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Das 2. Vatikanum oder DIE KIRCHE DER WELT

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«Nicht für die Welt bete ich.» (Joh. 17,9) Unser Herr Jesus Christus betet nicht für die Welt, sondern er verflucht sie (Matth. XVIII, 7) wegen der Ärgernisse und weil ihre Werke böse sind (Joh. VII, 7): «Wenn die Welt euch hasst, so wisset, dass sie mich vor euch gehasst hat», sagt er zu den Aposteln (Joh. XV, 18). Übrigens ist der hl. Johan­nes seinem Meister vollkommen treu, wenn er die Christen mit folgen­den Worten beschwört: «Liebet nicht die Welt, noch was in ihr ist. Sollte jemand die Welt lieben, dann ist die Liebe des Vaters nicht in ihm. Denn nichts von dem, was in der Welt ist — Begierlichkeit des Flei­sches, Begierlichkeit der Augen, Hoffart des Lebens — kommt vom Vater; das kommt von der Welt. Die Welt aber vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, hat Bestand in Ewigkeit.» (1. Joh. 2, 15-17)

Wie der Stifter der Kirche und seine Apostel, so hat auch die Kirche selbst die Welt, deren Fürst der Satan ist, stets verurteilt (Joh. XII, 31). Seit mehr als zweihundert Jahren hat sie unaufhörlich die huma­nistischen Grundsätze der modernen Welt verflucht und Kompro­misslösungen mancher unkonsequenter Katholiken verurteilt. Alle Päpste ohne Ausnahme haben den verderblichen Lehren der letzten Jahrhunderte die unfehlbare katholische Lehre entgegengehalten. Und in der Enzyklika «Pascendi» verkündet der hl. Pius X. klar und deutlich: «Wenn man den Glauben mit dem modernen Geist versöh­nen will, erreicht man dadurch nicht nur eine Schwächung des Glau­bens, sondern den völligen Verlust desselben.»

Dann kam eine Zeit, da die Versuchung so stark wurde, dass zahlreiche Kleriker den Kampf aufgaben und den Entschluss fassten, der Hal­tung der Kirche gegenüber der modernen Welt eine neue Richtung zu geben, zuerst versteckt, dann aber öffentlich. Als sie Johannes XXIII, den Papst ihrer Wünsche, an der Macht hatten, kehrten sie sich zur Welt, um sie zu loben, zu ehren und ihr zu dienen: sie wandten sich hin zu den Werten dieser Welt. Der Bruch wurde durch das 2. Vatika­num vollzogen.

In seiner Rede vom 27. April 1962 erklärte Kardinal Montini: «Durch das bevorstehende Konzil bereitet sich die Kirche darauf vor, mit der Welt in Berührung zu kommen.» Kurz nach seiner Wahl zum Papst stellte er fest: «Die Welt soll wissen: die Kirche betrachtet sie mit tie­fem Verständnis, mit wahrer Bewunderung, mit der aufrichtigen Absicht, nicht etwa sie zu unterjochen, sondern ihr zu dienen, nicht sie herabzusetzen, sondern sie in ihrer Würde zu heben, nicht sie zu verur­teilen, sondern sie zu unterstützen und sie zu retten.» (Eröffnungsrede zur zweiten Konzilssitzung am 29.9.63)

Es handelt sich also nicht um eine notwendige Anpassung der Kirche an die Bedingungen unserer Zeit, sondern um einen nie dagewesenen Wandlungsprozess, um eine ausgesprochene Revolution.

Eine solch tiefgreifende Kehrtwendung hatte man in der Kirche noch nie gesehen. Tatsächlich hat die von Joh. XXIII. einberufene und von Paul VI. fortgesetzte Versammlung eine neue Kirche hervorgebracht, welche weder einig noch heilig, noch katholisch, noch apostolisch ist. Diese Schlussfolgerung, die selbstverständlich äusserst schwerwiegend ist, beruht auf einer objektiven Untersuchung des Inhaltes und der Tragweite des feierlichen Vertragsabkommens, welches zwischen dem 2. Vatikanum und der Welt unterschrieben wurde.

I. Von der Missbilligung bis zur Bewunderung

Das 2. Vatikanum war äusserst bestrebt, die Welt wie sie ist anzuerken­nen und anzunehmen. Dies war auch die unbedingte Voraussetzung für das aggiornamento, das von seinen Urhebern beabsichtigt war: «Ein starkes Gefühl der Liebe und Bewunderung ist vom Konzil auf die moderne menschliche Welt übergegangen.», (Paul VI., Ansprache vom 7.12.65) Aber, wieso konnte man sich einer Welt öffnen, die mit der von der Kirche bisher verurteilten Welt wesensgleich ist? Wie konnte man über diesen Widerspruch hinwegkommen? Dafür muss­ten neue Formulierungen gefunden werden.

Eine neue Vorstellung der Welt

Das 2. Vatikanum hat ohne Umschweife behauptet (man sollte «Gau­dium et spes» lesen!), dass die moderne Welt in ihren Bestrebungen, Grundsätzen und Errungenschaften im Kern gut ist! «Insofern jene Werte, die heute besonders in Geltung sind … aus der gottgegebenen Anlage des Menschen hervorgehen, sind sie gut.»” Gewiss steht es zu, dass nicht immer alles aufs beste in der Welt steht (G.S. 4, 4-5). Aber das ist nur so, weil unsere Welt einen Wandlungsprozess durchmacht (G.S. 5); daher die tragischen Begebenheiten, die Widersprüche und die zahlreichen Konflikte, vor denen die Menschen mit bangen Fragen stehen. Darin muss nicht mehr als eine Randerscheinung gesehen wer­den. Sollte man jedoch feststellen, dass die heutige Zivilisation «oft den Zugang zu Gott erschwert», so ist das nicht von ihrem Wesen her, son­dern nur «durch ihre einseitige Zuwendung zu den irdischen Wirklich­keiten». (G.S. 19, 2) Folglich kann die Kirche dieses neue Zeitalter der Geschichte offenherzig anerkennen, da es doch für den Fortschritt der Menschheit vielversprechend ist.

Es gibt keine Möglichkeit, Zweifel an der Stichhaltigkeit dieser besonderen Sicht auf die Dinge auszuschliessen. Wie kann man näm­lich vergessen, dass die heutige Welt eine laizisierte Welt ist? Sie stammt aus der Auflehnung des Menschen, sich im einzelnen wie auch im sozialen Bereich dem Plane Gottes in bezug auf die ewige Bestim­mung des Menschen zu unterwerfen. Diese Welt hat sich als Gegen­spieler der Kirche erhoben. Seine Werte, die auf einer unbedingten Verselbständigung des einzelnen Menschen beruhen, bieten den christlichen Werten Konkurrenz. «Die Religion des Menschen, der sich zum Gott macht, hat sich erhoben gegen die Religion des Gottes, der Mensch geworden ist.» (Paul VI., 7.12.65) Man hat zu Recht behauptet, dass die heutige Welt den Tod Gottes verkündet hat. Die jüngste Geschichte, welche zum Schauplatz eines unerbittlichen Kampfes zwischen dem atheistischen Humanismus und dem christli­chen Ideal geworden ist, liefert uns den besten Beweis dafür. Aus die­sem Grunde konnte die Kirche keine andere Haltung annehmen und dürfte es auch heute nicht, indem sie die heutige Welt in ihren Grund­sätzen brandmarkt, weil es sich hier um eine bösartige Verkörperung des Geheimnisses der Bosheit handelt, das dem Erlösungswerk heftig widerstreitet.

