran, für die Getauften eine sakramentale Liturgie einzuführen, die das Gebet, die Predigt, das göttliche Offizium und die Zelebration der Geheimnisse des Kreuzes und der Eucharistie umfaßt und durch die rasch die Bischöfe, die Priester und die anderen Weihegrade vermehrt worden zur Vermehrung und Heiligung derer, die glauben.
Aus dem Israel des Alten Testamentes wird das Israel des Neuen Testamentes geboren, dessen Oberhaupt das fleischgewordene Wort ist, das Sein Volk durch diese Wüste führt und heranbildet, um es in das Gelobte Land zu führen, das nichts anderes ist als die allerheiligste Dreifaltigkeit selbst.
Ebenso wie das Israel des Alten Testamentes wegen der fortwährenden Treulosigkeiten gegen Gott eine sehr unruhige Geschichte hatte, die sehr oft das Werk seiner Oberhäupter und seiner Leviten war, erlebt auch die streitende Kirche in dieser Welt unablässig Perioden der Prüfungen wegen der Untreue ihrer Geistlichen durch deren Kompromisse mit der Welt.
Je mehr die Skandale von hoher Stelle kommen, desto mehr Katastrophen rufen sie hervor. Sicherlich behaltet die Kirche in sich selbst ihre ganze Heiligkeit und ihre Quellen der Heiligung, aber die Besetzung ihrer Institutionen durch untreue Päpste und vom Glauben abgefallene Bischöfe zerstört den Glauben der Geistlichen und der Gläubigen, macht die Mittel der Gnade unfruchtbar und begünstigt die Angriffe aller Mächte der Hölle, die zu triumphieren scheinen.
Dieser Glaubensabfall macht aus diesen Gliedern Ehebrecher, Schismatiker, die sich aller Tradition entgegenstellen, mit der Vergangenheit der Kirche gebrochen haben und daher auch mit der Kirche von heute, insofern diese der Kirche Unseres Herrn treu bleibt. Alles, was der wahren Kirche treu bleibt, wird zum Gegenstand wilder und ständiger Verfolgung.
Aber wir sind nicht die ersten, die von falschen Brüdern wegen des Bewahrens des Glaubens und der Tradition verfolgt werden. Das Martyrologium lehrt uns das alle Tage. Je mehr die heilige Kirche geschmäht wird, desto mehr müssen wir ihr mit Leib und Seele anhangen, desto mehr müssen wir uns bemühen, sie zu verteidigen und ihr Fortbestehen zu sichern, indem wir aus ihren Schätzen der Heiligkeit schöpfen, um die Christenheit wiederaufzubauen.’
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Quelle: S. E. Erzbischof Marcel Lefebvre – Geistlicher Wegweiser – Sonderdruck III aus “Damit die Kirche fortbestehe”
