Von ROBERTO GOROSTIAGA
Der reichste geistige Schatz, den unsere latein-amerikanischen Länder gemeinsam besitzen, bleibt sicherlich ihre feste und lebendige Verehrung für die Allerseligste Jungfrau, die so tief in der Volksseele und der Volkstradition verwurzelt ist. In allen Gegenden des Kontinents verehrt man wundertätige Bilder, die an die zärtliche Zuneigung dieser Mutter zu ihren Kindern erinnern: Unsere Liebe Frau von Guadalupe, von Lujan, von Valle, von Itati, von Copacabana, von Cobre, von Chiquinquira…. All diese Anrufungen der Himmelskönigin sind Zeichen “dieser kindlichen Verehrung der Allerseligsten Jungfrau, welche Amerika zum Land Mariens zu machen scheint” (Johannes XXIII., Ansprache zum latein-amerikanischen Bischofskongress, 15. November 1958) Die Marienverehrung ist selbst im Herzen unseres weltstädtischen und entchristianisierten Buenos-Aires noch sehr lebendig. In den verlassensten Dörfern im Nordwesten Argentiniens, wo nur einmal im Jahr ein Priester hinkommt, haben wir Leute mit einem schlichten und tiefen Glauben angetroffen, die jeden Tag den Rosenkranz beten und abseits der Welt ein wahrhaft christliches Leben führen. Es besteht kein Zweifel, dass die Verehrung Unserer Lieben Frau für ganz Argentinien eines der letzten Bollwerke des Glaubens geworden ist.
Pius XII. hatte die Bischöfe Latein-Amerika’s vor den hinterhältigen Angriffen der Feinde der Kirche gewarnt: “Die freimaurerischen Komplotte, die Propaganda der Protestanten, die vielfältigen Gestalten des Laizismus, des Spiritismus und des Aberglaubens…. Dazu kommen die verderbten Lehren derer, die unter dem falschen Vorwand der Förderung der sozialen Gerechtigkeit und einer Verbesserung der Lebensbedingungen für die ärmsten Klassen der Gesellschaft nur darauf ausgehen. den Seelen das unschätzbare Kleinod der Religion zu entreissen.” (Pius XII., Apostolisches Schreiben ‘Ad Ecclesiam Christi’ an die latein-amerikanischen Bischöfe).
Als Siegesunterpfand in einem menschlich so ungleichen Kampfe, erweckte Pius XII. aufs neue unser Vertrauen in “Die, welche die Mutter der anmutigen Liebe, der Gottesfurcht, der Klugheit und der Heiligen Hoffnung” ist: Unsere Liebe Frau, die Königin von Latein-Amerika.
So sprach die Kirche … [um 1960] über die zentrale Rolle, welche die Allerseligste Jungfrau Maria im Heilsplan einnimmt…. Danach ist, wie man weiss, das Konzil gekommen. Am 29. Oktober 1963 fand im Vatikan jene bekannte Abstimmung statt, die entscheiden sollte, ob die Heilige Jungfrau Gegenstand eines eigenen Schemas sein sollte, oder ob sie lediglich in einem Kapitel des Schemas über die Kirche erwähnt werden sollte. Es war jedermann klar, dass es sich unter dem Anschein eines rein pädagogischen oder didaktischen Problems in Wirklichkeit um eine Gegenüberstellung handelte zwischen den ‘minimalistischen’ Konzilsvätern, welche die Sonderstellung Unserer Lieben Frau nicht “übertreiben” wollten, um nicht den Protestanten zu missfallen, und den Maximalisten oder ‘Marialen’, die fest davon überzeugt waren, dass niemand über ein solches Kapitel zu viel sagen kann und dass man niemals genug sagt, wenn es sich um die Gnaden, Vorrechte und Tugenden Mariens handelt. … Kardinal König von Wien hatte sich an die Spitze der Minimalistenfraktion gestellt, und Kardinal Santos von Manila an die der Marienverehrer.
Die Ausgabe der Konzilsdokumente der Biblioteca de Autores Cristianos kommentiert dies mit folgenden Worten: “Am 24. Oktober 1963 trug sich ein in der ganzen Konzilsgeschichte einmaliges Ereignis zu: zwei Redner, die in Abordnung die beiden vorliegenden Thesen vertraten, legten vor der Versammlung ihre Standpunkte über die Einbeziehung des der Jungfrau Maria gewidmeten Kapitels in das Schema ‘De Ecclesia’ dar. Das Ergebnis der Abstimmung am 29. Oktober entschied. wenn auch nur mit einer geringen Mehrheit, die Zusammenlegung der beiden Dokumente.