Man muss sich fragen, angesichts dieser tiefen Verkennung der Wirk­lichkeit, wieso diese Art von Gedanken in einem Konzil vorgehalten wurde. Die Ursache dafür dürfte wohl vor allem moralischer Art sein: man wollte nämlich um jeden Preis von der Welt anerkannt werden. Es musste aber auch eine Rechtfertigung dafür gefunden werden. Eine entsprechende Theologie37 wurde dafür erfolgreich eingesetzt und das Konzil hat in reichem Masse daraus geschöpft.

Im Grunde genommen ist das Verfahren einfach. Da man festgestellt hat, dass die weltlichen Angelegenheiten, von der kirchlichen Bindung entzogen, also eine Welt ohne Gott, eine unausweichliche historische Tatsache ist, mit welcher man sich abfinden muss. Das konstantinische Zeitalter ist endgültig vorüber. «Zwischen dem christlichen und dem weltlichen Leben muss eine Trennungslinie beibehalten werden. Zwi­schen den geistlichen Dingen und den zeitlichen kann nicht die Gemeinschaft von Interessen — oder vielmehr diese Verwirrung — und die Lebensweise bestehen, welche die alte einheitliche Auffassung des Christentums leichter und gewöhnlicher machte.» (Paul VI. 3.7.74)38

Gewiss ist die Entwicklung der weltlichen Ordnung nach mehr Selb­ständigkeit eine Tatsache, aber ist sie deshalb schon rechtmässig? Sicherlich, denn sie entspricht dem Plane Gottes. Wie kann man dann diese Verweltlichung wieder christlich machen? Wie soll man erklären, dass der Übergang einer christlichen Welt zu einer atheistischen Welt von Gott gewollt ist? Das lässt sich dann über den Umweg des Menschen machen. Denn, in dem Masse wie Gott durch seine Gnade im Menschen gegenwärtig ist, ist ja alles gut, was er unternimmt. Aber es wird ganz bewusst die Bedingung ausgelassen: vorausgesetzt, dass er sie (die Gnade) angenommen hat. Da sitzt der Fehler dieser verrückten und gotteslästerlichen Lehrauffassung. «Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden, jene, die an seinen Namen glauben, die nicht aus Blut noch Fleisch noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.» (Joh. I, 11-13)

Wenn angenommen wird, dass der Mensch als solcher von vornherein geheiligt ist, «dass der Sohn Gottes durch seine Menschwerdung gewissermassen mit jedem Mensch geeint ist» — auch mit jenen, die in der Sünde leben? (G.S. 22, 2) — dann kann man ja fortan behaupten, dass das Göttliche überall in der Menschheit am Werke ist. Dann wird ja jede Tat des Menschen auf irgendeine Weise der Ausdruck des Gna­denlebens sein. Selbst dann, wenn der Mensch sich zum Mittelpunkt der Welt gemacht hat und wenn er meinte, jegliche Transzendenz in der von ihm aufgebauten Welt übergehen zu können, «steht der Geist Gottes, dessen wunderbare Vorsehung den Lauf der Zeiten leitet und das Antlitz der Erde erneuert, dieser Entwicklung bei» im Menschen und durch den Menschen. (G.S. 26, 4) So wird also das Unvereinbare zusammengebracht, so kann man sogar soweit gehen, dass man in der heutigen Welt ein «implizites Christentum» erkennt, ein geheiligtes Gebiet, wo «der Geist am Werke» ist. Der Antagonismus ist überwun­den, nunmehr braucht die Kirche die Welt, die sie zu Unrecht als Feind betrachtete, in die Arme zu schliessen, denn in ihr muss man eine «Offenbarung» der Absichten Gottes gegenüber der Menschheit erkennen.: «Das Volk Gottes bemüht sich, in den Ereignissen, Bedürf­nissen und Wünschen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind.» (G.S. 11, 1)

Sehen wir nun, was sich alles «unter dem Wirken des Heiligen Geistes» in diesem neuen Zeitabschnitt vollzieht: die Förderung des Sozialis­mus (Totalitarismus), Vormarsch zur Einheit und zum Frieden (Spal­tungen und Kriege), Entmündigung der Einzelpersonen und der Völ­ker (Anarchie), die Anerkennung der Menschenwürde der einzelnen Person (Gulag, ideologische Unterjochung) usw. Die Neukirche aner­kennt den hohen Wert und die Bedeutung von allen diesen Dingen für das Heil des Menschen. Darin erkennt sie einen Zusammenhang und einen Aufruf zum Ideal des Evangeliums…

Tatsächlich hätte man die Öffnung zur Welt nicht besser rechtfertigen können. Obschon die Beweisführung erfinderisch war, konnten die Vorstellungen verdrehter Geister nur schwer durchgesetzt werden, weil sie ja so gefährlich und trügerisch in bezug auf den Glauben waren. Deshalb wurde auf dem Konzil beschlossen, sich nur um die Pastoral zu bemühen. Dabei handelt es sich um die Pastoral, welche die Kirche von jetzt an wunschgemäss anwenden soll.

Eine neue Sprache

«Uns scheint die Stunde gekommen, da die Wahrheit in bezug auf die Kirche Christi mehr und mehr entdeckt, geordnet und ausgedrückt werden muss, vielleicht nicht in jenen feierlichen Sätzen, welche man dogmatische Definitionen nennt, sondern in Erklärungen, in denen die Kirche in einer ausdrücklichen und anerkannten Lehre sich selber Rechenschaft darüber gibt, was sie von sich selber hält.» (Paul VI., Eröffnungsrede zur zweiten Konzilssitzung, 29.9.63)

Die Kirche soll also ihre Sprache anpassen, um von der Welt besser verstanden zu werden. «Die sichere und unabänderliche Lehre, die  getreu eingehalten werden muss, muss vertieft werden und so vorge­halten werden, dass sie den Bedürfnissen unseres Zeitalters entspricht. Denn einmal haben wir das Glaubensgut und ein andermal die Form, in der die Wahrheiten zum Ausdruck kommen, während aber der glei­che Sinn und die gleiche Tragweite beibehalten werden.39 (Johannes XXIII., Eröffnungsrede des Konzils 11.10.62) Aber auch da muss man fragen, ob die Treue mit der Anpassung übereinkommen kann? In kei­ner Weise, insofern man Gegensätzliches vereinen will. Dann wird also die Lehre verschleudert. Unter dem Vorwand, die Lehre zugänglicher zu machen, gibt man ihr eine verschiedene Ausdrucksweise.40

Dafür «wird man auf eine Darstellungsweise zurückgreifen müssen, die einer Lehrtätigkeit mit besonders pastoralem Einschlag besser ent­spricht». (ebenda)

Darin liegt auch der Grund, weshalb das Konzil weniger angelegt ist auf die Verkündigung der Wahrheiten, die man kennen und glauben muss — was jedoch sehr vonnöten gewesen wäre und auch darüber hin­aus seiner Berufung eher gemäss gewesen wäre — als auf die Berück­sichtigung der zeitgenössischen Werte und auf deren Versöhnung mit dem Glauben. Dieses nie dagewesene Verfahren, das wirklich abwegig war, bewirkte eine regelrechte Revolution. Denn, indem die Pastoral anstatt das Dogma an die erste Stelle gesetzt wird, stellt man sich dem Grundsatz entgegen, wonach die Pastoral natürlich dem Dogma streng unterworfen ist, weil das apostolische Tun der Kirche ja nur im Dienste der Ausbreitung ihrer Lehre stehen kann. Was noch schlimmer ist: dadurch wird die Kirche selber angetastet, da sie ja nicht anders aufge­fasst werden kann als eine Einrichtung für die Zehre und die unver­sehrte Weitergabe des Glaubensgutes. Dadurch wird man logischer­weise veranlasst zur Preisgabe der Tradition41 zugunsten einer schöp­ferischen Öffnung neuer Dogmen. Genau das hat man auch ange­strebt. Es ging ja darum, durch das Konzil eine Wandlung in der kirch­lichen Lehre auszulösen, damit man sie mit den weltlichen Werten in Übereinstimmung bringen könne. In diesem Punkte war das 2. Vatik­anum sich selber vollkommen treu, weil es ja dadurch den heute schon weit anerkannten Grundsatz aufstellte, dass das Tun die Wahrheit bestimmt. (Die Wahrheit ist machbar. Anmerkung des Übersetzers.) Dadurch lässt sich vielleicht auch erklären, warum das Konzil sich wei­gerte, den Marxismus von neuem ausdrücklich zu verurteilen …

