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Vatikan richtet „Anlaufstelle“ für die Charismatische Erneuerung ein.

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Papst Franziskus feiert am 3. Juni 2017 im römischen Circus Maximus ein Abendgebet zum Pfingstfest. Die Veranstaltung war ein Höhepunkt eines Treffens der katholischen Charismatischen Erneuerung anlässlich deren 50-jährigen Bestehens.

Blick über den Tellerrand

Von Stephan Baier und Guido Horst

Historische Vergleiche drohen zu hinken. Aber der Gedanke drängt sich auf, die Heranführung der Charismatischen Erneuerungsbewegung der heutigen Zeit an die katholische Kirche und ihre Hierarchie dem Versuch der Päpste im zwölften und dreizehnten Jahrhundert gegenüberzustellen, die Armutsbewegung zu „bändigen“, die das ganze Abendland erfasst hatte und aus der später Bettelorden wie die Franziskaner und Dominikaner hervorgehen sollten. Manche Zweige der Mendikanten glitten damals in die Häresie, andere fanden den Weg in die katholische Kirche und wurden dort sogar zu Stützen der innerkirchlichen Reform.

Die Zahlen sprechen für sich. Die Menschen, die sich im Mittelalter für das Armutsideal entschieden, machten diesen Aufbruch zu einer Massenbewegung. Und auch die Charismatiker von heute sind keine Splittergruppe – wenn auch in Mitteleuropa noch nicht so verbreitet. Als Papst Franziskus vor einem Jahr mit fünfzigtausend Anhängern der Charismatischen Erneuerung deren Jubiläum im römischen „Circus maximus“ feierte, waren seit der Entstehung gerade einmal fünfzig Jahre vergangen. Doch schon 2006 folgten dieser geistigen und überkonfessionellen Strömung um die sechshundert Millionen Christen in der Welt, mit Schwerpunkten in Amerika, Afrika und Asien. Und dieses Universum wächst weiter.

Mit den Verantwortlichen der Charismatischen Erneuerung ins Gespräch zu kommen, ist einer der roten Fäden im Pontifikat des argentinischen Papstes. So verwundert es nicht, dass jetzt beim Vatikan ein neues Organ als Anlaufstelle für die katholische charismatische Erneuerung eingerichtet wurde, wie das zuständige Dikasterium für Laien, Familien und das Leben zu Allerheiligen mitteilte. Die Stelle soll am 8. Dezember ihre Arbeit aufnehmen, sie ist auf Anregung von Papst Franziskus entstanden und wird die Bezeichnung „Charis“ tragen.

Dem Charisma der weltweiten Bewegung, die besonders das Wirken und die Gaben des Heiligen Geistes hervorhebt, soll somit auch an der Römischen Kurie besser Rechnung getragen werden, heißt es in der Mitteilung des Dikasteriums. „Charis“ soll keine rechtliche Autorität über die einzelnen charismatischen Gruppen ausüben, wie das Dikasterium weiter bekannt gab: „Jede charismatische Realität wird das bleiben, was sie ist, unter voller Achtung ihrer eigenen Identität, und sie wird unter der Gerichtsbarkeit der kirchlichen Autorität bleiben, von der sie abhängt.“ Zugleich werde jede Gemeinde der charismatischen Erneuerung die von „Charis“ angebotenen Dienste frei nutzen können.

Der Belgier Jean-Luc Moens soll die achtzehnköpfige Arbeitsgemeinschaft auf drei Jahre leiten. Zu den Mitgliedern gehört auch der Wiener Diakon Johannes Fichtenbauer, der in Österreich im Dialog mit den Freikirchen engagiert ist. Begleitet wird die Gruppe vom Prediger des Päpstlichen Hauses, Pater Raniero Cantalamessa, der schon seit langen Jahren als „Verbindungsmann“ Roms zur Charismatischen Erneuerung wirkt.

