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Joseph Shaw*: Der Tod der “Reform der Reform” (der Liturgie)

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1. Zwei Riten, zwei Spiritualitäten

Hw. Thomas Kocik, Hw. Mark Kirby und Hw. Hugh Sommerville-Knapman, die sich lange für das große Projekt einer „Reform der Reform” (RdR) eingesetzt haben, stimmen in ihrem Schluß überein, daß daraus nichts werden wird. Der Novus Ordo hat grundlegende Probleme, die das unmöglich machen.

Zur Klärung vorweg: Was ist die RdR und was wollten sie erreichen? Sie hofften, dadurch, daß man den Novus Ordo so ehrfürchtig wie möglich und mit den traditionellsten darin angelegten Optionen – auf Latein, ad Orientem usw. – zelebriert, der Liturgie größere Gemeinsamkeit mit der überlieferten Messe zu verleihen. Wie sie in einer langen Reihe von Publikationen vortrugen, setzten sie ihre Hoffnung auf Veränderungen des Missales, die noch weitere traditionelle Optionen (wie etwa die alten Offertoriumsgebete) eröffnen und sogar einige entschieden nicht-traditionelle Optionen (etwa einige der neuen Präfationen) abschaffen sollten. Teilweise setzten sie sogar auf eine Verschmelzung der beiden Riten in einer Art Kompromiss-Missale. Das Ziel ihrer Anstrengungen sahen sie darin, der Zelebration etwas von dem zurückzubringen, was im Novus Ordo allzu oft fehlt und was Papst Benedikt als ein Charakteristikum des Vetus Ordo ausgemacht hatte: Sakralität, den Sinn für das Heilige.

Ich empfehle den Lesern, sich die Argumente und die sehr interessanten Zuschriften auf New Liturgical Movement anzusehen – ich möchte das, was dort gesagt worden ist, nicht wiederholen.

Ich habe bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, daß eine RdR praktische und pastorale Probleme aufwirft: Während ihre Befürworter ständig beanspruchen, diese sei in einer Pfarrei leichter durchzusetzen als eine herkömmliche heilige Messe, ist das in Wirklichkeit schwieriger. Der Grund ist ganz einfach: Wenn ein Priester sich von den Messdienerinnen verabschiedet, den Altar zur Feier ad orientem umdreht und etwas Latein einführt, wird er in der typischen Novus-Ordo-Pfarrei einen Bürgerkrieg auslösen, den er mit großer Sicherheit verlieren wird. Wenn er in einer bisher freien Zeit eine Messe im alten Ritus einführt, bekommt er bei einem feindselig eingestellten Dekan oder Bischof vielleicht einen schwarzen Punkt in seiner Personalakte, aber kurz- und mittelfristig wird er damit wahrscheinlich durchkommen. (Langfristig handelt er sich damit vielleicht eine Versetzung ein.) Das hat sich so in vielen Fällen bestätigt. Die RdR ist nicht der leichtere Weg.

Aber ich will auf etwas anderes hinaus. Ich bin zwar sehr für Latein, für die Feier ad orientem und so ziemlich alles, was die RdR propagiert, aber ich bin mir darüber im klaren, daß ihrer Umsetzung im Novus Ordo nicht nur die Gewohnheiten in den Pfarreien entgegenstehen. Wenn man eine Annäherung an die überlieferte Messe anstrebt, stellt sich nicht nur ein Problem der Texte und Zeremonien und wieviele Veränderungen man daran vornehmen müsste. Das Problem ist vielmehr, daß der Novus Ordo sein eigenes Ethos, seinen eigenen Begründungszusammenhang und seine eigene Spiritualität aufweist. Er enthält sein eigenes und sehr spezifisches Verständnis davon, was liturgische Teilnahme bedeutet. Seine Texte und Zeremonien sind so, wie sie sind, um diese Art von Teilnahme zu befördern. Wenn man das auf Latein und ad orientem macht und insbesondere wenn man Dinge einführt, die gegenwärtig nicht zulässig sind wie die Kanonstille, dann untergräbt man genau die Art von Teilnahme, für die der Novus Ordo entwickelt worden ist.