Wenn uns das 2. Vatikanum verwirrt, wenn man in Schwierigkeiten gerät, es auszulegen und zu beurteilen, dann ist es, weil man auch dieses Konzil allgemein als klassisch betrachtet — das ist ja auch so in der Ordnung —, man betrachtet es als eine Versammlung der Kirche, die das Bedürfnis hat, diesen oder jenen Punkt der Wahrheit neu zu beto­nen oder zu erklären. Von dieser Anschauung muss Abstand genom­men werden, um zu erkennen, dass das 2. Vatikanum vor allem eine Praxis eingeführt hat. Die Fachtheologen des Konzils haben das gut begriffen und ihre Erläuterungen zum Konzil sind für diesen Punkt äusserst aufschlussreich: «Das Konzil war ein Ereignis, eine Öffnung, eine Bewegung. Als Ereignis ist es noch nicht zu Ende, denn die Impulse, die von ihm ausgelöst wurden, hören nicht auf, in Zukunft stets grössere Kreise zu bilden. Als Öffnung bleibt es für die Konzilsvä­ter eine Richtlinie, welche sie sich selbst gegeben haben für die Nach­konzilszeit. Schliesslich eine Bewegung. Als solche verlängert es sich in den grossen kirchlichen Strömungen, die an seinem Ursprung stan­den und die von ihm neue Kraft erhielten.» (B. Lambert O.P. Bilan du Concile Vatican II, Mame 1967) Wie wir also feststellen, ist im Konzil nicht zu suchen, was sich dort nicht finden lässt, nämlich eine klar auf­gestellte Lehre, sondern ein Mittel, um die Kirche in einen Entwick­lungsprozess zu führen.

Die Konzilsarbeit hat sich dann auch in diesem Sinn verwirklicht: die Praxis hat sich unter zwei Aspekten kundgetan.

Zunächst durch zahlreiche Gesten und durch bezeichnende Taten sei­tens Johannes XXIII. und besonders seitens Pauls VI.: Zulassung orthodoxer und protestantischer Beobachter zu den Konzilsverhand­lungen; ökumenische Begegnungen und Konzelebrationen als Aufruf zur Versöhnung; Besuch des Papstes bei der UNO als Zeichen der Wiederfindung von Kirche und Welt; Abschaffung der Tiara und Erlaubnis für die Bischöfe, die Mozetta in Rom zu tragen — sonst Zei­chen ihrer Autorität in der Diözese, hier als Zeichen der Abschwä­chung des päpstlichen Primates; Rückgabe der Flagge der türkischen Flotte an die Türkei, welche seit dem Sieg bei der Seeschlacht von Le­panto in Rom behalten wurde: das ist das Zeichen für die Aufgabe der Kreuzzugsidee; alle liturgischen Neuerungen zur Erleichterung des Ökumenismus usw. Dadurch wurde viel mehr zu erkennen gegeben als durch lange Reden; durch ihr psychologisches Gewicht haben diese Massnahmen die Zustimmung der Konzilsväter stärker beeinflusst.

Diese Praxis kommt auch zum Vorschein durch die Manipulierung der Lehre, welche dann auf zweideutige Weise systematisch vorgetra­gen wird im Hinblick einer neuen Interpretation oder einer Entwick­lung im Sinne der neuen Ausrichtungen, ohne dass dadurch zuviel Bedenken aufkommen können42. Während die Kirche sich stets klar, genau und logisch ausgedrückt hat, ist die Sprache des 2. Vatikanum bewusst unklar, ungenau, zweideutig und gefühlsbetont. In der Kon­zilskonstitution «Gaudium et spes» gibt es eine klug unterhaltene Ver­wechslung zwischen den Begriffen «geistlich» und «zeitlich», Gnade und Natur, zwischen den verschiedenen Bedeutungen des Begriffes «Welt» (Schöpfung, Menschheit oder die Welt der Finsternis).

Ebenso in der Konstitution über die Kirche: dort ist der Begriff Volk Gottes durch Stellung und Bedeutung im Text vorrangig in bezug auf die hierarchische Kirche. Dadurch ist der Übergang vom Begriffspaar Kirche-Herde zu Kirche-Gemeinschaft ermöglicht; das ist offener und weniger einschränkend und somit dem Ökumenismus und der Gegen­wart in der Welt besser angepasst.

Trotz wiederholter Beteuerungen in bezug auf die Treue zur Lehre ist festzustellen, wie alles unternommen wurde, um sie zu ändern. Dar­über sollte man sich nicht wundern, denn das 2. Vatikanum ist tatsäch­lich das Werk jener, «deren Denken der Gott dieser Welt verblendet hat, so dass die leuchtende Frohbotschaft von der Herrlichkeit Christi, des Abbildes Gottes, .für sie ohne Glanz ist». (II. Kor. 4, 4)

Eine neue Liebe

Mit Bestürzung muss man feststellen, wie ein wahnsinniger Optimis­mus während des Konzils und nachher in der neuen Kirche um sich gegriffen hat.

Lasset uns von den Unglückspropheten Abstand nehmen, so hatte Johannes XXIII. gesagt: «In der gegenwärtigen Lage der Gesellschaft sehen sie nur Trümmer und Unglück; sie haben die Gewohnheit zu behaupten, dass unser Zeitalter im Vergleich zu den früheren Jahrhun­derten bedeutend schlechter geworden ist.» … «Freilich fehlt es nicht an falschen Lehren und Meinungen, an Gefahren, vor denen man sich schützen muss und die man entfernen soll; das alles steht aber den Grundsätzen des Anstandes so sehr entgegen und bringt solch bittere Früchte, dass die Menschen von heute sie scheinbar schon von selbst verurteilen.» (Eröffnungsrede zum Konzil 11.10.62) Welch eine Illu­sion! Aber fortan sollte das Leben von der schönen Seite betrachtet werden; die Übel, die Sünde und die daraus hervorgehenden Folgen in unserer Zeit sollen vergessen werden. «Gewiss haben wir von der Strenge der Heiligen in bezug auf die Übel dieser Welt gehört … Aber es ist auch sicher, dass wir in einem geistigen Klima leben, welches vom früheren verschieden ist, sind wir doch vom letzten Konzil besonders aufgefordert worden, die heutige Welt, ihre Werte, ihre Errungen­schaften in optimistischer Schau zu sehen.»43 (Paul VI., 3.7.74) Man muss liebenswürdiger und zuvorkommender werden. Die Zeit zum Lieben ist da, «eine Liebe, die uns stärkt, denn, wenn man das Leben der Menschen betrachtet, wie es heute ist, wären wir eher abgeschreckt als ermutigt, eher betrübt als erfreut, eher zur Verteidigung und zur Verurteilung der Irrtümer bewegt als zu Vertrauen und Freundschaft». (Paul VI., Eröffnungsrede zur zweiten Konzilssitzung, 29.9.63) Auch soll man nicht verzweifeln, auch wenn heute noch die Religion verfolgt wird, selbst wenn der Mensch heute unterjocht und erniedrigt wird: «Dieses Konzil wird, anstatt Verurteilungen gegen irgend jemand vor­zunehmen, Gefühle der Güte und des Friedens an den Tag legen.» (Paul VI., Eröffnungsrede zur vierten Konzilssitzung, 14.9.65)

