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Kardinal Giovanni Battista Montini – als Erzbischof von Mailand: Pfingstansprache vom 9. Juni 1957 im Mailänder Dom

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PFINGSTEN

DIE ENTSTEHUNG DER KIRCHE

Denken wir an Pfingsten zurück als an das Ereignis, das das Erlösungswerk vervollständigt und es — von Christus aus — über die Welt verbreitet hat. Mit ihm hat die Fortdauer Christi begonnen, es hat die Kirche ins Leben gerufen und wirkt und dauert somit erleuchtend, stärkend, belebend und heiligend fort.

Der auf dieser Erde gegenwärtige Christus hatte schon die Ge­meinschaft der Seinen begründet, die zusammengesetzt war aus einer Gruppe von Jüngern, von denen er zwölfen den Rang von Aposteln verlieh, »quos et apostolos nominavit — die er Apostel nannte« (Luk. 6,13), und aus jenen, die, mit den Aposteln vereinigt, sein Predigen aufgenommen hatten und sich vorbereitet zeigten, das »Reich Gottes« zu empfangen, und dieser entstehenden Gemein­schaft hatte er selbst den prophetischen Namen gegeben: »meine Kirche — ecclesiam meam« (Matth. 16,18). Er selbst hatte die Lehre verkündet, das Evangelium, durch welches diese Gemeinschaft unterwiesen und geleitet werden sollte. Er selbst hatte die norma­tiven Grundsätze bezeichnet, um damit der Lebensführung seiner Nachfolger Inhalt und Richtung zu geben, und Er hatte besondere Gnadenmittel eingesetzt, um seine Gläubigen zu kennzeichnen und für jene Form des Lebens zu rüsten, die seine Nachfolge verlangt. Er selbst hatte der »kleinen Schar« befohlen, sich, ausgerüstet nur mit den Waffen des Wortes und der Gnade, aufzumachen, um die Welt zu erobern, und hatte die wunderbare, aber gleichzeitig mühselige und befehdete Verbreitung seiner Botschaft vorausge­sagt.

Aber all das, wie einzigartig und ermutigend es auch war, schien der Gruppe der ersten Nachfolger doch keine andere Organisation und keine andere Aktionsfähigkeit zu verleihen als die, über welche auch sonst menschliche Vereine bei ihrem Entstehen verfügen. Al­lerdings kam dazu die erschwerende Last der offenbaren Mißver­hältnisse zwischen der kleinen Anzahl von Menschen, aus denen der von Christus zusammengefügte Kern bestand, und den unermeß­lichen, steilen, schwer erkennbaren und noch obendrein dem spontanen menschlichen Gefühl unangenehmen Zielen, die es zu verfolgen galt. Bis zum letzten Tag, an dem Christus bei ihnen war, hatten nicht einmal die Apostel eine klare Vorstellung davon, was sie tun sollten und was sie erwartete. Noch knapp vor der Himmelfahrt Christi, als sie erfaßten, daß sich etwas Entscheidendes ereignen würde, fragten sie Ihn: »Herr, richtest du in dieser Zeit das Reich Israel wieder auf?« (Apg. 1,6). Das heißt, daß die Kirche zwar schon existierte, daß es ihr aber noch an Bewußtheit, an innerem Zusammenhalt, an ihrem ureigenen Leben mangelte, die sie in eine religiöse von Christus ausgehende Gemeinschaft verwandelte — von Christus nicht nur als ihrem Begründer, sondern auch als ihrem Lebensprinzip; es fehlte der Heilige Geist. Die Kirche war ein Leib, aber noch der Seele bar.

Ein frommer und tiefschürfender Schriftsteller sagt zu dieser Frage: »Obwohl Jesus Christus nach der Auferstehung unseren Augen unsichtbar geworden ist, fühlen wir dennoch, daß er mit uns lebt — weil wir seinen Atem verspüren. Ich nenne Atem Jesu Christi die Ausgießung des Heiligen Geistes … Am Morgen des Pfingstfestes hat das Menschengeschlecht diesen mächtigen Atem zum erstenmal verspürt.«

Die Seele der Kirche ist der Heilige Geist, das will sagen: Das unsichtbare und übernatürliche Prinzip, das die Kirche Christi leben macht, indem es in ihr die gewohnte, alle ihre Glieder durchfließende Gnade verbreitet, ist der ständige Beistand des Heiligen Geistes, der die Kirche zu der mit Christus verbundenen Menschheit macht, zum Mystischen Leib Christi, und ihr Fähigkeit und Gnaden verleiht, kraft deren er ihr Wissen von sich selbst erzeugt und alle Geschicke lenkt und leitet.

