Myra Davidoglou
Analyse der These materialiter-formaliter Papst
(übersetzt aus „LA VOIE”, Nr. XII, von Elfriede Meurer)
1. Auf die Bitte mehrerer unserer Leser hin werden wir hier die sogenannte Cassiciacum-These untersuchen. Im Gegensatz zu dem, was dieser Name vermuten lassen könnte, hat sie nichts mit der Lehre und der Person des hl. Augustinus zu tun, ihr Name wurde von einer Zeitschrift genommen, in der sie 1979 veröffentlicht wurde: „Les Cahiers de Cassiciacum.”
Zusammenfassung der These
2. Wir fassen sie so kurz wie möglich zusammen. Nach ihrem Autor, Mgr. Guérard des Lauriers, und seinen Schülern hat seit dem 7. Dezember 1965, dem Datum der Promulgation der Konzilserklärung „Dignitatis humanae personae”, wovon „ein Satz eine Häresie ist, während er doch eine unfehlbar geoffenbarte Wahrheit hätte sein müssen”1, der Okkupant des Apostolischen Stuhls aufgehört, formell Papst zu sein; er besitzt nicht mehr den von Christus seiner Kirche verheißenen göttlichen Beistand; er hat also keine päpstliche Autorität2 und folglich nicht das Recht, die Kirche zu regieren und zu lehren; seine Amtshandlungen in Lehramt und Regierung sind ungültig3. Dennoch bleibt er materiell Papst2 und in diesem Sinn ist er „unser Pontifex”4, der rechtmäßig den Apostolischen Stuhl innehat5, und diesen kann folglich kein anderer einnehmen4.
Unter einem materiellen Papst muß man einen potentiellen Papst verstehen, einen, der Papst sein kann, der es aber faktisch nicht ist. Unter einem formellen Papst versteht man einen Papst im vollen Sinn dieses Wortes, einen Mann, der wirklich Papst ist, weil er von Gott erhalten hat, was einen Papst zum Papst macht, nämlich die Form des Pontifikats, die in der universalen Jurisdiktionsgewalt besteht (vgl. Kanon 219).
3. Alle Päpste, die die katholische Kirche seit ihrer Gründung gekannt hat, sind formelle Päpste; die Idee eines potentiellen Papstes, der Anspruch auf den Titel des römischen Papstes und auf den Apostolischen Stuhl hätte, ist eine Neuerung in dem Sinne, daß nichts, absolut nichts es erlaubt, aus der Heiligen Schrift oder aus der apostolischen Tradition, den beiden einzigen Quellen der göttlichen Offenbarung, und auch nicht aus der Geschichte der Kirche die Möglichkeit der Existenz eines solchen Papstes abzuleiten. In dieser Hinsicht haben wir es also mit einer rein menschlichen Lehre zu tun, und wir werden uns, wenigstens zunächst, darauf beschränken, sie auf ihre Vernunftsgemäßheit zu untersuchen.
Die beiden Sätze der These
4. Man hat gesehen, daß die These in ihrer Gesamtheit sich auf zwei Sätze reduzieren läßt.
Der erste, nämlich, daß Paul VI. aufgehört habe, formell Papst zu sein, weil ihm von Jesus Christus die oberste Jurisdiktion entzogen worden sei, dieser erste Satz ist in den Augen des Autors eine Realität6, eine mit einer Gewißheit vom Rang des Glaubens selbst feststehende Tatsache7.
Vom zweiten Satz, demzufolge Paul VI. nicht aufgehört hat, materiell Papst zu sein, sagt uns der Autor, daß er nur auf den Anschein gegründet sei6.
Der zweite Satz: eine zweifelhafte Sache
5. Dieser zweite Satz läßt sich offensichtlich nicht aus dem ersten folgern. Wer die Form des Pontifikats, das heißt die Vollmacht, die gesamte Kirche zu lehren und zu regieren, verliert, der verliert a priori eben dadurch den Pontifikat, der nicht ohne seine Form existieren kann in dem Subjekt, dem er innewohnen soll, mit anderen Worten in dem Gewählten des Konklave. Noch einmal: die Form in der philosophischen Bedeutung des Wortes macht ein Ding zu dem, was es ist. Ein Ding ohne die Form ist nicht; in bestimmten Fällen kann es bloß sein, was etwas anderes ist.
Nehmen wir zwei Beispiele: Ein Marmorblock kann eine Statue werden, ist aber keine, solange der Bildhauer ihm nicht die Form einer Statue gegeben hat. Ebenso kann ein Weihekandidat Priester sein, aber vor seiner Weihe ist er es nicht, und das Sakrament der Weihe ist gleichsam die Form des Priestertums.
6. Wird man sagen, daß der, welcher das Papstamt verloren hat, deswegen nicht davon abgesetzt sei? Beim Versuch, die Möglichkeit dieses viereckigen Kreises zu beweisen, müßte man, so scheint uns, wenigstens versuchen, sich auf irgendein sicheres Prinzip oder auf eine undiskutable Tatsache zu stützen und nicht auf einen „Anschein”, der als solcher nicht die vernunftgemäße Grundlage eines Beweises darstellen kann. Und dennoch wird sich der Autor eben auf „das Scheinen”, wie er sagt, stützen, wenn er zu beweisen versucht, daß auf dem Stuhl Petri nicht de facto (was offensichtlich ist), sondern de iure5 Männer wie Montini und Wojtyla sitzen, bei denen er selbst uns daran erinnert, daß sie Häretiker sind und daher „rechtens, wenn auch nicht faktisch, außerhalb der Kirche, weil exkommuniziert und anathematisiert”8 vom Vatikanischen Konzil (1870).
