Eine Antwort von Pater Stefan Frey
Die Erschütterungen in unseren Reihen während der vergangenen Jahre zeigen uns auf traurige Weise, wie schlau und hinterhältig der Teufel seine Fallstricke gelegt hat, um uns zu Fall zu bringen. Ein Bischof, manche Priester und Gläubige wurden der Bruderschaft untreu, um einen in ihren Augen notwendigen Widerstandskampf gegen die Leitung derselben zu führen. Dadurch erlitt die geschlossene und so wichtige Einheit im Kampf für Glauben und Tradition schweren Schaden. Wie soll man sich bei der entstandenen Verwirrung noch richtig orientieren können? Versuchen wir fernab von aller Polemik und persönlicher Schuldzuweisung die Dinge sachlich zu analysieren. In der Argumentation fährt der sog. „Widerstand” schwerstes Geschütz auf: Der Generalobere und die Oberen insgesamt hätten durch einen angeblich liberalen Kurs und die Verhandlungen mit Rom das Werk des Erzbischofs verraten, sie seien von seinem Geist und seiner Linie abgewichen und führten die Bruderschaft dem Ruin entgegen. Um des Glaubens willen sei es darum notwendig, diesen Oberen den Gehorsam zu verweigern und gegen sie zu kämpfen.
Worin soll der Verrat bestanden haben? — In der Tatsache, dass das Generalhaus ein Abkommen mit Rom wollte, obwohl doch Mgr. Lefebvre nach 1988 klipp und klar gesagt habe, ein Abkommen sei nicht möglich, da man Rom nicht vertrauen könne.
Darauf gibt Bischof Tissier de Mallerais in einem Brief, vom 6. Januar 2014, folgende Antwort:
„Wenn Mgr. Lefebvre vor allem ein Mann des Glaubens und der Weisheit war, so hat er doch eine gute Dosis Pragmatismus besessen, wie dies Pater Aulagnier selbst in seinem Buch herausgestellt hat. Mit natürlichem Scharfsinn und übernatürlicher Geistesgesinnung folgte Mgr. Lefebvre den Wegen der göttlichen Vorsehung. So suchte er stets günstige Gelegenheiten, um mit Rom Kontakte zu knüpfen und unsere kanonische Anerkennung wieder zu erlangen.”
Ereignisse von 1987 / 88
Um diesen Pragmatismus unseres Gründers besser zu verstehen, sei hier eine kurze Chronologie der Ereignisse vorgelegt, die zu den Bischofsweihen von 1988 führten. Aus ihr lässt sich erkennen, wie der Erzbischof in kluger Weise die Möglichkeit einer Anerkennung durch Rom prüfte, die damit verbundenen Gefahren abwog, Vorschläge machte und Bedingungen setzte, um die Bruderschaft genügend schützen zu können und er diese seine beständige Haltung auch nach den Bischofsweihen nicht änderte.
1. Am 14. Juli 1987 kommt es zu einem Treffen zwischen Kardinal Ratzinger und Erzbischof Lefebvre, nachdem letzterer den Papst um Bewilligung von Bischofsweihen gebeten hat. Von diesem Treffen enttäuscht, sagt er am 4. September während der Priesterexerzitien kategorisch, dass eine Zusammenarbeit mit Rom unmöglich sei, „denn wir arbeiten in zwei völlig entgegengesetzte Richtungen”: „Rom hat den Glauben verloren, liebe Freunde, Rom befindet sich in der Apostasie. Was ich Ihnen da sage, sind keine blossen Sprüche. Es ist die Wahrheit.”
