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Augsburg: Tomás Halík ruft Christen in Europa auf, eine tiefere Spiritualität zu suchen

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Jahresempfang des Bischofs von Augsburg 2016, Bischof Konrad Zdarsa; Gastvortragender Tomas Halik

Professor Halík: Wenn sich die Kirche auf Seelsorge in der Pfarrgemeinde beschränkt, wird sie „ihrer klassischen Biosphäre verlustig werden.“ (Foto: Annette Zoepf/pba)

Der Prager Soziologieprofessor und katholische Priester
sprach beim Jahresempfang der Diözese

Der Prager Soziologieprofessor und katholische Priester Dr. Tomáš Halík hat gestern Abend beim Jahresempfang des Bischofs von Augsburg dazu aufgerufen, eine neue, tiefere Spiritualität zu suchen. „Das heutige europäische Christentum wirkt zu müde und zu wenig überzeugend“, betonte er. Das Thema seines Vortrags lautete: „Christlicher Glaube – Hoffnung für Europa?“

Wie Bischof Dr. Konrad Zdarsa bei der Begrüßung der rund 300 geladenen Gäste aus Kirche, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft im Augsburger Haus Sankt Ulrich hervorhob, könne Professor Halík aus seinen reichen persönlichen Erfahrungen schöpfen. 1948 in Prag geboren, studierte er in den 1960er Jahren Soziologie, Philosophie und Psychologie, bevor er in den 1970er Jahren im Untergrund Theologie studierte und zum Priester geweiht wurde. Halík beschäftigt sich immer wieder mit der Nahtstelle zwischen Glauben und Unglauben. Zentral ist für ihn der ernsthafte Dialog mit den Atheisten über die Gottesfrage.

In seinem Vortrag betonte Halík mehrmals, das europäische Christentum müsse eine tiefere Spiritualität entwickeln. Europa sei eine fortlaufende Geschichte, es mache immer wieder Änderungen durch. Auch unsere Art des Christseins ändere sich dabei. „Das Christentum von gestern kann schwerlich eine Hoffnung für das Europa von heute oder von morgen sein“, konstatierte er. Die praktizierenden Christen in Europa seien zu einer Minderheit geworden. Wenn sich die Kirche auf Seelsorge in der Pfarrgemeinde beschränke, wird sie „ihrer klassischen Biosphäre verlustig werden“, blickte er voraus. Zugleich stellte Halík aber auch fest, dass die Säkularisierung nicht das letzte Wort der geschichtlichen Entwicklung in Europa sei. An ihre Stelle trete die Pluralisierung. Die Frage sei dabei nur, ob Europa unsere christlichen Werte wahren werde.

Das Christentum in Europa müsse deshalb eine tiefe Reform durchmachen, forderte Halík. Das Pontifikat von Papst Franziskus könne hier zum Beginn eines neuen Kapitels werden. Es könne Hilfe leisten bei der Suche nach einer neuen Spiritualität. Papst Franziskus setze Akzente mit Themen wie der Barmherzigkeit Gottes, der Solidarität mit den Armen, der Verantwortung für die Umwelt oder auch mit seinem Verständnis für Menschen, die sich in moralisch komplizierten Situationen befänden. Mit solchen Themen könnten Christen sogar zu einer „schöpferischen Minderheit“ werden, meinte Professor Halík, der zudem von der „therapeutischen Stärke des Glaubens“ sprach. Angesichts neuer Warnsignale und Gespenster in Europa – er nannte als Beispiel die Angst vor den Fremden – könne die Kirche zu einer Kultivierung des sozialen Klimas beitragen. Hiermit könne sie „der Demokratie einen großen Dienst erweisen.“

Entscheidend ist unsere Fähigkeit, als Christen mit Suchenden in den Dialog zu treten

Vor allem hänge die Zukunft der Kirche davon ab, „inwieweit sie fähig ist, mit Suchenden in Verbindung zu treten.“ Er nannte dabei auch die wachsende Zahl der „Apatheisten“. Für Professor Halik sind dies Menschen, die apathisch gegenüber der Religion und der Frage nach Gott sind. Auch mit ihnen müsse ein Dialog geführt werden. „Über das, was diesen Menschen heilig ist.“ Bei diesem Dialog müssten wir selber als Suchende die anderen begleiten. Es gehe dabei darum, die Wahrheit neu zu durchdenken. „Die Wahrheit ist ein Buch, das niemand von uns bis zum Ende gelesen hat.“ Für Halík ist damit auch verbunden, dass wir uns von einer oberflächlichen Vorstellung von Gott verabschieden und zu einer tieferen, reiferen Gestalt des Christentums gelangen. Er sprach deshalb auch von einem „nachmittäglichen Christentum“, das sich in der Zeit der Reife befände.

Zentral ist für Professor Halík dabei unser Gottesbild, unsere persönliche Spiritualität. Mit Bezug auf den spätmittelalterlichen Theologen und Mystiker Meister Eckhart sprach er vom „äußeren Menschen“, der oberflächlich lebe, konform sei und sich manipulieren lasse. Dessen Vorstellung von Gott sei eine Projektion menschlicher Phantasien, Ängste und Wünsche. Das sei aber, so Halík, nichts anderes als ein atheistisches Gottesbild, es existiere nur im Reich menschlicher Illusionen und Ängste. „Aber wir müssen ein anderes Bild Gottes anbieten, Gott als Tiefe des Lebens, der Wirklichkeit“, richtete er sich an seine Zuhörer. Dieser „innere Gott“ zeige sich in Liebe, Glaube und Hoffnung, nicht in Angst, Aberglaube und Illusion. Die Suche nach einem solchen Gott sei ein dauernder Prozess und laufe auf eine existentielle Umwandlung des Menschen hinaus.

Eine solche Konversion zeige sich auch in der Solidarität mit anderen, ergänzte er. Theresa von Kalkutta, für Halík eine „Heilige unserer Zeit“, habe das immer wieder neu gelebt. Tags über habe sie sich solidarisch gezeigt mit dem körperlichen Elend des Menschen, nachts mit den geistig Leidenden. Es gehe also darum, die Zeichen der Zeit zu lesen und uns solidarisch mit anderen zu zeigen, so Halík. Es gehe darum, wie der Apostel Paulus es formulierte, als Christen zu einer neuen Schöpfung beizutragen. Niemand von uns könne die Breite des Glaubens erschöpfen. Aber wenn wir als Christen und als Kirche unsere Perspektive erweitern wollen, dann brauche es den Diskurs in dieser Welt über unseren Glauben und unser Gottesbild. Im Reformationsjahr 2017 könne dies sogar Anlass sein, „einen mutigeren Ökumenismus zu entdecken“, meinte Halík. „Wenn die Kirchen Schule dieses Dialogs sind, brauchen sie keine Angst zu haben, dann können sie Sauerteig für Europa, für diese Welt von heute sein“, so sein Schlusswort.

Wer sich mit der Gedankenwelt von Professor Halík intensiver auseinandersetzen möchte, dem sei das aktuelle „Religiöse Buch des Monats November 2016“ des Sankt Michaelsbunds empfohlen:

Anselm Grün/Tomáš Halík: Gott los werden? Wenn Glaube und Unglaube sich umarmen. Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag, 2016. – 206 S.; 19,99 €

(Quelle: Webseite des Bistums Augsburg, 08.11.2016)

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Quelle


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