Quantcast
Viewing all articles
Browse latest Browse all 6641

Bischof Antonio de Castro Mayer: “AGGIORNAMENTO” UND TRADITION

Hirtenbrief von Ostern 1971 von S. Exz. Antonio de Castro Mayer, Bischof von Campos/Brasilien

(Von mir, Paul O. Schenker, aus dem Portugiesischen übersetzt aus “Catholicismo”, Nr. 246, Juni 1971 [siehe "DAS ZEICHEN MARIENS", 5. Jg. Nr. 5, September 1971, Seiten 1337-1341/1343])

D. Antonio de Castro Mayer, durch die Barmherzigkeit Gottes und die Gnade des Heiligen Stuhles Bischof von Campos (Brasilien), an den hochwürdigsten Welt- und Ordensklerus, an die Ordensfrauen des Ehrwürdigen Dritten Ordens Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel, an die frommen Gebets-Bruder­schaften und Apostolatsvereinigungen, und an die Gläubigen der Diözese von Campos im allgemeinen, Heil, Friede und Segen in Unserem Herrn Jesus Christus.

Eifrige Mitarbeiter und geliebte Söhne,

Am 21. November des vergangenen Jahres, in dem an Unsere vielgeliebten Priester gerichteten Rundschreiben, versuchten Wir, einmal mehr, in ihnen und in den Gläubigen die Wachsamkeit den Gefahren gegenüber zu beleben, welche durch ein falsches „Aggiornamento” die Unversehrtheit des Glaubens und die Reinheit der christlichen Sitten bedrohen. Bereits in vorausgehenden Dokumenten befassten Wir Uns mit den Versuchungen, welchen euer Glaube, geliebte Söhne, ausgesetzt ist, und wir rufen euch dringend auf zur Wachsamkeit und zum Gebet. Im Rundschreiben vom 21. November bezogen Wir Uns insbesondere auf die Ehrfurcht, die den Heiligen Sakramenten gebührt, mit welcher wir öffentlich Zeugnis ablegen für unseren Glauben an die Geheimnisse, die wir anbeten. Wir hoben damals  die Wichtigkeit der Warnung hervor, in Anbetracht dessen, daß der Glaube zum Heil unbedingt erforderlich ist, da es ohne ihn unmöglich ist, Gott zu gefallen —„sine fide impossibile est placere Deo” (Heb. 11,6).

Am 8. Dezember des selben verflossenen Jahres, anlässlich des 5. Jahrestages des Abschlußes des II. Vatikanischen Konzils, legte der Heilige Vater, Paul VI., in denkwürdiger Exhortation den katholischen Bischöfen der ganzen Welt die Pflicht ans Herz, über die Rechtgläubigkeit in der Unterweisung der katholischen Lehre zu wachen.

Da seht ihr, geliebte Söhne, daß Unsere Sorgen nicht unbegründet waren. Die Übel, die wir in Unserer Diözese befürchteten, bedrohen in der Tat die Gläubigen der ganzen Welt. Sonst hätte das päpstliche Mahnschreiben, das an sämtliche katholischen Bischöfe des Erdenrunds gerichtet ist, keinen Sinn.

I.

DIE DEM BISCHOF OBLIEGENDE PFLICHT:
ÜBER DIE RECHTGLÄUBIGKEIT ZU WACHEN

In Anbetracht der kapitalen Wichtigkeit der Sache — die Reinheit des Glaubens — und die Aufgabe, die Uns obliegt, die Schafe Christi, die uns anvertraut wurden, gut zu weiden, halten Wir es für unsere Pflicht, auf die Sache zurückzukommen und unserer Herde die Befürchtungen und Ermahnungen des Papstes kundzutun. Dazu fordert uns der Oberste Hirte selbst auf, da er daran erinnert, daß es allen jenen, die „durch die Auflegung der Hände die Verantwortung erhielten, das Glaubensvermächtnis rein und unverletzt zu bewahren und die Sendung, das Evangelium ohne Unterlaß zu verkünden” (AAS, 63, p. 99), obliegt, Zeugnis abzulegen von ihrer Treue zum Herrn, im Gebet, im Unterricht, in der Lebensweise.

Anderseits entspricht dem unabdingbaren Recht, das der Gläubige besitzt, die heilige Unterweisung zu erhalten, auf seiten der Bischöfe „die ernste und dringliche Pflicht, das Wort Gottes unermüdlich zu predigen, damit das Volk (Gottes) im Glauben und in der Erkenntnis der christlichen Botschaft wachse” (p. 100).

TIEFGREIFENDE GLAUBENSKRISE
IM SCHOSSE DER KIRCHE

Diese Aufgabe des Bischofsstandes ist heute gebieterischer, weil sich im Schoße der Kirche eine alles umfassende und beispiellose Krise ausbreitet, wie es die vorliegende Apostolische Exhortation bestätigt, eine Krise der Selbstzerstörung, wie sie der Papst nennt, weil sie, durchgeführt von Gliedern der Kirche, zutiefst das Bewußtsein der Gläubigen erschüttert, da sie sie verwirrt in dem, was sie für das Wesentlichste der Religion betrachten.

In der Tat bestätigt Paul VI. im Dokument, das wir hier vorstellen, daß heute „sich viele Gläubige verwirrt fühlen in ihrem Glauben, aufgrund einer Zunahme von Zweideutigkeiten, Ungewißheiten und von Zweifeln, welche diesen Glauben selbst in dem angreifen, was er an Wesentlichstem enthält. Es sind solcherart betroffen die Dogmen von der Dreifaltigkeit und der Christologie, des Mysteriums der Eucharistie und der wirklichen Gegenwart, des Wertes des Gebetes und der Sakramente, der sittlichen Gebote, die beispielsweise aus der Unauflöslichkeit der Ehe hervorgehen oder aus der Ehrfurcht vor dem Leben. Mehr noch: sogar die göttliche Autorität der Heiligen Schrift wird in Frage gestellt im Namen einer radikalen ‹Entmythologi­sierung›” (p. 99).

Wie ihr seht, geliebte Söhne, könnte die Krise in der Kirche nicht schwerwiegender sein. Wenn wir die Worte des Papstes lesen, fragen wir uns: was bleibt unversehrt am Christentum? Denn, wenn wir keine Gewißheit haben können über das Dogma der Dreifaltigkeit, das fundamentale Geheimnis der christlichen Offenbarung, wenn Zweideutigkeiten über der anbetungswürdigen Person des Gott-Menschen Jesus Christus schweben, wenn wir innerlich schwanken vor der Heiligsten Eucharistie, wenn wir die Kirche nicht als Heilsanstalt verstehen, wenn man nicht weiß, was der Priester den Gläubigen voraushat, dann gibt es auch keine Gewißheit in sittlichen Verpflichtungen; wenn das Gebet keinen Wert hat, noch die Heilige Schrift, was bleibt vom Christentum, von der christlichen Offenbarung? Wir verstehen deshalb, daß der Papst sich angetrieben fühlt, den Eifer der Bischöfe zu wecken, der Hüter des Glaubens, die geweiht wurden, damit sie authentische Hirten seien, welche die Schafe des Göttlichen Seelenhirten mit Liebe, Wachsamkeit und Strenge weiden.