Das Evangelium sagt uns: «Liebet nicht die Welt, noch was in der Welt ist.» (Joh. III., 15) Das Konzil aber hat dies alles geliebt. Wenn die wahre Liebe an dem Abscheu von dem Bösen erkennbar ist und auch am Eifer, womit man es bekämpft, so ist die Liebe, welches das zweite Vatikanum beseelte, nur eine betrügerische Nachahmung. Unter einem verlockenden Äusseren verbirgt es eine grosse Schandtat. Das Konzil hat dazu geführt, die Mächtigen dieser Welt — Ideologen aller Gattungen, die modernen Tyrannen, die Verfolger der Wahrheit — zu verteidigen; es führte auch dazu, ihre Werte, die Lüge, den Stolz und ihre wahnsinnigen und verderblichen Unternehmungen, die am Ursprung der Übel unserer Zeit liegen, zu verherrlichen. Daher auch die Verachtung der Leidenden, der kleinen und einfachen Leute, derer, die nach Gerechtigkeit hungern, und durch sie die Verachtung Christi selbst. Vielleicht hat das Konzil die Menschheit geliebt, es hat aber sicher nicht die Menschen geliebt.

Das ist der Preis der Pseudo-Liebe, Zeichen der Utopie, welche die Kir­chenmänner beschlichen hat. Lasset uns die Tatsachen beiseite schie­ben, wenn nur unser Traum Wirklichkeit wird; der Traum einer idea­len, irdischen Gesellschaft44, ohne Leid und ohne Kreuz, an deren Auf­bau die Kirche aktiv mitwirken soll.

H. Vom Widerstand zur Mitarbeit

Nachdem die neue Kirche die «Offenbarung» der Welt erfahren hat, fühlt sie sich von nun an zum Dienst an ihr berufen. Sie stellt aber fest, dass sie nicht würdig ist, denn sie ist sich ihrer verhängsnisvollen Taten aus der Vergangenheit bewusst geworden. So wird sie in ihrem guten Willen zunächst ihre «Sünden» bekennen. Sie gibt sich als die Kirche aus und stellvertretungsweise gibt sie zu, dass ihre Handlungsweise dem Geiste des Evangeliums nicht immer angemessen —ja sogar entge­gengesetzt gewesen ist. (D.H. 12, 1) Sie war triumphalistisch und stolz, herrschsüchtig und selbstgefällig, unduldsam und Zwang ausübend und hat somit in der Demut schwer gefehlt. Daher hat sie gewisse Feh­ler auf sich geladen (Inquisition, Kreuzzüge, Schismen und Häresien45 usw. Wenn der Atheismus heutzutage so um sich gegriffen hat, so kommt das von ihrem Mangel an Reinheit. (G.S. 19)

Allerdings sollte man ihr nicht die Schuld geben: «Die Kirche weiss, wie gross der Abstand ist zwischen der von ihr verkündeten Botschaft und der menschlichen Armseligkeit derer, denen das Evangelium anvertraut ist.» (G.S. 43, 6) In Zukunft wird sie davon Rechnung tra­gen, «weil sie Sünder in ihrem Schoss birgt, ist sie sowohl heilig als auch immer wieder zu reinigen …» — an und für sich oder in ihren Gliedern? «…pflegt die Kirche unaufhörlich die Busse und die innere Erneue­rung» (L.G. 8). So erhebt die neue Kirche den Anspruch, stets im Namen der Braut Christi zu sprechen; als solche bittet sie die Welt auf­richtig um Vergebung ihrer Fehler. Sie entschuldigt sich, weil sie ihr die Wahrheit bringen wollte, das Böse und jene, die es verbreiteten, bekämpfte; weil sie das Heil der Menschen gewünscht hat, dadurch dass diese sich Christus und seinen Geboten völlig unterworfen haben.

Folglich gelobt die «Kirche»46 sich zu bessern. Sie hört auf, Lehrmei­sterin zu sein, und nimmt bei der Welt Unterricht, denn «sie weiss, wie sehr sie selbst in ihrer lebendigen Beziehung zur Welt an der Erfahrung der Geschichte immerfort reifen muss». (G.S. 43, 6)

«Zur Steigerung dieses Austauschs bedarf die Kirche vor allem in unserer Zeit mit ihrem schnellen Wandel der Verhältnisse und der Vielfalt ihrer Denkweisen, der besonderen Hilfe der in der Welt Ste­henden, die eine wirkliche Kenntnis der verschiedenen Institutionen und Fachgebiete haben und die Mentalität, die in diesen am Werk ist, wirklich verstehen, gleichgültig, ob es sich um Gläubige oder Ungläubige handelt.» (G.S. 44, 2)

Folglich wird die Kirche im Bewusstsein dessen, was sie der Welt schuldet, ihren bescheidenen Beitrag leisten, wenn diese einverstanden ist: «Durch ihre Erfahrung stark, aber eingedenk ihrer Schwächen, hat sich die Kirche sozusagen als die Dienerin der Menschheit erklärt.» (Paul VI., 7.12.65) «Auf Erden beansprucht sie keine andere Macht als die des Dienens und Liebens. Die Kirche vervollkommnet ihr Denken und ihren Aufbau, indem sie sich nicht von der Erfahrung der Men­schen ihrer Zeit absetzt; im Gegenteil, sie hat den Willen, sie besser zu verstehen, ihre Leiden und ihre guten Erwartungen zu teilen und das Streben des Menschen von heute nach Wohlstand, Freiheit und Frie­den zu unterstützen.» (Paul VI., Schlussrede der dritten Konzilssit­zung, 21.11.64) Und damit nicht alles bei hohlen Worten stehen bleibt, hat die «Kirche» sich die Mühe gegeben, die wiedergefundene «Demut» unter Beweis zu stellen.

Die Religionsfreiheit

Die Anerkennung des Rechtes auf Religionsfreiheit, von Joh. XXIII. als der Schlüssel des ökumenischen Dialogs und des Dialogs mit der Welt47 anerkannt, war einer der Höhepunkte der «lehrmässigen Erneuerung», welche vom Konzil unternommen wurde, um die «Kir­che» für alle offen und zuvorkommend zu machen und sie in diesem Falle ihrer Autorität zu berauben, die ihr doch aufgrund ihrer göttli­chen Sendung und der unveräusserlichen Rechte Christi über alle Dinge zukommt. In dieser Perspektive muss der Inhalt und die Trag­weite der Konzilserklärung über die Religionsfreiheit verstanden wer­den; was man auch darüber sagen möge48, wird diese von nun an in einer neuartigen und seltsamen Weise aufgefasst.

Da die Kirche heilsnotwendig ist, hat sie die absoluten und ausschliess­lichen Rechte der wahren Religion, deren Hüterin sie ist, verteidigt. Sie allein hat das Recht, von allen Menschen geglaubt zu werden, überall ohne Hindernis und ohne Einschränkung gelehrt zu werden, für das Handeln der einzelnen Menschen wie auch der Gesellschaftsgruppen die Norm zu sein und folglich auch verteidigt zu werden, wenn nötig, gegen jene, die sie bekämpfen und sich ihrer Ausbreitung entgegen­stellen (Häretiker, Atheisten, Ungläubige). Was das Recht der einzel­nen Personen in dieser Sache betrifft, findet es da seine Grundlage; es besteht für jeden darin, die religiöse Wahrheit kennenzulernen und nach aussen hin zu bekennen; in keiner Weise darf jemand davon abgehalten werden, zu ihr zu gelangen und ihr anzuhängen. Nur so und nicht anders kann die Freiheit in Glaubenssachen aufgefasst wer­den.

