Seit langem, – vom Schoß seiner Mutter an – hatte das Kind seinen Leidensweg begonnen. Sein geistliches Leben war schon von Visionen begleitet. In seinen Träumen sah er Unsere Liebe Frau. Und sein Schutzengel war für ihn ein vertrauter Begleiter. Seine Mutter erzählte, wie sie ihren kleinen Franz, wenn sie zur Arbeit auf das Feld hinaus musste, zu Hause ließ, und ihn dem Schutz der Lieben Frau zur Libera, der himmlischen Dorfpatronin, anvertraute. Sie hatte ja einst die Pestepidemie aufgehalten, die die ganze Gegend heimsuchte, sie musste also auch über dieses kleine Kind zu wachen vermögen. Aber wie oft hörte sie bei ihrer Rückkehr ein wenig beunruhigt, das wird man wohl verstehen, die Jubelschreie und das Lachen des Kindes. Es spielte, lief, sprang und redete mit einem unsichtbaren – oder wenigstens meinte sie es – mit einem erfundenen Spielgefährten. „Nein, antwortete das Kind, ich spiele mit dem kleinen Engel!“
Kaum fünfjährig, liebäugelte es schon mit dem Gedanken, sich ganz Gott hinzugeben. Pater Benedetto da San Marco in Lamis, der einer seiner Beichtväter war, schrieb: „mit fünf oder sechs Jahren erschien ihm am Hochaltar das Herz Jesu, es gab ihm ein Zeichen, er solle zum Altar herankommen und legte ihm die Hand aufs Haupt, um ihm zu bezeugen, dass ER die ihm gemachte Weihe annehme, und er möge sich seiner Liebe anvertrauen.“
Und Pater Benedetto schloss daraus: „Er spürte, dass sein Entschluss sich festigte, seine Glut IHN zu lieben und sich ganz IHM zu schenken, wuchs
Wegen dieser Weiheverpflichtung zog sich dann der kleine Franz in eine Ecke der Kirche oder eines Feldes oder ins Haus zurück, um dort in aller Muße zu beten. Er nahm die Leiden an, und legte sich selber, wo er doch noch so jung war, Bußwerke auf!
Eines Tages überraschte ihn Mama Peppa – er war damals erst acht oder neun Jahre alt – wie er sich hinter seinem Bett mit Eisenketten schlug. Sie bat ihn doch aufzuhören, aber er fuhr umso mehr fort damit. Einmal fragte sie ihn: „Warum denn, mein Sohn, schlägst du dich so? Die Eisenkette tut doch weh?“ Und Francesco erwiderte: „Ich muss mich geißeln, wie die Juden Jesus haben auspeitschen lassen, bis das Blut von den Schultern herabfloss!“ Mehr als einmal spionierte Ubaldo Vecchiarino zusammen mit jungen Freunden durchs Fenster des Forgionehauses, denn er hörte, wie sich Francesco mit einem Hanfseil auspeitschte.
Sogar der Dorfpfarrer gab dem Kinde mehrfach einen Verweis, weil es, statt nachts im Bett, das ihm seine Mutter hergerichtet hatte, zu schlafen, sich auf den Boden mit einem Stein als Kopfkissen hinlegte. Das waren also Francescos erste Schritte auf dem Weg der Buße.
Vom Teufel geplagt
„Francesco war kaum fünfjährig, als auch schon die teuflischen Erscheinungen begannen, schreibt Pater Benedetto, die sich während fast 20 Jahren immer wieder unter sehr unflätigen, menschlichen und besonders tierischen Gestalten aufdrängten.“ Die teuflischen Plagereien, das heißt, die Schläge, mit denen die Dämonen das junge Kind quälten, begannen eigentlich schon beim Vierjährigen, nach den Aussagen von Pater Benedetto. „Der Teufel zeigte sich in scheußlichen, oft drohenden, entsetzlichen, schrecklichen Gestalten.“ Das war eine solche Qual, dass das arme Kind oft nicht schlafen konnte. Wir haben es gesehen, es weinte, aber es genügte, dass Mama Peppa wieder das Licht anzündete, um sogleich den Fürsten der Finsternis verschwinden zu lassen. Der Vater, Zi´Grazio drohte, er werde es zum Fenster hinaus werfen, wenn es sich nicht beruhige, und er war nicht weit davon zu meinen, das Kind sei ihm geradewegs von der Hölle gesandt! Die Mutter antwortete ihm: „Wir werden das Kind groß ziehen, um unsere Sünden abzubüßen.“ Und sie hätte nie gedacht, damit genau das Richtige zu treffen. Sie hatte zu dieser Zeit nicht die leiseste Ahnung von der außerordentlichen Berufung ihres kleinen Buben.