2. Einen Monat später schöpft er dennoch wieder Hoffnung, da Rom ein versöhnliches Angebot einer Generalvisitation durch Kardinal Gagnon gemacht hat. Am 3. Oktober bittet er die zur Feier seines Bischofsjubiläums versammelten Gläubigen ums Gebet:
„Mir scheint, daß sich ein neuer Dialog anbahnt. Beten Sie. [...] Wir hoffen also, dass in diesem neuen Klima, das seit einigen Wochen zu bemerken ist, neue Lösungen entstehen können. Es besteht eine kleine Hoffnung. Ich hege zwar keinen übertriebenen Optimismus! Aber wenn Rom die Absicht hat, uns eine wirkliche Autonomie zu geben, so wie wir sie jetzt schon haben, jedoch mit der Unterwerfung, wären wir einverstanden. [...] Wenn Rom aber bereit ist, uns, wie ich es schon oft erbeten habe, das Experiment der Tradition machen zu lassen, dann wird es keine Probleme mehr geben. Wir würden dann frei sein, unsere Arbeit fortzuführen, so wie wir sie jetzt tun, unter der Autorität des Obersten Hirten.” Die beiden obigen Zitate sind sehr aufschlussreich. Sie zeigen, wie sehr unser Gründer in den dramatischen Auseinandersetzungen mit Rom um die gute Lösung gerungen hat. Man wird ihm darum nicht gerecht, wenn man selbst dezidierten Aussagen von ihm quasidogmatischen Charakter verleiht und zu unverrückbaren Prinzipien des Handeln erklärt.
3. Kardinal Gagnon äussert auf seiner Visitationsreise überall seine Zufriedenheit. Am 21. November legt ihm Mgr. Lefebvre brieflich ein „Projekt zur Wiedereingliederung und Normalisierung unserer Beziehungen zu Rom” vor:
4. Dieses Projekt führt zu den Verhandlungen von 1988 und zum Abschluss des Protokolls vom 5. Mai. Später wird der Erzbischof sagen, dass er in diesen Verhandlungen zu weit gegangen sei. Tatsächlich zieht er einen Tag später in einem Brief an Kardinal Ratzinger seine Unterschrift zurück. Dieser Widerruf erfolgte nicht, weil er zur Überzeugung gekommen wäre, das Protokoll sei inakzeptabel. Vielmehr hat er seine Unterschrift widerrufen, weil gewisse Umstände ihm schwere Bedenken eingaben: Der Termin für die Bischofsweihen wurde von Rom immer wieder hinausgeschoben, und man hatte ihm zu verstehen gegeben, dass fortan in St. Nicolas in Paris sonntags auch eine neue Messe gelesen werden sollte.
5. Erzbischof Lefebvre macht einen letzten Versuch, um die Verhandlungen zu retten, indem er am 20. Mai direkt an Papst Johannes Paul II. schreibt, ihn um Bewilligung der Weihe von mehreren Bischöfen bittet.
6. Nachdem sein Ansuchen zurückgewiesen wurde, sieht er sich vor der Gewissensverpflichtung, zur heroischen Tat der „Überlebensaktion” zu schreiten, vier Bischöfe zu weihen, um das Weiterbestehen des Werkes der Tradition zu garantieren.
7. Auch nach der ungerechten und nichtigen Exkommunikation und dem definitiven Scheitern der Verhandlungen sieht der Erzbischof nicht eine grundsätzliche Unmöglichkeit für ein Abkommen mit Rom. Im März 1989 äussert er sich beispielsweise in Fideliter:
„Nach dem Unterzeichnen des Protokolls hätte ich sehr wohl ein definitives Abkommen unterschrieben, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, uns wirksam gegen den Modernismus von Rom und der Bischöfe zu verteidigen.”
Verhandlungen mit Rom
Wenn wir diese pragmatische, von klaren Prinzipien geleitete Vorgehensweise des Erzbischofs vor Augen haben, war es nicht anders als folgerichtig und absolut im Sinne unseres Gründers, dass der Generalobere in den vergangenen Jahren die Angebote von Rom nicht grundsätzlich zurückwies, sondern gewissenhaft prüfte?
Im Frühjahr 2012 sagte Bischof Fellay im Kreis der Priester in Zaitzkofen, dass es keineswegs darum ginge, ein Abkommen mit Rom um jeden Preis anzustreben, sondern zu prüfen sei, inwieweit Rom es mit seinen Versprechungen ernst meine. Aus erster Hand habe er erfahren, dass der Papst die Bruderschaft bedingungslos anerkennen und in der Gewährung der Freiheiten, insbesondere der Unabhängigkeit von den Bischöfen, bis zum äussersten gehen wolle. Es sei nun abzuwarten, ob sich der Papst durchsetzen könne.
Als dies dann offensichtlich nicht der Fall war und von uns die bedingungslose Anerkennung der neuen Messe und des Vatikanums II als integraler Bestandteil der Tradition verlangt wurde, war Schlusspunkt! Die Verhandlungen waren gescheitert, wie es unter Erzbischof Lefebvre der Fall war.
Fazit
Die schweren Vorwürfe des „Widerstandes” entbehren jeglicher vernünftigen Grundlage. Wie kann man von “Verrat” und „Kurswechsel” schreien, wo doch unser Generaloberer offenkundig in gleicher Weise wie der Erzbischof und in Übereinstimmung mit dessen Grundsätzen vorgegangen ist? Auch die von Mgr. Lefebvre gestellte Bedingung der Anerkennung der vorkonziliaren Enzykliken durch Rom wurde bei den theologischen Gesprächen aufgegriffen. Man staune über die Antwort des Vatikans: All diese Enzykliken gehörten zum kirchlichen Lehramt, und als Katholiken sei man im Gewissen verpflichtet, diese anzuerkennen! — So zu sprechen ist für moderne Theologen kein Problem, da in ihrem Denken ohne weiteres die Quadratur des Kreises vorstellbar ist. „Ja, aber die doktrinelle Erklärung vom April 2012 ist ein Beweis für die liberale Gesinnung des Generaloberen!” — Dann müsste man auch den Erzbischof als liberal bezeichnen. Denn die inkriminierte Erklärung ist inhaltlich mit dem Protokoll von 1988 praktisch deckungsgleich und eher noch strenger formuliert.
„Bischof Fellay führt einen persönlichen Kampf für ein Abkommen! Noch vor dem Sommer wird er mit Rom unterschrieben haben!” — Wie lässt sich diese Behauptung mit der Aussage des Generaloberen vom 12. Februar 2014 in einem Vortrag in Jaidhof in Einklang bringen: „Zur Zeit wäre ein Abkommen mit Rom reiner Selbstmord!”
Zeugt es nicht von einer grossen Portion Anmassung, sich zum Richter über die Oberen aufzuwerfen und diese zu verdammen? Ganz offensichtlich sind die Anhänger des „Widerstands” überzeugt, die einzigen authentischen Interpreten des Denkens unseres Gründers zu sein.
Dabei übersehen sie, dass die Frage der Verhandlungen mit Rom nicht in ihre Kompetenz fällt, sondern in jene des Generaloberen. Dieser berät sich mit den höheren Oberen und beruft im Entscheidungsfall ein Generalkapitel ein. Die Standesgnade für die richtige Entscheidung indes ist ihm allein von Gott angeboten.
Um ihre persönlichen Ansichten durchzusetzen, nehmen die „Widerstands”-Priester es in Kauf, die Gläubigen zu verwirren und in Gewissensbisse zu stürzen, die Einheit der Bruderschaft zu torpedieren, die legitime Autorität zu verunglimpfen und persönlich ihrer eigenen Sprechweise gemäss — als „praktische Anarchisten” zu agieren.
Wenn sie schon von ihren Ansichten überzeugt sind, warum warten sie nicht ab, ob sich ihre Befürchtungen tatsächlich erfüllen, z.B. ein kopfloses Abkommen abgeschlossen würde? Bislang ist doch überhaupt nichts geschehen! Und warum rebellieren die Priester des „Widerstands” gegen die Obrigkeit, obwohl von ihnen im Gehorsam niemals je etwas Glaubens- und Sittenwidriges verlangt wurde? Dies wäre der einzige Grund, der einen Widerstand gegen die Obrigkeit legitimieren würde.
In Zeiten grosser Not ist es ein Gebot der Stunde, mit Eifer, Beharrlichkeit und unerschütterlichem Gottvertrauen zum Gebet seine Zuflucht zu nehmen. Möge der hl. Josef sich der Bruderschaft erbarmen, die ihm gehört! Auf dass sie unbeirrbar und glaubensstark ihren Kurs halte. Auf dass auch die irregegangenen Priester zur Einsicht kommen und die Reihen sich wieder schliessen im Kampf für die Tradition und im Ringen um die Rettung der Seelen.
(leicht gekürzt aus: Ursprung und Ziel, März 2014)
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Quelle: FSSPX Mitteilungsblatt, Mai 2014 – Nr. 424 – Distrikt Schweiz
