Neujahrsempfang 2019 – Ansprache von Bischof Markus Büchel
(es gilt das gesprochene Wort)
Sehr geehrte Damen und Herren –
Vorallererst entbiete ich Ihnen allen meine herzlichen Glück- und Segenswünsche zum Neuen Jahr. Mögen Gesundheit, Glück und Gelingen Ihrer Unternehmen Sie begleiten und Ihnen Motivation sein für die gemeinsame Verantwortung, die wir in verschiedenen Positionen und Bereichen der Gesellschaft tragen. Was das Jahr 2019 bringen mag, wissen wir noch nicht – aber eines wissen wir: Wir brauchen einander! Dies möge uns allen mit dem traditionellen Jahresstart hier in den alten Klostergebäuden tief ins Herz geschrieben sein….
An diesem geistigen und geistlichen Ort pflegen wir eine «Kultur der Erinnerung». Heute fast magische Worte und zum Teil auch Worthülsen wie «Wurzeln» und «Werte» beginnen hier zu sprechen. Eine Kultur der Erinnerung will Impulse geben für die Gestaltung der Gegenwart. Sie macht dankbar für das Gelungene und lädt ein, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Sie eröffnet den Weg in die Zukunft, wenn wir bereit sind, ehrlich und sachlich die Realität zu sehen und blinde Flecken zu benennen.
Ein solches Erinnerungsspiel haben wir Kirchen im vergangenen Jahr mit dem Reformationsgedenken geübt – und ich darf sagen, bei uns war es eine gelungene Übung. Nicht nur, weil das Reformationsbier in allen Regionen guten Anklang fand, sondern vor allem, weil uns neu bewusst wurde, dass wir als christliche Kirchen nur noch gemeinsam eine Stimme in die Gesellschaft haben, die auch gehört und ernstgenommen wird. Dies fand in unseren Gemeinden und auch in Bistum und Kanton vielfältigen Ausdruck, was wiederum wie eine innerkirchliche Frischzellenkur wirkte. Kirche und Religion wurde auf verschiedenen Ebenen ein öffentliches Thema und brachte Themen aus einem Nischendasein wieder ins Zentrum, die für die Gestaltung des Zusammenlebens verschiedener Menschen, verschiedener Kulturen und Religionen von großer Bedeutung sind. Ich denke z.B. an die Achtung jedes Menschen, an den respektvollen Umgang miteinander, an echt verstandene Toleranz, an die Verankerung eines neuen Umwelt und Schöpfungsbewusstsein und an eine Dialogfähigkeit, in der Partner aufeinander hören und im Kontakt mit anderen zum eigenen Profil finden. Ich finde es großartig, wenn Menschen verschiedenster Kulturen und Religionen zu gemeinsamem Engagement sich zusammentun in Herausforderungen, die alle betreffen. Als Beispiel dafür war es ein großes Zeichen im letzten Jahr, dass der Rat der Religionen in der Schweiz eine gemeinsame Botschaft zu Fragen der Migration und Flüchtlingsnot veröffentlichte. Wir alle sind gefordert, diese Anliegen in unseren je verschiedenen Verantwortungsbereichen uns zu eigen zu machen. In der zum Teil rauen Kultur eines zunehmenden Populismus keimen Antisemitismus und lslamophobie immer neu auf. Ich bin dankbar, dass unsere IDA-Woche im Kanton gut verwurzelt ist und im Respekt und Dialog unter allen Religionen einen wichtigen Beitrag leistet. Eine solche Kultur des Miteinanders in unserem Staat und in den Kantonen wünsche ich mir ganz besonders auch für die Politik im kommenden Wahljahr. Da spielen oft nicht Sachgeschäfte die erste Rolle, sondern vielmehr gegenseitige Profilierung – und dies oft auf Kosten gerade jener Schwächsten, die unsere Aufmerksamkeit am dringendsten nötig hätten – Flüchtlinge, Heimatlose, Arme, Menschen die keine Stimme und keine Lobby haben. Kirchen und Religionen können sich nicht davon dispensieren, gerade in diesen Fragen eine kritische Stimme zu erheben – auch mit der Gefahr, sich der kirchlich ungehörigen politischen Einmischung schuldig zu machen. Ich wünsche, dass wir zu einer guten Streitkultur finden, die auf Verständigung und gute Antworten aus ist und die sich nicht in gehässigen Scheindebatten genügt. Wäre ein Schlüssel und ein Weg dazu nicht im Wort, das unser Kanzler Claudius Luterbacher in die Einladungskarte geschrieben hat?… Im Wort, das Papst Franziskus zu Beginn der Jugendsynode im Oktober an die Jugendlichen gerichtet hat:
«Die Antworten müssen von allen kommen, aus unserer gemeinsamen Reflexion, aus unserer Diskussion, und vor allem müssen es Antworten sein, die ohne Angst gegeben werden.»