Einer der Einwohner Pietrelcinas, ein Altersgenosse Pater Pios, erzählte, oft habe Francesco bei seiner Rückkehr von der Schule auf der Schwelle seines Hauses jemanden angetroffen, der wie ein Priester gekleidet gewesen sei, und ihm den Zugang versperrt habe. Francesco sei dann stehen geblieben. Bald darauf sei ein barfüßiger Knabe herbeigekommen, der offensichtlich sein Schutzengel gewesen sei. Der machte ein großes Kreuzzeichen und der Scheinpriester sei verschwunden und so sei der Durchgang freigeworden. Francesco betrat das Haus, als wäre nichts geschehen. Ja, er redete nicht einmal davon.
Das waren also die ersten teuflischen Angriffe. Sie werden praktisch nie aufhören, ja sie werden Pater Pio bis zu seinem Tode heimsuchen.
Der Teufel wandte manchmal andere Kriegslisten an. Eines Tages löste er folgende lächerliche, für Francesco aber gar schmerzliche Geschichte aus. Dieser war 15-jährig und sollte einige Wochen später ins Noviziat der Kapuziner zu Morcone eintreten. Er war in der Schule und seine Kameraden hatten nichts Besseres gefunden, als in eine seiner Taschen eine mit seinem eigenen Namen unterzeichnete Liebeserklärung zu stecken, die an ein Mädchen, das dieselbe Klasse besuchte, gerichtet war, nämlich an die Tochter des Bahnhofsvorstandes von Pietrelcina. Wie es nur grausame Spitzbuben einzufädeln verstehen, lenkten sie die Aufmerksamkeit des Lehrers darauf. Dieser verfehlte beim durchsuchen der Kleider Francescos nicht das bloßstellende Briefchen zu entdecken. Es folgte eine harte Strafe mit Rutenschlägen. Francesco schützte sich, so gut er konnte, indem er sich unter die Bänke verkroch und zugleich seine Unschuld beteuerte.
Am nächsten Tag ging der Spitzbub, der das Briefchen verfasst hatte, von Gewissensbissen geplagt, zum Lehrer und erzählte die Wahrheit. „Wie sehr tat es doch dem armen Càccavo nachträglich leid! Die Schläge hingegen, die hat mir niemand mehr weggenommen!“
So hatten die Verleumdungen, die gemeinsten Angriffe schon ihren Anfang genommen. Er wird ihr unschuldiges Opfer bleiben sein Leben lang, der arme Pater Pio. Aber wie er es schon in seiner Kindheit und Jugend getan, so wird der klar und deutlich seine Unschuld beteuern, wobei er zugleich die inneren Mühen auf sich nahm … um Jesus ähnlicher zu werden und seinen göttlichen Meister auf dem Kreuzweg zu begleiten.
Am 27. September 1899 empfing er zwölfjährig die Firmung. Und wahrscheinlich hat er an diesem Tag auch die erste Heilige Kommunion empfangen. Die Erinnerung an diesen Segenstag ruft er in einem Brief vom 12. Mai 1914 an Pater Agostino wach. Er hatte damals als junger Priester an der Vorbereitung von vierhundertfünfzig jungen und erwachsenen Firmlingen teilgenommen und so schrieb er nach der Zeremonie: „Ich weinte ob des Trostes in meinem Herzen bei dieser heiligen Zeremonie, weil ich mich daran erinnerte, was der Heiligste Tröstergeist mich empfinden ließ, am Tage meiner Firmung, einem einzigartigen, für mein ganzes Leben unvergesslichen Tag. Was für süße Anregungen ließ dieser Tröstergeist mich an jenem Tag empfangen! Bei der Erinnerung an diesen Tag fühle ich mich ganz verzehrt von einer sehr lebendigen Flamme, die brennt und verzehrt und doch nicht wehtut …“ (1/188).
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Quelle: Pater Derobert – Pater Pio durchsichtig auf Gott hin – Geistliches Bildnis aus den Briefen Pater Pios gewonnen. Hovine Verlag, Belgien und Frankreich, 1990, 814 Seiten.