„Charis“ verstehe sich strikt als Dienststelle und „nicht als Instrument der Leitung und Lenkung, schon gar nicht der Bevormundung“, betont auch Diakon Johannes Fichtenbauer gegenüber der „Tagespost“. Die ganze Bandbreite der Ausdrucksformen der Charismatischen Bewegung sollten in „Charis“ einen „Begegnungsort“ und eine Koordinierungsbasis finden. Das neue Organ ermögliche Begegnung auf Augenhöhe zwischen den teilweise sehr verschiedenen Gebetsgruppen, Kommunitäten, Missionsgesellschaften, Initiativen, Zentren und Bildungseinrichtungen. „Keine Form soll die anderen dominieren. Es geht bei ,Charis‘ nicht um festgelegte Konzepte, wie die Erneuerung zu funktionieren hat, sondern darum, den Austausch des Besten von allen mit allen institutionell zu ermöglichen“, so Fichtenbauer gegenüber dieser Zeitung.

Es gelte Wege zu finden, „wie das Angebot der ,Taufe im Heiligen Geist‘ weltweit für jeden Katholiken zugänglich ist, in der jeweils kulturell passenden Form, und dennoch unverkürzt, in der Fülle dessen, was dieses Geschenk Gottes an jeden Gläubigen meint“. Fichtenbauer sagt, diese „Geisterfüllung“ solle jeden Gläubigen besser befähigen, die Zeichen der Zeit zu deuten, sich von den Nöten der Menschen persönlich berühren zu lassen und Mittel und Wege zu finden, um den Armen zum Besseren zu dienen und die Gesellschaft im Sinne des Reiches Gottes zu verändern.

Für all dies brauche es eine ökumenische Zusammenarbeit zwischen den charismatisch geprägten Christen aller konfessionellen Lager. Fichtenbauer, der in Österreich für die katholischen Beziehungen zu den Freikirchen zuständig ist, meint: „Diese neue Ökumene soll uns jener Einheit in der Vielfalt näher bringen, die fähig ist, eine weltweite Evangelisation und Diakonie zu leisten.“

Die Charismatische Erneuerung soll laut Fichtenbauer nach dem Prinzip der Subsidiarität funktionieren. Darum gelte es, Visionen zu wecken, zu Werten zu motivieren, eine Gesamtschau zu ermöglichen, „aber nicht kleinlich lenkend in die konkreten charismatischen Lebensorte einzugreifen“. Gegenüber der „Tagespost“ meint der österreichische Diakon: „Der Kontrollgeist, die Hermeneutik des Verdachts und vorauseilender Gehorsam haben in manchem vergangenen Jahrzehnt der Charismatischen Erneuerung gerade jene Dynamik genommen, die der Geist Gottes der Kirche wieder neu zugänglich machen will.“

In den vergangenen Jahrzehnten hätten sich Strukturen verfestigt, manche nationale Serviceeinrichtung habe sich zum autoritären Leitungsinstrument entwickelt. Gleichzeitig seien charismatische Orden und Laiengemeinschaften, Gebetszentren und Evangelisierungsinitiativen entstanden, die nicht mehr in die Strukturen eingebunden waren. Was „in der Zwischenzeit an charismatischer Vielfalt, manchmal auch an Wildwuchs entstanden ist“, solle nun „mittels der ,Charis‘-Struktur noch deutlicher in das größere Ganze hereingenommen werden“, meint Fichtenbauer.

Die Koordination auf kontinentaler Ebene und im internationalen Bereich solle „das große, weltweite Bild zeichnen, den regionalen Ausprägungen den Blick über den Tellerrand ermöglichen“. Die Hauptarbeit bestehe also in geistlicher Zusammenschau und visionärem Ausblick. „Ermahnung und Korrektur bei falschen Entwicklungen wird es immer wieder geben müssen, aber als geschwisterliches Wort und Angebot und nicht als autoritäre Keule, die ohnedies bei den Ermahnten nur sektiererische Abwehr erzeugt“, so Fichtenbauer. Durch die Vertretung nahezu aller charismatischen Ausprägungsformen habe der Rat, das wesentliche internationale Gremium, einen guten Überblick über die verschiedenen Berufungen und Schwerpunktsetzungen und könne beurteilen, was innovative und heilsame Entwicklung ist, und wo Gefahr besteht.

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