7. Der Autor verneint nicht einmal die Möglichkeit der Ungültigkeit der Wahl von Kardinal Montini 1963 und folglich die Möglichkeit der Vakanz des Apostolischen Stuhls. Er gibt ohne Schwierigkeit zu, daß „die vorgebrachten Argumente (um die Häresie des Kardinals Montini zu beweisen) gewiß beeindruckend sind, besonders wegen ihrer Konvergenz”9, und stellt nach der Untersuchung des Textes eines von Paul VI. vor seiner Erhebung zum Papst gehaltenen Vortrags10 fest: „Das Denken des Kardinals Montini ist vom atheistischen Rationalismus von Grund auf verdorben”11. Und er kommt zu dem Schluß: „Der zweite Teil des genannten Textes stellt ein beeindruckendes Bekenntnis des Glaubens an die Theilhardsche Lehre dar, die unvermeidlich zum Kult des Menschen führt und nicht zur geoffenbarten Religion (. . .). Hatte Kardinal Montini den Glauben, als er zum Papst gewählt wurde? War die Wahl gültig? Wir beschränken uns auf den Hinweis, daß die Frage offen bleibt”11. Die Lehre Teilhards ist eine der vielen Varianten des Pantheismus, der in einer Hinsicht auf den Atheismus hinausläuft, in einer anderen auf die Idolatrie. Wenn man sich nicht zu offensichtlich widersprechen will, muß man wenigstens zugeben, daß das Innehaben des Apostolischen Stuhls durch Paul VI. nicht rechtmäßig zu sein scheint, daß ein Zweifel auf der Legitimität dieses Innehabens lastet. Nun ist der Zweifel ein Zustand des Gleichgewichts zwischen Bejahung und Verneinung, der daher kommt, daß die Gründe für das Bejahen den Gründen für das Verneinen die Waage halten. Daraus folgt, daß das Hauptargument, auf das man sich beim Versuch, das Recht der Konzilspäpste auf den Thron Petri zu beweisen, stützt, das sogenannte „Scheinen”6, sich selbst aufhebt.
Eine nicht bewiesene Hypothese
8. Wie es auch mit diesem letzten Punkt sei, den wir später untersuchen werden, die sogenannte Cassiciacum-These dürfte eher eine Hypothese und sogar eine ungerechtfertigte Hypothese sein, weil man darin die Gültigkeit der Wahl des Okkupanten des Heiligen Stuhls annimmt, also die Existenz eines materiellen Papstes. Das sind Annahmen, die weder mit Argumenten der Vernunft oder der Autorität bewiesen, noch in sich selbst oder in ihren Folgen bestätigt sind. Das geben übrigens die Verfechter der These einschlußweise zu, wenn sie nach langem Argumentieren ihren Schluß mit dieser ausweichenden Formel ziehen: „es ist also nicht unmöglich, daß eine Person materiell Papst ist, ohne es formell zu sein”12. Gewiß, aber es ist auch nicht unmöglich, daß eine Person nicht Papst ist, weder formell noch materiell, daß sie sogar außerhalb der Kirche ist oder verheiratet oder Bantu, was weiß ich? Es gibt eine Unzahl von Dingen, die nicht unmöglich sind, die also möglich sind. Mit solchen Argumenten beweist man alles oder nichts. Die Verfechter der Hypothese leiten davon dennoch in paradoxer Weise her, daß, solange man nichts weiter dagegen bewiesen hat, „man” für sicher halten „muß”, was nach ihrem eigenen Eingeständnis nur möglich ist, nämlich daß der notorisch häretische Oberste der Konzilskirche materiell Papst ist13. „Man muß”, sagen sie. Ausbrüche des Autoritarismus sind keine Vernunftsgründe.
Die Quelle der Hypothese:
Ein Vergleich des hl. Robert Bellarmin
9. Die Idee, einen potentiellen Papst anzunehmen, um die Besetzung des Stuhles Petri durch einen Feind des Glaubens zu legitimieren, stammt aus einem Vergleich des hl. Kardinals Robert Bellarmin, einem Vergleich, von dem wir weiter unten sprechen werden, denn vorher müssen wir daran erinnern, daß dieser Kirchenlehrer jede Annahme eines häretischen Papstes zurückgewiesen hat. „Es ist bewiesen durch Argumente der Autorität und der Vernunft, daß ein offenkundiger Ketzer ,ipso facto’ abgesetzt ist”, schreibt er in seinem Buch „De Romano Pontifice”14. Unter „,ipso facto’ abgesetzt” versteht man folgendes: Ein häretischer Papst ist eben dadurch, daß er das Verbrechen der Ketzerei begeht, abgesetzt, ohne daß ein Urteil oder eine Erklärung der Kirche erforderlich wäre. „Ein offenkundiger Ketzer kann nicht Papst sein”, sagt auch noch der hl. Bellarmin. „Ein offenbar ketzerischer Papst hört von selbst auf, Papst und Haupt (der Kirche) zu sein, ebenso wie er aufhört, Christ und Glied der Kirche zu sein”14. Denn für den hl. Robert Bellarmin wie für alle Kirchenväter und übrigens für alle Rechtgläubigen kann jemand, der nicht den christlichen Glauben bekennt, in keiner Weise Glied der Kirche sein.
