Als im 9. Jahrhundert das Grab des Apostels Jakobus d. Ae. im nordwestlichen Spanien aufgefunden wurde, begannen viele tapfere Christen aus ganz Europa nach Santiago da Compostela zu pilgern. Oft mussten sie wochen- und monatelang unterwegs sein. Daher stifteten wohltätige Grundbesitzer an wichtigen Punkten der St. Jakobsstrasse Kapellen, Lazarette und Herbergen, wo den Wallfahrern unentgeltlich Aufnahme und Pflege zuteil wurde. Auch droben auf der 1300 m ü. M. gelegenen Passhöhe des «Cebrero» gründete ein französischer Schlossherr, namens Giraldo de Aurillac, bereits im 9. Jahrhundert, 4 Tagesmärsche von Santiago entfernt eine Benediktinerabtei mit Pilgerhospiz und Spital. Diese karitative Stätte wurde Tausenden von Wallfahrern, aber auch den Bauern und Hirten der Umgebung zum Segen. Als dann im 19. Jahrhundert die Eisenbahnen aufkamen, vereinsamte jedoch so manche Pilgerstrasse und so manches Hospiz.
Doch die Benediktinerkirche auf dem Cebreropass blieb dennoch berühmt, dank eines ausserordentlichen Wunders, das dort im 13. Jahrhundert geschah. Das Wunder ist geschichtlich beglaubigt durch den Benediktinerchronisten Pater Yepes und 2 Päpstliche Bullen.
Im Weiler Baja Mayor, am Abhang des Cebrero, wohnte im 13. Jahrhundert ein Untertan des Benediktiner-Priorates, der sich durch seinen Eifer im täglichen Besuch der hl. Messe auszeichnete. Weder Kälte, noch Hitze vermochten ihn vom Kirchgang abzuhalten. An einem sehr strengen Wintertage, da das ganze Kloster, Berg und Pass, Weg und Steg tief verschneit waren, feierte der Klosterkaplan das hl. Messopfer, während draussen der Sturm heulte. Als der Priester bereits die hl. Wandlungsworte gesprochen und dadurch das Brot in den wahren Leib Christi und den Wein in das wahre Blut Christi verwandelt hatte, hörte er überrascht, dass jemand die Kirche betrat. Es war der fromme Bauer von Baja Mayor, der sich trotz wilden Schneegestöbers bis zum Gotteshause durchgekämpft hatte, um seinem im heiligen Messopfer gegenwärtigen Erlöser die schuldige Ehre zu geben. Statt sieh über diesen vorbildlichen Eifer zu freuen, hielt der Priester solchen Opfermut für übertrieben und sagte ärgerlich zu sich selber:
«Da kommt sogar bei solchem Unwetter dieser Narr daher, nur um ein wenig Brot und Wein zu sehen!»
Kaum aber hatte der skeptische Mönch diese Worte ausgesprochen, da verwandelte sich vor seinen erschrockenen Augen die Brotgestalt der hl. Hostie sichtbar in Fleisch und die Gestalt des Weines sichtbar in Blut!
Mit diesem erhabenen Wunder wollte der göttliche Heiland offenbar den eucharistischen Glauben des Landmannes gutheissen, den stolzen, priesterlichen Zweifler aber bekehren. Dieses Wunder wurde von den St. Jakobspilgern überall bekanntgemacht. Unzählige Seelen wurden dadurch im Glauben an die wahrhaftige Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im allerheiligsten Altarssakrament bestärkt.
Die zu Fleisch gewordene hl. Hostie blieb mehr als 200 Jahre lang auf derselben Pantene und der zu Blut geronnene Wein in demselben Kelch, worin sich das Wunder vollzogen hatte, bis dann gegen Ende des 15. Jahrhunderts die spanischen Monarchen Isabel, die «Katholische» und ihr Gemahl Fernando von Kastilien die Abtei auf dem Cebrero-Pass besuchten und dort übernachteten. Andächtig verehrten sie die hl. Reliquien des Wunders. Und ehe das königliche Paar mit seinem Gefolge weiter nach Santiago da Compostela pilgerte, schenkte es den Benediktinern einen kostbaren Reliquienschrein, um darin die fleischgewordene Hostie und das anbetungswürdige Blut in gesonderten Gefässen würdig aufzubewahren.
Pater Yepes 0. S. B., der Kloster-Chronist, schrieb zu Beginn des 17. Jahrhunderts: «Ich habe, obwohl dessen unwürdig, die beiden Gegenstände des Wunders selber gesehen und angebetet. Ich betrachtete die beiden Reliquiengefässe. In der einen Ampulle befand sich das kaum eingetrocknete, blutrote Blut . . . und in der andern Ampulle das aus der hl. Hostie gewordene Fleisch, welches zwar eingetrocknet, aber noch rot ist.»
(Dieses stimmungsvolle, auf Bergeshöhe gelegene Benediktinerkloster des Cebrero inspirierte einst die in der Literatur berühmte Parzeval-Sage, welche Richard Wagner viel später zur Parsifal-Oper umgestaltete. Der mit dem hochheiligen Blute Christi gefüllte Kelch auf dem Cebreroberg ist jedoch keineswegs der von Parsifal gesuchte «heilige Gral».
Dr. M. Haesele
Quelle: Monatszeitschrift “Santa Rita”, 1967/68, 17. Jahrgang, Februar 1968