Diese Lehre wird wunderbar erläutert durch die Enzyklika des Papstes Pius XII. (1943) über den Mystischen Leib: »Christus der Herr läßt die Kirche an seinem übernatürlichen Leben teilnehmen, durchdringt ihren ganzen Leib mit seiner göttlichen Kraft und nährt und erhält die einzelnen Glieder gemäß dem Rang, den sie im Leibe einnehmen, ungefähr in der Weise, in welcher der Weinstock die mit ihm verbundenen Rebzweige nährt und fruchtbar macht. Wenn wir nun aufmerksam dieses göttliche von Christus gegebene Lebens- und Kraftprinzip in sich selbst betrachten, insofern es die Quelle einer jeden geschaffenen Gabe und Gnade bildet, werden wir leicht verstehen, daß es nichts anderes ist als der Tröster Geist, der vom Vater und vom Sohne ausgeht und der in besonderer Weise Geist Christi und Geist des Sohnes genannt wird.«

So erscheint uns der Heilige Geist als belebendes Prinzip der Kirche. Lebensspender nennen wir ihn im Glaubensbekenntnis. Er ist das vereinigende Prinzip. »Dem Geist Christi als dem unsichtbaren Prinzip«, sagt die genannte Enzyklika noch, »kommt auch die Aufgabe zu, alle Teile des Leibes untereinander sowie mit ihrem erhabenen Haupte zu verbinden.« Er ist das Prinzip, das die verschiedenen Teile des Mystischen Leibes differenziert, indem er jedem seine besondere Funktion gibt: »All die vielen Glieder des Leibes«, schreibt der hl. Paulus, »bilden jedoch zusammen einen Leib. So ist es auch bei Christus. Wir alle sind durch die Taufe in einem Geist zu einem Leib geworden … Der Leib besteht ja auch nicht aus nur einem Glied, sondern aus vielen … So aber gibt es viele Glieder, jedoch nur einen Leib« (1. Kor. 12,12 ff.). Er (der Heilige Geist) ist das wirksame und heiligende Prinzip. » Jedem einzelnen«, lehrt der hl. Paulus (1. Kor. 12,7 ff.), »wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen aller verliehen. Dem einen nämlich wird durch den Geist das Wort der Weisheit verliehen, dem anderen das Wort der Erkenntnis nach demselben Geist, einem anderen der Glaube in demselben Geist.«

»Das, was die Seele für den Leib des Menschen ist«, so schließen wir mit dem hl. Augustinus, »ist der Heilige Geist für den Leib Christi, für die Kirche.«

Diese erstaunliche Lehre, die sich durch die Existenz und Geschichte der Kirche bestätigt, stellt heute einen besonders wichtigen Aspekt im Rahmen der Bemühungen um die allgemeine und gemeinschaftliche Belebung des ganzen Mystischen Leibes dar, die dahin geht, daß sie auch die einfachen Gläubigen mit Funktionen betraut und zu lebendigen Gliedern der Kirche macht, ihnen ihre besondere Würde und eine nicht mehr nur rein passive Haltung in bezug auf das Gute der Kirche verleiht.

Wir wissen sehr wohl, daß sich die Kirche Christi in ihrer kämpferischen Phase auf dieser Erde zu einer sichtbaren, organischen und somit hierarchischen Form zusammenfügt und daß auch diese hierarchische Beschaffenheit eine glänzende Darstellung ihres Wesens ist, die nicht nur die verschiedene Verteilung der Gewalten im Schoß der Kirche an deren Gliedern aufzeigt, sondern auch ihre konstitutiven Merkmale wunderbar ins Licht setzt: ihre Einheit und Heiligkeit, ihre Katholizität und Apostolizität. Die Kirche setzt sich in der Tat aus zwei deutlich unterschiedenen Kategorien von Gläubigen zusammen: aus dem Klerus und aus den Laien. Der ersten Kategorie, welche bestimmte, sich auf den ganzen Leib der Kirche beziehende Funktionen hat, gehören jene an, die kraft des Sakraments der Priesterweihe und des kirchlichen Auftrages besondere Macht ausüben — Lehre, Kult, Lenkung — und die in den Abstufungen der Fülle dieser Macht eben die kirchliche Hierarchie bilden. Eine aktive Gruppe, die Lehrende Kirche, Menschen, die in der Kraft des Heiligen Geistes eine Aufgabe an den anderen Gliedern der Kirche zu erfüllen haben, an der Hörenden Kirche, dem gläubigen Volk; sie zu lehren, zu heiligen und zu lenken.

