1944
Juli. Jesus, die unendliche Liebe, erfüllte mir meinen Wunsch. Ich fühlte mich aufs neue Mutter und wollte mich ganz meinem Mutterglück und dem Liebsten unter meinem Herzen hingeben; wollte mich freuen mit den Meinen; wollte vergessen, was vorher mich so sehr beunruhigt und wieder beglückt hat. Aber immer wieder musste ich an die rätselhaften Worte denken bei der Geburt meines letzten Kindes: Das ist dein letztes Kind.
Bis jetzt habe ich jeden Tag das Gebet gebetet, das Jesus mir an jenem Herz-Jesu-Freitag gegeben, habe mich, vereinigt mit dem heiligsten Herzen Jesu, dem himmlischen Vater aufgeopfert für die Bekehrung der Sünder, die ganze katholische Kirche und alle, die mir nahe standen. Aber es will nicht mehr gehen. Jetzt lebe ich für mein Kind. Gott ist ja mit anderen sicher auch zufrieden, wenn sie gewillt sind, Seine Gebote zu halten und Ihn zu lieben, die Pflichten tun, die der Beruf von ihnen fordert. Könnte ich doch vergessen, was vorher gewesen, ist wohl alles Täuschung gewesen! Ich wäre froh, wenn mir jemand mit Gewissheit sagen könnte, ich sei nicht recht bei Sinnen gewesen oder es sei alles nur Traum und Täuschung. Warum hat mir Gott wieder eins gegeben, wenn Er doch gesagt hat: Das ist Dein letztes Kind? Ich wäre glückliche Mutter gewesen, wenn mich nicht immer solche Gedanken beunruhigt hätten. So vergingen über zwei Monate. Und niemandem konnte ich etwas anvertrauen. Ja, ich hatte das Gefühl, auch mein lieber Gatte, vor dem ich sonst nie ein Geheimnis habe, würde mich nicht verstehen.
Mein Gott, an was habe ich denn gedacht, wie konnte ich Dein vergessen, der Du doch sagtest: „Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch erquicken?“ Ich flehte zum göttlichen Heiland, der zu mir sagte: „Durch meine heiligen Wunden kannst Du alles erlangen“, um Erleuchtung und Hilfe. So unsagbar Wurde mein Verlangen, wieder ganz eins mit Jesus zu werden, Seinen heiligsten Willen erkennen und ihm folgen. Meine himmlische Mutter bittet für mich und führt mich zu Ihm. Ich bat sie, mir doch einen Führer auf diesen gefahrvollen Weg zu geben, einen Beichtvater, wie ich in meiner Jugend einen hatte.
Wie jubelte meine Seele, als der erwählte Beichtvater mir als Buße einen Teil vom Rosenkranz aufgegeben hat. Dieser Marienverehrer wird auch mich durch sie zu Jesus führen.
In tiefer Andacht empfing ich die hl, Kommunion, um mich Ihm ganz hinzugeben, bereit, Ihm alles zu opfern, wenn ich nur in Ihm wieder den Frieden der Seele erlange. In meiner Unwissenheit fragte ich Jesus: „Wie habe ich Dich beleidigt und was willst Du, dass ich tun soll? Sag mirs um Deiner heiligen Wunden willen!“ Ich hörte sofort: „Du hast in deiner Anfangsliebe nachgelassen. Tue Deine ersten Werke wieder!“ Den ganzen Tag, bei jeder Arbeit, musste ich an diese Worte denken und wusste, dass ich nicht aufhören darf, für die Bekehrung der Sünder zu beten.
Ist es nur Zulassung Gottes gewesen, dass ich mich wieder als Mutter fühlte? Denn was Gott in mir erschaffen, hat Er mir wieder genommen. Warum auch noch diese Enttäuschung, nur durch einen Schrecken verursacht? Wir beide hatten uns doch schon so sehr auf ein Liebes gefreut. Herr, Dein Wille geschehe, und tut’s auch noch so wehe! Nimm meine Leiden an als Buße und Sühne für meine Sünden! Mache mit mir, was Du willst, aber lass nicht zu, dass ich mich wieder von Dir trenne! Ich will opfern und leiden, solange Du willst. Dein heiligstes Blut geht ja an so vielen Seelen verloren und ich habe nur meine Freuden gesucht in meinem Berufe.
