Als Mann des Dialogs und der Konfrontation zögerte Johannes Paul II. nicht, im Rahmen seines Pontifikats auch ehrgeizige ökumenische Ziele zu verfolgen, was am 27. Oktober 1986 zu dem internationalen Treffen von Assisi führte, einem Treffen mit großer symbolischer Bedeutung.
Lange hatte der Papst überlegt, bevor er den Plan für diese Veranstaltung öffentlich vorstellte, denn er wusste, dass diese Idee in zweideutiger Weise aufgenommen und Zweifel auslösen könnte. Ermutigt vom damaligen Kardinal Joseph Ratzinger, der während eines Mittagessens seine positive Beurteilung ausdrückte, kündigte der Papst dieses Ereignis persönlich während der Generalaudienz am 22. Oktober an und erklärte, dass dieser Tag eine Gelegenheit sei, »zusammen zu sein und zu beten (…) einer neben dem anderen, um von Gott ein Geschenk zu erflehen, das die ganze heutige Menschheit dringend zum Überleben braucht: Friede.«
Trotz des unerschütterlichen Glaubens, dass Jesus Christus der einzige Erlöser der Welt ist, trug Johannes Paul II. in seinem Herzen die Sehnsucht nach einem Dialog mit anderen Religionen, in denen, nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, die »Strahlen der einzigen Wahrheit« enthalten sind. Wie ein weiterer Zeuge sagt: »Das Ergebnis von Assisi war, dass anstelle von Feindseligkeit und Feindschaft zwischen den Religionen Ansätze eines Dialogs erschienen.« Auch aus diesem Grund war es der Wunsch des Papstes (trotz unterschiedlicher Meinungen einiger der Kardinäle, die argumentierten, dass das Treffen in Assisi ein einmaliges Ereignis sein sollte), dieses Treffen jedes Jahr in den verschiedenen europäischen Zentren oder in den Mittelmeerländern fortzusetzen; eine Aufgabe, die er der Gemeinschaft Sant’Egidio übertrug.
Im Verhältnis zur muslimischen Welt zeigte Wojtyla eine außergewöhnliche Offenheit und Kooperationsbereitschaft, die er unaufhörlich mit seinem Verhalten bestätigte. Im Gespräch mit einer wichtigen Persönlichkeit aus der Welt der Politik über die hypothetische Möglichkeit des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union wies er darauf hin, dass »wir, wenn wir auf die Geschichte schauen, nichts Gutes erwarten können, allerdings müssen wir in die Zukunft schauen und bereit sein, Egoismus und religiösen Fanatismus zu vermeiden«.
Diese kluge Gesprächshaltung wurde symbolisch am 14. Mai 1999 besiegelt, als der chaldäische Patriarch Raphael Bidawid I. in Begleitung von mehreren wichtigen Persönlichkeiten der säkularen und religiösen Kreise des Irak in den Vatikan kam. Am Ende der Audienz übergaben die muslimischen Mitglieder der Delegation dem Papst als Geschenk ein Exemplar des Korans. Der Papst verbeugte sich und küsste ihn als Zeichen des Respekts.
Viele griffen ihn dafür später an und legten diese Geste des Papstes als einen Beweis seiner doktrinären Schwäche aus.
Dabei war dieser Kuss nichts anderes als ein Zeichen, mit dem dieser Mann des Glaubens seine tiefe Liebe für die Menschen und ihre Kultur ausdrückte, die Abraham als den gemeinsamen Vater aller Menschen, die an den einen Gott glauben, anerkennen. In seiner Einfachheit und Direktheit war diese Geste auch ein Aufruf zur Sensibilität unter seinen Gesprächspartnern, ein Appell zur Erwiderung.
Es war nicht der letzte Fall, in dem das Verhalten des Papstes, in der Absicht getan, die Beziehungen mit anderen Religionen zu beleben, falsch interpretiert wurde. Am 29. Juni 1995 besuchte der Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus I., den Petersdom, wobei es dazu kam, dass der Papst mit ihm zusammen das konstantinopolitanische Credo sprach, das sich darauf beschränkt, zu bekennen, dass der Heilige Geist »aus dem Vater« hervorgeht und nicht auch »aus dem Sohn« (Filioque). Die Ursache dafür ist ein theologisches Problem, das seit Jahrhunderten die östliche und westliche Kirche trennt.