BEMÜHUNGEN ZUM AUFBAU
EINER NEUEN PSYCHOLOGISCHEN
UND SOZIOLOGISCHEN KIRCHE

Umsomehr, als die Exhortation des Heiligen Vaters durchbli­cken läßt, daß eine wahrhaftige Verschwörung existiert, die Kirche zu zerstören. Es ist dies das, was man aus dem Abschnitt herausliest, der dem obenzitierten nachfolgt, in welchem der Oberste Hirte bemerkt, daß zum Zweifel, zu den Zweideutigkei­ten und Ungewißheiten in der positiven Darlegung des Dogmas hinzukommen: das Schweigen „über gewiße fundamentale Mysterien des Christentums” und die „Tendenz, ein neues Christentum aufzubauen auf der Grundlage psychologischer und soziologischer Gegebenheiten” in welchen „das christliche Leben entblößt wäre von religiösen Elementen” (p. 99).

Es herrscht daher unter den Gläubigen eine Bewegung der doppelten Aktion, die zur Bildung einer neuen Kirche zusam­menläuft, die nur eine falsche Religion sein kann: einerseits schafft man Ungewißheiten über die geoffenbarten Mysterien, anderseits baut man ein christliches Leben auf nach dem Geschmack des Zeitgeistes.

II.

ANLASS UND URSACHEN
DER GEGENWÄRTIGEN RELIGIÖSEN KRISE

Wie war es möglich, zu diesem Tatbestand zu gelangen?

Paul VI. macht diesbezüglich zwei Überlegungen:

Die erstere zur besonderen Zwecksetzung für das II. Vatikani­sche Konzil durch Papst Johannes XXIII., wie sie aus der Ansprache deutlich hervorgeht, die er bei der Eröffnung der ersten Sitzung an die große Synode gehalten hat:

„Es drängt sich — entsprechend der lebendigen Sehnsucht jener, die sich in einer Haltung aufrichtiger Anhänglichkeit an alles das, was christlich, katholisch und apostolisch ist, befinden, ­eine vollständigere und tiefere Erfassung dieser (christlichen) Lehre auf, sowie die Durchdringung und Umformung der Seelen durch sie. Es ist erforderlich, daß diese Lehre, die gewiß ist und unveränderlich, und die treu hochgeachtet werden muß, vertieft und dargelegt werde in einer Weise, die den Erfordernissen unserer Epoche gerecht wird”. Und indem er seine Gedanken noch genauer erklärt, führt der Roncalli-Papst weiter aus: „Eine Sache, tatsächlich, ist die Glaubenshinterlage in sich, d.h. das Gesamt der Wahrheiten, die in unserer verehrenswerten Lehre enthalten sind, eine andere Sache (aber) ist die Art und Weise, in der diese Wahrheiten erörtert werden, immer jedoch im gleichen Sinn und mit demselben Inhalt” (p. 101).

Das Konzil, und im Gefolge davon das kirchliche Lehramt unter Mitwirkung der Theologen, müßte zwei Dinge zu verbinden suchen: die geoffenbarte Lehre ohne Fehl und Abstrich weiterzugeben, und sich zu bemühen, sie in solcher Weise darzulegen, daß sie zur Gänze und in vollkommener Reinheit von den Menschen unserer Zeit empfangen werden kann. Darunter sind gemeint die Menschen guten Willens, „jene, die sich in einer Haltung aufrichtiger Anhänglichkeit an all das befinden, was christlich, katholisch und apostolisch ist”, wie Johannes XXIII. sagt. Also von den Menschen, die wahrhaft den Wunsch haben, zur Wahrheit zu gelangen; denn auf diejenigen, die die Grundsätze dieser Welt vorziehen und damit das Kreuz Christi verwerfen, beziehen sich die Worte des hl. Paulus: es ist unmöglich eine Verbindung von Licht und Finsternis, von Gerechtigkeit und Bosheit, von Christus und Belial (cf. 2 Cor. 6,14s.).

Darin also besteht das „Aggiornamento” des Papstes Roncalli — in seiner besten Auslegung: eine Anpassung in der Art und Weise der Darlegung der katholischen Lehre, so daß sie den modernen Menschen guten Willens anzuziehen vermag.

Ein solches Unterfangen, stellt Paul VI. fest, und dies ist seine zweite Bemerkung, ist kein leichtes. Er sagt: „Das bischöfliche Lehramt war verhältnismässig einfach in einer Epoche, in der die Kirche in engstem Zusammenleben mit der Gesellschaft ihrer Zeit ihre Kultur inspirierte und ihre Ausdrucksweisen übernahm; heute, hingegen, werden von uns ernsthafte Anstrengungen verlangt, damit die Glaubenslehre die Fülle ihres Sinnes und ihres Gehaltes bewahre und sie sich dennoch ausdrückt in einer Form, die fähig ist, den Geist und das Herz der Menschen zu erreichen, an die sie sich richtet” (pp. 101-102).

MERKMAL DER NEUEN KIRCHE: MENSCHENRELIGION

Entweder durch die Schwierigkeit des Unternehmens oder durch ein Zugeständnis an den Zeitgeist ist es zur Tatsache geworden, daß in der Ausführung des vom Konzil vorgezeichne­ten Planes in weiten kirchlichen Kreisen die Anpassungsmaß­nahmen über die bloße der zeitgenössischen Mentalität entspre­chendere Ausdrucksweise hinausgingen. Sie erfassten die Sub­stanz selbst der Offenbarung. Man sorgt sich nicht um eine Darlegung der geoffenbarten Wahrheit in Begriffen, in denen die Menschen sie leicht verstehen; man versucht (vielmehr), mittels einer zweideutigen und gesuchten Sprache, eigentlicher eine neue Kirche vorzuschlagen, dem Geschmacke des Menschen gemäß, der gebildet ist nach den Grundsätzen der Welt von heute. Damit verbreitet man, mehr oder weniger überall, die Idee, daß die Kirche eine radikale Wandlung in ihrer Moral, ihrer Liturgie und sogar in ihrer Lehre durchführen müße. In den Schriften wie in der Vorgehensweise, wie sie in katholischen Kreisen nach dem Konzil aufkamen, schärft man die These ein, daß die traditionelle Kirche, wie sie vor dem II. Vatikanum bestanden hat, schon (längst) nicht mehr auf der Höhe der modernen Zeiten sei. So sehr, daß sie sich vollständig umbilden müsse.

