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REFLEXIONEN ÜBER GEHEIMNIS UND LEBEN DER KIRCHE

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Die Sicht der Kirche als „gespiegeltes Licht“
verbindet die Väter des ersten Jahrtausends mit dem
II. Vatikanischen Konzil

Das letzte Konzil erkennt an, dass der Ursprung der Kirche nicht in der Kirche selbst liegt, sondern in der lebendigen Gegenwart Christi, der in eigener Person die Kirche aufbaut. Das Licht, das Christus ist, spiegelt sich in der Kirche wie in einem Spiegel wider.

Von Kardinal Georges Cottier OP

In das nunmehr unmittelbar bevorstehende Jahr 2012 fällt der 50. Jahrestag des Beginns des II. Vatikanischen Konzils. Auch nach einem halben Jahrhundert löst dieses große Ereignis kirchlichen Lebens noch immer Diskussionen darüber aus, was wohl die angemessenste Deutung dieser Konzilsversammlung sei. Und diese Diskussionen werden in den kommenden Monaten wohl noch verstärkt werden.

Hermeneutische Diskussionen sind sicher wichtig, aber sie können leicht in Fachsimpeleien zwischen Experten ausarten. Dabei könnte es doch vor allem in unserer Zeit interessant sein, die Inspirationsquelle wiederzuentdecken, aus der das II. Vatikanische Konzil geschöpft hat. Laut der geläufigsten Antwort auf diese Frage war dieses Ereignis von dem Wunsch getragen, das Innenleben der Kirche zu erneuern und auch ihre Disziplin den neuen Anforderungen anzupassen. Die Sendung der Kirche in der Welt von heute, im Glauben auf die „Zeichen der Zeit“ zu achten, sollte mit neuer Kraft herausgestellt werden. Um der Frage aber noch mehr auf den Grund zu gehen, muss man wissen, wie das innerste Antlitz der Kirche aussah, das das Konzil beiseinem Bemühen um Aggiornamento erkennen und der Welt zeigen wollte.

Der Titel und die Anfangszeilen der dogmatischen Konzilskonstitution Lumen gentium, die der Kirche gewidmet ist, sind von erhellender Klarheit und Einfachheit: „Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten, indem sie das Evangelium allen Geschöpfen verkündet.“ Im Incipit seines wichtigsten Dokuments erkennt das letzte Konzil an, dass der Ursprung der Kirche nicht in der Kirche selbst liegt, sondern in der lebendigen Gegenwart Christi, der in eigener Person die Kirche aufbaut. Das Licht, das Christus ist, spiegelt sich in der Kirche wie in einem Spiegel wider.

Das Bewusstsein dieser elementaren Tatsache (die Kirche ist der Widerschein der Gegenwart und des Wirkens Christi in der Welt) erhellt alles, was das letzte Konzil über die Kirche gesagt hat. Der belgische Theologe Gérard Philips, der der Hauptverfasser der Konstitution Lumen gentium war, unterstrich genau dies zu Beginn seines monumentalen Kommentars zum Konzilstext. Seiner Meinung nach, „nimmt die Konstitution über die Kirche von Anfang an eine christozentrische Perspektive ein, eine Perspektive, die im Lauf der gesamten Darlegung bekräftigt werden sollte. Die Kirche ist fest davon überzeugt: das Licht der Völker strahlt nicht von ihr selbst aus, sondern von ihrem göttlichen Stifter: zugleich weiß die Kirche sehr wohl, dass dieses Licht die ganze Menschheit erreicht, indem es sich auf ihrem Antlitz widerspiegelt“ (L’Église et son mystère, 1967-68, zit. n. La Chiesa e il suo mistero nel Concilio Vaticano II: storia, testo e commento della costituzione Lumen gentium, Jaca Book, Mailand 1975, v. I, S. 69). Ein Blickwinkel, der auch in den letzten Zeilen seines Kommentars beibehalten wird, wo Philips erneut sagt, dass „es nicht uns zukommt, Voraussagen über die Zukunft der Kirche zu machen, über ihr Versagen und ihre Entwicklung. Die Zukunft dieser Kirche, die nach dem Willen Gottes der Widerschein Christi, Licht der Völker, sein sollte, liegt in Seinen Händen“ (ibid. v. II, p. 314).

Die Sicht der Kirche als Widerschein des Lichtes Christi hat das II. Vatikanische Konzil mit den
Kirchenvätern gemeinsam, die bereits seit den ersten Jahrhunderten auf das Bild des mysterium lunae, Geheimnis des Mondes, zurückgriffen, um anzudeuten, was das Wesen der Kirche ist und wie sie dementsprechend handeln solle. Wie der Mond „leuchtet die Kirche nicht aus eigener Kraft, sondern durch das Licht Christi“ („fulget Ecclesia non suo sed Christi lumine“), sagt der heilige Ambrosius. Für Cyrillus von Alexandrien dagegen ist „die Kirche vom göttlichen Licht Christi umstrahlt, der das einzige Licht im Reich der Seelen ist. Es gibt also nur ein Licht: in diesem einen Licht leuchtet aber auch die Kirche, die aber nicht Christus selbst ist“.

In dieser Hinsicht verdient ein Gedanke Aufmerksamkeit, den der Historiker Enrico Morini unlängst in einem Beitrag abgegeben hat, der auf der von Sandro Magister betreuten Internetseite http://www.chiesa.espressonline.it zu finden ist.