Geschätzte Damen und Herren, jetzt könnt ihr mir vorwerfen: Verwirklicht dies zuerst in Euren eigenen Reihen, bevor ihr uns Ratschläge erteilt…. Sie haben recht, auch die katholische Kirche mit ihrer 2000jährigen Tradition ist immer neu gefordert, an der Verwirklichung eines solchen Wortes zu arbeiten. Traditionen geben Sicherheit, Loslassen und sich neu orientieren ist oft mit Angst und scheinbarem Verlust – oder gar mit Verrat verbunden. Dazu kommt eine große Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen in den verschiedenen Regionen und Kulturen. Papst Franziskus arbeitet hart an diesem Prozess – aber auch mit der Erfahrung von wachsendem Widerstand. Wer Veränderung nur als Verlust empfindet, tut sich schwer mit der heutigen Situation der Kirche in Welt und Gesellschaft.
Pastoralsoziologische Botschaften wie aus unserem Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut (SPI) sagen es uns seit Jahrzehnten mit einer Deutlichkeit: Wenn wir fragen, lebt oder stirbt die Kirche, dann helfen keine frommen Erwägungen. Es hilft nur die ehrliche Bestandsaufnahme. Ich danke dem SPI, dass ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen uns immer wieder in aller Deutlichkeit sagen: Der Entfremdungsvorgang zwischen kirchlichem Christentum und allgemeiner Lebenswelt ist rasant.
Es stirbt die zivilreligiöse Gestalt des kirchlichen Christentums – die Kirche verliert immer mehr Privilegien in Staat und Gesellschaft. Es stirbt das eurozentrische Christentum, es stirbt das konfessionalistische Christentum und wenn ich Schlagworte wie Hierarchisches Kirchenbild, Klerikalismus, kirchenmännerzentriertes Christentum noch erwähne, dann hören wir schnell, welchen Herausforderungen wir uns in unserer gesellschaftlichen Realität zu stellen haben.
Darauf nicht nur mit Verlustangst und Abwehr zu reagieren, bedarf eines großen Vertrauens in die Pfingstkraft, die über allem wirkt und aus Sterben Neues werden lässt. Gotthard Fuchs, ein deutscher Theologe, nennt dies «Vom Zauber des neuen Anfangs». Er hilft sich zur Deutung mit einem alten Kirchenbild – mit dem Bild vom Sterben und Auferstehen der Kirche im Rhythmus der Mondphasen. Wie der Mond in der Natur dazu da sei, das Licht der Sonne aufzunehmen und in die Nacht auszustrahlen, damit auch in der Nacht Orientierung möglich sei, so sei die Kirche in der Menschheit dazu da, das starke Licht des Evangeliums, die Botschaft von Gottes Liebe zu allen Menschen – aufzunehmen und in die Nacht der Menschheit hineinzustrahlen.
Ja – sind wir also in einer Leermondphase? Ich meine nicht – die Mondphasen überschneiden sich: Wir sind am Abnehmen und am Wachsen. Viele Projekte und Erfahrungen heutiger Entwicklungen machen uns Freude, sind auf Zukunft und Neuwerden ausgerichtet und schenken Hoffnung. Ich bin aber froh für dieses archetypische Symbol der «lunearen Kirche». Sie kann uns helfen, die gegenwärtige Stunde unerbittlich klar, aber im lichte des Osterglaubens zu sehen.
Denselben Impuls gewinnen wir auch, wenn wir im 2019 auf die Jahrhunderte seit der Ankunft des Heiligen Otmar zurückschauen. Im Auf und Ab der Geschichte erkennen wir, dass aus Sterben und auch aus Verirrungen immer wieder Neues geworden ist, dass die Leuchtkraft der Kirche und des Glaubens aber dort abnahm, wo sie sich der Sonne, dem Licht des Osterglaubens, abwandte. Ich freue mich, wenn das Neue Jahr uns auf diesem Weg mit vielen guten Erfahrungen bestärkt.
Lassen Sie mich schließen mit einer kurzen geschichtlichen Reminiszenz:
Als 1564 die Abtsbenediktion von Otmar Kunz anstand, hat das Kloster diese auf den 16. Oktober, den Gallustag, angesetzt. Dies aber wahrscheinlich kaum nur aus geistlichen Gründen – denn der 16. Oktober war in der reformierten Stadt großer Markttag. So ließen sie gegenseitig die Muskeln spielen – die Stadt sagte kurzerhand den Markt ab und verschloss am Vorabend alle Stadttore, ohne sie am Feiertag wieder zu öffnen – damit war auch der Zugang zur Weihefeierlichkeit gesperrt…. Dies wiederum förderte das Projekt einer Schiedmauer und den Bau eines eigenen Tors als Zugang zum Kloster – die Geburtsstunde des Karlstors. Darauf sind wir heute stolz – die Mauer ist gefallen und beide Seiten sind zu einem vernünftigen Nebeneinander gekommen. Dies aber nicht erst nach der Aufhebung des Klosters. Aus der Zeit des Abtes Coelestin Gugger von Staudach, 200 Jahre später, ist verbürgt, dass die Stadt den Abt und auch den Bischof von Konstanz zu einem gemeinsamen Festmahl eingeladen hat – à la française, mit den feinsten und erlesensten Speisen. Da kann ich heute mit meiner Einladung nicht mithalten – aber eines ist heute wie damals klar: Gutes Miteinander gelingt nur durch offene Begegnungen – immer wieder unter dem Motto: «Wir brauchen einander».
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