Das Konzil hatte also entschieden, hinsichtlich der Marienverehrung “nicht zu übertreiben”. Viele von uns waren damals entsetzt über diese Entscheidung.
Betrachten wir nun, was die dogmatische Konstitution über die Kirche ‘Lumen Gentium’ zur Verehrung Unserer Lieben Frau sagt: “Das heilige Konzil…. ermahnt die Theologen und Prediger des göttlichen Wortes eindringlich, sich jeder falschen Übertreibung, aber auch jeglicher Engstirnigkeit sorgfältigst zu enthalten, wenn sie Betrachtungen über die besondere Würde der Gottesmutter anstellen (…). Sie müssen in ihren Worten und Handlungen mit Sorgfalt alles vermeiden, was die getrennten Brüder, oder auch sonst irgendwen, über die wahre Lehre der Kirche irreführen könnte. Die Gläubigen müssen daran denken, dass die wahre Verehrung weder in einer unfruchtbaren und vergänglichen Sentimentalität, noch in einer unbegründeten Leichtgläubigkeit besteht.” (§ 67)
Hier muss man an das denken, was der heilige Louis-Maria Grignion de Montfort in seiner ‘Abhandlung über die wahre Verehrung der Jungfrau Maria’ über das Vorurteil des kritischen Frömmlers schrieb: “Sie behaupten, dass sie keine Neigung zu äusserlichen Verehrungen haben, und dass sie auch nicht schwachsinnig genug seien, all diesen Erzählungen und Geschichtchen Glauben zu schenken, welche man der Jungfrau Maria zuschreibt.” Es scheint wirklich unmöglich, daß die Mehrzahl der Geschichten und Zeugnisse, welche der heilige Alfons von Liguori in ‘Mariens Herrlichkeit’ oder Grignion de Montfort in ‘Das Geheimnis des Rosenkranzes’ berichten, auch nur einen Augenblick lang dem kritischen Geist der Gläubigen widerstehen kann, welche so vor einer “unbegründeten Leichtgläubigkeit” ihres Herzens, “den falschen Übertreibungen” (falsa superlatione) und einer übermässigen “Engstirnigkeit” (nimia mentis angustia) der Lobpreiser der Jungfrau Maria gewarnt sind, nach dem Urteil von Vatikan II.
Worauf bezieht sich aber das Konzil. wenn es empfiehlt, “sorgfältig alles zu vermeiden, was irreführen könnte” im Hinblick auf Maria? Ohne Zweifel auf den Ausdruck ‘Omnipotentia supplicante’, denn niemals hat jemand sie Gott genannt. Wie kann man übertreiben, und wer wäre jemals zu weit gegangen, wenn er von der Jungfrau Maria gesprochen hat? Sollten das die Heiligen sein, welche uns sagten: “Alles, was Gott von Natur gebührt, kann durch Gnade Maria gebühren.”
Eine anscheinend nicht vom Glauben inspirierte Vorsicht liess sie einen nicht existierenden Extremismus erfinden, den der “falschen marialen Übertreibungen”, um diesem dann den “rechten” Mittelweg gegenüber zu stellen, den niemand (wie in der Heiligen Schrift) als “Ärgernis für die Juden und eine Torheit für die Griechen” einschätzen könne. Das Konzil hat bekanntlich alles daran gesetzt, nichts für die Welt derjenigen, welche ihr angehören, Schockierendes zu sagen. Ganz besonders im Hinblick auf die Jungfrau Maria und ihren Rang in der Kirche Gottes.
Und dennoch sagen die Heiligen: ‘de Maria nunquam satis’. “Niemand hat bis jetzt die Jungfrau genug gelobt, gepriesen, geehrt, geliebt und ihr gedient” betont Grignion de Montfort, und er sagt weiter: “Gott will, dass seine Heilige Mutter heute besser gekannt, mehr geliebt und mehr geehrt werde als je zuvor.” Die Heiligen haben von der Jungfrau Maria mit leidenschaftlicher, überzeugender Stimme gesprochen, und sie haben uns gebeten, zu glauben, dass niemand zuviel tun könne, wenn es darum geht, ihr zu dienen und sie zu loben; sie fordern uns auf, all unser Vertrauen in sie zu setzen, ohne zu befürchten, deshalb unserem Herrn zu missfallen, — ganz im Gegenteil: durch sie kann man direkt zu Ihm gelangen.
Das Konzilsdokument hingegen hört nicht auf, vor einer “unbegründeten Leichtgläubigkeit”, einer “unfruchtbaren und vergänglichen Sentimentalität” zu warnen, … die es in den Herzen der Kinder Unserer Lieben Frau nie gegeben hat: das ausgeprägteste Phänomen der volkstümlichen Frömmigkeit in unseren Ländern ist, dass sie sich mit einem absoluten Vertrauen auf unsere Himmelsmutter verlässt, auf dass sie ihr direkt den Weg zum Herzen Jesu öffne!
