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DER SELIGE PAPST PAUL VI. ZUR LITURGIEREFORM – 2. TEIL

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P9

ZWEITER TEIL

PASTORALE WEISUNGEN FÜR DIE ERZIEHUNG
DES VOLKES ZUR TEILNAHME
AN DER LITURGIE

I.

MAN MUSS DER LITURGISCHEN VERSAMMLUNG
DEN SINN FÜR GEMEINSAMES TUN EINFLÖSSEN

 

Der Aufbau des Gottesvolkes

21. Vor allem muß man sich um die liturgische Ver­sammlung bemühen. Sie soll auf die bestmögliche Weise als Gemeinschaft wirken und einen Sinn dafür bekom­men. Die Liturgie ist kein Tun der Priester allein, son­dern auch der Gläubigen, in den Formen der Teilnahme, die ihnen zustehen. Sie ist nicht für die Priester allein da, sondern auch für die Gläubigen. Als Kult, der sich an Gott richtet, ist das Tun des Priesters aus sich selbst gül­tig, weil der Priester zugleich Christus und die Kirche vertritt und weil die Gläubigen die priesterlichen Voll­machten nicht besitzen, die die Priesterweihe verleiht. Sie konzelebrieren nicht, sondern nehmen an der Feier des Gottesdienstes Anteil. Indessen sagt wiederum die genannte Enzyklika, daß »auch das Mittun der Gläu­bigen erforderlich ist«: socius Christifidelium labor requiritur.

22. Dies alles verlangt Bemühungen von scheinbar bloß organisatorischem Charakter: besonders die feste, maß­volle, nach den Interessen der Gläubigen wohlüberlegte Gottesdienstordnung; dann Beleuchtung, Bänke, räum­liche Anordnung der Gläubigen, zentrale Stellung des Altares. Aber diese Bemühungen haben eine Beziehung zur Natur dieser Versammlung, die man theologisch nennen könnte: Es handelt sich um den Aufbau des Gottesvolkes, der Plebs tua sancta, das die ecclesia bildet.

Die Bildung des Gemeinschaftssinnes

Wir können uns nicht damit zufriedengeben, die Kirche voll von Leuten zu haben; einen gestaltlosen Haufen von Anwesenden, eine nichtssagende Menge dazuhaben, die der Liturgie innerlich zerstreut, ohne innere Einheit bei­wohnt. Wir müssen dahin streben, den Anwesenden eine Haltung, eine Ordnung, ein Bewußtsein zu vermitteln, so daß die heilige Atmosphäre sich bildet, in der sich liturgisches Geschehen vollzieht. Es handelt sich auch nicht einfach darum, das passende Verhalten zu verlan­gen, wie es für eine Aufführung erforderlich ist; man muß allen das Gefühl für ein gemeinsames Tun einflößen, eben für die Teilnahme.

23. Man nennt das heute den Gemeinschaftssinn. Aber der hl. Ambrosius hatte davon schon klar gesprochen: »Die Kirche ist eine gewisse Form der Vollkommenheit, ein allen gemeinsames Recht. Sie betet gemeinschaftlich, wirkt gemeinschaftlich, leidet gemeinschaftlich.« »Die Liturgie«, sagt ein moderner Schriftsteller, »muß be­trachtet werden als die Versammlung des Gottesvolkes, die durch den apostolischen Dienst unter Verkündung des Gotteswortes zustande kommt, damit dieses Volk, indem es sich seiner Vereinigung bewußt wird, dieses selbe Wort Gottes in Christus hören, sich diesem Wort mittels Gebet und Lobpreis verbinden kann, während­dem das Wort verkündet wird, und so mit dem eucha­ristischen Opfer den Bund besiegeln kann, den das Wort selbst geschlossen hat« (Bouyer).

Die Liturgie ist eine Feier, d. h. ein gemeinschaftliches geistliches Tun, das von einer äußeren, materiellen Ein­heit, der Versammlung, ausgehen muß, um aus dieser eine innere, geistliche Einheit zu machen, die ecclesia. Die Liturgie ist der Gottesdienst des mystischen Leibes; man muß dem, der in diesem bestimmten Augenblick, an diesem bestimmten Ort zum mystischen Leib gehört, das Verständnis dafür geben, was er ist, damit er mittels des priesterlichen Tuns in Beziehung zur Gegenwart Christi treten und wenigstens in die geistige Kommunion mit ihm eingehen kann.