10. In diesen Punkten entfernen sich die Verfechter der These von der Lehre der Kirche. Sie stellen die Behauptung auf, jemand, der gewohnheitsmäßig die Ketzerei lehre15 und also nicht den katholischen Glauben bekenne sondern irgendeinen anderen Glauben, könne nicht als Ketzer bezeichnet werden, weil es menschlich unmöglich sei zu beweisen, daß er die Absicht habe, die Ketzerei zu lehren, anders ausgedrückt, zu tun, was er tut16. Ihrer Meinung nach kennen nur der Papst und die Bischöfe, die göttlich inspiriert sind, die geheimen Gedanken der Menschen; folglich haben nur sie die Fähigkeit, jemandem eine persönliche Qualifikation zuzuschreiben oder über ihn zu urteilen16. Bei einer solchen Perspektive darf ein Mensch, der gewohnheitsmäßig lügt, nicht Lügner, jemand, der die Gewohnheit zu stehlen hat, nicht Dieb, und die Person, die Mord auf Mord begeht, nicht Mörder genannt werden. Jedenfalls wäre es einem menschlichen Gericht unmöglich, es zu beweisen, da ja der Papst und die Bischöfe, und sie allein, die Macht haben, jemandes Schuld festzustellen. Das würde in seltsamer Weise das Rechtsleben und sogar das Leben schlechthin komplizieren, wenn es wahr wäre. Wir werden später auf diese Fiktion zurückkommen, die die Cassiciacum-These umfaßt und nach der die Mitglieder der Hierarchie Göttern gleichgestellt sind. Für den Augenblick genügt es anzumerken, daß der Papst und die Bischöfe nicht die Fähigkeit des Hellsehens haben, die man ihnen zuschreibt; denn „selbst die Engel kennen nicht die geheimen Gedanken der Herzen, nur Gott allein kennt sie”17, wie uns der hl. Thomas von Aquin ins Gedächtnis ruft. Das bestätigt übrigens Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika „Apostolicae curae”: „Über die Gesinnung oder Absicht insofern sie innerlich ist, urteilt die Kirche nicht; aber die Kirche muß darüber urteilen, insoweit sie nach außen in Erscheinung tritt”18.
Materie und Form des Papsttums nach dem hl. Robert Bellarmin
11. Kommen wir auf den Vergleich zurück, den der Autor vom hl. Robert Bellarmin übernommen hat. „Die Kardinäle”, schreibt dieser, „üben bei der Wahl des Papstes ihre Autorität nicht über den Papst aus, weil dieser noch nicht ist, sondern über die Materie, das heißt über die Person, welche sie durch die Wahl gewissermaßen in den Stand setzen, von Gott die Form des Pontifikats aufzunehmen”19. Der hl. Kirchenlehrer vergleicht hier den Mann, auf den die Wahl eines Konklave fällt, mit einer Materie, die geeignet ist für die Form, die der göttliche Künstler ihr geben will. Diese Form, die päpstliche Autorität, ist das determinierende Element, das den Papst als solchen konstituiert; die Materie, dargestellt durch den „papabile”, ist das zu determinierende Element; sie muß also für die Einwirkung des wirkenden Teils geeignet sein. Freilich nimmt nicht jede Materie jede Form auf”; einer flüssigen Materie zum Beispiel kann ein Bildhauer mit dem Meißel nicht die Form einer Statue geben; aus einer Hundemeute könnte ein Staatsoberhaupt nicht die Form einer Regierung herausholen; die Form braucht eine geeignete Materie21. „Wenn eine Materie nicht die vom Künstler vorgesehene Form erhalten könnte”, schreibt der hl. Augustinus, „dürfte man ihr nicht den Namen Materie geben”22.
12. Daraus folgt, daß jemand, um für die Form des Papstes geeignet zu sein, vor allem „formbar”, in unserem Falle also „zum Papst machbar” sein und folglich die drei aus göttlichem Gesetz stammenden Bedingungen für die Wählbarkeit zum römischen Papst erfüllen muß: 1) er muß zur Kirche gehören, 2) er muß den Gebrauch der Vernunft haben, 3) er muß die heiligen Weihen empfangen können. Durch die erste Bedingung werden Ungläubige, Apostaten, Häretiker und Schismatiker ausgeschlossen, durch die zweite Kinder und Geistesgestörte, durch die dritte Frauen. Die Wahl einer Person, die zu einer dieser Kategorien gehört, wäre aus göttlichem Recht ungültig23.
Die Wählbarkeit der Konzilspäpste
13. Nun muß man um zu wissen, ob Paul VI. materiell Papst war, mit anderen Worten, ob er eine geeignete Materie für die Einwirkung des göttlichen Wirkenden war, sich zunächst fragen, ob Giambattista Montini wählbar war24. Wir betrachten den Fall Montini, weil auch der Autor des Cassiciacum-Systems diesen untersucht hat, wobei dieselben Argumente und Schlußfolgerungen „mutatis mutandis” für Karol Wojtyla gelten. Man hat gesehen, daß für den Autor die Hypothese, daß Paul VI. vor seiner Wahl in die Häresie gefallen sei, nicht auszuschließen ist; in diesem Fall wäre er nicht wählbar gewesen24. „Wenn dem so war”, schreibt jener, „dann halten wir dafür, daß Kardinal G. B. Montini niemals Papst gewesen ist”25. Für einige seiner Schüler dagegen ist kaum ein Zweifel möglich; sowohl Montini als auch Wojtyla erfüllten persönlich alle wahrnehmbaren, notwendigen und ausreichenden Voraussetzungen, um von Gott die päpstliche Autorität zu erhalten26; sie waren unbestreitbar die geeignete „Materie”. Dieses stillschweigende Zeugnis für die Rechtgläubigkeit zweier notorischer Modernisten erscheint um so überraschender als die betreffenden Schüler bestimmt Kenntnis haben von dem „beängstigenden Glaubensbekenntnis” des Kardinals Montini „zur Teilhardschen Lehre”, wie ihr geistiger Lehrmeister sich ausdrückt, einer Lehre, die in den „Cahiers de Cassiciacum” veröffentlicht wurde, an denen sie mitgearbeitet oder die sie gelesen haben11. Ebenso mußten sie Kenntnis davon haben, daß Kardinal Wojtyla den häretischen Lehren des Winkelkonzils Vatikanum II schon vor seiner Erhebung zum Papst öffentlich anhing27. Aber abgesehen von dieser anfänglichen Meinungsverschiedenheit sind sich alle schließlich darin einig, daß der Okkupant des Apostolischen Stuhls potentiell Papst ist und bleibt28 und folglich, wenigstens in ihrer Optik, rechtmäßiger Papsts.
