IV. Wie ist die Echtheit der Offenbarungen nachweisbar ?
Es ist für einen »gewöhnlichen« Gläubigen und selbst für einen »klugen« Theologen nicht immer leicht, echte Offenbarungen von falschen zu unterscheiden. Selbst Hellseher urteilen auf diesem Gebiete sehr oft unsicher oder gar falsch.
Warum? Weil echte Offenbarungen als Worte Gottes (oder Mariens oder eines Engels oder eines Heiligen) einer überrationalen Sphäre angehören, die in ihrem geheimnisvollen Leben und Wirken wesentlich geistig-göttlicher Art ist und somit über das seelische Denk- und Erfahrungsvermögen hinausreicht.
Der Mensch hat als Leib-Seele-Geist-Wesen auch eine dreifache Erkenntnismöglichkeit. Seinem leiblichen Dasein entspricht die sinnhafte Erfahrung und Erkenntnis; seinem seelischen Dasein die vernünftige, schlußfolgernde, bzw. logische Erkenntnis; und seinem geistigen Dasein entspricht die intuitive Schau. Letztere Erkenntnis ist an sich die höchste und schärfste, die tiefste und sicherste. Allerdings ist diese Erkenntnisfähigkeit nur jenen eigen, deren Geist bereits »geweckt« ist. Den meisten Menschen (und dazu zählen auch die meisten Wissenschaftler und Theologen) scheint diese intuitive Erkenntnis sehr fraglich und unzuverlässig, weil ihr Denken und Erkennen fast nur im sinnhaften Erfahren und im logischen Denken liegt und ihr Geist noch fast »befangen« und untätig, — manchmal sogar absichtlich als »Widersacher der Seele« ignoriert wird.
Die intuitive, geistige Erkenntnis ist meist den gottverbundenen, innig mit Gott lebenden, ein Leben des erweckten Geistes führenden Menschen eigen. Ihre Fähigkeit, intuitiv Wahres vom Falschem zu unterscheiden, nennt Paulus die Gabe der Unterscheidung der Geister.
Diese charismatische Gabe hatten viele Heilige nicht nur in der Urkirche, sondern auch- im Laufe der Jahrhunderte, und sie ist auch heute noch manchen in inniger Gemeinschaft mit Gott lebenden Menschen eigen. Solche begnadete Menschen bedürfen, um die Echtheit einer Offenbarung zu erfassen keiner langen Erörterungen und keiner kritischen Untersuchungen; sie erfassen intuitiv, unmittelbar und sofort die Echtheit und den Wert einer Offenbarung.
Diesen Mystikern sollen also Offenbarungen zur Beurteilung vorgelegt werden. Und sollte ihre Aussage noch irgendwie unsicher sein, so wäre es gewiß zulässig und erwünscht, die Offenbarungen verschiedenen mit dem Charisma der Unterscheidung begnadeten Mystikern vorzulegen. Übereinstimmende Antworten sollten uns als ein zuverlässiges Urteil über die Echtheit der Offenbarungen gelten.
Dieser Weg zur Wahrheit ist an sich der dem Bereiche der Offenbarungen entsprechendste und normalste. Denn wie Probleme der Mathematik normalerweise nur durch mathematische Überlegungen gelöst werden, — Lösungen durch sinnhafte Experimente wären hier ein unsicherer Umweg, — so müssen geistig-mystische Probleme stets durch geistige Intuition und durch mystische Schau gelöst werden. Lösungen durch denkkritische Erörterungen und logische Erwägungen und erst recht durch sinnhafte Experimente sind auf dem Gebiete der Mystik in jeder Hinsicht unsichere Umwege, die kaum zu einer zuverlässigen Evidenz führen.
Und doch muß für jene, die noch nicht »geistig wach« sind und noch nicht zur Fähigkeit einer zuverlässigen intuitiven Schau fortgeschritten sind, dieser Umweg gegangen werden, — vor allem wenn sie nicht demütig genug sind, sich dem Urteil mystisch begnadeter Personen zu unterwerfen.
