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DER SELIGE PAPST PAUL VI. ZUR LITURGIEREFORM

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SetHeight426-Paolo-VI

VORWORT

Der Name des Verfassers dieser kleinen Schrift ist nicht mehr derselbe. Giovanni Battista Montini ist vom ehr­würdigen Stuhl der großen Bischöfe, Seelsorger und Heiligen Ambrosius und Karl Borromäus auf den Stuhl des heiligen Petrus erhoben worden und hat den Namen des Völkerapostels angenommen. Zu Beginn der Fasten­zeit 1958 glaubte der Erzbischof von Mailand die bereits berühmt gewordene mailändische Stadtmission nicht besser abschließen zu können als durch ein Hirtenwort »über die Erziehung zur Liturgie«, getreu jener Über­zeugung, die er schon vorher, so vor allem am 30. Juni 1953 im Auftrag Pius’ XII. als Prostaatssekretär in einem Schreiben an Bischof Rossi von Biella zum Ausdruck gebracht hatte :

»Nichts ist in der Tat in dieser ernsten und doch an Hoffnungen reichen Stunde so dringend wie die Aufgabe, das Volk Gottes, die große Familie Jesu Christi, zu der kräftigen Speise der liturgischen Frömmigkeit zurück­zurufen, der Frömmigkeit, die vom Hauch des Heiligen Geistes erwärmt ist, der die Seele der Kirche und jedes einzelnen ihrer Kinder ist« (Lit. Jb. 3 [1953] 323).

Verlauf und Ausgang der großen, die Erneuerung von Liturgie und liturgischer Frömmigkeit betreffenden Debatte auf dem zweiten vatikanischen Konzil bestä­tigten, daß dieses Wort auch heute noch zu recht besteht.

Das Liturgische Institut und die Herausgeber des Litur­gischen Jahrbuchs glaubten darum, Papst Paul VI. zu Beginn seiner — so hoffen wir — glückhaften und pastoral segensreichen Regierung nicht besser huldigen zu können, als indem sie das wegweisende Hirtenwort des Erzbischofs, das sie als ein bedeutendes Dokument für die Darstellung der Rolle des Gottesdienstes im Leben der Gemeinde bereits im Jahre 1958 in deutscher Übersetzung im Liturgischen Jahrbuch veröffentlicht haben, hiermit einem größeren Kreis interessierter Leser erneut vorlegen.

Für diesen Druck wurde die Übersetzung hier und da verbessert und im Anschluß an die italienische Ausgabe der »Opera della Regalità« (Mailand) mit Zwischen­titeln versehen.

Johannes Wagner

1. Nach der im vergangenen November in unserer Stadt gehaltenen Mission, die in die ganze Diözese hinein­gewirkt hat durch die Kunde, die auch sie davon erhal­ten, und durch die geistige Teilnahme, die sie daran gezeigt hat, sehe ich es als meine Pflicht an, dem geist­lichen Aufbruch, der von dem einzigartigen Ereignis ausgeht oder zumindest sich darin ankündigt, irgend­einen greifbaren Ausdruck zu verleihen. Welches soll die Frucht der Mission sein, welcherart die Erneuerung im Denken und Leben, die wir aus dem religiösen und moralischen Antrieb ihrer so sehr gesegneten Feier empfangen sollen? Dieser Vorgang von apostolischer Fülle ist nicht dazu bestimmt, eben ausgelöst, auch wie­der zu vergehen, wie eine Leuchte, die unerwartet Licht ausstrahlt und wieder erlischt, sondern vielmehr anzu­dauern, in der Erinnerung nicht bloß, sondern in jener Folge von guten Maßnahmen, aus denen Reform und Erneuerung des einzelnen und der Gemeinschaft be­stehen müßte — wie ein Licht, das, einmal entzündet, neue christliche Lebenswege bleibend erhellt.