Montini hat nie die Form des Pontifikats erhalten
14. Die Frage, ob dieser Okkupant nie von Gott die Form des Pontifikats erhalten hat oder ob er sie nach Erhalt verloren hat, lassen sie unbeantwortet29. Der Gewählte des Konklave, sagen sie, hat dem Empfang der Form ein Hindernis entgegengesetzt, indem er zu einem Zeitpunkt, den sie nicht näher bestimmen, in seinem Innersten abgelehnt hat, das Wohl der Kirche zu verwirklichen”. Man kann sich offensichtlich alles vorstellen. Auf diesen Mangel an Absicht ist zu schließen aus beobachteten Tatsachen, das heißt aus Häresien, die vom Okkupanten nach seiner Wahl gelehrt wurden31.
Es wäre jedoch leicht gewesen, eine Antwort auf diese Frage zu geben. Der Autor gibt zu, man hat es gesehen, daß Paul VI., als er am 7. Dezember 1965 eine häretische Erklärung promulgierte, die eine von Gott geoffenbarte Wahrheit hätte sein müssen, nicht den von Christus seiner Kirche (Mt 28, 20) und dem Petrus (Lk 22, 32) verheißenen göttlichen Beistand besaß. Wenn er nun damals nicht mit der Kraft ausgestattet war, in der Ausübung seines Amtes eines Lehrers aller Gläubigen nicht irren zu können, dann war er es auch nie vorher, sonst hätte er nicht irren können, wie er es getan hat. Das Gegenteil anzunehmen ist absurd. Daraus folgt, daß Paul VI. gestorben ist, ohne jemals die Form des Pontifikats erhalten zu haben. Es bleibt die Frage, ob er sie hätte erhalten können, oder ob sein Nachfolger Johannes Paul II. sie erhalten kann, mit anderen Worten, ob ein öffentlicher Ketzer auf dem Stuhl Petri potentiell Papst ist, wie die Verfechter der These behaupten.
Der Okkupant ist geeignet für die Form, wenn . . .
15. Wir haben gesehen, daß das für den Autor nicht den Schatten eines Zweifels an sich hat trotz der von ihm als möglicherweise ungültig angesehenen Wahl des Kardinals Montini11 25, einer Gegebenheit, die er bei seinen Beweisführungen überhaupt nicht berücksichtigt, wodurch diese von Grund auf falsch sind. Er beschränkt sich auf die Bemerkung: Ein Papst, der durch sein gewohnheitsmäßiges und notorisches Verhalten der Übertragung der Vollmachten Jesu Christi, die ihn ,formaliter’ zum Papst machen würden, ein Hindernis entgegensetzt, ein solcher Papst bleibt ,materialiter` Papst32. Er ist ein unmittelbar geeignetes Subjekt, um ,formaliter’ Papst zu werden oder wieder zu werden, wenn er von seinen Irrtümern abläßt”32.
16. Dieser Text bietet zwei Schwierigkeiten, wovon wir die erste gemeistert haben: Der Okkupant kann nicht „wieder werden”, was er nie gewesen ist, denn die Annahme eines Versagens des unfehlbaren Lehramts ist ein Widerspruch in sich (supra § 14).
Die zweite Schwierigkeit kommt daher, daß der Autor den Okkupanten ansieht als „unmittelbar geeignetes Subjekt; um ,formaliter’ Papst zu werden, wenn er abläßt von seinen Irrtümern”32. Wieso: „er ist geeignet, wenn . . .? Ist der Okkupant in der jetzigen Situation geeignet für die Form des Pontifikats oder nicht? Kann er sie erhalten oder nicht? Und wenn er es nicht kann, wenn er nicht dazu geeignet ist „hic et nunc”, ist er nicht die geeignete Materie im philosophischen Sinn dieses Ausdrucks; er ist also nicht materiell Papst. Noch einmal: Die Materie als solche hat die Fähigkeit für die Formen, und wenn ein Subjekt eine bestimmte Vollendung, eine bestimmte hinzugegebene Form (denn es handelt sich hier offensichtlich um eine akzidentielle Form) nicht erhalten kann, dürfte man ihm nicht analog die Bezeichnung Materie geben (supra § 11).
Ein Erklärungsversuch: die fehlende Disposition
17. Wird man sagen, die Fähigkeit einer Materie zum Aufnehmen der Form entwickele sich durch die Dispositionen, welche die Materie für den Akt, das heißt für dieses Aufnehmen hat33? und daß im vorliegenden Fall der Okkupant des Stuhls noch nicht alle dafür erforderlichen Dispositionen habe? Gerade das behaupten die Verfechter der These34. Daraus, daß der Gewählte des Konklave gewohnheitsmäßig die Häresie lehrt, sagen sie, zieht man den Schluß, daß er nicht die Absicht hat, das Wohl der Kirche zu verwirklichen; nun ist aber diese Absicht die Bedingung, um von Christus die Form des Pontifikats zu erhalten35, der das Charisma der Unfehlbarkeit voraussetzt; während man darauf wartet, daß der Okkupant des Stuhls innerlich anders disponiert wird und das 2. Vatikanische Konzil für häretisch erklärt, muß man also dafürhalten, daß er materiell Papst bleibt34, denn das Fehlen guter Absichten gegen die Kirche bildet kein Hindernis für die Gültigkeit einer Papstwahl35. Für den Verfasser besteht übrigens eine Analogie zwischen der fehlenden Absicht des Okkupanten, das Wohl der Kirche zu verwirklichen, und der Ablehnung des Sünders, die Gnade der Rechtfertigung zu empfangen36; im einen wie im anderen Fall wäre die Mitwirkung der Person durch eine Bewegung ihres Willens für die Erlangung der Gnaden von Gott erforderlich.
Widerlegung:
I. Die Heterodoxie der Person
18. Diese Meinung kann aus zwei Gründen nicht vertreten werden. Der erste ist folgender: Daraus, daß der Okkupant die Häresie lehrt, läßt sich nicht unmittelbar seine fehlende Absicht, das Wohl der Kirche zu verwirklichen, ableiten, weil zwischen diesen beiden Sätzen Zwischenurteile liegen, die der Verfasser ausgelassen hat und die man wiederherstellen muß, wenn man nicht den zur Diskussion stehenden Punkt im Dunkeln lassen will. Wir stellen hier die Beweisführung des Verfassers wieder her.