Aber wenn dennoch die Funktionen der Kleriker gegenüber denen der Laien verschieden sind, so wissen wir doch auch zwei andere Dinge, denen moderne Theologie ihre Aufmerksamkeit gerne zuwendet. Das erste betrifft die völlig unterschiedslose Gleichheit aller Glieder der Kirche in bezug auf die übernatürliche Berufung: alle, Kleriker wie Laien, sind gleichermaßen Gläubige, alle sind die gleichen Christen, alle in gleicher Weise Schuldner Gottes in der Gnade, im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe; alle sind zum gleichen ewigen Schicksal berufen, und alle sind sie Brüder: »Omnes autem vos fratres estis — Ihr aber seid alle Brüder« (Matth. 23,8). Wenn Verschiedenheit der Talente und Kräfte die Gläubigen voneinander unterscheidet, erwartet sie doch dort oben das gleiche Urteil; ja ein anspruchsvolleres und strengeres dort, wo höherer Reichtum an weit umfassenderen Gaben eine weit höhere Verantwortlichkeit erzeugt, die alle Leistung ins richtige Maß rückt.

Die zweite Sache betrifft die Stellung der Laien in der Kirche und die ihnen zukommende Rolle in der großen Familie Christi. Wenn wir sie so klar vom Klerus getrennt betrachten, überkommt uns die Freude darüber, daß auch sie eine so große, ihren Stand begründende Würde haben. Durch die bloße Tatsache, daß sie Christen sind, sind auch sie, durch die Taufe, Gotteskinder, sind sie durch die Firmung vollkommene Christen und Soldaten Christi, also lebendige und aktive Glieder der Kirche, nicht nur passive und untätige, ohne Rechte und Ehren; auch nicht ausgeschlossen von der großen Berufung zur Vollkommenheit und Heiligkeit, sondern Bürger des Reiches Gottes, Gegenstand der Sorge und der Achtung der ganzen christlichen Gemeinschaft und insbesondere dessen, der verpflichtet ist, für das allgemeine Heil zu sorgen.

»Die Heiligen« (vgl. 1. Petr. 1,15) nannten sich einst die Gläubigen, ganz gleich, welchen Status sie in der Kirche einnahmen; sie waren und sind unentbehrliche Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, sie genießen, was die Art ihrer Heiligung im Schoß der Kirche anlangt, große Freiheit und disziplinierte, aber weitläufige Initiative: Das religiöse Leben erwächst daraus. Ja man hat noch mehr gesehen in diesen Beziehungen der Gläubigen zum übernatürlichen Zustand; der Apostel Petrus hat es ein »sacerdotium sanctum«, ein »regale sacerdotium« genannt — ein »heiliges Priestertum«, ein »königliches Priesterum« (1. Petr. 2,7-9), das dem ganzen christlichen Volke gemein ist.

Der hl. Ambrosius sagt, daß jeder von uns geheiligter Priester ist, und der hl. Johannes Chrysostomus erklärt, daß es jeder in der Taufe wird; denn mit der Taufe werden wir Glieder Christi, und — wie Augustinus sagt — »alle sind Priester, insofern sie Glieder des einzigen Priesters sind«, während der hl. Thomas hinzufügt, daß »jeder gute Mensch sich im mystischen Sinne Priester nennen kann, weil er sich selbst als mystisches Opfer Gott darbietet, das heißt als lebendige Hostie für Gott«. Nicht daß diese Teilhaftigkeit am Priesteramt Christi und diese Fähigkeit, sich seinem Opfer zu vereinigen, die dem Sakrament der Priesterweihe eigentümlichen liturgischen Kräfte verleihen, sie schenken jedoch dem Christen, auch dem einfachen Gläubigen, den eigentümlichen Charakter des priesterlichen Leibes Christi und machen so aus der christlichen Gemeinschaft eine »priesterliche Stadt«, das heißt, heilig und zum göttlichen Kult fähig.