Das heißt, wenn man etwas anstrebt, das auf einen Kompromiss zwischen den beiden Missales hinausläuft, besteht die Gefahr, sich zwischen zwei Stühle zu setzen. Ich werde darauf im weiteren Verlauf näher eingehen.

2. Das Verkennen der non-verbalen Kommunikation

Die Erkenntnis, daß der Novus Ordo und der Vetus Ordo zwei unterschiedliche Vorstellungen von gottesdienstlicher Teilnahme zum Ausdruck bringen, hat schwindelerregende Auswirkungen für die künftige liturgische Entwicklung der Kirche, darauf wird noch zurückzukommen sein.

Während der Liturgischen Bewegung begeisterten sich die Liebhaber an den wunderbaren Reichtümern der katholischen Liturgie und setzten alles daran, diese Reichtümer in all ihrer Pracht den Gläubigen näher zu bringen. Da sie Liturgiehistoriker waren, orientierten sie sich in erster Linie an den Texten, und so schrieben sie Mengen von sehr guten Büchern über die heilige Messe und von Kommentaren zum Kirchenjahr. Diese Bücher hatten auch großen Erfolg, aber sie wurden naturgemäß nur von einer kleinen Minderheit der Katholiken gelesen.

Im Lauf der Zeit stellten sich die Mitglieder dieser Bewegung die Frage, wie man diese Reichtümer in größerem Umfang für die Gläubigen zugänglich machen könne. Das Schreiben von Büchern hat schließlich nur begrenzte Auswirkungen – man muß etwas mit der Liturgie selbst machen. Sie versuchten eine ganze Reihe von Dingen. Es gab eine große Bewegung zur Wiederbelebung der Gregorianik, daher ermutigten sie die Gläubigen zum Gesang der soeben neu edierten Choräle des Ordinariums. Sie versuchten mit den zweisprachigen Missales die Leute dazu zu bringen, während der Messe den Text der Gebete zu lesen – schließlich konnte inzwischen jedermann lesen. In der Stillen Messe setzten sie sich dafür ein, daß die Leute die Antworten des Messdieners sprechen sollten.

Das sind im Grunde keine schlechten Ideen. Aber sie gehen alle in eine Richtung: Weil für die Liturgiker dieser Epoche – des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts – die Texte im Mittelpunkt standen, wollten sie, daß sich auch die Gläubigen auf die Texte konzentrieren sollten. Sie kamen zu der Überzeugung, daß die Gläubigen nur dann wirklich an der Messe teilnehmen, wenn sie sie auf der Ebene der Texte verfolgen und verstehen. Dieser Gedanke fand seinen Weg in offizielle Dokumente. Pius X. sprach beispielsweise von ‚aktiver Teilnahme‛ im Zusammenhang mit seinem Bestreben, die Leute ans Singen zu bringen. Später war in einer Instruktion die Rede davon, die Übernahme der Antworten der Ministranten durch die Gemeinde stellten „eine vollkommenere Form“ der Teilnahme dar. Und seitens der Liturgiker wurde eine Kritik über die Art der Teilnahme der gewöhnlichen Katholiken an der Messe laut, da diese nicht gut genug geschult seien. Man bezeichnete sie als „stumme Zuschauer“. Es dauerte nicht lange, bis sie dahinter kamen, daß diese liebenswürdige Bezeichnung eigentlich auf alle Laien von – mindestens – dem 8. Jahrhundert bis 1930 und auf die große Mehrheit derer von 1930 bis 1964 zutraf. Diese Epoche der Liturgiegeschichte, in der die Messe wie wir sie kennen in vielfacher Weise Gestalt annahm, war nur eine tote Zone. Sie war spirituell wertlos.