Zu Recht behauptet das Konzil, dass «die menschliche Person ein Recht auf religiöse Freiheit hat». (D.H.2, 1) Aber bei der näheren Bestimmung des Gegenstandes geht es vom falschen Grundsatz aus, dass dieses Recht «in der Würde der menschlichen Person selbst seine Grundlage hat, wie das Wort Gottes und die Vernunft zu erkennen gegeben haben». (D.H. 2, 1) Dieses Urteil stützt sich zunächst auf eine Uberlegung geschichtlicher Art: heutzutage hätte die menschliche Person angeblich ein lebendigeres Bewusstsein ihrer Rechte erlangt49. Und tatsächlich wurde das Recht auf Religionsfreiheit in das Grund­gesetz mancher Staaten aufgenommen. Anderseits stützt sich dieses Urteil auf die Tatsache, dass der Mensch Verstand und freien Willen hat, nach dem Ebenbild Gottes. Folglich gehört diese Würde zu seinem Wesen.50 In Verantwortung für seine Taten ist der Mensch von Natur aus und aus moralischer Pflicht zur Suche nach der Wahrheit gedrängt und hält an ihr fest. Da aber der Mensch im Grunde genom­men von sich aus gut ist, könnte man keine Vorschrift annehmen ­denn das wäre ja gegen die natürliche Ordnung —, noch weniger irgendeinen Zwang, um die Wahl seines Gewissens zu lenken. Darum schliesst die Religionsfreiheit ein, «dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von seiten einzelner wie von gesellschaftli­chen Gruppen wie von jeglicher menschlicher Gewalt, so dass in reli­giösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu han­deln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen — innerhalb der gebührenden Gren­zen — nach seinem Gewissen zu handeln». (D.H.2, 1)

Diese Freiheit ist ein natürliches Recht, das dem Menschen inne­wohnt; es ist nicht bloss zugestanden oder erworben; dieses Recht ist «nicht in einer subjektiven Verfassung der Person, sondern in ihrem Wesen selbst begründet» (D.H. 2, 2). Daher kommt es, dass sie absolu­ten Charakter hat. Folglich, wenn man wissen möchte, ob jemand ein Recht auf religiöse Freiheit hat, muss man in Betracht ziehen, was er ist, nicht was er denkt. M.a.W. soll man die Person immer achten, was immer er auch denkt: «Man muss jedoch unterscheiden zwischen dem Irrtum, der immer zu verwerfen ist, und dem Irrenden, der seine Würde als Person stets behält, auch wenn ihn falsche oder weniger richtige religiöse Auffassungen belasten» (G.S. 28, 2). «So bleibt das Recht auf religiöse Freiheit auch bei denjenigen erhalten, die ihrer Pflicht, die Wahrheit zu suchen und daran festzuhalten, nicht nach­kommen; ihre Ausübung darf nicht gehemmt werden, wenn nur die gerechte öffentliche Ordnung gewahrt bleibt» (D.H. 2, 2).

Für die neue Kirche wird das Recht auf Religionsfreiheit darin beste­hen, den Irrtum gleich wie die Wahrheit in religiösen Dingen zu ver­künden. Das ist die Zulassung des Rechtes auf den Irrtum51 in der Kir­che, was bisher streng verworfen war.52 Dadurch wird auch—wie beab­sichtigt — ein radikaler Bruch mit der Vergangenheit vollzogen: «Da die Religionsfreiheit auf den Rechten der menschlichen Person beruht und nicht auf den Rechten der wahren Religion, ist für die Kirche jegli­che Rückkehr zur Unduldsamkeit versperrt … So können die Men­schen beruhigt sein: von der echten Lehre der Kirche wird nichts übrig bleiben, was die Zuhilfenahme des Zwanges für oder gegen eine reli­giöse oder unreligiöse Lehre rechtfertigen würde, vorausgesetzt, dass die öffentliche Ordnung gewahrt bleibt. So ist nun der brennende Wunsch der liberalen Katholiken des 19. Jhts. und der Menschen über­haupt erfüllt.» (G. Martelet, Les idées maitresses de Vatican II, DDB 1967, p. 157-158)

Diese subjektive und humanistische Auffassung der Freiheit hat schwerwiegende Folgen für die Kirche, weil sie die Kirche in der Ursa­che ihres Daseins antastet. Ist nun das Recht auf Religionsfreiheit an die Person als solche geknüpft, dann müssen alle es besitzen: die Katholiken, die Christen, die Gläubigen, aber auch die Atheisten (insofern der Atheismus auch eine Art ist, die Frage der Religion zu stellen). Alle haben das Recht, ihre religiösen Auffassungen, religions­lose und antireligiöse Auffassungen kundzutun und in der Öffentlich­keit zu verbreiten, vorausgesetzt, dass die öffentliche Ordnung gewahrt ist. Folglich besitzt die Wahrheit kein Sonderrecht mehr; sie löst sich im Pluralismus auf. Fortan wird alles nach der subjektiven Norm der Ehrlichkeit gehandhabt. Die gemeinsame Suche nach der Wahrheit geschieht in der gegenseitigen Achtung und mit Hilfe «des Lehramtes oder der Unterweisung, des Gedankenaustausches und des Dialogs, wodurch die Menschen einander die Wahrheit, die sie gefunden haben oder gefunden zu haben glauben, mitteilen» (D.H. 3, 2).

Anderseits sollte die Religionsfreiheit auch den verschiedenen religiö­sen Gruppierungen zugebilligt werden, «denn die Sozialnatur des Menschen wie auch der Religion selbst verlangt religiöse Gemein­schaften. Deshalb steht diesen Gemeinschaften, wenn nur die gerech­ten Erfordernisse der öffentlichen Ordnung nicht verletzt werden, rechtens die Freiheit zu, dass sie sich gemäss ihren eigenen Normen eine Führung geben, der Gottheit in öffentlichem Kult Ehre erweisen usw…. Auch haben die religiösen Gemeinschaften das Recht, keine Behinderung bei der öffentlichen Lehre und Bezeugung ihres Glau­bens in Wort und Schrift zu erfahren.» (D.H. 4, 1) Die Religionsfreiheit beinhaltet auch die freie Ausübung des Gottesdienstes. Daher ist die Kirche Christi auf gleichen Fuss mit allen anderen Gemeinschaften und religiösen Sekten gestellt.53 Wenn auch das Konzil, um den Schein zu wahren behauptet hat, «diese einzige wahre Religion hat ihre Exi­stenzform in der katholischen, apostolischen Kirche» (D.H. 1, 2), so leugnet es dies in Wirklichkeit dadurch, dass es ihr den Vorrang und die damit verbundenen Rechte abspricht. «Die Kirche» ist nicht mehr die Kirche dessen, der gesagt hat: «Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.» Wenn keine Religion mehr das Recht hat, sich gegenüber den anderen durchzusetzen, dann ist das eigentlich aus dem Grunde, dass sie alle gleich sind.