In der Enzyklika über den Mystischen Leib preist ein lichtvoller Abschnitt die Würde eines jeden Christen: »Man darf etwa nicht glauben, die organische Struktur der Kirche erschöpfe sich in hierarchischen Stufungen … Mit vollem Recht haben die Kirchenväter, wenn sie die Dienstleistungen, Stufen, Berufe, Stellungen, Ordnungen und Ämter dieses Leibes hervorheben, nicht nur jene vor Augen, die heilige Weihen empfangen haben, sondern auch alle jene, die nach Befolgung der evangelischen Räte ein tätiges Leben unter den Menschen oder ein in der Stille verborgenes führen, oder auch beides je nach ihrer besonderen Verfassung zu verwirklichen trachten; ferner jene, die, obgleich in der Welt lebend, doch sich eifrig in Werken der Barmherzigkeit betätigen, um anderen seelische oder leibliche Hilfe zu leisten; endlich auch jene, die in keuscher Ehe vermählt sind. Ja es ist zu beachten, daß zumal in den gegenwärtigen Zeitverhältnissen die Familienväter und -mütter, auch die Taufpaten und namentlich jene, die als Laien zur Ausbreitung des Reiches Christi der kirchlichen Hierarchie hilfreiche Hand bieten, einen ehrenvollen, wenn auch oft bescheidenen Platz in der christlichen Gemeinschaft einnehmen, ja daß auch sie mit Gottes Huld und Hilfe zur höchsten Heiligkeit aufsteigen können.«

Diese Erläuterung der adeligen und lebendigen Stellung des Laientums in der Kirche bejaht und rechtfertigt das Interesse, das sich heute durch die Mitarbeit des Laientums selbst äußert: Was kann es tun? Was soll es tun?

In diesen Jahren haben einige Erscheinungen von immensen Maßen ein dramatisches und wunderbares Kapitel im geschichtlichen Epos der modernen Kirche angezeigt. Diese Phänomene versetzen die Mutter Kirche einerseits in Leid und Angst: Das moderne Leben scheint gegen sie zu revoltieren, und zwar durch die Ungläubigkeit, zu der es sich bekennt, durch die im Menschen erzeugte Illusion, in allem hinreichend befriedigt zu sein, ferner durch den Laizismus und Atheismus, die der immer agnostizistischeren und materialistischeren Geistigkeit der zeitgenössischen Auffassung vom Menschen den Charakter ihrer düsteren Kräfte verleihen. Auf dies alles folgt — von seiten ganzer Völker und der neuen Generation — der Abfall von den heiligen und erhabenen religiösen Überlieferungen, die doch das kostbarste und umsorgteste Erbe unseres Zeitalters darstellen müßten; und mit diesem Abfall die peinliche Unzulänglichkeit des Klerus, sei es an Zahl wie auch an Kraft, um ihr Rettungswerk in einer Gesellschaft durchzuführen, die ihre wahre und letzte Bestimmung vergessen hat. Daraus resultiert ein Zustand, den man als Krise des Katholizismus bezeichnen könnte. Aber andererseits bestätigen Phänomene, die wert sind, daß man sie festhält, eine mächtige Lebenskraft der Kirche; immer mehr der Hilfsmittel und Privilegien beraubt, die ihr aus der umgebenden Gesellschaft zukommen, holt sie aus ihrem eigenen Schoß die Kräfte, sich zu verteidigen und zu gedeihen. Die Kirche, möchte man sagen, beugt sich unter dem ungeheuren Druck der modernen Irreligiosität auf sich selbst zurück, und in dieser inneren Sammlung, ich will sagen: in diesem Zurückgreifen auf die in ihr vorhandenen übernatürlichen Quellen, erprobt sie, wie stark sich ihr Selbstvertrauen, ihre Energie und ihre Eroberungsfähigkeit vervielfältigen. Es ist der Strom des Heiligen Geistes, der nach wie vor in ihre Glieder eindringt, sie beweglich macht und kräftigt. Es ist der Pfingststurm, der in die Segel des mystischen Bootes fährt, das keine Unwetter mehr fürchtet. Es ist, unter sichtbarem und sozialem Aspekt, der Eintritt des katholischen Laientums in eine kräftigere und betonte Zusammenarbeit mit dem hierarchischen Apostolat.