Die Auswertung der Mission in Mailand

2. Und in Wahrheit müßten diese erwünschten Fol­gerungen zahlreich und vielfältig sein, wenn man an die Fruchtbarkeit der in der Mission verkündeten Grund­sätze, an die vielfältigen Nöte unserer Zeit und an die Menge möglicher Methoden denkt, um Abhilfe zu schaf­ Deshalb bin ich den Priestern und Gläubigen dankbar, die an dem Eifer, wie er von der großen Mission ausging, festhalten und daraus geistige oder praktische Fortschritte herleiten wollen. Die Mission hat die Grund­sätze verkündigt; konsequenterweise müssen wir die Anwendungen machen. Die Wahrheiten des Glaubens haben keinen rein theoretischen Wert und ermangeln niemals der Bezüge auf unser Leben. Und die lichtvolle Wahrheit, die im Zentrum der Missionspredigten ge­standen hat, Gott als unser Vater, ist eine Quelle so großartiger Folgerungen, daß sie das gesamte Gefüge menschlichen Denkens und Lebens mit unerschöpflicher Erneuerungskraft durchdringen könnte. Glücklich des­halb und gesegnet jene, die aus der feierlichen Wieder­bestätigung unserer kindlichen Beziehungen zum leben­digen Gott Licht und Stärke, Trost und Tatkraft zu zie­hen wissen, um dementsprechend neue Beweise der Treue und Liebe zu geben, und die einer modernen Welt zu zeigen wissen, daß diese Religion, lebendig und unverfälscht, noch unerschöpfliche Heilskräfte in sich trägt.

Die erste Antwort auf die göttliche Offenbarung:

das Gebet

3. Auf eine einzige Folgerung unter so vielen möglichen möchte ich eure Aufmerksamkeit in diesem Hirtenbrief richten, diejenige nämlich, die mir die erste und natür­lichste Antwort auf die selige Offenbarung zu sein scheint, die Gott uns gnädig von sich gemacht hat, in­dem er durch die Unterweisung unseres Herrn Jesus Christus auf unsere Lippen den ganz einfachen und unbeschreiblichen Namen »Vater« legte: es ist das Ge­bet. Unsere Beziehungen zu Gott müssen die Fähigkeit zur Zwiesprache wiederfinden, wie es sich für Kinder geziemt, in der Fülle von Geist und Wahrheit (vgl. Joh 4, 26), wie gerade der Vater es von uns erwartet. Unsere Religion muß den Ausdruck wiedergewinnen, der ihrer wirklichen Natur angemessen ist; unser geistliches Leben muß mit einer neuen Innerlichkeit, durch einen neuen Umgang mit Gott bereichert werden; unser religiöses Empfinden, wiedererwacht durch den Anruf der über­natürlichen Wahrheiten, muß seine Sprache wiederfin­den, ganz klar und aufrichtig, gültig und echt, voll Wahrheit und Poesie, um mit dem gegenwärtigen Gott in Verbindung zu treten.

Das liturgische Gebet

4. Es ist aber nicht meine Absicht, jetzt die zahlreichen und vielfältigen Wege dieses Themas vom christlichen Gebet, das weit ist wie das Meer, zu verfolgen. Nur auf einem davon wollen wir einen Augenblick verweilen, weil er an sich hervorragend und für uns dienlicher er­scheint. Es betrifft das Gebet des christlichen Volkes, als lebendige Gemeinschaft betrachtet und verein um Gott dem Herrn öffentliche Anbetung zu zollen; ich meine das liturgische Gebet. Dieses ist gleichsam die Hauptschlagader, zu der Ströme privater und volks­tümlicher Andacht hinführen und von der andere für das persönliche geistliche Leben ausgehen. Dieses sind alle, Seelsorger und Gläubige, zu üben verpflichtet, nicht mit der bloßen Pflicht äußerlicher Beobachtung, sondern um daraus unersetzliche geistige Nahrung zu ziehen. Es muß den Hauptstrom katholischen religiösen Lebens in der zunehmenden Verweltlichung der modernen Ge­sellschaft darstellen und der Kirche ein tieferes, echteres Wissen von sich selbst sowie die Eignung verleihen, die Seelen auf leichtere und liebenswürdigere Weise für die wundersame Neugeburt der Vereinigung mit Gott zu gewinnen. Die Liturgie stellt heute das Zentralproblem der Seelsorge dar, das ist bekannt; und es fehlt inzwi­schen nicht an Zeugnissen des kirchlichen Lehramts und der katholischen Literatur, die das umfassend dartun. So genügt es, euch unter einem einzigen Aspekt darauf hinzuweisen, dem praktischen, der unsere Vervollkomm­nung darin betrifft, die heilige Liturgie zu verstehen, zu feiern, zu verbreiten und an sie, wie an einen Angel­punkt, das christliche Leben zu binden.