So muß also doch die Frage gestellt werden, welche Merkmale und Eigentümlichkeiten echte Offenbarungen von falschen unterscheiden. Freilich können hier nur allgemeine Richtlinien gegeben werden, da für jede Art der Offenbarungen besondere Merkmale aufzuweisen wären. Träume, Schauungen, Erscheinungen, Einsprechungen, Diktate, alle diese Offenbarungsmöglichkeiten müßten einzeln behandelt und entsprechend geprüft werden.
Im Allgemeinen aber darf gesagt werden:
1. Der Träger einer Offenbarung muß ein normaler, wenigstens seelisch gesunder, innerlich mit Gott verbundener Mensch sein. Er muß als ein ehrlicher, aufrichtiger, demütiger Mensch befunden werden. Es ist nicht unbedingt erfordert, daß er bereits ein »Heiliger« sei, wohl aber, daß er ehrlich nach Vollkommenheit strebt und sich seiner ihm zuteilgewordenen Gnaden nicht rühmt. Versucht er persönlichen (geistigen oder finanziellen) Nutzen aus seinen sogen. Offenbarungen zu ziehen, so dürfte seine Begnadung sehr fraglich sein.
Ist er hysterisch, — egoistisch mit übersteigertem Geltungsdrang, — oder ist er nervenkrank oder gar geistig gestört, so sind seine sogen. Offenbarungen als unecht abzulehnen.
Leiblicher Krankheitszustand oder eidetische Veranlagung sind jedoch als solche kein Grund, Offenbarungen der damit behafteten Person abzulehnen. (Eidetische Veranlagung nennen wir jene psychische Veranlagung, »rein-seelische Anschauungsbilder« als leibhaftig wahrzunehmen). Denn Krankheit und eidetische Veranlagung können die seelischen Fähigkeiten und selbst die geistigen Kräfte so wecken, daß der Kranke oder der eidetisch Veranlagte aufgeschlossener wird für göttliche Erleuchtungen, Einsprechungen oder Schauungen.
Daß der Träger übernatürlicher Offenbarungen unbedingt ein gläubiger »Christ« sei, scheint nicht erfordert zu sein. Auch innerlich mit Gott verbundene Menschen anderer Religionen, z.B. Moslems oder Hindus, können mit göttlichen Offenbarungen begnadet werden.
2. Äußere Begleiterscheinungen, die in unmittelbarer Beziehung zu einer Offenbarung stehen und so wunderbar und so göttlich sind, daß sie als Zeichen Gottes erkannt werden, sind auch als Beweise für die Echtheit der diesbez. Offenbarung zu werten. Solche Zeichen sind u.a.: plötzliche Krankenheilungen oder Zeichen an der Sonne zur Zeit einer Marienerscheinung, — oder unerwarteter Gesinnungswandel beim Lesen einer Botschaft des Herrn, — oder die Erfüllung einer natürlichen unerklärlichen Prophezeihung.
3. Der Inhalt einer Schauung oder Offenbarung muß hochwertig, übernatürlich und sinnvoll sein. Er muß der bereits erfolgten göttlichen Offenbarung entsprechen.
Offenbarungen, welche die Grundwahrheiten der christlichen Offenbarung leugnen, können nicht als echt bewertet werden. Wohl muß bei einer solchen Prüfung darauf geachtet werden, daß die Offenbarungen nicht unbedingt »theologischen Darlegungen und Erklärungen« entsprechen müssen. Es ist möglich, daß der Herr sogar Offenbarungen mitteilt, um theologische Erörterungen und Darlegungen zu korrigieren und die Offenbarung des Herrn wieder zu ihrer ursprünglichen Reinheit zurückzuführen. Neuere Offenbarungen haben ja gewiß ihren Zweck! Und dieser Zweck ist eben durchweg, die Offenbarung des Herrn, die durch philosophische Beimischung und weltanschauliche Erörterungen entstellt worden ist, wieder zu reinigen und zu vertiefen. Dies trifft besonders heute zu, einerseits weil modernistische Bestrebungen am Werk sind, um die Wahrheiten unseres heiligen Glaubens zu »entmythologisieren« und »vernunftgemäß« einer modernen Weltanschauung anzupassen, — und andererseits, weil wir einer neuen Phase des Gottesreiches entgegengehen, der eine überreiche Fülle neuer Einsichten in die göttliche Heilsordnung geschenkt werden soll.