Der Okkupant lehrt die Häresie. Nun ist die Häresie ein menschlicher Akt, das heißt ein Willensakt37. Also will der Okkupant die Häresie lehren, er hat die Absicht dazu. Nun schadet die Häresie der Kirche. Also hat der Okkupant die Absicht, der Kirche zu schaden. Daraus folgt wohl offensichtlich, daß er nicht die Absicht hat, ihr nicht zu schaden, und folglich auch nicht die, das Wohl der Kirche zu verwirklichen.
Daraus, daß ein Mensch eine Tat begeht, folgert man tatsächlich, daß er diese Tat begehen will, und nicht, daß er die entgegengesetzte Tat nicht begehen will. Auf das Fehlen des Willens (oder der Absicht), eine Tat auszuführen, könnte man direkt nur schließen aus dem Nicht-Ausführen dieser Tat. So darf man bei einer Mutter, die sich nicht um ihre Kinder kümmert, unmittelbar darauf schließen, daß sie nicht die Absicht hat, ihr Wohl zu verwirklichen. Anders verhielte es sich, wenn sie sie quälte; daraus würde man dann direkt ihre Absicht, ihnen zu schaden, ableiten.
Die gleiche Beweisführung läßt sich auf den Fall der Konzilspäpste anwenden. Ein Johannes Paul II. unterläßt es nicht nur wie einst Papst Honorius, den wahren Glauben gegen die Irrlehrer zu verteidigen; Johannes Paul II. zerstört ihn selbst, indem er systematisch, öffentlich und hartnäckig die Häresie lehrt und die Katholiken zwingt, sie zu lehren. Das sind allgemein bekannte Tatsachen, aus denen man unmittelbar seinen überlegten Willen, den christlichen Glauben, wenn es möglich wäre, ganz verschwinden zu lassen, ableiten kann.
Der elliptische Satz des Autors, der die unnütze Komplikation in seiner Beweisführung verdunkelt, scheint ihm diktiert worden zu sein von der Sorge, die Ketzerei des Okkupanten so viel wie möglich zu verschleiern, um sein angebliches Recht auf den Apostolischen Stuhl besser verteidigen zu können. Wie dem auch sei, der Schluß: „der Okkupant hat nicht die Absicht, das Wohl der Kirche zu verwirklichen” setzt den vorhergehenden Satz, auf dem er fußt, als wahr voraus, nämlich: „der Okkupant hat die Absicht, die Häresie zu lehren”, also schlecht zu handeln, denn dieser Satz, und er allein, erlaubt es dem Autor, sich über die Absicht dieses Okkupanten hinsichtlich des Wohls der Kirche zu äußern.
19. Daraus folgt, daß die berühmte Disposition, die dem Gewählten des Konklave noch fehlen soll, um von Jesus Christus die Form des Papsttums zu erhalten, nichts anderes ist als die Rechtgläubigkeit. Nun bezeugt das Aufgeben des göttlichen Glaubens durch eine Person nicht eine akzidentielle und deshalb heilbare Unfähigkeit, den Stuhl Petri innezuhaben; es handelt sich in keiner Weise, wie man uns glauben zu machen versucht, um eine Kleinigkeit, einem Mangel an Disposition, an Bereitsein der Materie zum Aufnehmen der Form vergleichbar; es handelt sich um eine radikale Unfähigkeit des Subjekts, das infolgedessen der Bezeichnung Materie widerstrebt. Ein Ketzer kann in keiner Weise Zugang zum Papstamt haben, wir sagten es weiter oben (supra § 12)23, und es steht weder Mgr. Guérard des Lauriers noch seinen Schülern zu, die Bedingungen für die Wählbarkeit zum Nachfolger Petri zu ändern, die göttlichen Rechts sind. Übrigens, wenn man die Rechtgläubigkeit als einfache Disposition betrachten will, die das Subjekt nach seiner Wahl bloß zu erwerben brauchte, wird man aus Sorge um Kohärenz sowohl Kinder für wählbar halten müssen, die in dieser Optik ja immerhin größer werden und später die Form des Pontifikats erhalten können, als auch Ungetaufte unter dem Vorwand, daß es nicht unmöglich sei, daß die päpstliche Autorität von oben aus ihnen formelle Päpste mache, wenn sie sich zufällig bekehren sollten.
Widerlegung:
II. Die Gesetze der Kirche
Die Konstitution „Vacantis apostolicae Sedis”
20. Der zweite Grund, der zur Ablehnung der besagten Meinung zwingt, ist, daß sie den Gesetzen der Kirche widerspricht, insbesondere der Konstitution Pius XII. über die Vakanz des Apostolischen Stuhls und die Wahl des römischen Papstes, „Vacantis apostolicae Sedis”38, nach deren Wortlaut der von einem Konklave Gewählte keine zusätzliche Disposition mehr zu erwerben braucht, um die Fülle der universellen Jurisdiktion zu besitzen. „Sobald die Zustimmung (des Gewählten zur Wahl) gegeben worden ist, ist der Gewählte auf der Stelle (illico) wahrer Papst und erwirbt eben dadurch volle und absolute Jurisdiktion über (die ganze Welt) und kann sie ausüben” (Cap. VII, 101).
Die Lehre des hl. Robert Bellarmin
21. Das ging übrigens bereits sehr klar aus dem zitierten Text des hl. Bellarmin hervor (supra § 11), der erklärt, daß „die Kardinäle, wenn sie einen Papst wählen, ihre Autorität nicht über den Papst ausüben, weil er noch nicht ist, sondern über die Materie, das heißt über die Person, die sie durch die Wahl gewissermaßen in den Stand setzen, von Gott die Form des Pontifikats aufzunehmen”19. Diese Person wird also als die schon vor der Wahl geeignete Materie angesehen, wenn man sie noch vertraulich als „papabile” bezeichnet, das heißt fähig, die Form des Papsttums aufzunehmen. Wir sagen richtig vor der Wahl und nicht danach, denn dem hl. Robert Bellarmin zufolge übertragen die Kardinäle demjenigen, der bereits materiell Papst ist (aber ja, denn sonst hätte diese Bezeichnung überhaupt keinen Sinn), gerade durch die Wahl die Disposition, die ihn bereit macht für das Aufnehmen der Form des Papsttums bei der Zustimmung zur Wahl.