Daraus geht eine neue Art von Beziehungen zwischen Kirche und Staat hervor. Was heute nämlich zählt, das ist vor allem die Bewahrung der Freiheit im Staate und nicht mehr die (religiöse oder sonstige) Wahrheit. Was zählt, das ist die Anerkennung eines Höchstmasses an Freiheit für den Menschen und diese darf in keiner Weise einge­schränkt werden, es sei denn die gerechte öffentliche Ordnung würde nicht gewahrt. Deshalb «gehört der Schutz und die Förderung der unverletzlichen Menschenrechte wesenhaft zu den Pflichten einer jeden staatlichen Gewalt». (D.H. 6, 2)54 Wenn es daher Pflicht des Staa­tes ist, die Gewissensfreiheit der Bürger zu verteidigen und diesen Grundsatz als bürgerliches Recht in der Grundverfassung aufzuneh­men, muss die Kirche vom Staat getrennt werden; der Begriff Konfes­sionsstaat muss dann aufgegeben werden und alle Religionen müssen dann gesetzlich anerkannt werden. «Wenn in Anbetracht besonderer Umstände in einem Volk einer einzigen religiösen Gemeinschaft in der Rechtsordnung des Staates eine spezielle bürgerliche Anerkennung gezollt wird, so ist es notwendig, dass zugleich das Recht auf Freiheit in religiösen Dingen für alle Bürger und religiösen Gemeinschaften anerkannt und gewahrt wird.» (D.H. 6, 3)55

Deshalb wird die «Kirche» von nun an nur mehr das «Allgemeinrecht» als rechtliche Grundlage fordern. Die «Kirche» setzt ihre Hoffnung nicht auf Privilegien, die ihr von der staatlichen Autorität angeboten werden. Sie wird sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststeht, «dass durch deren Inanspruch­nahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist, oder wenn veränderte Lebensverhältnisse eine andere Regelung fordern». (G.S. 76, 5) Sie erhebt den Anspruch auf Freiheit als geistliche, von Christus dem Herrn gestiftete Autorität, «die kraft göttlichen Auftrags die Pflicht hat, in die ganze Welt zu gehen, um das Evangelium allen Geschöpfen zu verkünden». Auch erhebt sie den Anspruch auf Frei­heit für sich, «insofern sie auch eine Gesellschaft von Menschen ist, die das Recht besitzen, nach den Vorschriften des christlichen Glaubens in der bürgerlichen Gesellschaft zu leben». (D.H. 13, 2)

Die Königsherrschaft Christi über die Völker ist somit aufgehoben. Die «Kirche» wünscht keine christliche Gesetzgebung mehr und kei­nen christlichen Staat mehr. Früher war das einmal gut, als der Mensch noch nicht zur vollen Mündigkeit und Verantwortlichkeit gelangt war. Da brauchte er noch einen festen Rahmen, um Gewissensentscheidun­gen zu treffen. Jetzt weiss er, was für ihn gut ist; es genügt, ihm die Wahrheit vorzuhalten, wenn er bereit ist sie anzunehmen, und «sie wird den Geist sanft und zugleich stark durchdringen, aus der Wahr­heit eigenen Kraft». (D.H. 1, 3) Folglich, wenn die einen die Möglich­keit haben, den Irrtum, und die anderen das Recht, die Wahrheit zu verbreiten, so kann bei einem Zusammenstoss nur letztere obsiegen. Nette optimistische Utopie! Sie liegt am Ursprung eines erschrecken­den und gottlosen Irenismus und Indifferentismus. Es liegt da aber auch schlechter Wille vor und die Entschlossenheit, die Kirche umzu­gestalten, um sie zur Dienerin des Fürsten dieser Welt zu machen.

Präsenz und Dialog

Das 2. Vatikanum hat das Verhältnis Kirche und Welt geändert. Ist letztere selbständig geworden und hat sie der Kirche heute etwas zu sagen, dann darf die Kirche sie nicht mehr von oben herab betrachten und ihr Lösungen aufgrund ihrer Autorität bringen. Erst muss sie der Welt zuhören, bevor sie sie anspricht in einer Form, die nur jene des Dialogs sein kann; die Welt wird im Laufe dieses Dialogs ihre Erwar­tungen an die «Kirche» kundtun. Im Lichte ihrer Lehre wird die Kir­che der «Welt» dann die Berechtigung dieser Erwartungen kundtun. «Gewiss ist die Menschheit in unseren Tagen voller Bewunderung für die eigenen Erfindungen und die eigene Macht, trotzdem wird sie oft ängstlich bedrückt durch die Fragen nach der heutigen Entwicklung der Welt, nach Stellung und Aufgabe des Menschen im Universum, nach dem Sinn seines individuellen und kollektiven Schaffens, schliesslich nach dem letzten Ziel der Dinge und Menschen. Als Zeuge und Künder des Glaubens des gesamten in Christus geeinten Volkes Gottes kann daher das Konzil seine Verbundenheit, Achtung und Liebe gegenüber der ganzen Menschheitsfamilie, der dieses Volk ja selbst eingefügt ist, nicht beredter kundtun als dadurch, dass es mit ihr in einen Dialog eintritt über all diese verschiedenen Probleme; dass es das Licht des Evangeliums bringt und dass es dem Menschenge­schlecht jene Heilskräfte bietet, die die Kirche selbst, vom Heiligen Geiste geleitet, von ihrem Gründer empfängt.» (G.S. 3)

Mit anderen Worten braucht die Kirche — wenn es nach den Neuerern ginge — nicht mehr von der Wahrheit Zeugnis abzulegen. Sie darf die Welt nicht mehr wegen ihrer Irrtümer zurechtweisen, sie auch nicht um jeden Preis bekehren wollen. Ganz im Gegenteil wird sie die Welt in ihren Verirrungen bestärken, und zwar nicht nur durch Beglaubi­gung, sondern, was noch schlimmer ist, durch Übernahme der Irrtü­mer in der Absicht, sie zu überbrücken. «Was jetzt von der Kirche erwartet wird: dass sie die ewigen, lebendigmachenden und göttlichen Kraftquellen des Evangeliums in die Adern der heutigen Welt einströ­men lässt.» (Joh. XXIII., Apostolische Konstitution zur Einberufung des Konzils, 25.12.61)

Diese neue Sendung verlangt, dass die «Kirche» ihre Aufmerksamkeit auf alles in der heutigen Welt richtet, was dort geschieht, nicht etwa um ein abstraktes Lehrurteil zu fallen, sondern um die tiefen Werte zu entdecken, welche hinter den Sorgen und Fragen stehen. «Die Kir­che», «sachkundig in der Menschlichkeit», erforscht «die Zeichen der Zeit». Freilich sind da die mörderischen Kriege, die ununterbrochen aufeinander folgen, die bedauernswerten geistigen Übel, welche hier und da durch manche Ideologien verursacht werden, die bitteren Erfahrungen, welche die Menschen schon seit allzu langer Zeit gemacht haben, was alles einen Wert als Warnung hat. Selbst der technische Fortschritt, der dem Menschen die Möglichkeit gegeben hat, fürchterliche Waffen zu seiner eigenen Vernichtung herzustellen, ruft viel Angst und Gefahr hervor. Das bringt die Menschen aber zum Nachdenken, und es bringt sie dazu, ihre Grenzen leichter zu erken­nen, sich nach dem Frieden zu sehnen, den Wert der geistigen Werte zu schätzen; dadurch wird der Werdegang beschleunigt, in den die Gesellschaft eingetreten ist, wenn auch jetzt noch mit Ungewissheit. Dieser Werdegang führt dann die einzelnen Menschen, die Gesell­schaftsklassen und auch die Völker zu einem freundschaftlichen Bündnis, zur gegenseitigen Hilfe, zur gegenseitigen Ergänzung und zur gegenseitigen Vervollkommnung» (Joh. XXIII. ebenda). Die bislang noch verborgenen und unausgesprochenen Werte wird «die Kirche» nun ausdeuten. «Während die Kirche ihr Innenleben des Heiligen Geistes immer mehr wahrnimmt, und sich so von der weltlichen Gesellschaft unterscheidet und trennt, erscheint sie gleichzeitig wie ein lebendigmachendes Bedürfnis und ein Heilswerkzeug für eben diese Welt» (Paul VI. Eröffnungsrede zur zweiten Konzilssitzung 29.9.63). Damit die Kirche Seele und Sauerteig der heutigen Welt sei, muss sie bei all diesen Verwirklichungen präsent sein. Wenn der Sozialismus eine Offenbarung der unausgesprochenen Bruderliebe ist, dann muss «die Kirche» die Partisanen in der ganzen Welt unterstützen, die ja für ihren Sieg einstehen. Das ist es leider, was von nun an überall geschieht.