Aber das ist noch nicht alles! Sehen wir, wie das Konzil die Vermittlung Unserer Lieben Frau zum Ausdruck bringt: “Die Seligste Jungfrau wird in der Kirche als Fürsprecherin, Helferin, Beistand und Vermittlerin angerufen.” Aber, so betont der Text gleich danach: “All das muss so verstanden werden, dass der Würde und der Wirkung Christi, des einzigen Mittlers nichts genommen oder hinzugefügt werde (…) Denn die alleinige Vermittlung des Erlösers schliesst bei den Geschöpfen eine mannigfaltige, aus der alleinigen Quelle entspringende Mitwirkung nicht aus, sondern erweckt sie vielmehr. Die Kirche hat keine Bedenken, diese abhängige Stellung Mariens zu bekennen, deren Wirkung sie beständig verspürt, und welche sie der Frömmigkeit der Gläubigen empfiehlt, auf dass sie, durch diese mütterliche Hilfe unterstützt, sich enger an den Mittler und Erlöser binden.” (Lumen Gentium, § 62)
Maria sollte also Mittlerin sein, so, wie es jeder beliebige Heilige oder jeder beliebige Engel sein kann?
Die Mitwirkung, welche die Gnade Gottes in allen Arten von Geschöpfen, bei Unserer Lieben Frau angefangen, erweckt, ist eine Tatsache. Der heilige Alfons von Liguori selbst sagt das in ‘Mariens Herrlichkeit’: “Wenn Jeremias nach seinem Tode für Jerusalem betet (2 Makk. 15,14); wenn die Ältesten der Apokalypse Gott die Gebete aller Heiligen darbringen (Offb. 6,8); wenn der heilige Petrus seinen Jüngern verspricht, ihrer zu gedenken, wenn er diese Welt verlassen habe ( 2 Pet. 1,15); wenn der heilige Stephanus für seine Verfolger betet (Apg. 7,59): wenn der heilige Paulus es für seine Gefährten tut (Apg. 27,24); wenn endlich alle Heiligen Fürsprache für uns einlegen können, warum könnten wir nicht die Fürsprache der Allerseligsten Jungfrau für uns erbitten? Der heilige Paulus empfiehlt sich selbst dem Gebet seiner Jünger (1 Thess. 5,25). Und der heilige Jakobus ermahnt uns, für einander zu beten (Jak. 5,16).”
Doch was das Konzil zu sagen sich hütet — obwohl viele Konzilsväter eine ausdrückliche Erklärung darüber verlangt hatten —, das ist die Wahrheit, welche der heilige Alfons in seinem bereits erwähnten Werk darlegte: “Die Fürbitte der Jungfrau ist zu unserem Heile notwendig, wenn auch nicht in einer strengen und absoluten Weise, so doch, im wahrsten Sinne des Wortes, in sittlicher Hinsicht.” Er fügt hinzu, dass “diese Notwendigkeit einem tatsächlichen Willen Gottes entspricht, welcher bestimmt, dass alle Gnaden, die den Menschen gespendet werden, durch die Hände Mariens gehen müssen, wie es die Meinung des heiligen Bernhard war, welche dann von allen Glaubenslehrern übernommen wurde (. .) Deshalb bekennen wir, dass Jesus Christus der einzige Mittler der Gerechtigkeit und des Heiles ist, und wir fügen hinzu, dass Maria Mittlerin durch Gnade ist, weil alle Gnadengaben, die wir den Verdiensten des Erlösers verdanken, durch ihre heiligen Hände gehen.”
Auch der heilige Antonius versichert, dass “alle Barmherzigkeit, die den Menschen erwiesen wird, durch die Fürbitte Mariens erwiesen wurde.” Der heilige Germain: “Niemand kommt in den Himmel, wenn nicht durch sie, niemand wird gerettet, es sei denn durch Maria.” Der heilige Cajetan: “Wir können die Gnade Gottes suchen, finden werden wir sie stets durch Maria.” Der Heilige Antoninus: “In unserem geistigen Leben auf die Jungfrau verzichten wollen, heisst, ohne Flügel fliegen wollen.” Und der heilige Bernhard: “Geht zu Maria, denn Gott hat niemand etwas gewähren wollen, was nicht durch ihre Hände geht.”
“Wir brauchen einen Mittler”, so schreibt der heilige Louis-Maria Grignion de Montfort, “um zu unserem Mittler Jesus Christus zu gelangen (. . .) Diese Lehre leitet sich vom heiligen Bernhard und vom heiligen Bonaventura ab; nach ihnen müssen wir drei Stufen ersteigen, um uns zu Gott zu erheben: die erste, welche uns am nächsten und für unsere Fähigkeiten am leichtesten zu ersteigen ist, ist Maria, die zweite Jesus Christus, und die dritte ist Gott, der allmächtige Vater.”