Der Kanon 219
22. Die oben zitierte Vorschrift Pius XII. (supra § 20)38 befindet sich mit folgenden Worten im Codex Iuris Canonici des hl. Pius X.: „Romanus Pontifex, legitime electus, statim ab acceptata electione, obtinet, iure divino, plenam supremae iurisdictionis potestatem” Der rechtmäßig gewählte römische Papst erhält aus göttlichem Recht sofort nach der Annahme der Wahl die volle oberste Jurisdiktionsgewalt (Can. 219). Er erhält sie sofort, lateinisch: „statim”; Pius XII. sagt: „illico”. Zwischen der Annahme durch den Gewählten und der von Gott gegebenen vollen Gewalt gibt es also nicht den geringsten Platz für einen materiellen Pontifikat, den „eventuelle spätere Entschlüsse”34 nach dem Traum der Verfechter der Hypothese für diesen Akt bereitmachen würden. Montini hat wie auch später Wojtyla die Wahl angenommen, die, um den Vergleich des hl. Bellarmin wieder aufzugreifen, ihn als Materie in den Stand gesetzt hatte, sofort (statim) die Form des Papsttums aufzunehmen. Dennoch, und das ist offensichtlich, besaß er nicht die dem Petrus vom Heiland verheißene Unfehlbarkeit (Lk 22, 32) und folglich auch nicht die Macht, die Kirche zu regieren. Es bleibt also nur eine einzige mögliche Erklärung gemäß obigem Kanon 219: Montini wurde nicht „rechtmäßig gewählt” mindestens aus dem Grunde, weil er schon vor seinem Eintritt ins Konklave nicht „papabile” im eigentlichen Sinn dieses Wortes war; er war niemals potentieller Papst, materieller Papst; seine Wahl ist ungültig. Übrigens erhärten die Tatsachen diese Schlußfolgerung, denn es ist allgemein bekannt, daß Montini wie auch sein Nachfolger Wojtyla lange vor seiner Wahl in die Häresie gefallen war39.
23. Um die Vorschriften des Kanon 219 und der Konstitution „Vacantis apostolicae Sedis”38 zu umgehen, sagen die Anhänger des Systems, Montini habe die Wahl nicht aufrichtig angenommen; er habe keine guten Absichten gegen die Kirche gehegt35 36; er habe „in petto” die Vollmacht Jesu Christi zurückgewiesen; kurz, sie sagen alles mögliche. Auf diese Art von Sophistereien könnte man natürlich leicht erwidern: Wenn Montini gegen Christus war, bedeutet dies, daß er nicht zu ihm gehörte, daß er also außerhalb der Kirche und somit nicht wählbar war und seine Wahl ungültig ist. Aber wir haben schon genug darüber gesagt. Die Gesetze der Kirche sind, was sie sind; der Rest ist Literatur.
Widerlegung:
III. Die Analogie zwischen dem Akt der Rechtfertigung und dem Empfang des Charisma der Unfehlbarkeit
24. Schließlich muß noch ein Wort zu der Analogie gesagt werden, die der Autor zwischen der Übertragung der Unfehlbarkeit auf den Gewählten eines Konklave und dem Geschenk der rechtfertigenden Gnade an den Gerechtgemachten sehen will, weil beide durch einen Willensakt für diese Gnaden vorbereitet und disponiert sein müßten (supra § 17).
Es gibt in dieser Hinsicht keine Analogie, aber um das zu verstehen, muß man zunächst folgendes wissen: Die rechtfertigende oder heilig-machende Gnade, die „uns in den Augen Gottes angenehm macht” (Eph 1, 6), wird dem Menschen zu seiner eigenen Rechtfertigung geschenkt; die Theologen nennen sie „gratia gratum faciens”. Das Charisma ist die einem Menschen unverdientermaßen geschenkte Gnade („gratia gratis data”), um bei der Rechtfertigung der anderen mitzuwirken gemäß dem Wort des Apostels: „Einem jeden wird die Offenbarung des Geistes gegeben zum Nutzen” seiner Brüder (I Kor 12, 7)40. Diese Gnade, die die Möglichkeiten der Natur übersteigt, ist dem Menschen in keiner Hinsicht geschuldet40. Die Gaben der Weissagung, der Weisheit, der Wissenschaft, der Sprachen, der Auslegung der Reden, die zur Unterweisung der anderen in den Glaubenswahrheiten dienen, sind ebensoviele Beispiele für die Offenbarung des Geistes in der Kirche (I Kor 12, 8-9). Solche Gaben setzen nicht notwendigerweise die heiligmachende Gnade voraus41, obgleich Gott sie meistens denen gewährt, die dem Stand der Gnade sind, besonders seinen Heiligen.