(Fortsetzung folgt)

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36 Gaudium et spes 11,2. Die Konzilstexte werden ab jetzt mit den Anfangsbuchstaben bezeichnet: G.S. für Gaudium et spes, U.R. für Unitatis redintegratio, D.H. für Dignitatis humanae, L.G. für Lumen gentium, A.G. für Ad gentes, N.A. für Nostra aetate.

Für die Übersetzung benutzen wir die authentische Textausgabe aus dem Paulinus­Verlag, Trier.

37 Es muss zugegeben werden, dass die Mehrheit der intellektuellen Elite der Kirche, die Dominikaner Congar, Chenu, Schillebeeckx, usw. und die Jesuiten de Lubac, K. Rahner und selbst Teilhard de Chardin, von den heutigen Lehren fasziniert, an der lehrmässigen Rechtfertigung mitgearbeitet haben. Man übersehe nicht den Einfluss der katholischen Aktion, die zum «Ralliement» (= Anschluss an die Liberalen) geführt hat. Das 2. Vatikanum hat sich im Grunde genommen damit zufriedenge­stellt, die Öffnung zu rechtfertigen, indem es den alten Mythos der innerlich guten Revolution übernahm; sie wird ja von manchen als ein echt christliches Phänomen betrachtet. Johannes Paul II., in einer Ansprache an die Franzosen, scheut sich nicht, der republikanischen Trilogie «Freiheit — Gleichheit — Brüderlichkeit» den Segen zu erteilen: «Im Grunde genommen handelt es sich hier um christliches Gedanken­gut …» (Bourget, 1.6.1980)

38 Die Kirche, deren Auffassungen weder alt noch neu sind, lehrt unveränderlich, dass, wenn der Glaube eine einschlägige Lebensordnung voraussetzt und wenn das menschliche Leben nicht hienieden seine Bestimmung hat, so dürfen die weltlichen Tätigkeiten, obschon sie von den geistlichen verschieden sind, nicht getrennt werden. Folglich, wenn man von der Kirche (als geistige Wesenheit) und von der Welt (als materielles Gebilde) als von zwei getrennten Bereichen spricht, verstösst man gegen die Pläne Gottes. Denn, obschon sie den eigenen Wert in jedem Bereiche anerkannte, wollte sie aber, dass alles was unter der Führung der Kirche geschieht, Christus geweiht sei und in der Perspektive der Ewigkeit getan wird.

39 Kardinal Bea, einer der Hauptinitiatoren des Konzils, ha diesbezüglich ein vielbesa­gendes Urteil gefällt: «Die Dogmengeschichte ist in der Lage, deutlich erkennen zu lassen, wie eine Anzahl von theologischen Sätzen, die unveränderliche Wahrheiten ausdrücken, in ihrer Formulierung durch ideologische Auffassungen ihrer Entste­hungszeit bedingt waren; sie müssen in diesem Lichte gesehen und beurteilt werden. Diese Formulierungen drücken manchmal nur einen Aspekt der ewigen Wahrheit aus und betonen ihn; sie haben also nicht die ganze Tiefe und die ganze Fülle der Wahrheit ausgearbeitet, die in ihr zum Ausdruck kommt.» (Eröffnungssitzung an der kath. Universität Fribourg, 15.11.61) Wenn die ideologischen Auffassungen ändern, wird folglich auch das Dogma geändert. Dann ist der Weg für ein aggiornamento der Lehre frei.

40 Zum Beispiel wird das frz. «consubstantiel» (Credo der Messe) zu «de même nature». So soll es angeblich deutlicher sein. Leider ist die Bedeutung dadurch ungenauer geworden und häresiebegünstigend.

41 Es ist bezeichnend, dass die Konzilstexte sich nur selten auf Verlautbarungen frühe­rer Päpste und Konzilien berufen, es sei denn, sie lassen eine Rechtfertigung für eine Neuerung zu.

42 Die Zugeständnisse an «die gegnerische Minderheit» sind die Erklärung für die Abschnitte, die mit ihrer Rechtgläubigkeit in die Irre führen, denn das ändert nichts an der Ausrichtung des Ganzen im Sinne der Neuerungen.

43 Nette Errungenschaften wie die Verallgemeinerung des intellektuellen und morali­schen Niedergangs in der «westlichen» Gesellschaft und die Ausdehnung der Ver­nichtungskriege anderswo (Afrika in Schutt und Asche, die roten Khmers, die Sand­inisten usw.).

44 «Wir sind heute in der Lage, eine Hoffnungsbotschaft an Sie zu richten. Die Sache des Menschen ist nicht nur nicht. verloren, sondern sie ist sogar in einer günstigen und sicheren Lage. — Die grossen Gedanken (wenn Sie wollen, können Sie hierzu das Evangelium rechnen) sind wie grosse Leuchttürme für die heutige Welt und werden nicht erlöschen. Die Einheit der Welt wird zustandekommen. Die Menschenwürde des einzelnen wird wirklich anerkannt werden und das nicht nur der Form wegen … Die ungerechten sozialen Ungleichheiten werden aufgehoben wer­den und die Beziehungen zwischen den Völkern werden- auf Frieden, Vernunft und Brüderlichkeit fussen … Dabei handelt es sich nicht um einen Traum oder eine Uto­pie, auch nicht um einen Mythos; es handelt sich hier um den Realismus des Evan­geliums.» (Paul VI., Osterbotschaft 1971) «Wandeln doch viele — von denen sprach ich euch schon oft, jetzt aber sage ich es mit Tränen — sie wandeln als die Feinde des Kreuzes Christi!» (Phil. III, 18)

45 «Im Laufe der folgenden Jahrhunderte entstanden ernstere Meinungsverschieden­heiten und so wurden beträchtliche Gemeinschaften getrennt» — müsste es nicht genauer heissen trennten sich? — «von der vollen Gemeinschaft der katholischen Kirche, manchmal durch die Schuld von Personen der einen oder anderen Seite.» (U.R. 3,1)

46 Man möge wohl verstehen: wenn in den folgenden Ausführungen von der «Kirche» die Rede ist, dann handelt es sich um die Prostituierte, welche sich heuchlerisch für die Braut Christi ausgibt.

47 R. Laurentin, Bilan du Concile, Seuil 1966, S.50.

48 «Die Kirche, treu der Wahrheit des Evangeliums, folgt dem Weg, dem Christus und die Apostel gefolgt sind, wenn sie das Prinzip der Religionsfreiheit als der Würde des Menschen und der göttlichen Offenbarung entsprechend erkennt und eine sol­che Freiheit fördert.» (D.H. 12) Dieser blasphemische Antrag allein genügt, um theologisch zu zeigen, dass es unmöglich ausgesprochen werden konnte von der unfehlbaren Braut Christi; Geschrei also von der lügnerischen Zunge der Hure.

49 Dieser Text ist zu vergleichen mit den Aussagen vom hl. Pius X. in seiner Verurtei­lung des Sillon (25.8.1910): «Dem Sillon zufolge wird der Mensch erst dann wirklich ein Mensch sein, der seinen Namen verdient, wenn er ein erleuchtetes, starkes, unabhängiges, selbständiges Bewusstsein erlangt hat, das keinen Lehrer braucht, das sich nur selber gehorcht und das fähig ist, die schwersten Aufgaben frevellos zu übernehmen. Das sind nun die grossen Worte, mit denen man das Gefühl des menschlichen Stolzes verherrlicht; es ist wie ein Traum, der den Menschen ohne Licht und ohne Führung auf den Weg der Täuschung zieht, wo er in Erwartung des grossen Tages des vollen Bewusstseins, vom Irrtum und von den Leidenschaften verzehrt wird. Und wann wird dieser grosse Tag kommen? Es sei denn, dass man die menschliche Natur ändert, wird dieser Tag jemals kommen? Hatten die Heiligen diese Art von Würde, da sie doch die Menschenwürde auf den Höhepunkt gebracht haben? Und die einfachen Menschen dieser Erde, die doch nicht so hoch kommen können und die sich damit begnügen, ihre Furche ganz einfach dort zu graben, wo die Vorsehung sie hingestellt hat; sie erfüllen eifrig ihre Pflichten in Demut, Gehor­sam und christlicher Geduld. Sollten diese die Bezeichnung Mensch nicht verdie­nen? Eines Tages wird der Herr sie doch aus ihrem dunklen Dasein fortnehmen, um sie im Himmel unter die Fürsten seines Volkes zu setzen.»