Hinter der Entscheidung von Johannes Paul II., dieses Glaubensbekenntnis zu beten, steckte natürlich keine oberflächliche Zustimmung auf der Linie von »Wir haben uns gern«, vielmehr aber der Wunsch, einen wichtigen Schritt zu machen, beim Versuch, diese beiden Schwesterkirchen zu versöhnen. Er wünschte, wie er es während einer Predigt, die er am selben Tag hielt, erläuterte, »das Missverständnis zu zerstreuen, das bisher einen Schatten auf die Beziehungen zwischen Katholiken und Orthodoxen wirft«. In der Tat, das Ergebnis dieses Treffens war die Gründung einer gemeinsamen Kommission, betraut »mit der Aufgabe, angesichts des gemeinsamen Glaubens die gesetzliche Bedeutung und den rechtlichen Rahmen der verschiedenen traditionellen Aussagen zum ewigen Anfang des Heiligen Geistes in der Heiligen Dreifaltigkeit, die zu unserem gemeinsamen doktrinären und liturgischen Erbe gehören, zu klären«.
Die Angst mancher Orthodoxer, dass die römische Kirche Ambitionen habe, ihre Gläubigen abzuwerben, erwies sich als völlig unbegründet. Der Papst, vor allem während der Arbeit an der Enzyklika Ut unum sint, in der er sogar die Ausübung des Primats Petri zur Diskussion stellt, sagte dies oft, fast wie einen Slogan: »Mit den Orthodoxen will ich Harmonie und kein Gericht.«
Um ein paar dieser Gesten der Versöhnung und des Gebetes auszudrücken, zögerte der Papst auch nicht, kleine Tricks anzuwenden, so leistete er sich beispielsweise gegenüber dem orthodoxen Bischof von Athen, in der apostolischen Nuntiatur in Griechenland, einen »Scherz«. Während dieses kurzen und informellen Treffens sagte Johannes Paul II. irgendwann zu dem Bischof, dass er das Vaterunser in griechischer Sprache beten möchte. Sichtlich überrascht begannen die religiösen Autoritäten, das Vaterunser in ihrer Muttersprache zu rezitieren, und der Papst, auch auf Griechisch, begleitete sie im Gebet.
Eines der problematischen Themen, das im Seligsprechungsprozess untersucht wurde, war die heilige Kommunion, die Johannes Paul II. mehrmals persönlich Frère Roger Schutz spendete, dem Gründer der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, der am 16. August 2005 von einer gemütskranken Frau mit einem Messer ermordet wurde. Wenn Schutz nicht formal katholisch gewesen wäre, sondern evangelisch, wäre diese Handlung rechtswidrig gewesen. Der Bischof von Nanterre, Gérard Daucourt, erklärte jedoch: »Frère Roger konvertierte zum Katholizismus, worüber der Papst und die Bischöfe von Autun Bescheid wussten, allerdings enthüllten sie es nicht in der Öffentlichkeit.« Andere bestätigen, dass — obwohl es keinen formalen Übertritt aus der Gemeinschaft, wo Frère Roger getauft wurde, in die katholische Kirche gab — er ohne Zweifel den wahren Glauben an die Realpräsenz Christi in der Eucharistie besaß.
Johannes Paul II. lernte Frère Roger während des Zweiten Vatikanischen Konzils kennen. Jeden Morgen, wenn der damalige Kapitularvikar im Petersdom zum Gebet vor das Allerheiligste trat, traf er in der Kapelle Frère Roger. Infolgedessen besuchte Erzbischof Wojtyla 1964 und 1968 Taizé, wohl wissend, dass Frère Roger, wenn er auch nicht öffentlich seine Wurzeln verließ, in seinem Herzen doch den katholischen Glauben empfangen hatte. Das erste Mal, das Wojtyla die heilige Kommunion Frère Roger spendete, fand im Mai 1973 statt, als er noch Kardinal war und Frère Roger ihn in Krakau besuchte, um sich mit 200 000 Bergarbeitern während einer Kattowitz-Wahlfahrt zu treffen. Bei dieser Gelegenheit teilte ihm Frère Roger persönlich mit, dass er im August 1972 von seinem Bischof, dem Bischof von Autun, Armand-François Le Bourgeois, die Zulassung zur Eucharistie erhalten habe.
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Quelle: Buch “Darum ist er heilig” von Slawomir Oder und Saverio Gaeta. Aus dem Italienischen (“Perché è santo. Il vero Giovanni Paolo II raccontato dal postulatore della causa di beatificazione”) übersetzt von Anna Meetschen und Stefan Meetschen, 1. Auflage 2014, @ fe-medienverlags GmbH, Hauptstr. 22, D-88353 Kißlegg, ISBN 978-3-86357-076-7
SLAWOMIR ODER, geboren 1960 in Polen, studierte Betriebswirtschaft und Kirchenrecht. Präsident des Berufungsgerichts in der römischen Kurie und Päpstlicher Ehrenprälat. Postulator des Seligsprechungsprozesses von Papst Johannes Paul II.
SAVERIO GAETA, geboren 1958 in Italien, Studium der Kommunikationswissenschaft. Chefredakteur des itaelienischen Wochenmagazins “Famiglia Cristiana”, früher Redakteur bei der Zeitung “L’Osservatore Romano”.