Einige Liturgiker unternahmen eine letzte Anstrengung, um die wunderbaren Texte der liturgischen Tradition den Gläubigen näher zu bringen: Sie stellten Versuche mit der Zelebrationsrichtung zum Volk hin an, damit jedermann sehen konnte, was stattfand. Dann kamen sie dahinter, daß man die Texte, wenn die Leute sie verstehen sollten, auf jeden Fall besser laut und in der Umgangssprache vortragen müsse. Das leuchtet ein. Aber die Entwicklung ging weiter. Selbst laut gelesen und auf Englisch waren die Texte zu lang und zu kompliziert. Ihre Übersetzung in die Umgangssprache machte deutlich, daß sie für den ständigen Gebrauch in der Muttersprache der Gemeinde unbrauchbar waren. Außerdem erwies sich die Reihenfolge der Abläufe als verwirrend und (anscheinend) unlogisch. Und dann gab es noch die anderen theologischen Moden mit ihrer Abneigung gegen jede Betonung von Sünde, Buße oder die Heiligen. Das alles mußte weg.

An dessen Stelle bekamen wir ein Missale, dem die Gläubigen Wort für Wort folgen konnten, nach einiger Zeit auch ohne den Schott. Die Gebete waren einfach, die Riten kurz und auf das Notwendigste reduziert und (anscheinend) logisch. Das alles war in der Muttersprache, es war auf das Volk hin ausgerichtet, die Übersetzungen verwandten die kürzest möglichen Worte. Alles passte zusammen.

Ich habe schon früher einmal ein Wort des katholischen Soziologen Anthony Archer zitiert, das die Absurdität dieser ganzen Entwicklung auf den Punkt bringt:

Es war ein unfreundlicher Zug des Schicksals, der die neue Messe gerade dann zur Vollendung führte, als – anderswo – die Bedeutung der nicht-verbalen Kommunikation wiederentdeckt wurde.

Und das ist es, was der liturgischen Bewegung fehlte. Die Hochschätzung der nicht-verbalen Kommunikation ist durchaus vereinbar mit den Schriften ihrer früheren Befürworter wie z.B. Gueranger, der den Wert des Verstehens durchaus betonte. Aber während die Bewegung sich entwickelte und zu der Bewegung wurde, die dann den Novus Ordo hervorbrachte, wird deren Blindheit gegenüber nicht-verbaler Kommunikation (und ein damit einhergehendes Desinteresse an Gesten und sichtbaren Riten) immer deutlicher sichtbar und immer problematischer.

Aber was war denn eigentlich in alle den Jahren zwischen 700 und 1930 gewesen? Wie kam es, daß die vielen Heiligen von der Liturgie geprägt wurden? Im Gegensatz zu den arroganten Annahmen von Wissenschaftlern wie Jungmann, nahmen sie an der Messe teil, obwohl sie die Worte des Canons nicht hörten, obwohl sie das Latein, selbst wenn sie es hörten, nicht verstanden. Sie verstanden alles auf einer tieferen, kontemplativen Ebene. Diese Art der Beteiligung an der Liturgie war tatsächlich besonders intensiv, weil sie nicht nur intellektuell war. Sie brauchen das nicht mir zu glauben – glauben sie es dem Katechismus der Katholischen Kirche von 1992, der zusammengestellt wurde, als das Konzept der nicht-verbalen Kommunikation langsam wieder in die Theologie zurückkehrte:

2711 Der Eintritt in das innere Gebet ist der Eröffnung der Eucharistiefeier vergleichbar: Unter dem Antrieb des Heiligen Geistes „sammeln“ wir unser Herz und unser ganzes Wesen, leben wir bewußt in der Wohnung des Herrn, die wir selbst sind, und beleben wir den Glauben, um in die Gegenwart dessen einzutreten, der uns erwartet. Wir lassen unsere Masken fallen und wenden unser Herz wieder dem uns liebenden Herrn zu, um uns ihm als eine Opfergabe, die gereinigt und verwandelt werden soll, zu übergeben.

2716 Das innere Gebet ist Hören auf das Wort Gottes. Dieses Hören ist keineswegs untätig, sondern ist ein Gehorchen des Glaubens, ein bedingungsloses Empfangen des Knechtes und liebendes Einwilligen des Kindes. Es nimmt teil am „Ja“ des Sohnes, der Knecht geworden ist, und am „Fiat“ der demütigen Magd des Herrn.

2718 Insofern das innere Gebet am Mysterium Christi teilhaben läßt, ist es Vereinigung mit dem Beten Jesu. Das Mysterium Christi wird von der Kirche in der Eucharistie gefeiert; im inneren Gebet läßt es der Heilige Geist aufleben, damit es durch die tätige Liebe offenbar werde.