Das Thema des Hirtenbriefes: Erziehung zur Liturgie

Ich möchte euch in der Tat auffordern, über unsere liturgische Erziehung nachzudenken und einiges davon in die Tat umzusetzen.

5. Schon vor der Mission habe ich geglaubt, sie nicht besser vorbereiten zu können, als indem ich dafür sorgte, daß die Gläubigen an der Sonntagsmesse sich etwas besser beteiligten. Ebenso habe ich beim Rückblick auf die Mission wiederum dazu ermahnt, daß man bei der Sonntagsmesse zu einer lebendigen Teilnahme unter Mittätigkeit der Gläubigen gelange. Sie sollten den Ein­druck gewinnen, daß ich die bessere Bildung aller, der Priester und der Gläubigen, in Richtung auf den heili­gen Kult wünsche. Ein solches Vorhaben genügt, um unser Denken mitten in ein erregendes, weitreichendes Gegenwartsproblem hineinzuführen, nämlich die Be­ziehung zwischen Seelsorgstätigkeit und Liturgie, das Liturgiewissenschaftler und Vertreter der liturgischen Bewegung lang und breit erörtern und das den Kennern dieses überaus fesselnden religiösen Gebietes noch wei­terhin zu erforschen, zu diskutieren und zu verbreiten bleibt, zum offenkundigen Nutzen der religiösen Kultur und der Frömmigkeit des christlichen Volkes. Wir wol­len in diesem väterlichen Wort zur Fastenzeit uns nur einen einzigen Punkt aus dem überreichen Stoff vor­nehmen, denjenigen, den die Enzyklika Mediator Dei des gegenwärtigen Papstes mit einer autoritativen Deutlich­keit empfiehlt, ja befiehlt, wie es nicht beredter und ver­pflichtender geschehen könnte, nämlich die Mit tä tig­k ei t des Volkes bei der heiligen Liturgie.

ERSTER TEIL

DER BILDENDE WERT DER TEILNAHME
DES VOLKES AN DER LITURGIE

I.

DIE LEHRE DER ENZYKLIKA »MEDIATOR DEI«

Die wahre Bedeutung der Enzyklika

6. Dieses Hervorheben der Notwendigkeit, daß das Volk sich an der Liturgie beteiligt, und die entsprechende Empfehlung, eine solche Beteiligung klug zu fördern, bil­den den praktisch-pastoralen Teil des großen päpstlichen Dokuments. Es ist allerdings bekannt, daß diese große Enzyklika, die im vergangenen Jahr bereits seit einem Jahrzehnt vorlag, verschiedene Aspekte von großer Wich­tigkeit bietet; der dogmatische ist sicherlich der haupt­sächliche. Man hat z. T. geglaubt, der vornehmliche Zweck der Enzyklika sei die Auseinandersetzung mit gewissen Irrtümern und Tendenzen der liturgischen Be­wegung und daß man sie deshalb im wesentlichen als eine ablehnende Äußerung zu dieser Bewegung beur­teilen müsse. Aber bei dieser Auffassung verwechselt man einige zufällige, begrenzte Motive, die der Vor­bereitung der Enzyklika vorausgingen und sie vielleicht auslösten, mit ihrem wirklichen Inhalt, der vorwiegend dogmatisch und für die liturgische Erneuerung positiv ermutigend ist. Die Enzyklika enthält kostbare, heil­same Belehrungen, die inzwischen zum Bestand der katholischen Lehre gehören und den Liturgiebegriff zu theologischen Höhen erheben, die für die katholische Religion wesentlich sind: Wenn die Liturgie etwa von den äußeren Formen des Ritus, derer sie sich bedient, auf die Mittlersendung Christi verlagert wird, der Gott und Mensch ist, Priester und Opfergabe, die das Men­schengeschlecht erlöst, einziger und ewiger Priester der erlösten Menschheit, immerdar lebend und wirkend in dem Priestertum, das er auf seinen mystischen Leib, die Kirche, übertragen hat; oder wenn das Wesen des eu­charistischen Opfers definiert wird usw.