25. Außerdem gibt es zwischen der heiligmachenden Gnade und dem Charisma folgenden Unterschied: das eine ist eine mitwirkende Gnade, das andere eine wirkende Gnade. Die erste Gnade ist mitwirkend, weil Gott, der den Willen des Menschen zu sich zu kehren begonnen hat, mit diesem Willen mitwirkt, dessen freie Zustimmung zum göttlichen Wirken von da an für die Rechtfertigung des Menschen erforderlich ist42. „Der dich geschaffen hat ohne dein Zutun”, sagt der hl. Augustinus, „wird dich nicht rechtfertigen ohne dein Zutun”32. Das zweite, das Charisma, ist eine wirkende Gnade, weil Gott, wenn er jemandem seine übernatürlichen Gaben schenkt, ohne dessen Zutun wirkt, und das ist begreiflich. Die Gabe der Weisheit, welche die Erkenntnis der göttlichen Dinge, etwa der Geheimnisse, ist oder die Gabe der Wissenschaft, welche die Erkenntnis der menschlichen Dinge, wie der geschaffenen Wirklichkeiten, ist, die zum Beweis der Existenz und der Vollkommenheiten Gottes dienen, diese beiden Gaben zum Beispiel wenden sich zunächst an den Verstand, nicht an den Willen, und insofern erfordern sie nicht dessen Zustimmung. Der beste Beweis dafür ist, daß Wahrheiten, von denen wir vorher nichts wußten, sich unserer Erkenntnis aufdrängen, ohne daß unser Wille irgendeinen Anteil daran hat44. Daher ist das Charisma im Unterschied zur heiligmachenden Gnade, die eine der Seele innewohnende göttliche Eigenschaft ist, und im Gegensatz zu dem, was der Autor der These behauptet45, eine aktuelle und nicht habituelle, nicht transformierende, zuvorkommende Gnade im vollen Sinn dieses Wortes; es setzt in der Person, die damit beschenkt wird, weder vorhergehende Überlegung noch besondere Absicht noch habituelles Bereitsein der Seele voraus, denn es wird ohne jedes persönliche Verdienst gegeben41.
Das scheint der Autor der Hypothese nicht gewußt zu haben, als er eine durch nichts begründete Analogie erfand. Noch einmal: Wenn ein Bereitsein des Subjekts für die heiligmachende oder habituelle Gnade erforderlich ist, die die Seele mit Gott vereinigt, indem sie sie an seiner Natur teilhaben läßt (II Petr 1, 4; I Joh 3, 1-2)46, so ist das dagegen nicht nötig, um von Gott das Charisma der Unfehlbarkeit oder irgendein anderes Charisma zu erhalten, die nicht jene Vereinigung bewirken47.
26. Hier ist es von Nutzen, einen Text des hochw. P. Heris O.P. aus seinem Kommentar zur Lehre des hl. Thomas von Aquin über die Gnade zu zitieren: „Einige Stände oder Ämter in der Kirche”, schreibt er, „können das charismatische Eingreifen des Heiligen Geistes erfordern, zumindest bei bestimmten Gelegenheiten; so ist es zum Beispiel mit dem Charisma der päpstlichen Unfehlbarkeit. Aber dieses Eingreifen geschieht nicht aufgrund der inneren Disposition der Person, der dieses oder jenes Charisma gewährt wird, sondern um den Bedürfnissen der Kirche und der ihr von Christus gegebenen Verheißung des Beistands Genüge zu leisten (. . .). Die Charismen stehen nicht im Dienst der Seelen, die sie haben, sondern im Dienst des mystischen Leibes der Kirche, und die Bedürfnisse oder der Nutzen der Kirche erklären das Geschenk dieser unverdienten aktuellen Gnaden an eine Person, nicht der Seelenzustand dessen, der damit beschenkt wird”47.
Schlußfolgerung: Die berühmte Disposition der Seele, die erforderlich sei für das Aufnehmen der Form des Pontifikats durch den Okkupanten des Heiligen Stuhls ist eine theologische Fiktion, um der de facto-Besetzung desselben einen Schein von Recht zu geben, ohne den die Absurdität der Cassiciacum-Hypothese zu offensichtlich wäre.
Fortsetzung folgt
In den Anmerkungen verwendete Abkürzungen:
G: Mgr. M. L. Guérard des Lauriers, o.p.
L: Abbé Bernard Lucien
B: Abbé Hervé Belmont
CASS:„Cahiers de Cassiciacum”, Etudes de sciences religieuses, Assoc. Saint-Herménégilde,
Nice 1979-1981
AUT: „La situation actuelle de l’autorité dans l’Eglise”, Documents de catholicité, Assoc. Saint-Herménégilde, Nice 1985
SLB: „Sous la bannière”, A. M. Bonnet de Viler, 18260 Villegenon
BOC: „Bulletin de l’Occident chrétien”, 92310 Sèvres
CRI: „L’exercice quotidien de la foi dans Ia crise de l’Eglise”, Oratoire Notre-Dame de Sainte
Espérance, Bordeaux 1984
1 G CASS 1, S. 12 und 16.
2 L AUT, S. 9.
3 G CASS 1, S. 37.
4 Ebd., S. 36, Nr. 3.
5 G CASS 1, S. 36, Nr. 21 — B CRI, S. 22 — L AUT, S. 27.
6 G CASS 1, S. 21.
7 L AUT, S. 9 und 11.
8 G SLB, Suppl. au no 8, Nov/Déc. 1986, S. 10.
9 G CASS 1, S. 36, Nr. 2.
10) Kardinal Montini, „Religion et travail”, 27. März 1960, Turin, Doc. Cath. 19. 6. 1960, Nr. 1330 — Siehe Studie zu diesem Text in La Voie Nr. 9, S. 13 ff.
11 G CASS 1, S. 107 und 108.
12 L CASS 2, S. 85.
13 Ebd., S. 86.
14 St. Robert Bellarmin, „De Romano Pontifice” Lib. II, cap. XXX.
15„Déclaration de Mgr. Guérard des Lauriers”, BOC Nr. 84, Oktober 1983.
16 G CASS 1, S. 79 und 82.
17 S. Th. Ia, 12, 8.
18 „De mente vel intentione, utpote per se quiddam est interius, Ecclesia non iudicat; at quatenus extra proditur iudicare ea debet.” Leo XIII., Enzykl. „Apostolicae curae”, 13. September 1896, Denz. 3318.
19 „De Romano Pontifice”, op. cit. Lib. II, cap. XXX.
20 Vgl. Aristoteles, „Physik”, II, 2, 194 b 9 et passim.
21 Aristoteles, „De anima”, II, 2, 414 a 25.
22 St. Augustinus, „De natura boni”, XVIII., 18.
23 Xavier da Silveira, „La messe de Paul VI.: qu’en penser?” „Es ist allgemeine Meinung, daß die Wahl einer Frau, eines Kindes, eines Geisteskranken oder anderer, die keine Glieder der Kirche sind, das heißt der Ungetauften, Häretiker und Schismatiker, durch göttliches Gesetz ungültig ist.”