Ich wurde krank und durfte nun im Leiden Seine grenzenlose Liebe erfahren. Ich bat Jesus, er solle mir zu erkennen geben, ob ich mit meinen Leiden, die ich ja verdient habe, auch Seelen retten kann. Ich erkannte meine neue Berufung im Leiden. Und im Leiden erkannte ich aufs neue die grenzenlose Liebe Jesu zu uns sündigen Menschen. Meine Seele verlangte so sehr nach Ihm.
Jeden Mittwoch brachte mir Sein Priester nach der hl. Messe in unserer Kapelle das Allerheiligste. So glücklich war ich in tiefster Vereinigung mit meinem Herrn und Gott, dass ich nicht wagen durfte, Ihn um die Gesundheit zu bitten. Ich konnte nichts anderes wünschen und wollen, als dass an mir Seinen heiligster Wille geschehe.
O heiligste Augenblicke, wenn Jesus, wie in den Stall zu Bethlehem, in unsere Wohnung kam zu mir ärmsten Sünderin ans Krankenlager. Wenn der Priester mir Jesus in Brotsgestalt reichte, fand ich oft keine Worte mehr als „Mein Gott und mein Alles“. Wenn in langen Nächten der Schlaf nicht kommen wollte, weil die Schmerzen zu groß waren, war Jesus mein Trost. Einmal flehte ich unter Schmerzen: „Mein Jesus, ich weiß, dass Du in Deiner Allmacht und Liebe mich gesund machen könntest. Doch wenn’s nicht Dein Wille ist, will ich leiden aus Liebe zu Dir. Aber kann ich in meiner Sündhaftigkeit eine Seele retten für Dich?“ Laut und deutlich sagte eine Stimme so lieb: „Das gereicht Dir und vielen zum Segen.“ Vor Freude und Wonne habe ich sogar meine Schmerzen vergessen. Oh wie groß, wie unfassbar tief ist doch die Liebe zu Deinen Erlösten, mein Jesus! Dass doch alle Menschen, besonders alle Kranken es glauben könnten, wie sehr sie Jesus liebt, wenn sie ihm vertrauen, ihre Leiden Ihm aufopfern für jene, die aus Sünde und Not den Weg zu Ihm nicht finden! Dann wird Er ihnen ihre Leiden in Freuden verwandeln.
Es kam der Herz-Jesu-Freitag im November. Zwar war ich wieder auf dem Weg der Genesung, konnte aber noch nicht ausgehen. Und doch war mein Verlangen nach Jesus im heiligsten Sakrament so groß, dass ich es gar nicht sagen kann. Aber der Priester hatte keine Zeit, mir die hl. Kommunion zu bringen. Nie werde ich das, was ich an Liebe und Sehnsucht und tiefster Reue erlebte, in Worten sagen können. Ich konnte nicht schlafen vor Mitternacht. Ich betrachtete Jesu Leiden und Sterben und weinend bereute ich meine Sünden. Dann schlief ich ruhig wie ein Kind.
Ich habe geschlafen, Jesus aber wachte in ausgesetztem hochwürdigstem Gute aus Liebe zu uns Menschen. O könnte ich doch Ihn empfangen! Er hat ja am Feste Seines heiligsten Herzens mir so oft Seine unendliche Liebe gezeigt. Ich bat ihn, Er möge doch geistigerweise zu mir kommen. Ich, meine Seele sah Ihn neben meinem Bette und Er sagte so lieb: „Trete in meine Fußstapfen und folge Mir nach!“ Ich sah, ich weiß nicht im Traum, Seine blutigen Spuren auf dem Läufer. Erst wurde mir bange und ich dachte: Beginnt denn für mich der Kreuzweg? Dann kam selige Freude in mein Herz und meine Seele. Jesus ladet mich ein, Ihm nachzufolgen. O könnte ich doch so leben, dass ich meinen Heiland nie mehr beleidige!
Am Herz-Jesu-Freitag im Dezember konnte ich wieder mit Freuden in unserer Pfarrkirche Jesus in der hl. Kommunion empfangen.
(Fortsetzung folgt!)