Mißbräuche, die die Enzyklika verurteilt

7. Zwar erhebt die Enzyklika väterlich, aber entschie­den die Stimme bezüglich der Notwendigkeit, gewisse Mißbräuche zu unterdrücken, die Vorliebe für das Alte oder Vorliebe für das Neue, ästhetische und formalisti­sche Richtungen oder Reformanwandlungen in die Ord­nung des hergebrachten Kultes einzuführen versucht haben, unter dem Vorwand, teils echte, teils lebendige Liturgie zu machen; zwar verteidigt sie auch die innere Gottesverehrung und die persönliche Frömmigkeit ge­gen die Meinung, der äußere, rein objektive Kult ge­nüge für die volle Wirksamkeit der Religion; und sie rechtfertigt und empfiehlt ausführlich viele Formen der Andacht und des geistlichen Lebens, die als legitim und fruchtbar anerkannt, wenn auch nicht im strengsten Sinn amtlich und liturgisch sind. Aber all dies richtet sich nach dem Gedankengang der Enzyklika nicht ge­gen die liturgische Erneuerung, denn auch diese wird denkbar autoritativ empfohlen.

Die »Magna Charta« der liturgischen Erneuerung

8.    Somit ist die Enzyklika Mediator Dei unter die Doku­mente des kirchlichen Lehramts zu zählen, die nicht nur einzelne Punkte der katholischen Lehre herausstellen oder Irrtümer und Mißbräuche verurteilen, Gefahren und willkürliche Tendenzen aufzeigen, sondern die theologische Grundsätze von größter Bedeutung und Fruchtbarkeit für das christliche Leben verkünden. Zu Recht hat man sie mit einigen großen Enzykliken Leos XIII. verglichen, wie Immortale Dei (1885), die eine jahrhundertelange Auseinandersetzung über das kirch­liche Recht gegenüber dem modernen Staatsbegriff ab­schließt, oder Rerum Novarum (1891), welche die Wege der Liebe und sozialen Gerechtigkeit für die Aktion der Katholiken öffnet.

Diese kann man die Magna Charta der liturgischen Er­neuerung in der Kirche nennen, da sie frühere Lehr­äußerungen wiederaufnimmt, zusammenfaßt und wei­terführt, die denkbar lebensmächtig und entscheidend waren, wie diejenigen des heiligen Pius X., und so eine innere Wiedergeburt der katholischen Religion bezeich­net, die aus der Quelle des Priestertums Christi und aus seiner genuinen Fortsetzung im sakramentalen Leben der Kirche gespeist ist.

Die unvergleichliche Bedeutung der Liturgie

9. Dieses Lehrdokument muß für uns bestimmend wer­den in bezug auf die Wege, die wir gehen wollen, wenn wir uns zu einer Religion bekennen, die von Grund auf gelebt wird und zu gleicher Zeit imstande ist, die Ver­bindung unseres geistlichen Lebens mit der königlichen Überlieferung der christlichen Jahrhunderte unversehrt und mächtig zu erhalten und ihm Kraft, Frische und Schönheit für unser Zeitalter und die auf uns folgenden zu verleihen. Heute erkennen die wachsamen Geister, seien sie Hirten des Gottesvolkes, Kenner der katholi­schen Kultur oder Lehrer in der wahren Heiligung der Seelen, die unersetzliche Bedeutung der Liturgie an, sei es für eine beschauliche und liebende Verbindung mit den Glaubenswahrheiten, sei es für ein klareres Be­wußtsein von den Banden und Beziehungen, die uns im mystischen Leibe vereinen, der die Kirche ist, sei es schließlich für eine umfassendere und wirksamere An­näherung der Kinder unserer Zeit, einer Zeit, die im Gebrauch der menschlichen Fähigkeiten so überaus ver­feinert und zugleich im Umgang mit göttlichen Dingen so erschreckend abgestumpft ist.

Der erzieherische Wert der Liturgie

10. Die Liturgie beweist eine erstaunliche Formkraft, die die religiöse Bildung der Kinder und der Erwachsenen, des einfachen Volkes und der Gebildeten trägt und hebt. »In der Liturgie«, schreibt ein zeitgenössischer Gelehr­ter, »ist die ganze Lehre der Kirche enthalten. Sie ist das gebetete Dogma; denn so sehr sie Leben ist und religiö­ser Aufschwung, so herrscht darin doch nicht das un­gebundene Gefühl, sondern der ,Primat des Logos’ .