Und ein flüchtiger Blick über das, was in katholischen Kreisen vor sich geht, führt zu der Überzeugung, daß in Wirklichkeit nach dem Konzil eine neue Kirche existiert, die sich wesentlich von jener vor der großen Synode bekannten, als der einzigen Kirche Christi, unterscheidet. In der Tat exaltiert man als absolutes, unberührbares Prinzip die Menschenwürde, deren Rechten man die Wahrheit und das Gute unterwirft. Eine solche Auffassung bringt die Eröffnung der Religion des Menschen. Sie läßt die christliche Strenge und die ewige Seligkeit des Himmels vergessen. In den Sitten läßt das nämliche Prinzip die christliche Aszese außer Acht und übt alle Nachsicht mit dem Verlangen nach Vergnügen, selbst dem sinnlichen, wenn einmal eingeräumt wird, daß der Mensch auf Erden seine volle Entfaltung erreichen soll. Im ehelichen und familiären Leben preist die Religion des Menschen die Liebe und stellt das Vergnügen über die Pflicht und legitimiert zu diesem Zwecke die empfängnisverhütenden Methoden, indem sie den Widerstand gegen die Ehescheidung vermindert und der Homosexualität und der Koedukation (geschlechtlich gemischte Erziehung) wohlwollend ist, ohne die Folgen der moralischen Unordnung, die ihr infolge der Erbschuld eigen sind, zu fürchten. Im öffentlichen Leben anerkennt die Menschenreligion keine Hierarchie; sie kämpft für die Egalität (Gleichheit — Gleichschaltung), die der marxisti­schen Ideologie eigen ist und im Gegensatz steht zur Natur- und Offenbarungslehre, welche die Existenz einer sozialen Ordnung bestätigt, wie sie die Natur selber fordert. Im religiösen Leben empfiehlt dasselbe Prinzip einen Ökumenismus, welcher, zum Vorteil des Menschen, sämtliche Religionen aussöhnt und zu einer Gesellschaftskirche der sozialen Hilfe rät und das Sakrale unverständlich macht, welches nur begreifbar ist in einer hierarchischen Gesellschaft. Daher die übermässige Beschäfti­gung mit der Frage des sozialen Fortschritts, als ob die Kirche ein bloßer und größerer Organismus des Sozialdienstes wäre. Daher gleichfalls die Verweltlichung des Klerus, dessen Zölibat man als etwas Absurdes betrachtet, wie auch den Inhalt des einzelnen priesterlichen Lebens, das aufs engste gebunden ist an das Merkmal einer ausschließlich zum Dienste des Altares geweihten Person. In der Liturgie erniedrigt man den Priester zum bloßen Volksvertreter, und die Veränderungen sind so zahlreich und derart, daß sie (die Liturgie) in den Augen der Gläubigen aufhört, das Bild der Braut des Lammes angemessen darzustellen, der einen, heiligen, unbefleckten. Es ist klar, daß die sittliche Zügellosigkeit und die liturgische Auflösung nicht mit der Unveränderlichkeit des Dogmas koexistieren können. Überdies weisen jene Umwandlungen bereits Veränderungen auf im Begriffe der geoffenbarten Wahrheiten. Eine Lektüre der neuen Theologen, die als Sprecher des Konzils gelten, macht klar, wie in der Tat in gewißen katholischen Kreisen die Worte, mit welchen man die Glaubensgeheimnisse erwähnt, Begriffe enthalten, die gänzlich verschieden sind von jenen der traditio­nellen Theologie.

WICHTIGKEIT DER SCHOLASTISCHEN PHILOSOPHIE

Das Mahnschreiben Pauls VI. spricht von der Schwierigkeit, die Erneuerung der (sprachlichen) Einkleidung zu erreichen, in welcher die göttlichen Geheimnisse den Menschen von heute übermittelt werden. Und er gesteht ein, daß es die neuen Ausdrücke für die Glaubenswahrheiten waren, die Angst der Ungewißheiten, Zweideutigkeiten und Zweifel herbeiführten. Wie es auch die neuen Begriffe waren, die den Begründern einer neuen Kirche die Verbreitung einer neuen und fremden Auffassung der christlichen Religion ermöglichten.

Vom heiligen Papst Pius X. stammt die Aussage, daß das Verlassen der Scholastik, insbesondere des Thomismus, eine der Ursachen war der Apostasie der Modernisten (Enzyilika „Pascendi”). Nach dem II. Vatikanischen Konzil fallen viele Katholiken in den gleichen Irrtum, in den gleichen Unwillen gegenüber der Philosophie, die Leo XIII. die „einzige Festung und Ehre der Kirche” genannt hat (Enzyklika „Aeterni Patris”). In der Tat ist es einer der Sophismen der Theologen des neuen Christentums, die traditionelle Formulierung der Dogmen des Aristotelismus zu zeihen, während doch die Kirche keinerlei philosophischem System verpflichtet sein darf. Sie fügen hinzu, daß solcherlei Formulierungen nützlich und gültig gewesen sein mögen zu ihrer Zeit, d.h. innerhalb der kulturellen Gegebenhei­ten des Mittelalters. Heute, hingegen, in gänzlich andersgearteter Kultur, hätten sie keinen Wert mehr. Sie seien vielmehr schädlich. Sie blockierten den Fortschritt der Gläubigen, und sie seien verantwortlich für die Entchristlichung der jetzigen Welt. Die Kirche, wenn sie wiedererstehen wolle, wenn sie ihre Unvergänglichkeit bewahren wolle, müße die alten Formulie­rungen aufgeben und andere annehmen, die mit der Philosophie von heute, mit dem Denken und der Mentalität unserer Zeit übereinstimmten. Nur so werde sie das Ideal verwirklichen, welches von Johannes XXIII. und vom II. Vatikanischen Konzil vorgenommen wurde. Und, um in ihrer Rolle als Theologen nicht für nachlässig zu gelten, schreiten sie zur Anwendung des von ihnen selbst aufgestellten Prinzips, und es werden den geoffenbarten Wahrheiten neue Formulierungen gegeben, im Rahmen der Begriffswelt der zeitgenössischen Philosophie.

Das Geschwätz ist nicht neu. Im Altertum taten die Gnostiker nichts anderes, die die Offenbarung entstellten, um sie in das Gefüge der neuplatonischen Philosophie einzuschlie­ßen; im verflossenen Jahrhundert war es der Hegelianismus, der gewiße katholische Theologen irreführte. Jene der neuen Kirche wollen dem Marxismus, dem Existentialismus und den übrigen anthropozentrischen Philosophien dienen, die in der herrschen­den intellektuellen Angst — einer Charakteristik unserer Epoche — nur so emporschiessen.