Abzulehnen sind ferner Offenbarungen, die mit der christlichen Sitten- und Tugendlehre unvereinbar sind. Auf diesem Gebiete zeigt sich oft sehr klar der göttliche, menschliche oder gar dämonische Einfluß in den Offenbarungen.
Außerdem können echte Erscheinungen auch nie das Faktum einer rechtmäßigen Autorität leugnen; sie dienen vielmehr dem demütigen Gehorsam gegenüber jeder rechtmäßigen Autorität.
Allerdings erheben göttliche Offenbarungen nicht selten Kritik an gewissen abwegigen Handlungen, Maßnahmen oder Aussagen weltlicher oder kirchlicher Vorsteher oder Würdenträger. So war es im Alten Testament in den Reden der Propheten, so war es in der Urkirche, so war es in den Jahrhunderten der Kirchengeschichte und so geschieht es erst recht heute, wo so manches in der Welt und Kirche ins Wanken geraten ist. Deshalb kann es geschehen, daß eine echte Offenbarung zu einer Tat oder zu einer Einstellung aufruft, die mit einer kirchlichen Anordnung nicht im Einklang steht. In diesem Falle wäre wieder das Apostelwort aktuell geworden: »Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen!« (Apg. 4, 19-20)
Ein wichtiges Zeichen für die Echtheit einer Offenbarung liegt vor, wenn die Offenbarung Wahrheiten, Enthüllungen, Gegebenheiten, Worte oder Sätze fremder Sprachen enthält, die über das Wissen des Trägers dieser Offenbarung ganz und gar hinausragen. In diesem Falle muß angenommen werden, daß ein anderer Geist als der jeweilige Träger der Offenbarung hier am Werke ist. Freilich kann dies allein noch nicht als Beweis der Göttlichkeit der Offenbarung angesehen werden, da auch niedere Geister oder gar böse Geister solches bewirken können. Der übernatürliche, bzw. göttliche Ursprung der Offenbarung muß sich aus dem Gesamtinhalt erweisen.
Auch sei noch bemerkt, daß es bei längeren Offenbarungen oder bei Schauungen nicht ausgeschlossen ist, daß sich auch in echte Offenbarungen oder Schauungen menschliche oder gar dämonische Einzelheiten einschleichen können. (Vgl. hierzu: »Fünf Quellen der Irrtümer bei echten Offenbarungen« in August Poulain S.J., Handbuch der Mystik. Herder, Freiburg i. Br. 1925. Ss. 311-330.) Es ist also Vorsicht geboten! Jedoch dürfen wir mit fester Zuversicht glauben, daß dem ehrlich die Wahrheit Suchenden und mit Gebet und Liebe die Wahrheit Erforschenden und dem nach dem Worte Gottes Handelnden die Echtheit der Offenbarung und die reiche Fülle ihres Inhaltes erschlossen werden. Ihnen gilt das Wort des Herrn: »Selig, die das Wort Gottes hören und es bewahren!« (Lk. 11, 28)
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V. Sind Offenbarungen verbindlich?
Offenbarungen — mag man sie ignorieren oder leugnen– sind ein Faktum. Sie fordern unsere Stellungnahme! Denn wenn Gott gesprochen hat, so ist dies ein so gewaltiges Geschehen, daß kein Mensch das Recht hat, dieses Wort Gottes grundsätzlich abzulehnen.
Schon das Wort eines Mitmenschen und erst recht eines Vorgesetzten fordert von uns — wenn dieses Wort an uns gerichtet ist — eine gerechte und würdevolle Entscheidung. Umso mehr das Wort unseres höchsten Herrn und Schöpfers. (Vgl. Ad. Tanquerey, Synopsis Theologia Dogmaticae. Tomus I. De Fontibus revelationis. Paris, 1930. Ss. 139 ff.)
Freilich ist der weltlich eingestellte Mensch nicht aufgeschlossen für übernatürliche Offenbarungen. Der moderne Mensch, besonders der abendländische, lebt zu sehr im Banne der wissenschaftlichen Forschung, der Mathematik und der Technik. Es ist ihm gelungen die erfahrungsmäßig faßbare Welt in erstaunlichem Ausmaße zu erobern. Der moderne Mensch glaubt, die Welt weitgehend zu beherrschen, weil er anhand mathematischer Formeln technische Konstruktionen von raumbezwingender Macht und geheimnisvolle Produkte von ungeheurer, ja weltvernichtender Gewalt hervorbingen kann.
Verschärft wird diese Situation noch durch die fortschreitende Automatisation. Durch sie verschafft sich der Mensch eine »Wirklichkeit, die äußerst genau einem vorher erarbeiteten Programm entspricht und in diesem Sinne eine von ihm gemachte Welt ist«. (Vgl. die Ansprache Pius XII. an die christlichen Arbeitervereine Italiens. Juni. 1957. Herder-Korrespondenz. August. 1957. Ss. 523-524.)
Deshalb gilt dem abendländischen Gebildeten ein Eingriff »von oben« oder eine unberechenbare »Erscheinung aus einer anderen Welt« als ein unfaßbares Geschehen. Und kann er eine solche Gegebenheit als Faktum nicht leugnen, so wird er sie als einen psychologischen Fall analysieren, zerlegen und durchexperimentieren, bis es ihm gelingt, dieses Ereignis einzureihen oder einzuzwängen in irgend eine Kategorie der Experimentalpsychologie, etwa in die Klasse hysterischer oder hypnotischer Fälle. Aber das Faktum der »Offenbarung« selbst wird er als übernatürliche Gegebenheit, als »Einbruch von oben« nicht berechnen können — und nicht einberechnen wollen. Es entgeht ihm! –
Schon 1894 schrieb zu dieser geistigen Situation der spätere Erzbischof von Köln, Dr. Theophil Simar: »Die moderne Weltanschauung, so weit sie nicht bereits dem Banne des Atheismus verfallen ist, ist wesentlich rationalistisch. Sie leugnet jede wirksame, lebendige Beziehung zwischen Gott und Seiner Schöpfung. Der Mensch insbesondere steht nach ihr durchaus selbständig und sich selbst in allem genügend Gott gegenüber. So erklärt sich die Flucht vor dem Übernatürlichen, welche eine hervorragende Eigentümlichkeit der modernen Geistesrichtung bildet. Das Übernatürliche ist eben der wirksamste tatsächliche Beweis, wodurch die göttliche Vorsehung dem Menschen ihr Walten und seine eigene Abhängigkeit von Gott zu Gemüte führt. Der Rationalismus kann die Wahrheit des Ubernatürlichen nicht gelten lassen.« (Simar, Der Aberglaube. S. 8)
In diesem Sinne schrieb auch Bousset in seiner Arbeit über »Das Wunder«: »Der Historiker scheidet aus seinem Forschungsbereich das eigentliche Wunderbare, sei es instinktiv, sei es bewußt, mit konstanter Regelmäßigkeit aus. Wo ihm ein Geschehnis überliefert wird, das aus aller Ordnung und Regelmäßigkeit herausfällt, das aller Analogie und sonstigen Erfahrung spottet, da existiert dieses Erlebnis einfach für ihn nicht, da erklärt er die Quellen, die derartiges berichten, für unzuverlässig.« (Kirchliche Gegenwart. Gemeindeblatt für Hannover. 1909.)
Auch die meisten Theologen und viele kirchliche Persönlichkeiten bewegen sich in dieser Richtung. Und doch gilt ihnen ganz besonders das Apostelwort: »Den Geist löschet nicht aus! Prophetengabe verachtet nicht! Prüfet alles! Das Gute behaltet!« (I. Thess. 5, 19-21) Folglich haben die Amtsträger der Kirche niemals das Recht, Geistesgaben zu bagatellisieren oder gar zu unterdrücken. Sie dürfen nie der Versuchung erliegen, ihr Amt als so absolut einzuschätzen, daß für Propheten, charismatisch Begabte und Seher im kirchlichen Raum kein Platz mehr bliebe. Die Schlüsselgewalt, die der kirchlichen Behörde anvertraut ist, muß stets die Pforte offen halten für alles, was von Gott kommt.
Die kirchlichen Amtsträger haben wohl das Recht und die Pflicht, mit aller Umsicht, Klugheit und Gewissenhaftigkeit, die Offenbarungen auf ihre Echtheit zu prüfen. Jedoch dürfen sie in diesem Fall ihr Urteil nie als eine »unfehlbare« Lehrentscheidung ansehen.
Und wie hat der gläubige Christ sich zu solchen kirchlichen Entscheidungen betreffs Offenbarungen und Erscheinungen zu verhalten? — Seine erste Haltung ist grundsätzlich die des Gehorsams. Allerdings wäre jener Gläubige, der aus persönlichen Erfahrungsgründen oder aus sehr schwerwiegenden Motiven einer andern Überzeugung wäre als die der kirchlichen Amtsträger, im Gewissen verpflichtet, seiner Uberzeugung entsprechend zu urteilen und den Umständen entsprechend sich für seine Wahrheitsüberzeugung einzusetzen.
Eine solche Haltung gilt gewiß zunächst für den Begnadeten selbst. Der Träger einer Offenbarung und jeder gleichwie charismatisch Begnadete dürfte nie um des menschlichen Gehorsams Willen die Wahrheit seiner Offenbarungen leugnen. Würde er vor eine Entscheidung gestellt, so müßten der charismatisch Begnadete und ebenso dessen Mitzeugen bereit sein, lieber alles, ja selbst die Exkommunikation zu erdulden, als gegen ihre Überzeugung zu handeln oder eine Lüge zu sagen. Hat doch auch Christus vor dem Hohenpriester bekannt, Er sei der Sohn Gottes, selbst auf die Gefahr hin, gekreuzigt zu werden. (Vgl. R. Ernst, Offenbarungen heute? Eupen, Markus-Vgl. 1957. S.s. 18 ff.)
Daß es manchmal zwischen Lehramt und charismatisch Begnadeten, zwischen »Aposteln« (bzw. Bischöfen) und »Propheten« zu Spannungen kommt, gehört zum Menschlichen in der Kirche. Die Kirchengeschichte bietet uns manche Beispiele solcher »Geisteskonflikte«, von denen der tragische Fall der Jeanne d’Arc einer der bekanntesten ist. Mit Recht schreibt diesbez. J. Wach: »Der Kampf zwischen Charisma und Amt, zwischen Spiritualismus und Kirchlichkeit, bzw. zwischen Prophet und Priester gehört zu den fesselndsten Phasen in der Geschichte der Religion.« (Religionsoziologie. Tübingen. 1951)
Die ideale Haltung eines gläubigen Menschen zu einer Offenbarung wird uns im I. Buche der Könige geschildert. Als der junge Samuel des Herrn Stimme hörte, war sein Herzensruf: »Rede, Herr! Dein Diener hört!« (ebd. 3,10)
Freilich scheint die damalige Zeit eine andere gewesen zu sein als heute. Denn es heißt von der damaligen Zeit: »Ein Ausspruch des Herrn war kostbar (= selten) in jenen Tagen, und kein Gesicht ward offenbar« (ebd. 3, 1).
Wie ganz anders in der heutigen Zeit, in der es so viele und so reichhaltige Offenbarungen gibt, daß wir unwillkürlich an die Erfüllung des von Petrus am Pfingsttage wiederholten Prophetenwortes erinnert werden: »Es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da werde Ich von Meinem Geiste über alles Fleisch ausgießen. Eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, eure Jünglinge werden Gesichte schauen, und euren Greisen werden Traumgesichte erscheinen. Ja, auch über Meine Knechte und Mägde werde Ich in jenen Tagen von Meinem Geiste ausgießen, und sie werden weissagen.« (Apg. 2, 17-18)
Die außergewöhnliche Fülle der Offenbarungen seit etwa 1830 hat eine zweifache Bedeutung.
Zunächst sollen diese Offenbarungen eine Antwort sein auf alle falschen Lehren, die heute in der Welt und sogar innerhalb der Kirchen verbreitet werden. In einer Zeit, da unter dem Vorwand des Entmythologisierens das Übernatürliche weitgehend in der Hl. Schrift und in der Tradition geleugnet wird, ist es notwendig, die übernatürlichen Wahrheiten, die Wunder und die außergewöhnlichen Ereignisse der Bibel wieder als Tatsachen zu begründen und zu rechtfertigen. Es gilt heute, die sittlichen Normen und die hohen Ideale z.B. der Jungfräulichkeit und der Innerlichkeit wieder neu zu beleuchten und zu fördern.
Die heutigen Offenbarungen sind wie ein Gericht Gottes über die Irrlehren in Welt und Kirche. Sie sind die Erfüllung jener Schau, die uns Johannes in seiner Geheimen Offenbarung (19, 11-15) beschreibt: »Ich sah den Himmel offen, da war ein weißes Pferd, und der auf ihm sitzt, heißt »Treu und Wahr« … und Sein Name heißt: Das Wort Gottes … Aus Seinem Munde geht ein scharfes Schwert, um damit die Völker zu schlagen!« — Dieses scharfe, zweischneidige Schwert ist die Offenbarung Gottes, wodurch das Wahre vom Falschen getrennt und die Scheidung der Geister bewirkt wird.
Zweitens haben die umfassenden Offenbarungen der heutigen Zeit noch die von Gott gewollte Aufgabe, die neue Phase des Gottesreiches zu begründen. Jedesmal wenn ein neuer Abschnitt des Gottesreiches beginnt, wird der Menschheit eine entsprechende neue Offenbarung geschenkt. So geschah es zur Zeit des Noe, zur Zeit des Abraham, zur Zeit des Moses, zur Zeit Christi, — so geschieht es auch heute! Die Neue Zeit wird schon vorbereitet mit diesen großen Offenbarungen des Herrn, eingeleitet durch die Erscheinungen und Botschaften der Gottesmutter, bestätigt durch die Offenbarungen großer Engelfürsten. Nur die gottgewollte »Reinigung« der Welt und Kirche steht noch aus, um den erwarteten Aufbruch und den Sieg des Neuen Gottesreiches zu ermöglichen. Erst dann, nach dieser reinigenden Katastrophe, wird offenbar, WIE die neue Zeit des Gottesreiches sich entfalten wird. Jedenfalls wird sie dem Urbild des Schöpfungsplanes ähnlicher sein als die bisherige Zeit. Sie wird weitmehr aufnahmefähig und aufnahmebereit sein für das Wort Gottes ; sie wird aufgeschlossen sein für die Offenbarungen; sie wird innerlicher, geistiger, fraulicher sein!
Sie wird in der jungfräulichen, für das Wort Gottes aufgeschlossenen, ganz in selbstloser Liebe glühenden Mutter Maria ihr höchstes Ideal und ihre vollendete Wirklichkeit sehen! —
