Von Brigitte Veinfurter
(In “Stadt Gottes”, März 2005)
Sein radikales Eintreten für die armen und rechtlosen Menschen machte Erzbischof Oscar Romero zu einer Symbolfigur und einem Hoffnungsträger weit über die Grenzen seines Heimatlands El Salvador hinaus. Den Reichen und Mächtigen wurde er aber mehr und mehr ein Dorn im Auge.
Vor 25 Jahren, am 24. März 1980, wurde der unbequeme Bischof ermordet.
24. März 1980, 18 Uhr: In der Spitalskapelle der Karmeliterinnen in San Salvador beginnt die Messe zum Gedenken an die verstorbene Sara de Pinto. Erzbischof Oscar Romero persönlich zelebriert den Gottesdienst, denn die Verstorbene ist die Mutter eines Freundes. Er predigt über das Weizenkorn, das in die Erde fallen und sterben muss, um zu neuem Leben zu erwachen. Danach geht er zum Altar – da fällt ein Schuss, der Erzbischof bricht zusammen. Die Kugel hat direkt sein Herz getroffen.
Rasch verbreitet sich die Nachricht von der Ermordung des beliebten Erzbischofs. Die Menschen sind schockiert. “Man hat unseren Vater ermordet, man hat unseren Hirten ermordet, man hat unseren Propheten ermordet, man hat unseren Führer ermordet. Es ist, als hätte jeder von uns ein Stück seiner selbst verloren”, formuliert ein Mitarbeiter des Ermordeten die Betroffenheit des Volkes.
Erzbischof Romero war durch sein radikales Eintreten für die Armen, Entrechteten und Ausgebeuteten und seinen unbeugsamen Einsatz für Gerechtigkeit zu einer Symbolfigur für den Kampf gegen die Verbrechen der Militärdiktatur in El Salvador geworden. So hatte er am Tag vor seiner Ermordung in der Predigt gesagt: “Kein Soldat ist verpflichtet, einem Befehl zu gehorchen, der wider das Gesetz Gottes gerichtet ist. Im Namen Gottes und im Namen dieses leidenden Volkes, dessen Wehklagen täglich eindringlicher zum Himmel steigen, flehe ich Sie an, bitte Sie inständig, ersuche ich: Hört auf mit der Unterdrückung.”
Unpolitisch und konservativ
Zur Welt gekommen war Oscar Arnulfo Romero 1917 in einem Gebirgsstädtchen nahe der Grenze zu Honduras. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf, studierte in San Salvador und Rom Theologie und wurde 1942 zum Priester geweiht. 1970 wurde er Weihbischof und 1974 Titularbischof der Diözese Santiago de Maria. Theologisch und politisch eher konservativ achtete Romero auf kirchliche Disziplin, sympathisierte mit der Spiritualität des Opus Dei und hegte gegenüber der Befreiungstheologie Misstrauen. An der Bewältigung der sozialen Krisen in seinem Land zeigt er wenig Interesse.
Doch diese Krisen prägten El Salvador damals: Nahezu die Hälfte des kultivierbaren Bodens war im Besitz von gerade 1,5 Prozent der Bevölkerung. Die Mehrheit der Bauern hatte nicht einmal so viel Land um für den Eigenbedarf genügend anbauen zu können. Die wenigen reichen Familien hatten auch die Macht im Land und unterdrückten, unterstützt vom Militär, die große Masse der Bauern und Arbeiter. Terror und Unterdrückung standen auf der Tagesordnung, immer wieder gab es Massaker, Menschen wurden auf offener Straße erschossen.
Die katholische Kirche war in Lateinamerika traditionell auf der Seite der Mächtigen gestanden. Mit der Bischofsversammlung von Medellín 1968 positionierte sie sich auf der Seite der Armen. Doch nicht alle Bischöfe wollten diese radikale Wende mitvollziehen. Oscar Romero tat sich, so wie einige seiner Bischofskollegen, schwer damit. So galt er, als er Anfang 1977 zum Erzbischof von San Salvador ernannt wurde, als Garant für ein gutes Einvernehmen mit der Regierung.
Die große Wende seines Lebens
Doch dann geschahen zwei Ereignisse, die ein Umdenken bewirkten: Am 28. Februar veranstaltete die Opposition einen Generalstreik und eine Protestkundgebung gegen die Wahlfälschungen bei der Präsidentenwahl. Als sich am Abend noch 7000 Menschen auf dem Platz vor der Kathedrale befanden, schossen Soldaten in die Menge. Mehr als 100 Menschen starben.
Der neue Erzbischof war nicht zur Stelle, aber die Ereignisse leiteten die entscheidende Wende in seinem Leben ein, die wenig später durch ein weiteres Ereignis besiegelt wurde: die Ermordung des Jesuitenpaters Rutilio Grande am 12. März. Pater Rutilio hatte in einem Bauerndorf eine bewusstseinsbildende und befreiende Pastoral umzusetzen versucht und war im Auftrag von Großgrundbesitzern ermordet worden.