Man hat von der »Mission der Laien«, der »Stunde des Laientums« und der »apostolischen Funktion des Laien« gesprochen; doch hat man damit nicht eine von unten her aufsteigende demokratische Bewegung gemeint, die der Hierarchie Teile ihrer Macht streitig machen oder die Gläubigen von der Vormundschaft der Hierarchie befreien sollte durch Bewußtmachen eines eigenen Vermögens und durch Ausschauhalten nach einer eigenen Autonomie; noch viel weniger hat man dabei den schismatischen Versuch im Auge gehabt, parallel zur kirchlichen eine Hierarchie der Laien her-vorzubringen, und schon gar nicht die Übertragung von besonderen sakralen oder richterlichen Machtvollkommenheiten von der Hierarchie auf die Laien, so als würden diese gleichsam an der Ausübung der priesterlichen Obliegenheit beteiligt werden.

Wir meinen vielmehr die Mitarbeit, welche die Laien als solche als bewußte und großmütige Kinder der Kirche — ihr in dieser schrecklichen und wunderbaren Stunde leihen können. Die Kirche ruft sie, die Kirche ermuntert sie, die Kirche mobilisiert sie, schafft ihnen die modernen und geeigneten Formen, besonders in der Katholischen und sozialen Aktion, damit sie so in die Möglichkeit und in den ehrenvollen Stand gesetzt werden, wirksam und kämpferisch, aktiv und freudig mitzuhalten bei dem wagemutigen Unter-nehmen der modernen Glaubensverkündigung.

Eine große Stunde ist das, die den Gläubigen Gelegenheit bietet, das katholische Leben als Würde und Glück, als Adel und Berufung aufzufassen; eine große Stunde, die das christliche Bewußtsein aus der gewohnten trägen Schläfrigkeit aufweckt, in die es für so viele hineingeraten ist, und ihm das Licht neuer Rechte und neuer Pflichten schenkt. Eine große Stunde, die nicht gestattet, daß einer sich Christ nennt und zugleich moralisch ein schlaffes, mittelmäßiges, abgesondertes und egoistisches Dasein führt, das lediglich durch die kümmerliche Befolgung irgendeiner religiösen Vorschrift gekennzeichnet ist, anstatt verwandelt zu sein durch den positiven, ritterlichen und bisweilen heroischen, immer aber demütigen und zähen Willen, den eigenen Glauben aus voller Überzeugung und ganzem Vorsatz zu leben. Groß ist diese Stunde, die dem christlichen Volk seine Schüchternheit und Furcht nimmt, es befreit vom Dämon der Zwietracht und des Individualismus und von der Feigheit der alle geistigen Ziele vergewaltigenden zeitlichen Interessen. Große Stunde, die sogar aus den Kindern, aus den Jugendlichen, aus den Frauen, selbst aus Denkern und Geschäftsleuten wie auch aus den Kranken Scharen von lebendigen Seelen macht, die brennen für den Messianismus des Reiches Gottes, der weder phantastisch noch illusionistisch ist. Eine große Stunde, in der das Christenvolk so verschmilzt, daß es in einem erneuerten hierarchischen und brüderlichen Sinn »ein Herz und eine Seele« wird rund um den Altar Christi: überzeugt der Klerus, gemeinsam mit allen Gläubigen zu beten, und die Gläubigen davon durchdrungen, an der geheimnisvollen und überwältigenden Liturgie der Kirche teilzunehmen. Groß ist diese Stunde, in der das Pfingstfest den Mystischen Leib Christi mit dem Heiligen Geist erfüllt und ihm von neuem prophetischen Geist gibt entsprechend der Botschaft des Apostels Petrus in der ersten christlichen Predigt, die die Menschheit hörte: »Dann werden eure Söhne und Töchter weissagen, eure Jünglinge Gesichte schauen und eure Greise Traumgesichte haben. Selbst über meine Knechte und Mägde werde ich ausgießen meinen Geist in jenen Tagen, und sie werden weissagen« (Apg. 2, 17-18); das heißt, sie werden innere geistige Fülle genießen und die Fähigkeit haben, davon wunderbare äußere Zeugenschaft abzulegen.

Die Einladung der Kirche ist dringlich und vertrauensvoll, doch darf man nicht verschweigen, daß sie schlecht aufgenommen und interpretiert werden kann. Die aktive Einbeziehung des Laientums in das Leben der Kirche kann ihre Gefahren haben und Entgleisungen mit sich bringen, worauf Wir deshalb sofort verweisen, damit verhindert werde, daß eine so schöne und segensreiche Sache ausarte und schwierige Verbesserungen nötig mache. Wir weisen zum Beispiel auf die doppelte Gefahr des Temporalismus und des Laizismus hin.