Obwohl die Liturgie gar nicht darauf ausgeht, uns zu erziehen, sondern nur darauf, uns mit Gott in Verbin­dung zu setzen, bringt sie uns gerade dadurch in das rechte Verhältnis zur gesamten, um Gott kreisenden Wirklichkeit … Sie unterliegt mit ihren großen Ge­danken und ihrem männlichen Ernst nicht der Gefahr, als Teil einer kindlichen Vorstellungswelt vom reifen­den und gereiften Menschen beiseite geschoben zu wer­den … Gerade hier wird Religion fürs Leben aufge­baut« (Jungmann).

Die Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie

11. Diese und andere Urteile, die man über die Natur der Liturgie und ihre religiöse Wirkung abgeben kann, erhalten praktische Bedeutung durch den pastoralen Zweck, auf den jenes feierliche päpstliche Dokument hinausläuft und der eben die Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie ist. Diese Empfehlung kehrt auf jeder Seite der Enzyklika wieder. So sagt der Papst z. B.: ».. . Die Tatsache ist in helleres Licht gerückt, daß alle Gläubigen einen einzigen, eng zusammenhängenden Leib bilden, dessen Haupt Christus ist; für das christ­liche Volk folgt daraus die Pflicht, gemäß seinem Stande sich an der Liturgie zu beteiligen«.

»Als wir wie gewohnt i. J. 1943 zu den Fastenpredigern dieser Stadt sprachen, haben wir ihnen mit Nachdruck empfohlen, ihre Hörer zu immer eifrigerer Teilnahme am eucharistischen Opfer zu ermahnen …« »Es mögen also alle Christen gelehrig auf die Stimme des gemeinsamen Vaters hören, der den heißen Wunsch hegt, es möchten alle in inniger Vereinigung mit ihm sich zum Altare Gottes drängen, den gleichen Glauben beken­nend, dem gleichen Gesetz gehorchend, am gleichen Opfer in einer Gesinnung und einem Wollen teil­nehmend. So fordert es die Gott geschuldete Ehre; so fordern es die Nöte der heutigen Zeit …« »Das private Tun und das aszetische Bemühen um die Rei­nigung der Seele weckt in den Gläubigen die Kräfte, die sie befähigen, in besserer Verfassung am erhabenen Opfer des Altares teilzunehmen …«

»Es ist demnach notwendig, . .. daß alle Gläubigen es als ihre oberste Pflicht und höchste Würde betrachten, teilzunehmen am eucharistischen Opfer — nicht passiven, nachlässigen und zerstreuten Geistes, sondern angespannt und tätig .. .«

»Wenn die Gläubigen an der liturgischen Handlung mit solcher Frömmigkeit und Andacht teilnehmen, daß sich von ihnen in Wahrheit sagen läßt: >deren Glau­ben und Opfergesinnung du (Herr) kennst< — dann kann es nicht ausbleiben, daß der Glaube eines jeden sich eifriger durch die Liebe auswirkt .. .«

»Wir ermahnen euch dringend .. ., nach Beseitigung der Irrtümer und Verkehrtheiten, nach Abwehr all des­sen, was von der Wahrheit und rechten Ordnung ab­weicht, die Bestrebungen zu fördern, die dem Volk eine tiefere Kenntnis der heiligen Liturgie vermitteln, derart, daß es angemessener und leichter an den heiligen Hand­lungen teilnehmen  kann, in rechter christlicher Ge­sinnung.«

Ein Geheimnis geistlicher Wiedergeburt

11. Die Zitate aus einem so maßgeblichen Dokument könnten noch vermehrt werden. Aber diese mögen genü­gen, um zu folgern, daß hier eine Meinung der lehren­den Kirche klar, eine Pflicht offenkundig, ein erneuern­des Prinzip verkündet und ein Geheimnis geistlicher Wiedergeburt enthüllt ist. Man muß dahin wirken, daß die kirchliche Liturgie wieder als »ungeteilter Kult des mystischen Leibes Jesu Christi, nämlich des Hauptes und der Glieder«, aufblüht; dem göttlichen Tun in Wort und Sakrament muß die menschliche Mitwirkung nicht nur des Klerus, sondern auch der Gläubigen entspre­chen, so daß sich eine wunderbare Einheit und Ausge­wogenheit zwischen dem opus operatum und dem opus operantis ergibt, d. h. zwischen der Wirksamkeit der gött­lichen Kausalität in der Liturgie und der Mitwirkung der notwendigen Veranlagungen und Bedingungen auf seiten der menschlichen Gemeinschaft.