Sipos-Galos, „Enchiridion Iuris Canonici”: „Eligi potest (sc. R.P.) quodlibet masculum, usu rationis pollens, membrum Ecclesiae. Invalide ergo eligerentur feminae, infantes, habituali amentia laborantes, non baptizati, haeretici, schismatici.”
Um zum Papst gewählt zu werden muß man also sein: „männlich, den Gebrauch der Vernunft haben und Glied der Kirche sein. Ungültig ist also die Wahl von Frauen, Kindern, Geisteskranken, Ungetauften, Häretikern und Schismatikern.”
Plöchl, „Lexikon für Theologie und Kirche”, 1963, Bd. VIII, Sp. 60/63: „Wählbar ist ein getaufter, männlicher, rechtgläubiger Katholik, ausgenommen Unmündige und Geisteskranke.”
Es ist angebracht, nach der einstimmigen Lehre der Theologen und Kirchenrechtler an die Lehre des Magisterium zu erinnern. In seiner Apostolischen Konstitution „Cum ex Apostolatus Officio” vom 15. Februar 1559 erklärt Papst Paul IV. als nichtig, ungültig und ohne Wirkung die Wahl eines Mannes, der vom katholischen Glauben abgewichen ist. Siehe unsere Studie in La Voie, Nr. 6, 7, 9, 10, 11, 12, „Portrait d’un ,papabile: J. B. Montini.”
24 G CASS 1, S. 88, 107, 108.
25 Ebd., S. 88.
26 LAUT, S. 31.
27 Karol Wojtyla, „Aux sources du renouveau”, Etude sur la mise en oeuvre du Concile Vatican II, Le Centurion, Paris, 1981 — Die Originalausgabe erschien in polnischer Sprache mit dem Titel “U podstaw odnowy, Studium o realizacji Vaticanum II”, Krakau, 1972.
28) G CASS 1, S. 36, Nr. 3 und Anmerkung 21 — LAUT, S. 53.
29 G CASS 1, S. 37 und Anmerkung 22.
30 L CASS 2, S. 86 et passim.
31 G CASS 1, S. 9, 12, 16 und 68 bis 71.
32 Ebd., S. 90.
33 Vgl. S. Th. I, 48, 4.
34 L CASS 2, S. 84.
35 L CASS 2, S. 86 — G CASS 1, S. 76 und 78 b) 1.
36 G CASS 1, S. 50.
37 S. Th. I—II, 6, 1.
38 Konstitution „Vacantis apostolicae Sedis”, 8. Dezember 1945, AAS Pius XII, Bd. VII, S. 276:
Kap. VII, 101: „Hoc consensu prestito intra terminum, quatenus Opus sit, pendenti arbitrio Cardinalium per maiorem votorum numerum determinandum, illico electus est verus Papa, atque actu plenam absolutamque iurisdictionem supra totum orbem acquirit et exercere potest.”
Kap. VI, 99: „Electum vero haeredem et Successorem Nostrum rogamus, ne muneris arduitate deterritus ab eodem subeundo se retrahat, at potius divinae voluntatis consilio humiliter se subiiciat: nam Deus qui imponit onus, manum etiam Ipse supponet, ne ei ferendo sit impar; is enim qui oneris est auctor, Ipse est administrationis adiutor; et ne sub magnitudine gratiae succumbat infirmus, dabit virtutem qui contulit dignitatem.”
39 Siehe unsere Artikelserie „Portrait d’un ,papabile`” in La Voie, Nr. 5, 6, 7, 9, 10, 11, 12.
40 S. Th. I—II, 111, 1.
41 So sagt uns der hl. Johannes, daß Kaiphas „in seiner Eigenschaft als Hoherpriester weissagte, Jesus müsse nicht nur für das Volk sterben, sondern auch um die zerstreuten Kinder Gottes zur Einheit zusammenzuführen” (Joh 11, 51, 52), aber, so präzisiert der Evangelist, Kaiphas „sagte das nicht aus sich selbst, sondern weil er in jenem Jahr Hoherpriester war” (ebd.).
Wir lesen auch im Katechismus des Konzils von Trient: „Die allen (in der Kirche) gemeinsamen Güter sind nicht nur die Geschenke, die uns Gott wohlgefällig und gerecht machen. Es sind auch die umsonst verliehenen Gnaden wie die Wissenschaft, die Gabe der Prophetie, die Sprachen-und Wundergabe und die übrigen Gaben der gleichen Art. Diese Privilegien, die manchmal sogar den Bösen gewährt werden, werden nie um des persönlichen Nutzens willen sondern zum Nutzen und zur Erbauung der ganzen Kirche geschenkt” (Kap. X, § 10).
Man kann auch nachschlagen beim hl. Thomas von Aquin, S. Th. I—II, 111, 1, sol. 2 et 3.
42 St. Augustinus, „De gratia et libero arbitrio”, Kap. 17 — S. Th. I—II, 111, 2 — Konzil von Trient, Sessio VI, Kap. 7, Denz. 798, 799, 819.
43 St. Augustinus, Sermo 169.
44 S. Th. I—II, 111, 4.
45 G CASS 1, S. 48, 49.
46 S. Th. I—II, 110, 4, concl., — I—II, 111, 5, sol. 2.
47 St. Thomas von Aquin, „La grâce”, Ed. du Cerf, Paris 1961, erläuternde Anmerkung von Ch.-V. Héris 0.P., Nr. 55, S. 290, 291.
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Quelle: “KYRIE ELEISON”, 20. Jahrgang, 1991, Nr. 3, S. 45-60 (Organ der “LIGA KATH. TRADITIONALISTEN e.V.”, Dr. phil. Elisabeth Gerstner, Overath-Immekeppel9