DIE STÄRKE DES THOMISMUS

Der Irrtum, geliebte Söhne, der Falschmünzer des neuen Christentums liegt in der Vergessenheit, der sie eine Wahrheit des gesunden Menschenverstandes anheimfallen lassen, ohne welche die Erkenntnis unmöglich ist, unmöglich auch die Wissenschaft und sogar selbst das menschliche Leben. Diese Wahrheit des gesunden Menschenverstandes befindet sich an der Basis einer jeden Philosophie, die nicht bloße willkürliche Konstruktion des Geistes ist. Sie besteht in der Überzeugung, daß die Erkenntnis bestimmt wird durch das äußer(lich)e Objekt. Sie ist eine wahre (Erkenntnis), wenn man die Sache so faßt, wie sie ist; sie ist eine falsche, wenn sie mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Die philosophischen Systeme können variieren. Sie werden mehr oder weniger wahr sein in dem Maße, als ihre Schlüße das Prinzip des gesunden Menschen­verstandes, welches oben erwähnt wurde, berücksichtigen. In der Befolgung dieses Prinzips findet der Thomismus seine Stärke. Leo XIII. hebt dies hervor, wenn er sagt, daß der Thomismus eine Philosophie ist, die „solide feststeht auf den Prinzipien der Dinge” (Enzyklika „Aeterni Patris”). Oder auch: es ist kein willkürliches System, keine Frucht der Einbildung oder subjektive Schöpfung des Philosophen. Ganz im Gegenteil: die thomistische Philosophie beugt sich unter die Wirklichkeit, um sie zu erfassen, wie sie ist.

Wenn sie ihre Dogmen ausspricht und sich (dabei) der Ausdrucksweise bedient, die in der Scholastik üblich ist, so tut dies die Kirche nicht, weil solcherlei Ausdrucksformen diejeni­gen eines bestimmten philosophischen Systems wären, sondern vielmehr, weil sie der Philosophie aller Zeiten angehören.

RELIGIÖSER RELATIVISMUS UND MODERNISMUS DER THEOLOGEN DER NEUEN KIRCHE

Es gehen die Theologen der neuen Kirche bereits nicht mehr auf diese (gleiche) Weise vor. Sie berücksichtigen die Wirklichkeit nicht, deren Ausdruck sich wohl ändern kann, sobald man sie (nur) darstellt, wie sie ist. Ihr Wunsch ist es, der modernen Mentalität entgegenzukommen. Für sie besteht die Aktualisie­rung der Kirche darin, ihre Lehre dieser Mentalität anzuglei­chen. Und da der moderne Mensch sein Denken in einem kulturellen Klima bildet, das gänzlich hingewandt ist auf den (An-)Schein, die Phänomene, und überdies im Widerstreit zur Metaphysik, braucht die Kirche, um nicht unterzugehen, sagen die neuen Theologen, eine Anpassung ihrer Lehre an eben diese Art des Denkens. Es läßt sich nicht sehen, wie eine solche Verhaltensweise dem modernistischen Irrtum entgehen kann, gemäß welchem das Dogma von einem Sinn zu einem anderen sich entwickeln könne, in Übereinstimmung mit den kulturellen Erfordernissen der Epoche, in welcher sie erörtert werden.

UNVERÄNDERLICHKEIT UND ENTWICKLUNGSFÄHIGKEIT DER GEOFFENBARTEN WAHRHEIT

Wir erinnern daran, daß sich die geoffenbarte Wahrheit der Welt mittels menschlicher Sprache mitteilt. Eine solche Sprache, wenn auch unzulänglich, ist nicht bloßer Symbolismus; sie muß objektiv aussagen, was das Geheimnis Gottes ist, auch wenn sie es nicht in seinem vollen Reichtum aufzeigt. Das ist der Grund, weshalb die dogmatischen Formulierungen sich nicht mit neuer Sinngebung entwickeln können. Der Glaube, einmal übermittelt, sagt der hl. Judas Thaddäus, ist dies „ein für allemal” (vers. 3). Er ist unabänderlich und unveränderlich. Er duldet keine Hinzufügung, Verkürzung oder Veränderung. Er kann sich klären, er läßt sich (aber) nicht umgestalten. Er ist wie ein lebendiges Wesen, das wächst und vollkommener wird, jedoch bei stets gleichbleibender Natur, die es (gerade) ausmacht, daß ein Individuum immer das gleiche bleibt.

WICHTIGKEIT DER TRADITIONELLEN DOGMATISCHEN FORMULIERUNGEN

Deswegen ist es von höchster Wichtigkeit, die Formulierungen aufrechtzuerhalten, welche die Kirche konstituiert hat und mit dem Beistand des Heiligen Geistes von der Tradition und von den Konzilien festgelegt wurden, damit sie mit Genauigkeit den geoffenbarten Begriff ausdrücken. Eine solche dogmatische Sprache kann zufällige Veränderungen erfahren; sie kann jedoch nicht als Ganzes modifiziert werden.

Nun aber ist das, was wir unter dem Zeichen des „Aggiorna­mentos” seit dem Konzil in verschiedenen katholischen Kreisen erleben, die Geringschätzung sowohl der Gebräuche wie der überkommenen Formulierungen. Wir geben das eine oder andere Beispiel.

Das Konzil von Nizäa, nach Jahren des Kampfes gegen die Arianer, hielt mit dem Wort CONSUBSTANTIAL den Begriff fest der Einheit der Wesenheit der Drei Göttlichen Personen. Heute wird dieser Begriff in gewißen katholischen Kreisen bewußt aufgegeben. Daher die Ungewißheit, die Zweifel, die vom Papst beklagt werden, über die Dogmen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit und des Göttlichen Erlösers. Das Konzil von Trient heiligte gegen den protestantischen Symbolismus die Vokabel TRANSSUBSTANTIATION, um die vollständige Ver­wandlung der Substanz des Brotes und der Substanz des Weines in den Leib und das Blut Jesu Christi anzuzeigen. Dieses Wort vermittelt uns die Idee dessen, was im Moment der Wandlung der Heiligen Messe objektiv auf dem Altar geschieht, und versichert uns der wirklichen und wesentlichen Gegenwart von Jesus Christus im Heiligsten Sakrament, auch nach Vollendung des Heiligen Opfers. Als aristotelischer Begriff, der mit den gegenwärtigen philosophischen Strömungen nicht übereinstim­men soll, wird das Wort Transsubstantiation von den Theologen der neuen Kirche verworfen. Sie ersetzen es durch ein anderes — „Transsignifikation” oder „Transfinalisation” — und geben damit der Aussage des Papstes recht, daß man „das Geheimnis der Heiligsten Eucharistie und der Realpräsenz” in Zweifel ziehe (p. 99). Auf praktischer Ebene entfernt man (dann) die Zeichen der Anbetung, der Ehrfurcht gegenüber dem Heiligsten Sakra­ment, so wie die knieende Kommunion mit Schleier, den Eucharistischen Segen, den Besuch des Allerheiligsten, usf.