II.

DIE NOTWENDIGKEIT EINER ERNEUERUNG
DES RELIGIÖSEN LEBENS
VERMITTELS DER LITURGISCHEN BEWEGUNG

Die gegenwärtige Teilnahme des Volkes an der Liturgie ist nicht befriedigend

13. Und nun: können wir behaupten, daß diese Teil­nahme des christlichen Volkes an dem ersten, erhabenen Gebet der Kirche heute verwirklicht ist?

Ich bin der erste, der den Reichtum der religiösen For­men freudig bejaht, von denen die guten Katholiken noch immer zehren, und wünsche fernerhin, daß diese Formen, vor allem die besten unter ihnen, wie der Ro­senkranz, der Kreuzweg, die Betrachtung vor allem, die Exerzitien, die Andacht am ersten Freitag im Monat, die Totenandacht usw., in Ehren gehalten, gepflegt und gefördert werden; wie es mir auch stets ein Anlaß zur Erbauung und Hoffnung ist, wenn ich sehe, daß der Besuch der Sonntagsmesse beim Volk noch zahlreich ist und glücklicherweise noch als schuldige Beobachtung eines schwer verpflichtenden Gebotes empfunden wird, als Treue, die den, der noch Christ bleiben will, von dem scheidet, der diese seine heilige Berufung verrät. Leider aber können wir nicht zufrieden sein mit der Art, wie man heute im allgemeinen betet, dem heiligen Opfer beiwohnt und gemeinschaftlich betet.

Gründe für eine liturgische Erneuerung

Ganz ohne Zweifel bedarf unser religiöses Leben einer Erneuerung, einer Steigerung. Der geistige Verfall unserer Zeit verlangt danach. Die kulturelle Entwick­lung unseres Volkes verlangt danach. Die innere Lebens­kraft der heiligen Kirche verlangt danach. Das Wort des kirchlichen Lehramtes verlangt danach. Der ewige Befehl Christi: »Tut dies zu meinem Andenken« ver­langt danach.

Die liturgische Erneuerung ist nicht in unser Belieben gestellt

15.  An diesem Punkt muß ich bemerken, daß noch nicht bei allen die Einstellung überwunden ist, die die liturgi­sche Erneuerung als etwas Freiwilliges betrachtet oder als eine unter so vielen Strömungen der Frömmigkeit, der man sich nach Belieben anschließt; oder die die liturgische Bewegung für einen ungeduldigen Reform­versuch von zweifelhafter Rechtgläubigkeit, für einen rein rubrizistischen, festgefahrenen und äußerlichen Ritualismus, für ein archäologisches, formalistisches und ästhetisierendes Feinschmeckertum, für ein den Men­schen unserer Welt fremdes Klosterprodukt oder für eine Einseitigkeit hält, die gegen die persönliche Fröm­migkeit und die volkstümlichen Andachtsübungen ein­genommen ist.

Sie ist Werkzeug und Form der religiösen Erneuerung im Geist der Kirche

16. Das kirchliche Lehramt bringt hingegen die litur­gische Erneuerung auf die rechte dogmatische Linie, fördert sie und stellt sie uns als ein Erstarken der recht­mäßigen Ausübung des Priestertums Christi in seiner Kirche dar, als ein notwendiges inneres und äußeres Tun von ursprünglicher christlicher Spiritualität, als den Kult, der die »größte heiligende Wirksamkeit« und eine »höhere Würde als die privaten Gebete« besitzt.

Wir müssen daher die liturgische Erneuerung entgegen­nehmen als das Werkzeug und die Form der religiösen Erneuerung nach dem Geist und den Gesetzen der Mutter Kirche.

Zwei gefährliche Neuerungstendenzen

17. Erneuerung besagt Neuheit; dieser Begriff verpflich­tet uns, zu bestimmen, um was für eine Neuheit es geht, indem wir zwei gefährliche, entgegengesetzte Neuerungs­tendenzen vermeiden. Die erste würde sein, eine rein archaistische Restauration zu versuchen. Zu glauben, daß nur die alten Kultformen die guten und rechtmäßi­gen sind; in der Entwicklung des Kultes keine legitimen geschichtlichen Wandlungen, keine Bereicherungen vom Leben her oder durch kluge Anpassungen anzuerkennen; zu beanspruchen, sich in der Gesetzgebung des amtlichen Kultes der Kirche an die Stelle der alleinigen Autorität des Heiligen Stuhles setzen zu können — das steht im Widerspruch zu der weisen Ordnung der Kirche selbst und zu der Kenntnis ihres innersten Gebetslebens.