Laut Morini – Professor für Geschichte des Christentums und der Kirche an der Universität Bologna – hat sich das II. Vatikanische Konzil „in eine Perspektive der absoluten Kontinuität mit der Tradition des ersten Jahrtausends gestellt, einer nicht rein mathematischen, sondern einer wesentlichen Periodisierung entsprechend, da das erste Jahrtausend der Kirchengeschichte das Jahrtausend der sieben Konzilien der noch ungeteilten Kirche war […]. Um die Erneuerung der Kirche zu unterstützen, hat das Konzil nichts Neues einführen wollen – wie dies Progressisten oder Konservative entweder wünschen oder fürchten –, sondern wollte zu dem zurückkehren, was verlorengegangen war.“

Diese Feststellung kann zu Missverständnissen führen, wenn sie mit dem Mythos der Geschichtsschreibung verwechselt wird, der die Geschichte der Kirche als progressiven Verfall und wachsende Entfernung von Christus und vom Evangelium sieht. Genausowenig kann man künstliche Gegensätze glaubhaft machen, nach denen die dogmatische Entwicklung des zweiten Jahrtausends nicht mit der gemeinsamen Tradition der ungeteilten Kirche während des ersten Jahrtausends in Übereinstimmung sei. Aber wie Kardinal Charles Journet auch unter Bezugnahme auf den seligen John Henry Newman und seine Abhandlung über die Entwicklung des Dogmas hervorgehoben hat, ist das depositum, das wir empfangen haben, kein totes Erbe, sondern es ist lebendig. Und alles was lebendig ist, erhält sich am Leben, indem es sich entwickelt.

Ebenso muss als objektives Faktum betrachtet werden, dass die Auffassung von Kirche, wie sie in Lumen gentium ausgedrückt ist, jener entspricht, die schon in den ersten Jahrhunderten des Christentums allgemein geteilt wurde: dass die Kirche nämlich nicht als eigenständiges, vorbestimmtes Subjekt vorausgesetzt wird.

Die Kirche bleibt von der Tatsache überzeugt, dass ihre Gegenwart in der Welt fruchtbar und von Dauer ist, wenn sie sie als Gegenwart und Wirken Christi anerkennt.

Zuweilen scheint sich auch in unserer neuesten kirchlichen Aktualität die Wahrnehmung dieser Quelle der Kirche für viele Christen zu verdunkeln, und es scheint eine Art Umkehrung zu geschehen: vom Widerschein der Gegenwart Christi(der mit der Gabe seines Geistes die Kirche aufbaut) geht man dazu über, die Kirche als eine Realität wahrzunehmen, die sich materiell und ideell dafür einsetzt, aus sich selbst heraus ihre Gegenwart in der Geschichte zu bezeugen und zu realisieren.

Dieses zweite Modell, das Wesen der Kirche zu sehen, das nicht mit dem Glauben übereinstimmt, hat konkrete Konsequenzen.

Wenn sich die Kirche in der Welt als Widerschein der Gegenwart Christisieht, wie das der Fallsein
sollte, dann kann die Verkündigung des Evangeliums nur im Dialog und in Freiheit erfolgen,
unter Verzicht auf jegliche materiellen und spirituellen Zwangsmittel. Das ist der Weg, den Paul VI. in seiner ersten Enzyklika Ecclesiam Suam (veröffentlicht 1964) aufgezeigt hat. Sie bringt die Sichtweise auf die Kirche zum Ausdruck, die dem Konzil eigen war. Der Blick des Konzils auf die Spaltungen unter den Christen und dann auf die Gläubigen anderer Religionen, spiegelt dieselbe Sicht der Kirche wider. Ebenso steht auch die Bitte um Vergebung für die Schuld der Christen, die innerhalb der Kirche Verwunderung und Diskussionen hervorgerufen hat, als sie von Johannes PaulII. ausgesprochen wurde, in vollkommener Übereinstimmung mit der bis hierher beschriebenen Auffassung von Kirche. Die Kirche bittet nicht um Vergebung, um damit der Logik einer weltlichen Ehrbarkeit zu folgen, sondern weilsie anerkennt, dass die Sünden ihrer Söhne und Töchter das Licht Christi verdunkeln, das sie auf ihrem Antlitz widerspiegeln soll, wie es ihre Berufung ist. All ihre Kinder sind Sünder, die durch das Wirken der Gnade zur Heiligkeit berufen sind. Eine Heiligung, die immer Gabe der Barmherzigkeit Gottes ist, der möchte, dass kein Sünder – wie schrecklich auch immer seine Sünde sein mag – vom Bösen auf dem Weg des Verderbens festgehalten wird.

So ist das Wort von Kardinal Journet zu verstehen: die Kirche ist ohne Sünde, aber nicht ohne Sünder. Die Bezugnahme auf die wahre Natur der Kirche als Widerschein des Lichtes Christi hat auch unmittelbare pastorale Implikationen. Leider ist im gegenwärtigen Kontext die Tendenz der Bischöfe festzustellen, ihr Lehramt durch Aussagen in den Medien auszuüben, wo häufig Vorschriften und Hinweise gegeben werden, was die Christen tun und lassen sollen. Als wäre die Gegenwart der Christen in der Welt das Ergebnis von Strategien und Vorschriften und würde nicht dem Glauben entspringen, das heißt von der Anerkennung der Gegenwart Christi und seiner Botschaft ausgehen. Vielleicht wäre es in der heutigen Welt einfacher und trostreicher für alle, wenn sie Hirten zuhören könnten, die zu allen sprechen, ohne den Glauben vorauszusetzen. Wie es Benedikt XVI. in seiner Predigt in Lissabon am 11. Mai 2010 zum Ausdruck gebracht hat: „Oft sorgen wir uns mühevoll um die sozialen, kulturellen und politischen Auswirkungen des Glaubens und nehmen dabei als selbstverständlich an, dass dieser Glauben auch vorhanden ist, was leider immer weniger der Wirklichkeit entspricht.“

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Quelle



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