SUBVERSION DER LEHRE

Wenn sich das Wort wandelt, und nicht synonym ist, verändert sich natürlicherweise auch das Verständnis. Die neuen Begriffe der „aggiornierten” Theologen sind genau auf diese Weise verändert, und die Konsequenz davon ist die Erschütterung des Glaubens selbst. Da haben wir’s, daß die neue Terminologie tatsächlich eine neue Religion einführt. Wir befinden uns nicht mehr im authentischen Christentum. Überdies bleiben die Neuerungen kaum nur Worte. Sie gehen weiter. In Wirklichkeit beschwören sie eine totale Subversion in der Kirche herauf. Wie die moderne Philosophie den Menschen überschätzt, den sie zum Richter über alle Dinge macht, errichtet die neue Kirche, wie wir sagten, die Menschenreligion. Sie beseitigt alles, was Eintrag tun könnte der Freiheit oder eine Repression wäre für die menschliche Spontaneität. Sie verkennt solcherweise den Ur-Sündenfall und löscht den Begriff der Sünde (überhaupt) aus. Sie begreift nicht „den Sinn der evangelischen Entsagung” (p. 105), und kämpft für eine natürliche Basis-Religion der „psychologischen und soziologischen” Erfahrungen (p. 99).

III.

HEILMITTEL FÜR DAS ÜBEL:
TREUE ZUR ÜBERLIEFERUNG

a. HINWEIS PAULS VI.

Als Ursache der Verwirrung, welche die Gläubigen erleiden, die deshalb verängstigt sind, weil sie darüber keine Gewißheit mehr haben, was sie zu glauben haben und wie sie handeln sollen, bezeichnet Paul VI. den Bruch mit der Tradition. Folglich finden wir das Gegenmittel zu solch tiefer Krise der Sprache, des Denkens und des Handelns nur in der Treue zur Tradition.

Das Dokument Pauls VI. besteht auf diesem Punkt. Die gegenwärtigen Umstände, so sagt der Papst, erfordern von uns größere Anstrengungen, damit „das Wort Gottes in seiner Fülle zu unseren Zeitgenossen hingelange, und damit die Werke, die von Gott ins Leben gerufen wurden, ihnen vorgestellt werden OHNE VERFÄLSCHUNG und mit jener Intensität der Liebe zur Wahrheit, die uns erlöst” (p. 98 — kursiv von uns). Solch edle Obliegenheit ist nur ausführbar mittels der Treue zur ununterbrochenen Tradition, die (unser Christentum) mit dem Glauben der Apostel verbindet” (p. 99). Es muß demnach jeder Bischof in seiner Diözese wachsam sein, damit das neue Sinnen und Trachten „nicht dazu gelange, die Wahrheit und die Fortdauer der Glaubenslehre jemals zu verleugnen” (p. 101 — kursiv von uns). Überdies, die ganze Arbeit der Theologen muß im Sinne der „Treue zur großen Strömung der christlichen Überlieferung” sein (p. 102), da ja „die wahre Theologie sich auf das Wort Gottes als auf ein immerwährendes Fundament stützt, welches von der heiligen Überlieferung nicht zu trennen ist” (p. 103).

Schließlich faßt Paul VI. (p. 18) die Norm des Kirchlichen Lehramtes im Worte des hl. Paulus zusammen: „und sollte auch jemand — und seien wir es selbst oder ein Engel vom Himmel ­euch ein anderes Evangelium verkünden als wir es (bisher) getan haben, so sei er im Banne” (Gal. 1,8), und der Papst fährt fort: „Nicht wir sind es, in der Tat, die das Wort Gottes richten; Es ist es, das uns richtet und unsere weltlichen Konformismen an den Tag bringt. Die Schwäche der Christen, selbst derjenigen, die das Amt des Predigens innehaben, wird in der Kirche nie Grund sein, den absoluten Charakter des Wortes zu verzuckern. Es wird niemals gestattet sein, die Schneide ihres Schwertes abzustumpfen (cf. Heb. 4,12; Apoc. 1,16; 2,16). Der Kirche wird es nie erlaubt sein, von der Heiligkeit, von der Jungfräu­lichkeit, von der Armut und vom Gehorsam anders zu sprechen als in der Weise Christi” (p. 101).

b) GESCHICHTLICHES BEISPIEL: NESTORIUS UND DIE HEILIGE GOTTESMUTTER

Die Worte des Papstes könnten nicht klarer sein, noch auch einschneidender, genauso wie die Worte des von ihm zitierten Apostels bestimmt sind. Übrigens sind sie nicht mehr als ein Echo der Handlungsweise der Kirche unter dem belebenden Impuls des Heiligen Geistes. Es ist das, was mit Nestorius dem Patriarchen von Konstantinopel geschehen ist, in jeder religiösen Unterweisung eine vielkommentierte Tatsache. Wir schreiben das Vorgefallene hier nieder gemäß der Erzählung von D. Prosper Guéranger in seinem bekannten Werk „L’Année Liturgique”, wo er das Fest des hl. Zyrillus von Alexandrian, am 9. Februar, kommentiert: „Im selben Jahre seiner Wahl auf den bischöflichen Stuhl, am Weihnachtstag des Jahres 428, indem er die (günstige) Gelegenheit der Anwesenheit einer großen Volksmenge, die sich in der bischöflichen Basilika versammelt hatte, wahrnahm, erklärte Nestorius von der Kanzel herab diese Blasphemie: Maria gab nicht Gott das Licht der Welt; ihr Sohn war nichts weiteres als ein Mensch, ein Werkzeug der Gottheit. Ein Schauer des Schreckens ging durch die Menge, und ein Laie, Eusebius, erhob sich aus der Mitte des Volkes und protestierte gegen diese Gottlosigkeit. Die ganze Geschichte vermag bis heute zu erfreuen, wegen dieser Haltung. Sie rettete den Glauben von Byzanz”.

  1. ALLGEMEINE REGEL

D. Guéranger gibt dann das allgemeine Prinzip: „ Wenn der Hirte sich in einen Wolf verwandelt, steht es in erster Linie der Herde zu, sich zu verteidigen. Normalerweise, zweifellos, kommt die Lehre von den Bischöfen auf das gläubige Volk herab, und die Untergebenen sollen in Glaubensangelegenheiten nicht über ihre Vorgesetzten urteilen. Es gibt hingegen im Schatze der Offenbarung wesentliche Punkte, deren notwendige Kenntnis und wachsame Bewahrung jedem Christ obliegt, kraft seines Titels eines Christen. Das Prinzip ändert nicht; ob es sich nun um den Glauben oder das Verhalten, um die Moral oder um das Dogma handelt. Verräte wie jener von Nestorius sind selten in der Kirche, nicht jedoch das Schweigen gewißer Hirten, die aus irgendwelchen Gründen nicht zu sprechen wagen, wenn die Religion in Gefahr ist. Die wahren Gläubigen sind diejenigen Menschen, die unter solchen Umständen die Inspiration einer Verhaltensweise aus ihrer Taufe ziehen; nicht die Kleinmütigen, die unter dem hübschen Vorwand der Unterwürfigkeit unter die eingesetzte Macht zuwarten, den Feind in die Flucht zu schlagen oder sich seinen Unternehmungen entgegenzustellen, ein (Aktions- )Programm, das unnötig ist, das ihnen (den Gläubigen) nicht gegeben werden darf”.