Des Temporalismus, sagten wir; das ist die Gefahr, daß die Laien in der Kirche in wachsendem Maße Aufgaben übernehmen und so den Namen und die Verantwortlichkeit der Kirche in profane Bereiche und Angelegenheiten hineinziehen. Solche Bereiche und Angelegenheiten sind mehr Sache des Laientums, dem es nicht, wie dem Klerus, untersagt ist, sich mit den Dingen dieser Welt um ihrer selbst, also um rein irdischer Ziele willen abzugeben, etwa mit weltlichen und politischen Belangen. Daraus kann die Gefahr entstehen, daß, wie man heute zu sagen pflegt, das Heilige mit dem Profanen vermengt wird. Deshalb wird es ratsam sein, zu unterscheiden zwischen der eigentlichen religiösen, katholischen und kirchlichen und der rein sozialen und politischen Aktion der Katholiken; eine Unterscheidung, die immer betont werden muß, sobald man auf dem Feld der Aktion — in bezug auf die Prinzipien, die stets allen bewußt bleiben und für alle gemeinsam sein müssen — mehr die Mittel als die Zwecke und eher die zeitliche als die moralische und geistige Ordnung im Auge hat.

Vom Laizismus droht — an zweiter Stelle — noch eine andere Gefahr; wir wollen von dieser Tendenz sagen, daß sie sich manchmal bei den Katholiken selbst äußert, die sich gegenüber der kirchlichen Hierarchie mitunter ihre eigenen unabhängigen Rechte anmaßen; sie denken, der Klerus möge sich auf die bloße Ausübung des Kultes beschränken und darauf, die christliche Lehre theoretisch darzulegen, wenn es dem selbstgenügsamen Laizismus gerade gefällt, die Geistlichen dazu einzuladen, ihre heiligen Funktionen zu erfüllen; auf diese Art spricht er dem Geistlichen das Recht ab, dort dauernden Beistand zu leisten, Rat zu erteilen und die moralische Führung innezuhaben, wo es ständig darum geht, die Prinzipien zu behaupten, und wo die praktische Steuerung allen Wirkens und die Lenkung der im christlichen Namen und für die christliche Sache geschaffenen Organisationen auf Schritt und Tritt die moralische Mitverantwortlichkeit und geistige Teilnahme auch des Klerus miteinschließt. Das katholische Laientum muß verstehen, daß seine Würde und Aktionsfähigkeit sich nicht herleiten dürfen von einer fortschreitenden Verselbständigung gegenüber der kirchlichen Autorität, sondern davon, daß die Laien die unaufhebbare Sendung derer, die der Heilige Geist zur Leitung der Kirche Gottes eingesetzt hat, wie Söhne unterstützen und sich in Liebe mit ihr solidarisch erklären (vgl. Apg. 20,28).

Es sind dies ernsthafte Gefahren, die neue Probleme, seien es theoretische oder praktische, ins Leben rufen, an deren Lösung auch die Zeit und die Erfahrung — über die Logik der Prinzipien und das Lehramt der Kirche hinaus — noch arbeiten müssen. Sie sind aber mit der menschlichen Natur und mit eben dem Phänomen, das wir gerade feiern, eng verknüpft; mit der Erneuerung des Pfingstereignisses unter den neuen, aufrüttelnden geschichtlichen und geistigen Bedingungen unserer Gegenwart.

Und es sind keine solchen Gefahren, daß sie den Klerus und die Gläubigen von der großen Aufgabe unserer Tage abbrächten, von jener nämlich, die kämpferische Kirche durch die Mobilisierung der zusammenarbeitenden Kräfte, die aus dem Laientum kommen können, zu beleben.

Und wolle Gott, daß das Pfingstereignis, das in den Reihen des Laientunis großartige aktive und bekennende Kräfte weckt, auch weiterhin der Kirche Scharen von katholischen Laien zuführen möge, die tief vom christlichen Geist durchdrungen sind, die bereit sind zu Verteidigung und Eroberung, sich in den vielfältigen Werken der geistigen und zivilen Erneuerung fügsam und mutig erweisen und immer brüderlich vereint und solidarisch sind.

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Quelle: Papst Paul VI. – Christus und der Mensch von heute – Ansprachen und Aufsätze, ausgewählt und eingeleitet von Don Virgilio Levi – Wilhelm Goldmann Verlag, München.


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