18. Die zweite wäre umgekehrt, neuen gottesdienstli­chen Formen einen willkürlichen Auftrieb zu geben, den sogenannten »Paraliturgien«, die in das öffentliche Ge­bet künstliche Elemente ohne inneren charismatischen Wert einführen und verkehrte Vorstellungen hervor­rufen, die auf die Dauer die Gläubigen von jenen Quel­len ablenken, zu denen man sie gerade führen wollte. Wer über gründliche liturgische Bildung verfügt, kann sich um gewisse sakrale Einzelelemente bemühen, die zur Liturgie im eigentlichen Sinne hinführen (wie Pro­zessionen, Lichter, Gesänge, Opfergänge, Kommentare usw.) — wohl eingedenk, daß sie niemals die eigentliche Liturgie überdecken oder ihr gleichgeachtet werden dür­fen, die allein innere göttliche Kraft und kirchliche Ap­probation besitzt — und zwar besonders für Kinder und Volk von mangelnder Bildung und Beteiligung. Das alles aber nur mit großer Vorsicht, mit feinem Gespür, unter Vermeidung zu künstlichen Aufwandes und immer in der eindeutigen Absicht, die eigentliche Liturgie besser hervorzuheben, wenn man nicht will, daß aus der »Paraliturgie« schließlich eine »Antiliturgie« wird, wie es mitunter vorkommt.

Bei diesem Anlaß erinnere ich an die ernsten Mahnun­gen der schon mehrfach zitierten Enzyklika : »Unmög­lich darf man dem privaten Belieben, möge es sich auch um Mitglieder des Klerus handeln, die heiligen und ehr­würdigen Dinge überlassen, die das religiöse Leben der christlichen Gemeinschaft betreffen.«

»Die verschiedenen Arten der Teilnahme am Meßopfer sind zu loben und anzuraten, wenn sie gewissenhaft den Vorschriften der Kirche und den liturgischen Regeln gehorchen.« »Wir rufen das Dekret in Erinnerung, das die Einführung neuer Kult- und Andachtsformen ver­bietet.«

Das Wesen einer rechten liturgischen Erneuerung

19. Die Erneuerung muß darin bestehen, dem litur­gischen Gottesdienst, wie die Kirche ihn uns bietet, Le­ben zu verleihen, und das bedeutet Verständnis, Teil­nahme, Schönheit. Man muß in ihm die verschiedenen ursprünglichen Elemente zu verstehen und zu beleben suchen, aus denen er besteht, zunächst das göttliche, dann die lehrhaften und sinnfälligen, mit denen die an­erkannte Tradition ihn ausgestattet hat. Man muß von einer großen Achtung vor dem Festgelegten ausgehen, von einem großen Vertrauen, daß hier die Schätze für den Geist aufzuspüren und weiterzugeben sind; von der Bemühung, in den festgelegten Worten und Zeremonien die immanente, heute aber oft vergessene und verdrehte Sinngebung zu entdecken; von einem Verständnis der liturgischen Wesenselemente, um auf sie die vorherr­schende Aufmerksamkeit und Hingabe zu lenken.

Dies alles bedeutet eine fortschreitende Umerziehung auf das öffentliche, amtliche Beten der Kirche hin.

20. Ich beabsichtige nicht, hier ein Thema von solcher Ausdehnung abzuhandeln. Es möge genügen, eine Linie aufzuzeigen, an die Klerus und Gläubige sich bereit­willig werden halten wollen. Bezeichnen wir nur einige Punkte, die mir von besonderer Wichtigkeit zu sein scheinen.

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Es wird folgen:

ZWEITER TEIL: PASTORALE WEISUNGEN FÜR DIE ERZIEHUNG DES VOLKES ZUR TEILNAHME AN DER LITURGIE

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Quelle: Giovanni Battista Montini, Erzbischof von Mailand – ERZIEHUNG ZUR LITURGIE – Fastenhirtenbrief 1958 – Übersetzt und im Auftrag des Liturgischen Instituts herausgegeben von FERDINAND KOLBE – Verlag Aschendorff, Münster, 1963



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