  1. WICHTIGKEIT DER TRADITION

Wir möchten das von Paul VI. in Erinnerung gerufene Kriterium illustrieren, wegen der besonderen Wichtigkeit, die ihm inne-w ohnt, in den Tagen, die wir durchleben, wie es demjenigen bewußt ist, der beobachtet, was in gewißen katholischen Kreisen vor sich geht. Überdies, so groß ist der Wert der Tradition, daß selbst die Enzykliken und anderen Dokumente des gewöhnlichen Lehramtes des Obersten Hirten nur dann unfehlbar sind, wenn ihre Lehren bekräftigt werden durch die Tradition, oder m.a.W. durch eine kontinuierliche Lehraussage über verschiedene Päpste  hinweg und durch einen weiten Zeitraum hindurch. In der Weise, daß der Akt des gewöhnlichen Lehramtes eines Papstes, der mit der Lehrweise kollidiert, die durch die lehramtliche Tradition von verschiedenen Päpsten über eine beachtliche Zeit hinweg kautioniert ist, nicht angenommen werden darf.

Unter den Beispielen, die die Geschichte an ähnlichen Tatsachen aufweist, tritt dasjenige von Honorius I. hervor. Dieser Papst lebte in der Zeit, da die monotelitische Häresie in der Kirche des Orients große Verheerungen anrichtete. Da sie das Vorhandensein der zwei Willen in Jesus Christus leugneten, erneuerten die Monotelisten die Absurdität, die Eutiches in das Dogma hineinbrachte, als er vorgab, daß in Jesus Christus nur eine Natur vorhanden sei, zusammengesetzt aus der göttlichen Natur und aus der menschlichen. Geschickt gab der Patriarch Sergius von Konstantinopel dem Geiste Honorius’ I. die Zuflüsterung, daß die Predigt von den zwei Willen im Heiland bloß Entzweiung im gläubigen Volk verursache. Und indem er sich mit den Wünschen des Patriarchen einverstanden erklärte, die auch jene des Herrschers waren, verbot Papst Honorius, daß man über die zwei Willen des menschgewordenen Gottessohnes spreche. Der Pontifex sah nicht ein, daß sein Akt das Feld für die Verbreitung der Häresie offen ließ. Schon deswegen hätte man ihm kein Gehör schenken sollen. Unter denjenigen, welche den Akt Honorius’ I. beklagten, sind: das VI. Ökumenische Konzil, welches das dritte in Konstantinopel versammelte war, und der hl. Papst Leo II., der dieses Konzil bestätigte. Unter denjenigen, welche fortfuhren, die Lehre von den zwei Willen in Jesus Christus (dennoch) zu verkünden, befindet sich der große hl. Maximus, den man den Bekenner nennt, weil er seine Treue zur katholischen traditionellen Lehre mit dem Martyrium besiegelte.

e.) NORM ZUR BEURTEILUNG DER NEUERUNGEN

Wahren wir also mit höchstem Respekt und mit Aufmerksam­keit das Kriterium des Maßstabes für die Neuerungen, die in der Kirche aufkommen:

—  Fügen sie sich ein in die Tradition? — Dann sind sie willkommen.

—  Fügen sie sich nicht ein, stehen sie im Gegensatz zur Tradition? Oder lösen sie sie gar auf? — Dann dürfen sie nicht akzeptiert werden.

Tradition, gewiß, ist nicht Immobilismus. Sie ist Wachstum, jedoch stets auf der gleichen Linie, in der gleichen Richtung, im gleichen Sinne, Wachstum von lebenden Wesen, die immer die nämlichen bleiben. Aus diesem Grunde können Formen und Gebräuche nicht als traditionell betrachtet werden, welche die Kirche nicht in die Darstellungsweise ihrer Lehre oder in ihre Disziplin inkorporiert hat. Diese Tendenz wurde von Pius XII. als „tadelnswerter Archäologismus” bezeichnet (Enzyklika „Mediator Dei”). Dies gesagt, nehmen wir als Norm das folgende Prinzip: wenn es offensichtlich ist, daß die Neuerung abweicht von der traditionellen Lehre, ist es sicher, daß sie nicht angenommen werden darf.

VERSCHIEDENE WEISEN, DIE TRADITION ZU VERNICHTEN

Es können gleichzeitig verschiedene Arten der Zerstörung der Tradition zusammenwirken. Es gibt ihrer sogar eine ganze Skala, die von der offenen Gegnerschaft bis zur fast unwahrnehmbaren Abweichung geht. Ein Beispiel der offenen Opposition haben wir in den verschiedenen Standpunkten, die die Theologen eingenommen haben, ja selbst kirchliche Autoritäten, welche die Entscheidungen der Enzyklika „Humanae Vitae” verworfen haben. In der Tat fügt sich der Akt Pauls VI., der den Gebrauch von empfängnisverhütenden Mitteln als unstatthaft bezeichnet, in eine ununterbrochene Tradition des kirchlichen Lehramtes. Ihn nicht anzunehmen und das Gegenteil dessen was er vorschreibt zu lehren oder Praktiken zu empfehlen, die von ihm verurteilt wurden, stellt ein typisches Beispiel der Verleugnung einer traditionellen Lehre dar.

Gewundener ist das Geschwätz derer, die die Tradition verletzen durch dogmatische Erklärungen, die, ohne die überkommenen Ausdrücke zu leugnen, in der Tat unvereinbar sind mit den geoffenbarten Tatsachen; zum Beispiel weiterhin den Glauben an das Mysterium der Heiligsten Dreifaltigkeit zu bekennen, jedoch systematisch den Begriff CONSUBSTAN­TIAL zu ersetzen durch einen anderen, der nicht denselben Sinn hat, wie das Wort Natur.

Es gibt auch Abirrungen zur Häresie in den Schlußfolgerun­gen, welche den Inhalt der Prämissen (Obersätze) erweitern. Zu erklären, daß, kraft der Kollegialität, der Papst nichts lösen könne ohne das Bischofskollegium (vorher) anzuhören, bedeu­tet, in den Konziliarismus zu fallen, der die Kirche Christi unterwühlt.

Subtiler sind die neuen Bräuche, vor allem in der Liturgie, welche sich an die Stelle der bisherigen setzen, und die nicht nur nicht ausgestattet sind mit gleichem Reichtum, sondern fremde religiöse Begriffe unterstellen. In Unserem Hirtenbrief vom 19. März 1966 haben Wir die Wichtigkeit unterstrichen; welche die Bräuche und Sitten haben, sowohl für die Glaubensbegeisterung wie auch im gegenteiligen Sinne, für die Unterhöhlung dieses selben Glaubens, immer weil ein solches Vorgehen irrige Begriffe über die geoffenbarten Wahrheiten voraussetzt und deshalb verbreitet.

Offensichtlich ist dies nicht die persönliche Verantwortung, die in diesen verschiedenen Arten der Kontestation gegenüber der Tradition zum Zuge kommt. In den gegenwärtigen Umständen indessen bilden alle diese eine Gefahr für den Glauben, und vielleicht mehr noch jene, die weniger in Opposition zu sein scheinen mit der traditionellen Kirche. Es folgt daraus, daß von uns sorgfältigste Aufmerksamkeit gefor­dert ist, damit wir nicht halb unbewußt das Giftige gleichstellen mit dem Gesunden. Es gibt gutwillige Leute, die aus Unwissen­heit oder Naivität kaum beabsichtigen, mit den Neuerungen, die sie akzeptieren, einen neuen Begriff der wahren Kirche zu erlangen; es gibt ebenfalls und vor allem die Verschlagenheit des Teufels, der sich dieser selben Absichten bedient, um die Gläubigen der katholischen Orthodoxie vom Wege abzubringen.

DIE FALSCHEN PROPHETEN
UND DIE NEUEN KATECHISMEN

In dem apostolischen Mahnschreiben, welches diese Betrachtun­gen anregt, besteht der Papst darauf, trete die Aktion der falschen Lehrer hervor, die, mitten im Gottesvolke lebend, den Glauben und die Religion verderben. So sagt er, gilt „für uns Bischöfe” jene Mahnung, die sich beim hl. Paulus findet: „es wird eine Zeit kommen, in der die Menschen die gesunde Lehre des Heils nicht mehr ertragen werden, sondern nach eigenen Gelüsten sich Lehrer über Lehrer nehmen werden, lüstern nach dem, was den Ohren angenehm, und das Gehör von der Wahrheit abwenden, den Fabeln dagegen sich zuwenden werden” (2 Tim. 4,3-4), und weiter hinten schlägt Paul VI. die gleiche Sturmglocke, immer noch mit den Worten des Apostels: „aus der Mitte von uns selbst wie es bereits zu den Zeiten des hl. Paulus geschah, werden Männer auferstehen, die Perverses lehren, um Jünger nach sich zu ziehen (Act 20,30)” (p. 105).

Wenn die Feinde im eigenen Hause sind, wie es hier der Papst beklagt, ist derjenige ungemein töricht, welcher die Wachsam­keit nicht verdoppelt. In der gegenwärtigen Krise der Kirche, so können wir sagen, hängt unser Heil von der Verwendung aller Mittel ab, welche die Unversehrtheit unseres Glaubens zu bewahren vermögen.

Deshalb ist es nötig, heute erhöhte Aufmerksamkeit aufzubrin­gen, um die bewaffneten Hinterhalte gegen die Authentizität unseres Christentums zu meiden.

In Unserem Lehrbrief über die Kirche vom 2. März 1965 begründen wir diese Mahnung, indem wir zeigen, wie der modernistische Geist, der in die Mitte der Katholiken eindrang, unter den Gläubigen den religiösen Relativismus und Naturalis­mus einführt, indem er das geoffenbarte Dogma und die Moral unterwühlt. Mit der Verbreitung dieses Geistes beschäftigen sich gegenwärtig die neuen Katechismen. Hier ist es, daß uns die Pflicht ruft, eure Aufmerksamkeit, geliebte Söhne, auf diese neuen Werke der religiösen Unterweisung und Schulung zu lenken, die mit dem Anstrich der Glaubensvermittlung für Erwachsene oder für den modernen Menschen (ganz allgemein) die traditionelle Lehre vernichten, bald durch Verschweigung, bald durch Auslassung, bald auf positive Weise, durch der Wahrheit entgegengesetzte Begriffe, die von der Kirche immer verwendet wurden. Die neuen Katechismen sind das Mittel, in den Geist der Gläubigen die neue Religion einzuträufeln, im Einklang mit den evolutionistischen und rationalistischen Strömungen des modernen Denkens.

Wir massen uns kein Urteil an über die Absichten der Verfasser der neuen Katechismen. Wir vergessen indessen nicht, daß der „Menschenfeind”, d.h. der Teufel, der alles tut, um die Seelen zu verderben, sich die Wirren, die in der Kirche durch den Kitzel nach Neuheiten verursacht wurden, zu nutzen macht und in sie selbst die Sophismen einschleust, mit welchen er den Glauben zerstört und die Gebräuche verdirbt. Da die Katechis­men, was ihnen nun eben einmal eignet, Instrumente sind, die neuen Generationen in der Religion heranzubilden, wäre es töricht zu denken, daß der Engel der Finsternisse sich ihrer nicht zu bedienen suchte zur Verwirklichung seiner dunklen Werke. So müssen also in der Tat objektiv die neuen Katechismen unter die Anreger der Selbstzerstörung der Kirche gerechnet werden, von der der Papst spricht.

Niemals kann man die Wichtigkeit des Katechismus zu sehr betonen.*) Und infolgedessen wird es auch nie übertrieben sein, die Gläubigen gegen diejenigen Texte des (neuen) Katechismus zu warnen, die die Religion Unseres Herrn Jesus Christus um stürzen.

IV.
DAS GLAUBENSBEKENNTNIS
IN DEN LITURGISCHEN UND
RELIGIÖSEN PRAKTIKEN

In seiner apostolischen Exhortation belastet Paul VI. das Gewißen der Bischöfe damit, daß sie besorgt seien, daß die Lehre rein übermittelt werde, nicht nur in der Unterweisung, sondern auch im Beispiel, welches das Wort zu beleben hat.

Der Papst bezieht sich auf die Hilfsmittel der Bischöfe in der Verbreitung der gesunden Lehre. Seine Bestätigung, indessen, enthält eine weitergehende Interpretation, einmal vorausgesetzt, daß wir in unseren Frömmigkeitswerken lebendiges Bekenntnis für unseren Glauben ablegen. Mit anderen Worten: das, was wir mit der Intelligenz glauben, das verwirklichen wir in unserem katholischen Leben, besonders in den religiösen Werken. In umgekehrtem Sinne ist es durch die alltäglichen Akte, daß wir entweder unseren Glauben nähren oder ihn abkühlen, je nach unserer Handlungsweise, ob sie mit dem übereinstimmt, was wir glauben oder davon abweicht.