Wie man feststellen kann, hat niemand in der Verherrlichung der Vorrechte der Jungfrau Maria das Mass der Sprache der Heiligen überschritten. Wogegen uns das Konzilsdokument recht dürftig erscheint. Und all das, was es nicht sagt, (es nennt sie niemals Miterlöserin!) tut dem Herzen der Kinder Unserer Lieben Frau, der Königin und Mutter der gesamten Schöpfung, weh.
“Alles, selbst Gott, gehorcht dem Befehl Mariens” sagt der heilige Bernhardin von Siena rundwegs. Ja, Gott hört auf ihre Bitten, als seien es Vorschriften. Er hat Sie so hoch zu sich erhoben, dass der Jungfrau Maria nichts unmöglich ist … Lassen wir noch einmal den heiligen Alfons von Liguori sprechen: “Die Heiligen versichern uns, dass niemand erlöst wird, der nicht der Schützling dieser Hohen Frau ist.”
Wir müssen zugeben, sie haben den Überschwang ihres Herzens nicht zurückgehalten, um “in ihren Worten oder Taten sorglich alles zu vermeiden, was die getrennten Brüder irreführen könnte” (Lumen Gentium, § 67). Sie wussten wohl, dass die Rückkehr unserer getrennten Brüder in den Schoss der Kirche nicht das Werk einer menschlichen Diplomatie sein wird, sondern das Werk der Gnade, welche sie für jene von Maria, der Mittlerin aller Gnaden, erbaten. Sie setzten ihr Vertrauen nicht zuerst in das Licht und die Kraft der Menschen, sondern in die Frau, jene Frau, die uns die Schöpfungsgeschichte ankündigte und die uns die Apokalypse beschreibt als “mit der Sonne umkleidet, den Mond zu ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.” Denn sie ist es, der die Gewalt gegeben wurde, der Schlange, dem Geist des Hochmuts, welcher den Menschen die Sklaverei der Schismen und Häresien einflüstert, den Kopf zu zertreten.
Sie ist es, welche die “Menschenwürde” ohne Makel und ohne Sünde verkörpert, wie es dieser, in spanisch-sprechenden Ländern übliche Gruss zum Ausdruck bringt: — Ave Maria purisima — sin pecado concebida (Sei gegrüsst, Maria, Du reinste — ohne Sünde empfangen.)
Ihr Unbeflecktes Herz ist die letzte Zuflucht, die Gott uns gegen den Vormarsch des gottlosen Kommunismus bietet, so wie sie selbst es den Kindern in Fatima gesagt hat.
Als Königin der Herzen und der Nationen, allgemeine Schutzpatronin und Mutter eines jeden von uns, Unsere Liebe Frau in unseren Gebeten, ist sie Mittlerin aller Gnaden.
So sei denn die erste Gnade, die wir von ihr erbitten, — denn das gesamte Christentum ist darauf aufgebaut, — dass man uns die traditionelle katholische, lateinische und gregorianische Messe nach dem Missale Romanum des heiligen Pius V. wiedergeben möge.
Lo que Dios con su imperio
Tu. Senora, lo puedes con tu ruego.(Was Gott vermag mit seiner Macht,
vermagst du, Hohe Frau, mit Deiner Bitte)
Aus ITINERAIRES März 1979 übersetzt von H. Schultes
(Der Autor dieses Artikels Roberto Gorostiaga war Arbeitsminister in der katholischen Regierung des Generals Ongania von Argentinien. 1969 war es Gorostiagas Idee gewesen, Argentinien dem Unbefleckten Herzen Mariae zu weihen: 1972 lancierte er den “Rosenkranz-Kreuzzug”, dem sich bisher [1979] mehr als 2 Millionen Argentinier angeschlossen haben. Dieser Rosenkranz-Kreuzzug hat folgende drei Ziele: 1. Argentinien vor dem atheistischen Kommunismus zu bewahren gemäß den Warnungen der Muttergottes in Fatima: 2. gegen die klerikale Menschenrechtsbewegung soll die Verehrung des Marienkultes gefördert werden: 3. Einsatz für die Wiederherstellung der hl. Messe und der anderen Sakramente der Kirche. Mit anderen Worten, dieser Kreuzzug verhält sich antipodisch zu der seltsamen Mariologie des 2. Vatikanischen Konzils)
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Quelle: KYRIE ELEISON, 9. Jahrgang, Juli/August 1980, S. 14-20
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Siehe auch:
