(Erster Teil)
(Übersetzung aus dem Französischen von mir [Paul O. Schenker])
Oktober 1967
Heiliger Vater!
Der Hochmut der Reformatoren, der sich in den vergangenen Jahrhunderten immer an der heiligen Treue des Apostolischen Lehramtes gegenüber Christus, seinem Gründer, stieß, hat heute von der Obersten Autorität jede Handlungsfreiheit erhalten, um unsere traditionelle Kirche zu «renovieren» und sie durch ein entschiedenes «Aggiornamento» zum Evangelium zurückzuführen, sie von allem in ihr zu reinigen, was die Spur jahrhundertealter Unvollkommenheiten trug, um alles das zu berichtigen, was die moderne Welt anwiderte und ihren Forderungen widersprach. So planen die ruhmreichen Pioniere dieser Reformation der Kirche, sie endlich den Menschen zu präsentieren entsprechend der Utopie, von der sie seit langem träumen. Den vorgeblichen Reformatoren des XVI. Jahrhunderts, den wegen Schismen und Häresie aus der Kirche gejagten Protestanten, die so genötigt waren, sie von außen her anzugreifen, den Modernisten, die sich insgeheim verschworen, den Glauben und die Institutionen der Kirche durch ihr Wirken im Innern zu wandeln, jedoch gegen eine Hierarchie, die sie — von der Enzyklika «Pascendi» (1907) und dem «Brief über den Sillon» (1910) bis zur Enzyklika «Humani Generis» (1950) verwarf —, folgen seit dem 11. Oktober 1962 diese Reformatoren mit Mandat, Konzilsväter oder Experten, deren Werk der Neuinterpretation der Dogmen, der Umgestaltung der Sitten, der Modernisierung der Riten und der Disziplin in ihrem Prinzip und unter ihrer allgemeinsten Form einer «Renovation» von der Hierarchie selbst als vom «Geiste» inspiriert und geleitet betrachtet wird. Die Römische Kirche, gestern noch «eins, heilig, katholisch und apostolisch», ist demnach «im Zustande permanenter Reform». Sie wandelt sich in beschleunigtem Gang. Sie ändert ihr Gesicht und ihre Seele, unter Ihrem Pontifikat. Sie wird bald den sehnsüchtig gewünschten, aber wenig beneidenswerten Titel einer Reformierten Kirche verdienen.
In dieser Abtreibung, die sie weit von ihrer Geburtsstatt wegführt, in dieser Verklärung (oder Entstellung) ihres geschichtlichen Seins, in dieser Öffnung zur Welt drängt sich der Aufmerksamkeit Eurer Heiligkeit eine Tatsache auf, jene der Entzweiung der Kirche in den Herzen und in den Gedanken. Das Verständnis eines Begriffs kann sich nicht entwickeln, ohne dass im gleichen Maße seine Ausdehnung variiert. Das «Volk Gottes» der Neuen Reform ist nicht mehr genau das gleiche wie das treue katholische Volk von früher. Jene, die vorgeben, den Maßstab ihrer Mentalität und ihrer neuen Gewohnheiten in der Zukunft der Menschen zu finden, scheiden sich notwendigerweise von jenen, die ihn für immer und in der Fülle in der christlichen Vergangenheit gefunden haben. Lassen wir die unterschiedslose Masse der Herde, die alles annimmt, das Alte und das Neue, mit dem blinden Gehorsam und dem Köhlerglauben. Ihr gestaltloses Einverständnis oder das von den Tagesautoritäten erbetene, beweist nichts Gutes. Die Tatsache der Zweiteilung flackert an den Extremen auf. Da ist eine entschlossene Schar von katholischen Gläubigen, die völlig an der vorkonziliaren Kirche festhalten, denen es aber widerstrebt, in die nachkonziliare Neuerung einzutreten. Dort sind es Ungläubige, Schismatiker oder Häretiker, Exkommunizierte, die ungeachtet ihrer formellen Ablehnung, der sichtbaren Kirche Christi anzugehören, von der Neuen Kirche als die Ihren betrachtet werden. Nehmen wir zwei Beispiele. Vollumfänglich treu dem katholischen Glauben und offiziell (noch) als Glieder der Kirche, im Vollsinn des Wortes verstanden, betrachtet, verurteile ich indes aus allen meinen Kräften die gegenwärtige Reform, ihr Niederreißen wie ihre Neueinführungen, und gelte aus diesem Grunde praktisch als eine Art Abtrünniger der «lebendigen» nachkonziliaren Kirche. Demgegenüber wird ein Pastor Schutz, obwohl formell häretisch in den Augen der eigentlichen römischen Kirche, öffentlich von den Pastoren der Kirche-im-Zustand-der-Reform als einer der Ihren betrachtet, als ein Bruder, in dem der Neue Geist Gottes wohnt! Da bin ich durch die kirchliche Autorität daran gehindert, das heilige Messopfer in der Diözese, in der ich residiere, zu zelebrieren, obwohl ich katholischer Priester bin, aufgrund meiner Opposition gegen die Neuerungen, aber Barbarina Olson erlebt es, wie Eure Heiligkeit ihr die sakramentale Kommunion des Leibes Christi gewährt, obwohl sie als halsstarrige Presbyterin keineswegs der Einzigen (alten) Kirche Christi angehören will. Sind also jene Glieder der Neuen Kirche, deren Häresie oder Schisma sie formell von der Katholischen Gemeinschaft ausschließt? Und wie lange noch werden die Tausenden von Gläubigen und Priestern, die es ablehnen, zur Reform überzugehen, zur Zahl der Glieder des Mystischen Leibes Christi gerechnet?
Diese Uneinigkeit ist weder materiell noch oberflächlich. Sie ist geistig und formell. Es bestehen unter uns zwei Religionen, die zwei Kirchen ausmachen, jene der dogmatisch-unveränderlichen und jene der pastoral-modernen, jene des Katholizismus und jene des Ökumenismus, jene des Gotteskultes in Jesus Christus und, gemäß Ihren eigenen Worten, jene des Menschenkultes in der Welt. Diese beiden Religionen sind nicht identisch; diese geht nicht aus jener durch logische Entwicklung hervor; sie gibt im übrigen vor, besser als die andere das wahre und reine Evangelium aufscheinen zu lassen. Diese beiden Kirchen decken sich nicht, da ja die Gläubigen der einen aus diesem einzigen Grunde nicht zur anderen gehören. Es besteht ein Bruch in der geschichtlichen Tradition, durch die Überlagerung oder Ersetzung eines religiösen Glaubens durch einen andern. Es besteht eine Spaltung in der katholischen Gesellschaft zwischen den Verfechtern der alten Zugehörigkeit und den Eingenommenen der neuen. Ihre Heiligkeit selbst hat nicht die Macht, die Gegner zu zwingen, die konziliare Reform anzunehmen im Namen des katholischen Glaubens. Es übersteigt dies die heiligen Notwendigkeiten unserer Religion. Ebensowenig haben Sie weder von Pastor Schutz noch von Barbarina Olson verlangt, ihrer Häresie abzuschwören und in die Einzige Kirche einzutreten, um in Ihrer Gemeinschaft und Ihrer Brüderlichkeit zu bleiben. Diese zweifache Niederlage, diese Machtlosigkeit, uns zu überzeugen, und diese Zögerung, sie zu bekehren, ist von letzter Gefährlichkeit. Sie stellt in Frage die vier göttlichen Noten der Römischen Kirche, die durch ihre Päpste in eine Veränderung hineingezogen wurde, die sie zerreißt und ihre apostolischen Fundamente erschüttert.
Diese beiden Lehren, die zwei Kirchen bilden, die sich nur zum Teil decken, finden — daran besteht kein Zweifel — ihre Quelle in zwei verschiedenen Mächten, sei es, dass man sich eine «Parallel-Hierarchie» denkt, die sich in der Nachbarschaft der Heiligen Hierarchie verstellt, sei es vielmehr, dass diese beiden Mächte gleichzeitig in den gleichen als Würde eingesetzten Personen bestehen. Vor dem Konzil griff die reformistische Partei den «Integralismus» des Lehramtes an, aber jenes wurde davon nicht erschüttert und blieb seiner einzigen Pflicht treu. Seit dem 11. Oktober 1962 betrachten Ihr Vorgänger und Sie selbst die eine und die andere Rolle, der Wahrung und der Reform, der Regierung der Kirche und der Schaffung einer neuen ökumenischen Gesellschaft als zwei verbundene Funktionen der Hierarchischen Macht. Die Bischöfe haben es — anscheinend alle — nicht verschmäht, Ihnen in dieser doppelten Hauptsorge zu folgen. Während die Vorgänger Eurer Heiligkeit ausschließlich Stellvertreter Jesu Christi, Hirten der Treuen der ganzen Kirche und von ihnen allein waren, erscheint Ihre Person einerseits als der rechtmäßige Chef der apostolischen Kirche und andererseits als der Begründer einer neuen Gemeinschaft, ausgestattet mit einem anderen Geist. Papst Paul Vl., der 263. Nachfolger des heiligen Petrus, ist unser Oberster Hirte, und wir anerkennen vollauf seine göttliche Autorität entsprechend dem alten kanonischen Gesetz; aber er will auch als Vordermann des Reformismus, als Pionier einer neuen und fremden Religion, als Förderer dieser Allerweltsgemeinschaft gelten, die «alle Menschen guten Willens» auf der Basis eines von der Revolution des Jahres 1789 und seiner freimaurerischen Philosophie geerbten «transzendenten Humanismus» vereinigt. Dies sind zwei nicht zusammenpassende, widersprechende Funktionen, und es ist dies zu viel für einen und den selben Mann. Ich habe hier von Paul VI. und da von Johann-Baptist Montini gesprochen, indem ich der zivilen Person alles das beimesse, was nicht aus dem kirchlichen Lehramt hervorgehen konnte, um dieser notwendigen Unterscheidung Gestalt zu verleihen. Gewisse haben diese Art und Weise für unehrerbietig erachtet. Aber es wäre ein größerer Fehler, die Initiativen des Propheten irgend einer beliebigen «Bewegung zur geistigen Belebung der Allwelt-Demokratie» (Mouvement d’Animation Spirituelle de la Démocratie Universelle» — M. A. S. D. U.), die nichts gemein hat mit der Kirche, mit der Autorität des Apostolischen Stuhles zu verwechseln! Der Prinz dieses MASDU ist nicht als solcher der Nachfolger des hl. Petrus. Trotz der Einheit der individuellen Person haben die beiden Mächte weder die gleiche Quelle noch den gleichen Zweck noch die gleiche Autorität. Die Juden des B’nai-Berith, die Buddhisten, die Sowjets, die, von Ihnen als Brüder in der Humanität empfangen werden und eingeladen sind, beim Aufbau in aller Welt des Friedens mitzuarbeiten, anerkennen nur den Prinzen des MASDU, den Kollegen des Herrn U Thant, nicht das Haupt der Kirche Christi. Wir verbeugen uns vor Diesem, im Gegenteil, und wir unterwerfen uns seiner Autorität, ohne im geringsten Jenen anzuerkennen.
Welches ist unsere Pflicht in dieser beispiellosen Lage? Wo das Heil suchen?
Wir, die wir dieses beklagenswerte, dieses bereits unheilvolle Aggiornamento ablehnen, haben keinerlei Verpflichtung, keinerlei Begehr, die einzige Kirche Christi zu verlassen, die allein die Worte des Ewigen Lebens hat. Die Krankheit, von der sie gegenwärtig befallen ist, in ihrem Haupte und in ihren Gliedern, macht sie uns nur noch lieber. Gewisse, die uns eingeladen haben, sie zu verlassen, weil wir sie hinderten in ihrem Reformwerk, haben sich eigenartig getäuscht über unsere Gefühle: Wir werden weder Schismatiker werden noch Apostaten, wenn sie uns selbst bis zum Äußersten drängten. Auch die dünkelhafteste Inquisition wird keine Häresie als Prozessmaterie in unserem Glauben finden, der vollumfänglich und ganz einfach der Glaube der «vorsintflutlichen» Kirche ist, um mit den neuen Theologen zu sprechen. Denn die konziliare Reform, man weiß es, hat nichts von dem, was sie an Neuerungen brachte, unserer Religion aufzwingen wollen. Es bliebe somit die Exkommunikation. Gerade diese leichte Waffe ist es, deren man sich bedient, um uns auf subalternen Ebenen um unseren Leumund zu bringen. Jedoch Ihre Heiligkeit könnte wahre Gläubige der Römischen Kirche nicht exkommunizieren, ohne sich als Parteichef und nicht mehr als Allgemeiner Vater zu geben, indem er die Pläne und die Interessen einer Sekte vor den Glauben und das Gesetz der eigentlichen Kirche stellen würde. Man exkommuniziert die wahren Katholiken nicht, seien sie selbst Rebellen in der Meinung und den Direktiven des Augenblickes, vor allem wenn man die Arme den Häretikern und den halsstarrigen Ungläubigen wie eigenen Söhnen öffnet. Wir sind und bleiben daher römische Katholiken.
Würde die Lösung darin bestehen, das gleiche «Volk Gottes» in zwei Gemeinschaften zu teilen, jene der «Alt-Katholiken» und jene der «Neuchristen», indem diese Trennung jenen die Freiheit nach ihrem Glauben, ihren jahrhundertealten Riten und ihrer Disziplin zu leben ließe, die den nachkonziliaren Neuerungen fremd, gleichgültig oder feindlich bleiben? So würden Seite an Seite die katholische Religion strikter Observanz und die vom Aggiornamento gemilderte Religion leben. Jeder der beiden Zweige würde sich an seinen Früchten beurteilen lassen. Genau hier müsste der «Pluralismus» den Neuerern legitim erscheinen. Sie dürften diese Konfrontation der Lehren und der Liturgien, diesen Wetteifer im Apostolat nicht fürchten, nachdem die ihrigen so sehr mehr angepasst sind der modernen Welt! Ach, leider wird uns Eure Heiligkeit diese Freiheit nie zuerkennen, ebensowenig wie sie uns schon jetzt unsere Bischöfe lassen. Denn es hieße dies auf einen Schlag den willkürlichen und improvisierten, unnützen und ungewissen Charakter dieser immensen Umgestaltung der Kirche anerkennen, der sich die Massen und eine große Zahl ihrer Hirten nur wegen Erschlaffung, aus Gehorsam oder durch Zwang unterziehen. Auf kurze Sicht würden im Hinblick auf die Unordnung und die Entzweiungen, des allgemeinen Unbehagens und des Zerfalles, den das Konzil überall hervorbringt, die vorzüglichen, wunderbaren Gnadenfrüchte erscheinen, welche die strikte Observanz der vorkonziliaren Römischen Kirche kraft der göttlichen Verheißungen unausbleiblich erhält. Wir müssen unrecht haben, damit die Reform recht habe. Damit sie triumphiere, müssen wir zunichte gemacht werden, und wir sind es beinahe.
Unser Überleben allein ist der modernistischen Sekte, die die Kirche in ihren Händen hält, um sie zu ersticken, unerträglich.
Es besteht also, und es kann bestehen, heute wie gestern, vor wie nach dieser neuen Sintflut oder diesem «Neuen Pfingsten», nur eine einzige, unteilbare Kirche, jene Jesu Christi, die nie reformiert wurde, der aus vollem Recht alle und ein jeder jener angehören, die den Glauben der Apostel bekennen und sich unter die heilige Autorität des Römischen Stuhles stellen. Diesseits und jenseits sind die Schismen und die Häresien, Neuerer und Spalter. Wenn die von diesem Pontifikat und diesem Konzil entschiedene Reform die logische und übernatürliche Entwicklung dessen ist, was immer und überall bekannt und praktiziert wurde, dass man es sage, und dass man es beweise, indem man zuerst jene zum Schweigen bringt, die die Verachtung der Vergangenheit der Kirche lehren, mit welcher sie gründlich aufräumen. Und dass man nicht mehr von einer «Reform der Kirche» spreche! Dann werden wir den Frieden und die Einheit vergangener Zeiten wiederfinden. Unmögliche Lösung! Der Modernismus ist nicht herunterzubringen zur bloßen Glaubenshinterlage, die Neue Kirche wird auf den Ruinen der Alten gebaut, die Reform widersetzt sich im allgemeinen und in den Einzelheiten der Tradition, wie das vorgebliche neue Gute und die pastorale Perfektion dem jahrhundertealten Schlechten und der alten Sünde der Kirche. Somit gibt es Heil nur im Vergessen, in der Tilgung, in der Widerrufung all dieser Moden und weltlichen Fabeln, die einen Augenblick das göttliche Geheimnis der Heiligen Kirche verborgen haben. Was sind fünf Jahre kollektiver Verirrungen und unsinnigen Hochmutes im Hinblick auf die zweitausendjährige Weisheit der apostolischen Hierarchie?
Früher oder später und koste es was es wolle, wird Ihr Oberstes Lehramt zu diesen extremen Maßnahmen greifen müssen. Jeder Tag, der vergeht, verschlimmert die Verwirrung und kompromittiert die Zukunft …
Während ich so auf die reine und einfache Ablehnung dieser «Zweiten Reform» folgere, zittert meine Hand nicht. Was seit der Eröffnung des Konzils vorgeht, ist Propagandawerk und drängt sich als eine wertlose Vorliebe, als Tageslaune auf. Die weltlichen Mächte, welchen diese Neuerungen schmeicheln, jubeln ihnen mit großem Getöse zu. Dieser Schein allgemeinen Beifalles, allumfassender Begeisterung, trägt dazu bei, die Herde mitzureißen und scheint selbst vielen Hirten als «ein Zeichen Gottes»; aber dies kann keinen Eindruck machen auf überlegte Geister. Im Gegenteil, viele Dinge erscheinen ihnen verdächtig in diesem eigenartigen Konzil, und vielleicht waren die Bischöfe dabei die Opfer einer «Schurkerei» wie man davon in der Kirchengeschichte nur wenige findet. Indem man das Alter eines Papstes missbrauchte, bediente man sich seiner Stimme, um für die ökumenische Versammlung das ungewöhnlichste, das unerwartetste Programm festzusetzen, jenes der Reform der Kirche selbst, anstatt der Unterdrückung der Irrtümer und der Fehler ihrer Glieder. Von diesem Augenblick an war das ganze konziliare Werk irregeführt. Theologen, ein Konzil, selbst ein Papst, «ein Engel», würde der hl. Paulus sagen, keiner hat weder die Eingebung noch die Gnade, das zu reformieren, was Jesus Christus Selbst eingesetzt hat und das auf den Kopf zu stellen, was sein Heiliger Geist in der Folge der Jahrhunderte geschaffen hat. Die religiöse Macht der Hierarchie endet auf der Schwelle dieses Sakrilegiums, das aus sich null und nichtig ist. Als Bewahrer und Lehrer des Glaubens, als Hirten, die damit beauftragt sind, das Heil der Seelen mittels der Gnade und dem Gesetz Christi zu wirken, sind die zurzeit lebenden Papst und Bischöfe gemäß dem hl. Franz von Sales nicht die Herren Besitzer der Kirche, sondern ihre Verwalter. Sie haben nicht die Sendung erhalten, noch werden sie sie jemals erhalten, deren Metamorphose sicherzustellen, und die revolutionäre Formel, die man überall wiederholt, einer «neuen Kirche für eine neue Welt», kommt nicht von Gott. Der Eckstein der Kirche ist Christus, und niemand anders. Ein einziges Pfingsten hat genügt; jedes andere könnte nur von einem andern Geist kommen, vom Antichristen.
Erstaunliche Sache, es fand sich niemand, um sich von Anfang an einem solchen Programm zu widersetzen. Alle haben es angenommen, dieses Werk anzufassen, für welches sie keinerlei rechtliche Kompetenz noch göttliche Erleuchtungen hatten, ein Werk, welches nicht zu versuchen, nicht einmal zu wünschen war. So haben sie sich denn auf die Wege des Verderbens verirrt, und mit ihnen die ganze Kirche, bis auf diesen Tag. Die neuen Lehren haben ihre Übereinstimmung mit den offenbarten Dogmen nicht gefunden, die sogenannten pastoralen Neuerungen haben den jahrhundertealten Institutionen Schaden zugefügt und haben sie nicht ersetzt. Weder Gutes noch Starkes ist aus einer solchen Selbstkritik, einige sagen aus dieser «Selbstvernichtung» des Christentums, hervorgegangen. Das Konzil ist abgeschlossen, aber die Manie des allumfassenden und ewigen Änderns hat sich überall verbreitet, Ruinen anhäufend. Mithin ist es diesem subversiven Kurs, diesem Reformfieber, dem man sich endlich widersetzen muss. Die Folgerungen sind zu sichtbar, wenn es der ursächliche Irrtum weniger wäre. Es ist Zeit, von diesem ungeheuerlichen Missgriff abzustehen, der den göttlichen Aspekt der Kirche und den Unfehlbarkeitscharakter der apostolischen Hierarchie so schwerwiegend verdunkelt. Es ist dringlich, die Ordnung der katholischen Tradition wiederherzustellen und eine Lehre der Gegen-Reform zu entwickeln, wenn man die Kirche retten will.
Ein Bischof hat es für gut erachtet, mir den Unwillen seiner französischen und selbst europäischen Kollegen bekanntzumachen, den sie beim Lesen meiner Kritiken der Konzils-Debatten verspürten. «Die Kirche braucht keine Reformatoren, sondern Heilige», schrieb er mir. Paradoxerweise war dies gerade der ganze Hintergrund meiner Gedanken, und jener einer Menge von Priestern und Gläubigen, welche die Erschütterung aller Dinge erschreckte, von welcher die Konzils-Versammlung das Schauspiel gab. Und es ist dies noch einmal die Substanz dieses Offenen Briefes, den ich an Eure Heiligkeit zu richten wage. Ich bin überzeugt, dass sich die Gutgläubigkeit der Konzilsväter überrumpeln ließ von einer subtilen Theorie der notwendigen und immerwährenden Reform der kirchlichen Institutionen wie auch der dogmatischen Formeln, einer Theorie, die gebildete Theologen ihnen vorzusetzen verstanden, als «die eigentliche Dialektik des Lebens». Der Irrtum liegt hier. Er hält sich ganz in der Umkehr der Maxime dieses guten Bischofs, oder dieses andern, der aus frühestem Jahrhundert kommt: «Die stets heilige Kirche muss fortwährend reformiert werden.» Dies verstand sich leicht, bevor Aufwiegler den allgemeinen Sinn der Kirche verdorben hatten. Heilig in ihren Institutionen, unfehlbar in ihrer Lehre, muss die Kirche ohne Unterbruch verbessert, gereinigt, wiederaufgerichtet werden in ihren sündigen und fehlbaren Gliedern. Aber siehe da, die Revolution unserer Zeit, siehe da, wie das Haupt und die Glieder der Kirche sich heute einbilden, weise und heilig zu sein, inspiriert und unfehlbar, und die Reform der Institutionen und jahrhundertealten Lehren entscheiden, welche sie für sündhaft und ausgedient halten! Die Heiligen, die Vollkommenen dieser Generation machen sich daran, die Kirche von ihren Unordnungen und von ihren jahrtausendelangen Missbräuchen zu reinigen, um sie endlich zu dem wiederzumachen, was sie nicht mehr war, zu einem «Zeichen, aufgerichtet unter den Nationen», dem Licht der Welt!
Die Zentralidee dieses Pontifikates und dieses Konzils:
Der Plan einer Reform der Kirche
Am 11. Oktober 1962 hat die Römisch-katholische Kirche, versammelt im ökumenischen Konzil, entschieden, ihre eigene Reform zu unternehmen: «optatam totius Ecclesiae renovationem», die von der ganzen Kirche gewünschte Neumachung. Es wird ein «neues Pfingsten» sein, eine Mauserzeit ohne anderes Beispiel in der Vergangenheit, sagt man, als nur die Verwandlung des Judentums in das Christentum, die durch Christus und das apostolische Kollegium vollbracht wurde. Es ist Johannes XXIII. der sie ankündigt. Die Ungenauigkeit selbst seiner Ansprache verleiht der Idee einer allumfassenden Erneuerung ihre ungeheuerliche Deflagrationsmacht. Von diesem Tage an trägt die Partei der Subversion den Sieg davon; ihre Kühnheiten sind zum vornherein privilegiert. Der Papst stößt «die Propheten des Unheils» zur Seite und wirft so den Verruf auf jene, die über die Reinheit der Lehre wachen und an den jahrhundertealten Institutionen hängen; man wird für ihre Beschimpfung fürderhin kein Maß mehr kennen. Indem er darauf verzichtet, «die Waffen der Strenge blitzen zu lassen», um «zum Heilmittel der Barmherzigkeit zu greifen», versichert er die Propheten des Irrtums und der Unordnung gänzlicher Straflosigkeit. Die falschen Lehrer werden alsbald von dieser befremdenden Großherzigkeit profitieren, um laut zu reden und sich aufzudrängen. Der Papst, seinerseits Prophet des Glückes, kündigte dem Konzil einen unerhörten, wunderbaren Erfolg an, ohne im übrigen darüber Genaueres zu sagen: «Heute kann die Kirche, die endlich befreit ist von allen weltlichen Hindernissen früherer Zeiten, von dieser vatikanischen Basilika aus, wie von einem zweiten Zönakel (!), ihre majestätische und gewichtige Stimme hörbar machen». Das Konzil wird sich aufmachen auf die Suche dieser wunderbaren Renovation, ausgestattet als ein wegweisendes Prinzip mit einem magischen Wort, welches alles versprach, aber nichts aussagte: Aggiornamento. Am Tage des Abschlusses der ersten Session, am 8. Dezember 1962, hat die reformistische Begeisterung des Papstes seinen Höhepunkt erreicht, zu eben der Zeit, da das Konzil mit den Füßen nicht vom Fleck kommt: «Es wird dies dann wahrhaftig das so lange erwartete neue Pfingsten sein … Es wird dies ein neuer Sprung vorwärts sein …»
Man hat vorgegeben, dass Kardinal Montini die Rede vom 11. Oktober inspiriert habe. Immerhin bleibt wahr, dass Eure Heiligkeit, besser als Ihr Vorgänger, das genaue Programm kannte, welches den leeren Rahmen der angekündigten Reform auszufüllen kommen würde. Zu Bethlehem, am 6. Januar 1964, ließen Sie dessen radikalen Charakter und seine Weite durchscheinen: «Wir erleben die historische Stunde, in der die Kirche Christi ihre tiefe und sichtbare Einheit leben muss … Wir müssen unser ökumenisches Konzil zu Ende führen; Wir müssen dem Leben der Kirche eine neue Weise des Fühlens, des Wollens und der Haltung zusichern (ich hebe mit Absicht diese verblüffenden Äußerungen hervor); ihr das Wiederfinden einer geistigen Schönheit unter allen Aspekten ermöglichen: im Bereiche des Gedankens und des Wortes, im Gebet und in Erziehungsmethoden, in der Kunst und der kanonischen Gesetzgebung. Es wird eines einstimmigen Bemühens bedürfen, dem alle Gruppierungen ihre Mitarbeit beitragen werden müssen. Dass ein jeder den Anruf höre, der an ihn von Christus durch Unsere Stimme ergeht.» Die Reform wird daher total und totalitär sein. Die Kirche hatte nie gehört, dass Christus an sie einen solchen Aufruf durch den Mund eines Papstes richtete.
Eure Heiligkeit unterstützte den Reformismus; von diesem Augenblick an führte er das Konzil souverän. Man betrat die Wege einer neuen Formulierung und selbst einer Neuinterpretation der Dogmen, gemäß dem in der Ansprache vom 11. Oktober (italienischer Text) ausgedrückten Wunsche: «Es ist nötig, dass diese gewisse und unabänderliche Lehre, die treu beachtet werden muss, gemäß den Methoden und der Darstellung studiert und dargestellt werde, von denen das moderne Denken Gebrauch macht. Denn anders ist die Substanz der alten Lehre, die in der Glaubenshinterlage enthalten ist, anders die Formulierung, mit der man sie bekleidet, indem man sich für die Formen und Proportionen nach den Bedürfnissen eines vorwiegend pastoralen Lehramtes und Stiles richtet.» Diese bestürzende Erklärung hatte den verderblichsten Irrtum und die wichtigste Gebietsbeanspruchung für den Modernismus ins Herz des Konzils eingeführt. Von der Eröffnung der zweiten Session, dem 29. September 1963 an, entschied Eure Heiligkeit die Anpassung der kirchlichen Institutionen an die moderne Welt, unter Aufgabe oder Berichtigung der jahrhundertealten Traditionen. Dieses war die zweite Gebietsbeanspruchung des Modernismus. Sie sagten: «Ja, das Konzil neigt zu einer Erneuerung der Kirche. Aber missverstehen wir uns nicht über die Wünsche, die wir ausdrücken; sie schließen das Geständnis nicht ein, dass die heutige Kirche der substantiellen Untreue bezichtigt werden könnte (ich unterstreiche dieses »substantiell«) gegenüber dem Gedanken ihres göttlichen Gründers. Im Gegenteil, die vertiefte Entdeckung ihrer substantiellen Treue gegenüber Christus erfüllt sie mit Dankbarkeit und Demut, und flößt ihr die Kraft ein, die Unvollkommenheiten zu berichtigen, die der menschlichen Schwachheit beigemessen werden müssen ( … und siehe da, das unermessliche Gebiet der »zufälligen« Treulosigkeiten der Kirche gegenüber ihrem Gründer den Niederreißern offenstehen!). Die vom Konzil anvisierte Erneuerung besteht daher nicht in einer Umstürzung des gegenwärtigen Lebens der Kirche, noch in einem Bruch mit ihrer Tradition in demjenigen, was sie Wesentliches und Verehrungswürdiges aufweist, sondern sie ist vielmehr eine Ehrerbietung gegenüber dieser Überlieferung, im Akt selbst, der sie von allem entledigen will, was Hinfälliges und Schadhaftes in ihr ist, um sie authentisch und fruchtbar zu machen.» Nach einer flüchtigen Huldigung der Tradition hat man sie tatsächlich aus dem Wege geschafft.
Solcherart war also der gefällte und eingehaltene Entscheid: Die Reform der Kirche unternehmen in ihrer ganzen Art und Weise des Seins, des Denkens, des Wollens, des Handelns, um ihr das Wiederfinden einer geistigen Vitalität und Schönheit zu ermöglichen, die sie seinerzeit verloren hatte. Und solcherart war die Garantie, welche diesen kühnen Plan und seine ganze Ausführung deckte: die Formeln würden geändert, jedoch nicht die Lehre, nur die Form würde neu sein und nicht der Grund, die Verjüngung und die Reinigung der zweitrangigen und menschlichen Institutionen sollen in keinem Fall die göttliche und unantastbare Substanz der Kirche in Mitleidenschaft ziehen. Der Papst bestätigte, dass diese Renovation möglich, wünschenswert, von Gott gewollt und des Erfolges sicher sei. Das Konzil ließ sich mit Begeisterung in diese reformistische Aktivität einspannen, welche Eure Heiligkeit in ergreifenden Bildern auszudrücken vermochte: «Die Kirche will sich in Christus wie in einem Spiegel sehen: wenn dieser Blick irgendeinen Schatten offenbaren sollte, irgend einen Schönheitsfehler auf dem Antlitze der Kirche oder auf ihrem Brautkleide, was müsste sie instinktiv und mutig tun? Es ist klar: sie müsste sich reformieren, sich korrigieren, sich bemühen, diese Übereinstimmung mit ihrem göttlichen Modell wiederzuerlangen, was ihre fundamentale Pflicht ist.»
Nie ist Eure Heiligkeit, noch irgendein Bischof meines Wissens auf dieses Prinzip der Reform zurückgekommen und angesichts des unermesslichen Wirrwarrs, der daraus resultierte, haben unsere Bischöfe und Sie selbst einzig diese Grenze, die nicht zu überschreiten es gilt, erwähnt, dieses Maß, das es zu halten, diese Unterscheidung, die es zu machen gilt zwischen dem Wesentlichen und dem Zweitrangigen, zwischen der Tradition und den Traditiönchen, zwischen der Struktur und den Superstrukturen. Vom 18. November 1965 ab haben Sie Ihre definitive Haltung eingenommen: «Es ist nun der Augenblick des wahrhaftigen Aggiornamentos gekommen, befürwortet von Unserem ehrwürdigen Vorgänger, Johannes XXIII. Dieser, indem er dieses programmatische Wort gebrauchte, maß ihm gewiss nicht jene Bedeutung bei, die einige ihm zu geben versuchen, die es erlaubte, alles das zu »relativieren«, gemäß der Mentalität der Welt, was die Kirche berührt: Dogmen, Gesetze, Strukturen, Überlieferungen, währenddem es in diesem Wort einen so lebhaften und festen Sinn gibt, der Permanenz der Lehre und der Strukturen der Kirche, dass diese die Meisteridee ihres Denkens und Handelns aus ihnen macht. Aggiornamento wird also inskünftig für Uns bedeuten: Erleuchtete Durchdringung des Konzilsgeistes und treue Anwendung der Leitsätze, welche es auf so glückliche und heilige Weise vorgezeichnet hat. Wir denken, dass es in dieser Bahn ist, in der sich der neue Geist der Kirche entwickeln muss.» So werden die Akten des Konzils ausgegeben als das stabile Gesetz der zu unternehmenden Reform und das für alle Male festgelegte Programm des Aggiornamentos. Jedoch, zwei Wochen nach Beschließung des Konzils hat dieses magische Wort immer noch keine klare Definition erhalten und hat deshalb weder Grenzen noch Begründung noch Ziel. Man leistet der Revolution nicht seinen Teil. Aus dem Winde von so vielen Reden wird sich bald ein Sturm erheben, den niemand mehr beruhigt zu haben sich wähnen können wird. Es bleibt, auf dieses ganze Reform-Programm der Kirche zurückzukommen, um es zu widerrufen und aufzugeben, als einen unerhörten, nicht zu verwirklichenden und obenhinein unrechtmäßigen Versuch. Man reformiert die Kirche nicht.
Ist es nicht zu diesen radikalen Folgerungen, zu welchen uns die sehr ernste Warnung leitet, die in Ihrem Namen der Kardinal-Staatssekretär an den beunruhigenden Theologen-Kongress von Toronto vergangenen August gerichtet hat? Es scheint mir, von da her noch die noch entfernte Ankündigung der Gegen-Reform zu hören, welche die Kirche des 20. Jahrhunderts aus der Gefahr retten wird: «Von ihren Anfängen an musste die Kirche die Geburt in ihrem Schoße von unterschiedlichen Versuchen falscher Reformen und aus der Fassung bringender Neuerungen beklagen, oft vollführt unter dem trügerischen Vorwand einer größeren Übereinstimmung mit dem Geiste und der Lehre des Evangeliums und um sie besser zu befähigen, ihre Sendung in der Welt zu erfüllen. Der Herr Selber hatte seinen Jüngern den Auftritt falscher Propheten vorausgesagt (Mat. 24, 11). Die Apostel versäumten es nicht, ihre ersten Erscheinungen im Schoße der Gemeinschaft der Gläubigen zu verurteilen (cf. Tit. 1, 10; 2. Joh. 1, 7) und zahlreiche Aufrufe zur Wachsamkeit gegen die Verbreiter von verderblichen Neuerungen wurden von den Konzilien, den Päpsten und den Bischöfen lanciert.»
Möge Ihre Heiligkeit heroisch auf den Spuren von so vielen heiligen Pontifices und Lehrern der Kirche weiterschreiten!
1. Vom unerhörten Charakter dieses Planes der «Reform der Kirche»
Die Konzilsversammlung hat diesen Weg einer Reform der Kirche nicht frei gewählt. Sie wurde dazu veranlasst durch eine Rede des Papstes und durch die berüchtigten Ränkespiele der modernistischen Partei. Wenn sie ihn indes angenommen hat, so deshalb, weil sie irregeführt wurde durch den zweideutigen Sinn dieser Worte: Reform, Erneuerung und ähnlicher, mit welchen man sie betäubte. Die Bischöfe waren nicht gefasst auf den absolut einzigartigen und neuerungsversessenen Wesenszug des Unternehmens, in welches man sie hineinstellte. Zweifellos hätte sie das Reden-Hören über das Konzil als von einem zweiten Pfingsten und einem neuen Zönakel beunruhigen müssen, mehr als ihnen zu flattieren und sie trunken zu machen, wie von einem neuen Wein, der nichts von einem plötzlichen Einguss des Heiligen Geistes hatte. Aber die Worte «Reform» und «Reformator» wurden schon auf so viele Heilige, auf so viele große Päpste und Konzilien angewendet, dass der Plan, formuliert durch die Stimme des Obersten Hirten, ihnen so erschien, als schriebe er sich in die beste Tradition der Kirche ein. Und hierin ist es, dass die Masse der Bischöfe wissentlich getäuscht wurde. Sie waren entschuldbar, die Theorie des Modernismus nie gekannt oder vergessen zu haben, und genauerhin die Rechtfertigung des Semimodernismus, welche Pater Congar schon ab 1950 in seinem Buche «Wahre und falsche Reform in der Kirche» versuchte, ein Buch, das ich alsbald als eines der gefährlichsten bekämpfte und verurteilte und welches das Heilige Offizium bald aus dem Handel zurückziehen sollte. Die nötigen Aufklärungen, die man dem Konzil versagte, hatte «einer jener, die am meisten für das Konzil beitrugen», zum vornherein geliefert, indem er präzisierte: a) die Reform klassischen Typus, die in unseren Tagen zu unternehmen nicht erforderlich war, b) die Reform, die zu verlangen noch zu versuchen niemand das Recht hatte; c) und, auf halbem Weg der einen zur andern, die Reform, welche der Semimodernismus mit allen Kräften schon von den Jahren 1945-1950 an, mit der Hierarchie, ohne sie oder trotz ihrer verwirklichen wollte. Nun ist aber der Gedanke einer solchen Reform — Pater Congar gibt es wohl zu — an sich unerhört in der Kirchengeschichte. Diese Reformisten sind Neuerer. Dies ist es genau, was den Konzilsvätern nicht bekannt wurde, die von dieser Bewegung durch Überlistung in Frondienst genommen wurden.
a) Katholische «Reform» und «Reformatoren». In seinem ehrlichen und traditionellen Sinne verstanden, betrifft das Werk der Reform der religiösen Orden, des Klerus oder selbst der Kirche die Missbräuche und die sittlichen Unordnungen, die sich wegen ihren schlechtesten Gliedern in jede religiöse Gemeinschaft einschleichen. «Reformieren, im Mittelalter, heißt, eine Sache neu formen, die schon existiert, aber deformiert ist, heißt eine im Laufe der Zeit geschwächte und durch die Missbräuche unterminierte und verdorbene Institution zurückführen zu einer ursprünglichen Form, die für vorzüglich und kraftvoll gehalten wird» (L. Celier, zitiert bei Congar, «Vraie et Fausse forme», S. 357). In diesem Sinne ist der erste und unvergleichliche «Reformator» unser Herr Jesus Christus selbst, gemäß dem Worte des hl. Thomas: «Incarnatio Christi est reformativa totius humanae naturae» (111a, q. 2, a. 11). Alle Reformen, die die Kirche unternommen oder anerkannt hat, waren solche von Missbräuchen und sittlichen Unordnungen, von Zerfall und Verirrungen, die manchmal seit langem in Gewohnheit übergegangen waren, aber von dem besten, von dem gesündesten Teil der Hierarchie und des christlichen Volkes ohne Rast und Ruhe verurteilt wurden. Parallel dazu gaben die in die Spekulation und Predigt der Kirche eingeführten Irrtümer Anlass nicht zu Reformen, sondern zu Verurteilungen, als der wahren katholischen Gemeinschaft immer fremd geblieben.
«Die Reformen verübten sich in der Lebensordnung der Kirche, nicht in derjenigen ihrer Struktur: Dogmen, Sakramente, hierarchische Konstitution. Dies beschränkte ziemlich allgemein die Reformen auf jene der Missbräuche, durch eine striktere Anwendung der kanonischen Gesetze, die schon existierten, oder, wenn es nötig war, durch die Erlassung neuer Dekrete … Jedenfalls — dies ist eine klassische Bemerkung —, man reformierte die Sitten, nicht die Lehre: diese betreffend, die durch die Überlieferung überreicht wurde, verurteilte man im Gegenteil jeden Versuch einer Umgestaltung» (ibid.).
Siehe da, was klar ist, nobel und vollkommen. Wenn die Kirche eine solche Reform einleitet, weiß sie wohin sie geht. Die Schwierigkeiten und die Hindernisse können furchtbar sein, aber sie hält eine feste Rampe und kann auf die Hilfe Gottes zählen. So haben alle heiligen Päpste und Reform-Konzilien, die unserem «Neuen Pfingsten» vorausgingen, als Programm genommen, die Irrtümer zu verdammen und die Missbräuche zu reformieren, die sich in die christliche Gesellschaft wegen der Boshaftigkeit und der Schwäche der Menschen eingeschlichen hatten. Diese Reformen drängten sich auf, kraft bekannter doktrinärer und sittlicher Normen, im Namen der Überlieferung der Kirche, die von allen als unantastbar, beispielhaft und heilig erachtet wurde. Der beste Teil des Episkopates nahm sich zweifellos bei der Einberufung des Konzils vor, sich mit übernatürlichem Eifer und mit Mut einem solchen Werke hinzugeben. Die Vorbereitungen des Konzils zeugen von der Qualität und von der Zahl dieser wahren Hirten gemäß dem Herzen Gottes. Johannes XXIII. selber stellte sich so die «Erneuerung» vor, die er wünschte und für welche ihm die Römische Synode als Modell und als Vorzeichen erschien. Diese Bischöfe wurden enttäuscht, sie wurden getäuscht in ihren Hoffnungen. Die reformistische Partei wollte keine solche Reform, die begonnen hätte mit ihrer eigenen Verurteilung. Schon 1950 verbot es sich Pater Congar, sich auf solche Wege einzulassen. Die Zeit, Anathemen zu schleudern ist vorbei, sagte er, «und was die Missbräuche anbelangt, die noch so schreiend waren im 16. Jahrhundert, gibt es kaum mehr welche davon; sie scheinen verbunden gewesen zu sein mit einer Situation, in der die Kirche, «die heilige Kirche», reich war und mächtig … Es ist eine Tatsache, unsere Zeit interessiert sich weniger für die sittlichen Sünden der Glieder der Kirche als für die Fehler und Unterlassungen in betreff der Erfordernisse der Zeit» (Sainte Eglise, S. 131). Erstaunliches Argument, welches endlos wiederaufgenommen wird, um dieser formellen Ablehnung, zuerst zur Verurteilung der Irrtümer und Unterdrückung der Missbräuche zu schreiten, irgendeinen Anstrich von Ehrlichkeit zu geben. Höchste Begründung: die Welt erwartet dieses nicht von der Kirche, sondern (im Gegenteil!), dass sie sich reformiere nach ihrem Maße und nach ihrem Belieben. Das Konzil hatte nicht die Erlaubnis, darüber zu diskutieren und darüber zu entscheiden, selber und frei. Das klassische und heilige Werk, für welches die Konzilien gemacht sind, wurde ihm untersagt. Es verhielt sich gleich mit allen Räuber-Konzilien des IV. Jahrhunderts, welche die Lehrer des Glaubens: Athanasius, Hilarius und die andern exkommunizierten. Diese Ähnlichkeit der Prozedur zeigt klar an, dass unsere Reformisten die ersten Opfer einer jeglichen gerechten Reinigung der Kirche gewesen wären und dass ihre «Reform» darin vom ersten Tage an ihre definitive Verurteilung gefunden hätte. Man hat somit das Konzil von dieser kapitalen Pflicht abgewandt, aber man hat es jedoch nicht gewagt, ihm zu erklären, dass die Reform, die zu unternehmen es sich vorbereitete, genau das Gegenteil davon sein würde. Die Gutgläubigkeit der Väter wurde verraten.
b) Spaltende «Reformen» und «Reformatoren». Im Gegensatz zur heiligen katholischen Reform, sind die Reformen, die das in Frage stellen, was Pater Congar «die Struktur der Kirche» nennt, selbstverständlich unannehmbar. Jene, die im Laufe der Jahrhunderte nach solcher Subversion verlangten und sie unternahmen, schlossen sich von der Kirche aus, aus dem alleinigen Grunde, weil sie den Dogmen des Glaubens und den fundamentalen Institutionen, kurz, dem Erbe Christi, schadeten. Unser gelehrter Experte hält dafür, dass all diese «falschen Reformen» von einer (vorgeblichen) Reform der Missbräuche zu einer Änderung der Glaubenssubstanz abgegleitet sind, zu einer radikalen Subversion des sakramentalen Lebens, zu einer Bestreitung der Apostolischen Autorität. Es ist wichtig festzuhalten, dass er damals den Modernismus, der durch den heiligen Papst Pius X. im Zaume gehalten wurde, ausdrücklich unter diese «falschen Reformen» reihte, die «der Struktur» Schaden zufügen und deshalb unzulässig sind. Demgegenüber «scheint der gegenwärtige Trend des Reformismus und der Erneuerung … durchaus gesund», Pater Congar gab sich als dessen Garant aus: «Ich bezeuge (!), dass ich meinerseits nicht einen einzigen Fall kenne, bei welchem eine reformistische Aktivität von vorgeblichen Modernisten ausginge oder irgendwelchen vertrauten Umgang mit modernistischen Positionen hätte. Das Gegebene des Glaubens, die apostolische Tradition, die hierarchische Struktur der Kirche sind keineswegs in Frage gestellt. Wenn sie es auf diese oder jene Weise wären, so nur aus reinem Versehen, durch Unwissenheit, ohne das Bewusstsein und den Starrsinn, die den Schismatiker und den Häretiker ausmachen. Es gibt nichts «Revolutionäres» im gegenwärtigen Reformismus … Die gegenwärtige reformistische Bewegung kommt viel mehr aus der Reinheit der Kirche als aus ihrer Unreinheit. Das Schauspiel, welches die Kirche gegenwärtig bietet, ist schön und bestärkend» (VFR, S. 569-571). Dies wurde geschrieben im Jahre 1950.
Könnte man dies noch behaupten im Jahre 1967? Gewiss nicht. Eure Heiligkeit beklagt sich immerzu über «das Überschreiten der von der rechtmässigen Autorität in Sachen Neuerungen festgelegten Grenzen» (4. 11. 65). Sie nimmt Gegenstellung zu den Behauptungen des Pater Congar, der schrieb: «Wir wissen, dass diese Krise, die wirklich besteht, und diese Selbstkritik in Wirklichkeit nichts gemein haben mit dem Modernismus vom Anfang des Jahrhunderts … Es handelt sich nicht um das Dogma … Die Sakramente sind nicht gefährdet … Ebensowenig ist in Frage gestellt die hierarchische Autorität … Schließlich handelt es sich nicht um das Christentum selbst. Was in Frage gestellt ist, sind gewisse Züge des zeitlichen Gesichtes, die es von einer andern historischen Welt erhalten hat als jener, in der wir das Bewusstsein haben, eingetreten zu sein» (S. 40, 183-186). Es ist eine offensichtliche, unbestreitbare und von allen anerkannte Tatsache: eine «falsche Reform» entwickelt sich zur gegenwärtigen Stunde in der Kirche, die — selbst wenn sie es sich mit Energie verbietet — «die Struktur», sagen wir die Katholische Religion selbst, gefährdet. Gewiss, Eure Heiligkeit macht von der ganzen Macht ihres Wortes Gebrauch um zu bezeugen, dass diese «fälschlicherweise postkonziliare Mentalität» nichts zu tun hat mit der authentischen und bewundernswerten Erneuerung der Kirche. Indes, diese unzulässige und verheerende Revolution unterhält mit der konziliaren und postkonziliaren Reform enge Verbindungen: gleiche Parteigänger, gleicher Wortschatz, ähnliche Programme, parallele Entwicklung in der Zeit und im Raum. Die eine wie die andere leisten sich eine gegenseitige Hilfe. Schließlich, und mehr als alles, haben Modernismus und Halbmodernismus, «fälschlicherweise nachkonziliarer» und «echt nachkonziliarer» Reformismus die gleichen Prinzipien und bilden nur einen einzigen und gleichen Strom in Opposition zum Traditionalismus, unter dem Vorwand, heute eine sensationelle Erneuerung der ganzen Kirche zu vollbringen.
Merken wir uns schon einmal diese historische Feststellung: Jede Reform, die dahin schlittert, dem Dogma, den Sakramenten, der hierarchischen Autorität zu schaden, ist eine «falsche Reform». Ganz natürlich will niemand, oder wenn er es will, wird niemand unter den Reformatoren von 1950, von 1962 oder von 1967 zugeben, dass er «die Struktur der Kirche» ändern will. Die Modernisten, die es wollten, offenbarten ihre wahrhaftigen Absichten nie. Eine solche Erklärung hätte sie dahin gebracht, dass sie hinausgeworfen worden wären. Eine Reform kann sich deshalb als gemäßigt, annehmbar oder progressiv erweisen und dennoch falsch, verabscheuenswürdig, ruinierend sein, gemäß den Beschreibungen des P. Congar. Dies genügt, um schon einmal zu überlegen, dass die Unterscheidung zwischen dem konziliaren Reformismus, der gemäßigt sei und dem andern, der es nicht sei, für unseren Gegenstand keinerlei Gewichtigkeit hat: die gegenwärtige Reform, im ganzen, ist in diese tiefe Subversion der Kirche hineingegleitet, welche P. Congar als charakteristisch erklärt für «falsche Reformen». Und es betrifft alle Reformisten, von denen wir heute sagen, indem wir das bewundernswerte Wort von Bartholomäus Arnoldi wiederholen: «Wenn sie nur die wirklichen Missbräuche hätten reformieren wollen, wäre ich mit ihnen gewesen, aber sie haben die Lehre und das Gebet der Kirche ändern wollen» (cf. Denifle, II, p. 17). Es bleibt somit, dass das Konzil dieses nicht gewollt hat. Was wollte es demnach und wer hat es dahin gebracht, wohin es nicht gehen wollte?
c) «Reform» und «Reformisten» des II. Vatikanums. Das vom Konzil verlangte Aggiornamento sollte gewiss nicht an «das Wesentliche» des Christentums rühren. Es sollte sich indes mit ganz anderer Sache befassen als mit der simplen Unterdrückung der individuellen Irrtümer und Missbräuche. Die Erneuerung sollte gesucht werden in einer tiefgreifenden Reform der Institutionen. Das Konzil sollte «mutig» alle «die historischen und konkreten Strukturen» in Frage stellen, in welchen sich die geistige Botschaft Christi durch die Jahrhunderte hindurch materialisierte und nach und nach immobilisierte: Traditionen, Geisteshaltungen, Gewohnheiten, Riten … Eine solche kollektive und allgemeine «Lebensüberholung» wird gemäß allgemeinem Geständnis eine gänzliche Neuheit in der Geschichte sein. Aber sie ist inspiriert von einer intensiven pastoralen Nächstenliebe: «Die Krise, die gegenwärtige Selbstkritik, erklärt P. Congar, gehen nicht hervor aus einer Theorie über die dogmatische, sakramentale und hierarchische Struktur der Kirche, sondern aus Feststellungen in der Ordnung der Tatsachen, die betrachtet werden unter dem apostolischen Gesichtswinkel.» Nun aber «läuft die Analyse der gegenwärtigen Lage auf die Kritik hinaus von gewissen Formen oder Strukturen, welche gegenwärtig das Christentum aufweist, nachdem es sie von der Geschichte erhalten hat. Denn dieses ist es, worum es sich handelt» (S. 184). Die Struktur wechselt nicht, und sie bleibt der kritischen Überholung unzugänglich (?), aber die Strukturen, sie sind, zufällig, in Bewegung, und müssen sich gemäß dem Lauf der Welt und den Zeichen der Zeit entwickeln.
Jahrhunderte «starrer» Geisteshaltung haben sie kanonisiert verhärtet, geronnen gemacht. Unser «Evolutionismus» wird es verstehen, diesen gesetzlichen Rahmen zu brechen, um neue Formen, lebendige und dynamische zu finden, die unserer Zeit angepasst sind. Die gesellschaftlichen Wirklichkeiten sind in ständiger Bewegung. Die Institutionen der Kirche selber haben sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt, trotz dem Konservatismus der Hierarchie. Der gegenwärtige Reformismus entspringt einer Bewusstseinsnahme dieser historischen Dialektik durch die Männer der Kirche, die intelligentesten und die großzügigsten. Sie wollen ihre Leitung ergreifen und vollbewußt die Umgestaltung verwirklichen, die die große Veränderung der modernen Welt der Kirche auferlegt.
Der pastorale Eifer des Konzils war so von Anfang an bedingt durch eine gewisse Theorie der allgemeinen Evolution der menschlichen Institutionen, eine hegelianische und marxistische, aber nicht christliche Theorie. «Im Grunde», behauptet P. Congar, «erheischt jede aktive Bewegung in der Kirche eine Überholung dessen, was man vor ihr hielt, und sie geschieht dank einer neuen Befragung der Quellen und der immerwährenden Belebungsprinzipien der kirchlichen Gesellschaft» (S. 21). Zum ersten Male geht die Hierarchie hin, die Initiative dieses «Rückgriffs auf die Quelle» und dieser «Erneuerung» zu ergreifen, anstatt die Initiative dazu dem gläubigen Volk zu überlassen. Die Hierarchie stellt ihre Reformaktion auf diese «Art von Dialektik ab, die jeder Entwicklung innewohnt, wo die gewonnene Wirklichkeit zugleich geleugnet und bekräftigt, überholt und vollführt wird und die, positis ponendis, das Gesetz der Kirche selbst bleiben wird» (S. 142), und P. Congar stellte schon für das Konzil gesetzgebend fest, wenn er schrieb: «Keine völlige Anpassung, keine völlige Reform der Anpassung, ohne dass die Kirche, unterstützt durch einen Elan evangelischen Rückgriffs auf die Quelle, nicht sehr großzügig es annimmt, sich in Harmonie zu bringen mit den Strukturen einer neuen Welt und einer erneuerten Gesellschaft, die sie auch taufen muss». Es ist dieses, was P. Chenu seinerseits eine «zeitliche Revolution für das ewige Heil» nennt (cf. VFR, S. 114). Wahrhaftig, in den Augenblicken der Wendungen großer «Epochen», ist das soziologische Problem des kirchlichen Lebens ein sehr tiefes Problem, und dasjenige eines bis zu diesem Niveau getragenen Reformismus ist innig verbunden mit den Imperativen selbst des Evangeliums (VFR, S. 191). Dies ist genau der letzte (verdammte) Satz des Syllabus: «Der römische Papst kann und soll sich aussöhnen und ausgleichen mit dem Fortschritt, dem Liberalismus und der modernen Welt». Es ist also ein «evangelischer Imperativ», durch eine sehr tiefgehende Reform der Strukturen diese neue Etappe des dialektischen Fortschrittes der Kirche zurückzulegen. Widrigenfalls, sagt man, würde es die Niederlage bedeuten, das Veraltern, den Tod der Kirche.
Siehe da das Programm des konziliaren Reformismus genau vorgezeichnet: ein «evangelischer Rückgriff auf die Quelle», unter Aufgabe der archaischen Formeln und der verjährten Institutionen, um einer «Harmonisierung» des Glaubens und des Lebens der Kirche mit unserer «erneuerten Gesellschaft» willen. Aber siehe da vor allem die philosophische Grundmauer dieser Reform ausgestellt. Das Programm ist unerhört: nie hatte das Lehramt, noch hatte je irgendein Heiliger eine solche Umgestaltung aller «historischen und konkreten Strukturen» der Kirche ins Auge gefasst. Aber unerhörter noch ist die eigentliche Idee einer solchen Erneuerung. Mehr als die reformistische Aktivität, die konziliare und nachkonziliare, ist es die Theorie, die sie empfiehlt und die sie aufdrängt, von der man bekennen muss, dass sie der katholischen Tradition fremd ist. Die Heilige Schrift kennt sie nicht, noch die Väter, noch das Lehramt. Oder wenn sie diesen Evolutionismus kennen, so ist es, um ihn zu verdammen. Es ist also ungeheuer, dass dieses ganze neomodernistische System dem Bischofs-Korps als eine Folge von neuerdings entdeckten, aber absolut indiskutablen Augenscheinlichkeiten aufgedrängt wurde! Auf dieser faulen Basis ist es, auf der das Konzils-Werk gebaut ist. Denn die Idee einer fortwährenden und progressiven dialektischen Evolution der Institutionen und Lehren in der Kirche steht im Grund und Boden im Gegensatz zu unserem Glauben. Gleicherweise das nachfolgende Prinzip, gemäß welchem die zeitlichen und konkreten Formen, die der reinen Botschaft Jesu Christi in der Folge der Jahrhunderte gegeben werden, notwendigerweise hinfällig und im übrigen von der Unreinheit der vergangenen Epochen angesteckt wären. Und überdies, die Unterscheidung des Wesentlichen vom Zufälligen in den kirchlichen Traditionen, des einen unveränderlich und unantastbar Bleibenden, des anderen immerzu erneuert und dem Jahrhundert angepasst werden Müssenden. Da liegt die Pflichtvergessenheit. Schließlich, wer konnte von der Höhe seiner persönlichen Unfehlbarkeit herab garantieren, dass diese Infragestellung des ganzen geschichtlichen Seins der Kirche, ihrer ganzen lebendigen Tradition, dem Dogma, den Sakramenten, der göttlichen Grundlegung der Kirche nicht schaden würde? Wer konnte es, wenn schon das eigentliche Prinzip dieser Reform eine gewisse Verletzung derselben darstellte und die Heiligkeit der Kirche beeinträchtigte! Vielleicht waren die Neuerer «aufrichtig» in ihren großen Träumen allumfassender Erneuerung. Aber sie hatten nicht das Recht, den Konzilsvätern zu verbergen, dass sich ihr «Aggiornamento» an einer der katholischen Tradition fremden und vom Apostolischen Lehramt verurteilten Soziologie inspirierte. Heiliger Vater,
Die listige von P. Congar entwickelte «Phänomenologie» der «wahren und falschen Reformen in der Kirche» hat gewiss absichtlich die klarsten Wahrheiten verdunkelt, wie sie die weniger gewarnten Geister verführte, indem sie eine «Reform der Institutionen» als normal, möglich und heilsam darstellte, die keinesfalls die Institution selbst, die göttliche, der Kirche in Gefahr brächte. Diese Behauptung des Theologen wurde formell dementiert durch die Erfahrung des II. Vatikanums und durch seine Folgen. Es gibt also nur zwei Sorten der Reform in der Kirche. Die eine ist klassisch, sie ist ein Werk des Lichtes, der Gerechtigkeit und der Heiligkeit. Sie besteht in der Verdammung der Irrtümer und der Verweise der Missbräuche der Kirchenglieder. Sie bringt diese zurück zur Wahrheit und zum Gesetz Gottes, das die Tradition lehrt. Die andere ist jene der Schismatiker und der alten Häretiker. Sie ist die Reform der modernistischen Neuerer von heute. Sie strebt nach der Umgestaltung der Institutionen der Kirche und dem Umsturz ihrer Traditionen, nach dem Belieben der Auffassungen und der Wünsche der Kirchenglieder oder der gegenwärtigen Welt. Von dem Tage an, da das Konzil ohne Debatte, noch mit Hinweis, auf diesen verrufenen Weg gesetzt wurde, war ihm Gewalt angetan und die ganze Folge seiner Aktion bleibt bekleckst davon, zweifellos, und zunichte gemacht.
Die Neuigkeit stand immer schon im Rufe der Gefahr in der Kirche, wieviel mehr müsste es diese hier sein, die das Verändern zur Höhe eines obersten Aktionsprinzips erhebt und die Neuigkeit zur Höhe eines absoluten Ideals! Doch es war den Weisen und Heiligen nicht nötig, damit Erfahrung zu machen. Man weiß dies aus dem göttlichen und gewissen Glauben: alles was unerhört ist in der Tradition der Kirche, ist ebensosehr unsinnig und gottlos. Gerade das ist es, was ich Ihnen jetzt zu beweisen gedenke.
(Fortsetzung folgt)
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Quelle: “DAS ZEICHEN MARIENS”, 1. Jahrgang Nr. 7, November 1967, S. 95-100