50 Die Freiheit im psychologischen Sinne, die Willensfreiheit, die eine ontologische Eigenschaft der menschlichen Person ist, darf nicht verwechselt werden — wie die Konzilserklärung das tut — mit der Freiheit im moralischen Sinne, d. h. deren Anwendung. Die Freiheit ist mit Sicherheit ein Bestandteil der menschlichen Natur wie die Vernunft und ist in dieser Hinsicht auch achtenswert, aber ansonsten gilt sie nur insofern sie für das Gute gebraucht wird. Darum muss der Mensch, da er ein Sünder ist, sich den (natürlichen und bürgerlichen) Gesetzen unterwerfen; diese überragen ihn und bringen ihn dazu — manchmal gegen seinen Willen —, sich den Forderungen seiner Bestimmung, die Gott ist, anzugleichen. Es muss also die Grundlage der Freiheit gesucht werden, und zwar nicht im Menschen selbst, son­dern in der demütigen Unterwerfung unter die Wahrheit. «Es gibt nichts, das so tod­bringend, so dem Falle nahe führend, so allen Gefahren ausgesetzt, als wenn wir meinen, der bei unserer Geburt empfangene freie Wille könne uns genügen; das heisst: unseres Urhebers vergessend, seine Macht abschwören, um zu zeigen, dass wir frei sind.» (Hl. Innozenz I., Brief an das Konzil [Bischofskonzil] von Karthago, von Pius IX. in Quanta Cura zitiert.) Die Freiheit ist nicht absolut, sondern abhängig von der Tatsache, ob der Mensch sich dem Joch des Irrtums und der Sünde entzieht, ja oder nein. Folglich ist der Mensch nur dann würdig, wenn er sich der Wahrheit und dem Guten anpasst. Die Würde ist kein Wesensmerkmal der Person (welches ist die Würde eines Verbrechers oder eines verkommenen Menschen?), sondern nur eine mehr oder weniger gesicherte erworbene Anlage je nach der Art des Betragens: «Wenn der Verstand falschen Lehren zustimmt, wenn der Wille das Böse wählt und es tut, so wird keiner von beiden die Vollendung erreichen, sondern beide verlieren ihre natürliche Würde und verfallen der Verderbnis.» (Leo XIII , Immortale D ei) Es lässt sich also darauf kein Recht gründen, weil dadurch der Irrtum gerechtfertigt würde in dem Masse, als der Mensch leicht zur Selbsttäuschung geneigt ist.

51 Daran besteht kein Zweifel, auch wenn man glauben sollte, das Gegenteil behaup­ten zu müssen, indem man erklärt: das Recht ist nicht an die religiösen Auffassun­gen geknüpft, sondern nur an die Personen, weil dadurch angeblich der Grundsatz gewahrt bleibt, nach welchem es heisst: «Was der sittlichen Wahrheit nicht ent­spricht, hat objektiv keine Daseinsberechtigung, kein Recht auf Propaganda und kein Recht auf Aktionen.» (Pius XII., Rede vom 6.12.53) Nun ist es aber ein Wider­spruch, einerseits das Recht auf den Irrtum zu verneinen und anderseits den einzel­nen Personen das Recht zuzugestehen, freiwillig sich zu täuschen. Wenn man dem Recht nur eine subjektive Grundlage gibt, dann vergisst man, dass der Mensch die Wahrheit nicht aus sich selber findet. So nimmt man ihm den Boden unter den Füs­sen weg.

52 «Aus der Quelle dieser verderblichen Gleichgültigkeit fliesst jene törichte und irrige Meinung — oder noch besser jener Wahnsinn — es solle für jeden die Freiheit des Gewissens verkündet und erkämpft werden. Diesem seuchenartigen Irrtum bereitet der Weg jene übervolle und masslose Freiheit der Meinungen, welche zum Schaden der kirchlichen und bürgerlichen Sache sich weitherum verbreitet. Dabei gibt es manche, die mit grösster Unverschämtheit behaupten, dass die Religion aus ihr gewisse Vorteile ziehe. Aber welch schlimmeren Tod kann es für die <Seele geben  als die Freiheit des Irrtums>?, so sagte Augustinus. Denn wenn der Zügel zerbrochen ist, mit dem die Menschen auf den Pfaden der Wahrheit gehalten werden, dann stürzt ihre ohnehin zum Bösen geneigte Natur rasend schnell in den Abgrund, und wir sehen wahrhaftig den Höllenpfuhl offen, aus dem Johannes den Rauch aufstei­gen sah, durch den die Sonne verfinstert ward.» (Gregor XVI., Enzyklika «Mirari vos»)

53 «Die- Pflichten des Glaubens zu missachten oder sich gegen alle Religionsformen gleichmässig zu verhalten, ist ein Unrecht von seiten der einzelnen wie von seiten des Staates.» (Leo XIII., Immortale Dei)

54 Vgl. Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1789 Art. 2: «Das Ziel jeglicher politischen Vereinigung ist die Bewahrung der unveräusserlichen Naturrechte des Menschen.»

«In der heutigen Zeit hat die Verwirklichung des Gemeinwohls ihre Grundlage in den Rechten und Pflichten der Person. Die wesentliche Pflicht der staatlichen Gewalt besteht besonders darin, diese Rechte anzuerkennen, zu achten, sie in Ein­klang zu bringen, diese Rechte zu verteidigen und zu fördern, und folglich die Erfül­lung dieser Pflichten zu erleichtern.» (Enzyklika «Pacem in terris, Johannes XXIII.)

Die kath. Kirche hat aber diesbezüglich stets eine andere Lehre vorgehalten. Die Staatsgewalt hat nicht die absoluten Rechte der Person zu fördern, sondern die Rechte der wahren Religion, wodurch die Menschen mit Sicherheit zur Vollkom­menheit und zum Heil geführt werden. «Da das gegenwärtige Leben, in dem wir <recht zu leben> haben, die himmlische Seligkeit zum Ziel hat, ist es Aufgabe des Königs, dem Volk ein rechtschaffenes Leben zu ermöglichen, so dass es die ewige Seligkeit erlangen kann; zum Beispiel indem es vorschreibt, was zur ewigen Selig­keit führt, und indem es soviel wie möglich verbietet, was ihr entgegensteht.» (St. Thomas, De regimine Principum I, 14)

55 «Heute gibt es nicht wenige, welche, indem sie auf die bürgerliche Gesellschaft das absurde und gottlose Prinzip des sogenannten <Naturalismus> anwenden, zu lehren wagen, <die beste Einrichtung des Staates und der gesellschaftliche Fortschritt erfordere es durchaus, dass die menschliche Gesellschaft konstituiert und regiert werde, ohne irgendwie Rücksicht auf die Religion zu nehmen und gerade als wenn diese nicht bestünde; oder wenigstens ohne einen Unterschied zwischen der wahren und den falschen Religionen zu machen>.» (Pius IX., Enzyklika Quanta Cura)

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Quelle: “Fortes in Fide”, Nr. 16, Jahrgang 1981, Seiten 62-81 – Übersetzung aus “Forts dans la Foi” von Dr. Pierre Cuttat, Basel



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