Und da habt ihr, geliebte Söhne, die ganze Wichtigkeit der traditionellen frommen Werke. Es nährte sich durch sie der Glaube der vergangenen Generationen, welche uns mit ihrem Beispiel die Liebe zu Jesus Christus, zu seiner Lehre und zu seinen Geboten, weitergegeben haben. Sie stärken auch heute unseren Glauben und geben uns die Kraft, dem Beispiele unserer Brüder zu folgen, die uns in der heiligen Gottesfurcht vorangegangen sind. In dieser gleichen Ideenordnung müssen wir Unsere geliebten Söhne warnen vor den religiösen Praktiken, in welchen sich entweder der Geist der neuen Kirche inkarniert oder der Festhaltewille an den geoffenbarten Geheimnissen abgeschwächt wird. Da es sich um eine kapitale Frage handelt, die das Ewige Heil betrifft, empfehlen Wir Unseren geliebten Söhnen aufs wärmste, daß sie treu bleiben mögen den aszetischen Übungen, die ihnen von der Kirche ans Herz gelegt werden: Betrachtung, Gewissenserforschung, Abtötung, Besuch des Allerheiligsten, öftere Beichte und Kommunion, fortgesetz­tes Gebet und, in besonderer Weise, den täglichen Rosenkranz Unserer lieben Frau.

DER KULT ZU EHREN DER
HEILIGSTEN EUCHARISTIE

In besonderer Weise erinnern Wir Unsere geliebten Söhne erneut an die Ehrfurcht, die traditionellerweise der Heiligsten Euchari­stie gebührt, eine Ehrerbietung, mit welcher wir unseren Glauben an die wirkliche und wesentliche Gegenwart des menschgewordenen Gottes im Sakrament des Altares bekennen. In Übereinstimmung mit dem überlieferten Brauch, der gemäß der Heiligen Kongregation für den Gottesdienst, wo er existiert, erhalten bleiben muß, empfangen die Gläubigen die Heilige Kommunion immer knieenderweise und die Frauen und Mädchen (zudem) mit bedecktem Kopf, und nie nähert man sich den Heiligen Sakramenten in einer Kleidung, die im Widerspruch steht zur Ehrfurcht angesichts der heiligen Dinge.

ENTHEILIGUNG

Wir haben stets den vollumfänglichen erforderlichen Respekt für den heiligen Ort. Eine der Haupteigenschaften der neuen Kirche ist die Entheiligung. Sie verurteilt die ausschließlich für den Kult errichteten Gebäulichkeiten und wünscht, daß die Religion sich in das gemeine Leben des Individuums auflöse. Unter dem Vorwand, daß alles heilig sei, zieht sie in Wirklichkeit alles auf das Profane herab. Jesus Christus beachtete sehr die Unterschei­dung zwischen dem Geheiligten und dem Profanen. In seinem Kommentar zu einem Abschnitt aus dem heiligen Johannes, in welchem der Göttliche Meister die Verkäufer (Krämer) aus dem Tempel jagte, erklärt der hl. Augustinus, daß das Übel nicht darin bestand, daß man Tiere verkaufte, nachdem man zurecht das verkauft, was man zurecht im Tempel opfert. Das Übel bestand darin, daß der Verkauf aus bloßem Interesse, an einem heiligen Ort stattfand, der in sich bestimmt ist zum Gebet und Gottesdienst (cf. in Jo. tr. X).

SCHUTZ UND MITTLERSCHAFT
DER HEILIGSTEN JUNGFRAU MARIA

Wir sind, geliebte Söhne, von einigen Praktiken bedroht, durch welche man versucht, in der Kirche ein neues Christentum einzuführen, welches von jenem durch Jesus Christus auf die Erde gebrachten abweicht. In unserem Hirtenbrief vom 19. März 1966 über die Anwendung der Konzilsdokumente hoben Wir die große Gefahr hervor, die aus solchen Praktiken fließt für den Glauben, vergiftet wie sie sind von der weitverbreiteten Häresie, die in der relativistischen Mentalität der modernen Welt Nachsicht findet. Die Lage ist eine so ernste, das Übel so tief, daß heute, mehr als in vergangenen Zeiten, die Notwendigkeit besteht, an die übernatürlichen Gnadenmittel zu appellieren. Uns selbst überlassen sind wir unfähig, der durch die falschen Propheten erhobenen Sturzwelle zu widerstehen und weniger noch, sie zu beruhigen, so daß die Seelen getrost auf dem Weg der Nachfolge des Göttlichen Erlösers weiterschreiten könnten.

Wir nehmen also Zuflucht zum Gebet und besonders zur Verehrung Unserer lieben Frau. Die Tradition ist einstimmig in ihrer Darstellung als der Mittlerin aller Gnaden, als mildeste Mutter der Christen, die stets in Sorge ist um das Heil ihrer Söhne, wie auch interessiert an der Unverletztheit des Werkes Ihres Göttlichen Sohnes. In den schwierigen Situationen, in denen sie sich befunden hat, hat die Kirche uns daran gewöhnt, die wertvolle und wirksame Hilfe der Heiligen Mutter Gottes anzurufen, sei es, um Häresien auszurotten, sei es, um zu verhüten, daß das Joch der Ungläubigen auf die Christen drücke. Wir können sagen, daß die Kirche sich noch nie in einer so ernsten und radikalen Krise befunden hat wie jene, die heute ihre Grundmauern bis herab zu den ersten Grundsteinen erschüttert. Es ist das Signal dafür, daß der Schutz der Heiligsten Jungfrau Maria notwendiger wird. Uns obliegt es, ihn wirksam zu machen, mittels unserer Anrufungen an die Heilige Mutter Gottes. In diesem Sinne erneuern Wir die Mahnung, die Wir gaben zum täglichen Verrichten des heiligen Rosenkranzes, dessen Wert wir mit der Nachahmung der Tugenden erhöhen werden, von welchen uns die Jungfrau Mutter ein besonderes Beispiel gibt: die Bescheidenheit, die Zurückgezogenheit, die Reinheit, die Demut, der Bußgeist in dem Verzicht auf uns selbst, und die Liebe, mit welcher wir als Jünger Christi durch das gute Beispiel „mit seinem Geist die Mentalität, Brauchtum und Leben der Irdischen Stadt durchtränken” (p. 105). Wir vertrauen darauf, daß der Schutz der Heiligen Mutter Gottes uns treu erhalte zur Tradition in unserem Glaubensbekenntnis und in unseren religiösen Übungen, wie auch in den Gewohnheiten unseres katholischen Lebens. Mit der Gewißheit, daß ein so erhabener Schutz uns nie fehlen wird, schicken Wir Unseren eifrigen Mitarbeitern und geliebten Söhnen Unseren herzlichen Hirtensegen, im Namen des Va+ters, und des Soh+nes, und des HeiligentGeistes. Amen.

Gegeben und unterfertigt in unserer Bischofsstadt von Campos, unter Unserem Zeichen und dem Siegel Unseres Wappens, am elften Tage des Monats April des Jahres (des Herrn) Eintausendneunhundertundeinundsiebzig, am Feste der  Auferstehung Unseres Herrn.

L+S        +Antonio, Bischof von Campos

_______

Quelle: “Aggiornamento” und Tradition, Broschüre der Schriftenreihe “Salz der Erde” Nr. 1, herausgegeben in meinem Petrus-Verlag, 1. Auflage, Oktober 1971


Image may be NSFW.
Clik here to view.
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 6641


<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>