Ist das nicht erstaunlich? Hier wird doch tatsächlich das Gebet ohne Worte als Vorbild für die Teilnahme an der Liturgie dargestellt.

Allerdings ist das kein gutes Vorbild für die Teilnahme im Novus Ordo. Um es brutal zu sagen: Kontemplative Teilnahme ist hier nicht zulässig. Da gibt es zuviel Bewegung auf und ab, Hände schütteln, Antworten geben. Der Priester versucht, Ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Texte verlangen nach Ihrer Aufmerksamkeit. Dei Leute verhalten sich spontan. Die Lesungen sind nicht vertraut und vielfach schwer verständlich. All diese Mittel wurden absichtlich in die Liturgie eingeführt um die Wort-für-Wort-Beteiligung zu unterstützen, die der Vorstellung seiner Schöpfer von „Teilnahme“ entspricht.

Das hat – folgt man den Befürwortern der Reform der Reform – natürlich auch seine Probleme. Der Messe fehlt etwas: Die Sakralität ist verschwunden. Daher wollen sie etwas Sakralität zurückholen. Sie richten ihre Aufmerksamkeit auf die Elemente der überlieferten Liturgie, die am meisten Sakralität auszudrücken scheinen, und wollen sie wieder einführen. Daher fordern und praktizieren sie den Gebrauch der lateinischen Sprache, die Zelebration ad Orientem, die Gregorianik usw. Das alles ist nicht schlecht. Aber als die Reformer erklärten, daß man all das zugunsten der Verständlichkeit opfern müsse, hatten sie nicht ganz unrecht. Aus der Sicht eines wörtlichen Verständnisses, der verbalen Kommunikation, liegt es auf der Hand, daß man dem Kanon auf Latein nicht so leicht folgen kann wie in der Muttersprache. Und wenn man nicht lippenlesen kann, ist das beim still gesprochenen Kanon noch schwieriger. Und nochmals schwieriger, wenn der Priester einem den Rücken zuwendet – wenn man nicht gerade Röntgenaugen hat.

Berühmt ist der Ausspruch von Papst Paul VI, der sich dabei auf Jungmann stützte, daß das Lateinische einen Vorhang bilde, der die Liturgie verschleiere – der müsse zurückgezogen werden. Ja, wenn man ein verengtes Verständnis von Teilnahme hat. Aber genau auf diesem Verständnis von Teilnahme, beruhte die ganze Reform.

Meine Schlußfolgerung daraus: Selbst wenn man die Texte und Rubriken der Ordentlichen Form mit allem Glanz und Gloria der Tradition anreichert, wird man doch nicht vollständig die Atmosphäre und die Dramatik hervorbringen, die uns in die alte Messe hineinzieht und eine tiefe Form der Teilnahme mit Herz und Geist ermöglicht. Aber man wird – vom Standpunkt der verbalen Kommunikation aus gesehen – einen Vorhang vor die Texte ziehen. Im Ergebnis können die Texte dabei unverständlich werden – gerade so, wenn man sie auf Latein vorträgt.

Das Problem ist also, daß man letztlich zwischen zwei Stühle zu stehen kommt. Der Novus Ordo verfolgt hinsichtlich der Form der Teilnahme einen völlig anderen Ansatz als die überlieferte Messe. So, wie der Versuch, die Gläubigen vor 1970 mit zweisprachigen Missales zu einem Wort-für-Wort-Verständnis der Messe zu führen, wenig überzeugende Ergebnisse brachte, wird auch der Versuch, sie auf der Basis des Missales von 1970 zu einer kontemplativen Teilnahme zu bringen, keine zufriedenstellenden Ergebnisse haben. Kontemplation kann man nicht einfach an- und abstellen.

Lesen Sie die weiteren Abschnitte 3, 4 und 5 auf “Summorum Pontificum”!

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Die deutsche Version (aus “Summorum Pontificum”) ist eine Übersetzung des Textes von Joseph Shaw. Das Original finden Sie auf seinem Blog “LMS Chairman”!

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*) JOSEPH SHAW ist Präsident/Vorsitzender der LATIN MASS SOCIETY von England und Wales



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