Oscar Romero war ein Freund Rutilios gewesen, seinem Engagement war er aber verständnislos gegenüber gestanden. Doch an der Leiche seines Freundes, so erinnern sich seine Vertrauten, begann sich die Wandlung Romeros zu vollziehen. Er selbst beschrieb später seine intuitive Einsicht vor dem Leichnam Rutilios so: “Wenn sie ihn für das umgebracht haben, was er getan hat, dann muss ich denselben Weg gehen. Rutilio hat mir die Augen geöffnet.” Aus dem furchtsamen, ausweichenden Menschen war ein mutiger Kämpfer geworden. So kündigte er für den 20. März nur eine einzige Messe für die gesamte Erzdiözese in der Kathedrale an. Die Regierung fürchtete einen Volksauflauf und versuchte die Messe zu verhindern. Aber Romero ließ sich nicht beirren. Schließlich kamen über 100.000 Menschen zum Gottesdienst. In seiner Predigt stellte Romero klar: “Wer einen meiner Priester anrührt, der rührt mich an.”
Romero wurde die Stimme derer, die keine Stimme haben. “Eine Kirche, die sich nicht die Sache der Armen zu Eigen macht, um aus Sicht der Armen das Unrecht anzuprangern, das man an den Armen begeht, ist nicht die wahre Kirche Jesu Christi”, sagte er in einer Predigt. So wurde er auch zu einer herausragenden Stimme der Befreiungstheologie, die weit über die Grenzen El Salvadors gehört wurde. Seine Ansprachen und Predigten wurden in zahlreichen Ländern Lateinamerikas im Rundfunk übertragen.
Im Vatikan war das Engagement Romeros vielen ein Dorn im Auge, mehrfach reiste er nach Rom, um sich zu rechtfertigen.
Unbequem war er auch für die USA, die das Militärregime in San Salvador mit Waffen und Militärberatern unterstützten. Andernorts wurde sein Engagement gewürdigt: Er erhielt mehrere Ehrendoktorwürden und wurde zweimal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Bei den Herrschenden in seinem Heimatland freilich machte er sich durch sein Engagement immer unbeliebter, er erhielt immer wieder Morddrohungen.
Blutiger Bürgerkrieg
Zum Begräbnisgottesdienst von Erzbischof Romero versammelten sich 250.000 Menschen am Platz vor der Kathedrale von San Salvador. Während der Predigt explodierte an einer Ecke des Platzes eine Bombe, dann schossen Soldaten auf die Menschen – 40 starben, hunderte wurden verletzt. Das Requiem konnte nicht zu Ende gefeiert werden.
Nach der Ermordung Romeros begann ein blutiger Bürgerkrieg in El Salvador. Ein Jahrzehnt lang regierten Terror und Gewalt. Die Todesschwadronen des stellvertretenden Geheimdienstchefs Roberto D’Aubuisson verschleppten und töteten tausende Menschen. Insgesamt verloren 80.000 Menschen ihr Leben. Erst 1990 begannen unter Vermittlung der UNO Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien, die schließlich 1992 zum Abschluss eines Friedensvertrags führten.
Im Rahmen der Friedensverhandlungen wurde eine Wahrheitskommission eingesetzt, die u. a. die Hintergründe des Mordes an Erzbischof Romero klären sollte. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass offensichtlich Major Roberto D’Aubuisson persönlich den Befehl zur Ermordung des Erzbischofs gegeben hatte. Allerdings wurden weder er noch die tatsächlichen Mörder bisher vor ein Gericht gestellt – vielleicht auch deswegen, weil die von Roberto D’Aubuisson gegründete ARENA-Partei das Land seit 1989 regiert!
Für seine Anhänger ist Erzbischof Romero längst ein Mythos, ein Märtyrer, ja ein Heiliger. Und selbst die offizielle Amtskirche hat sich mittlerweile mit dem einst ungeliebten Bischof angefreundet: In Rom wurde ein Seligsprechungsverfahren eingeleitet.
Romero-Gedenken: San Salvador: Theologische Woche ab 28. März; Festgottesdienst mit Kardinal Rodríguez Maradiaga am 2. April
In der Schweiz: Tagung “Mich kann man töten, nicht aber die Stimme der Gerechtigkeit” am 19. März im RomeroHaus in Luzern
Buchtipp: Martin Maier: OSCAR ROMERO. Meister der Spiritualität. Herder Spektrum, 191 Seiten, € 10,20. Eine empfehlenswerte Biografie
Filmtipp: ROMERO. Seine Waffe war die Wahrheit. Spielfilm, 105 Minuten, USA 1989 Der Film zeichnet die Entwicklung Romeros nach, entwirft ein eindringliches Bild des Militärregimes in El Salvador und greift die Themen der Theologie der Befreiung auf.
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© Brigitte Veinfurter – STADT GOTTES März 2005