Wer für eine lebendige Ordnung in der Versammlung der Gläubigen sorgt, hat schon viel dazu beigetragen, in ihnen den religiösen Geist zu erhalten und zu ver­mehren und unserem Gottesdienst eine würdigere, zeit­gemäßere, beredtere Form zu geben.

Gemeinschaftssinn und persönliche Frömmigkeit

24. Im übrigen möchte ich daran erinnern, daß die För­derung des Gemeinschaftssinnes in der liturgischen Ver­sammlung den Beitrag der persönlichen Religiosität nicht unterdrücken darf, sie vielmehr voraussetzen und stärken muß; und auch nicht die innerste geistliche Sphäre und das besondere Empfinden der einzelnen Gläubigen verletzen darf, die unantastbare — und zu welcher Höhe erhobene! — Personen bleiben. »Die Ge­meinschaft liegt in Gesinnung, Gedanken und Wort, in der Richtung der Augen und der Herzen auf das gleiche Ziel; besteht darin, daß alle dasselbe glauben, das näm­liche Opfer darbringen und das gleiche göttliche Brot essen; darin, daß ein Gott und Herr sie alle zur geheim­nisvollen Einheit verbindet. Untereinander aber, als besondere, leibhaftige Persönlichkeiten greifen sie nicht in die wechselseitigen Innengebiete über. Diese Haltung macht allein die liturgische Gemeinschaft auf die Dauer möglich. Sonst könnte sie nicht ertragen werden . . . Sie läßt in der Seele nie das Gefühl aufkommen, mit andern zusammengesperrt, in ihrer religiösen Selbstän­digkeit und Innerlichkeit bedroht zu sein. Wird also von der individualistischen Veranlagung gefordert, daß sie das ,Opfer des Gemeinsamseins’ bringe, so von der so­zialen, daß sie sich in die beherrschte Haltung dieses wahrhaft vornehmen Gemeinschaftslebens füge« (Guar­dini).

II.

ZUR TEILNAHME GEHÖRT SEHEN UND HÖREN

Die Bildung der Sinne in der liturgischen Frömmigkeit

25. Die liturgische Erziehung stellt noch andere Auf­gaben. Für die Teilnahme ist es notwendig, zu sehen und zu hör en. Das ist die Beteiligung der Sinne. Sie ist eine Konsequenz aus unserer Aufnahme in den Heils­plan der Menschwerdung, wonach die materielle Welt zur Epiphanie wird, zur Sprache wird, d. h. unersetz­liches Mittel, um zur unsichtbaren, übernatürlichen Welt zu gelangen, so daß man sagen kann : Auch in der Ordnung der Gnade findet sich nichts im Verstand, was nicht vorher durch die Sinne hindurchgegangen ist. Die Liturgie, unersetzlicher Gnadenquell, gehorcht diesem natürlichen Gesetz.

26. Als man es weniger wichtig fand, die Liturgie von den Gläubigen sehen und hören zu lassen, hat sich die erste verhängnisvolle Kluft in der betenden Gemein­schaft aufgetan, und daraus ist der erste Verfall der Li­turgie auf der einen Seite und der echten Spiritualität des Volkes auf der anderen Seite entstanden. Es war eine erste Trennung von der göttlichen Welt.

Bildende Kunst und Musik im Dienst der Liturgie

27. Natürlich muß diese Beteiligung der Sinne streng geregelt sein. Materie und Form der Sakramente gehö­ren zu einer Disziplin, die Christus selbst eingeführt hat. Dann hat die Kirche mit ihren heiligen Zeichen der liturgischen Frömmigkeit ein überaus reiches sinnfälliges Material zur Verfügung gestellt, hat es aber zugleich genau umgrenzt. Dann hat sich dieses Bereichs die Kunst bemächtigt, diejenige des Auges, die bildende, und die­jenige des Gehörs, die Musik; und wo sie ihrer Berufung gehorcht hat, zwischen dem Reich der göttlichen My­sterien und der Welt der menschlichen Seelen zu ver­mitteln — beide vorgegeben und nicht aus der freien Erfindung des Künstlers stammend —, da hat sie sich zu einer übermenschlichen Rolle erhoben und den Geistern unvergleichliche Dienste erwiesen; so war es aber nicht immer, wo dieser Gehorsam fehlte und die ars sacra in der Trunkenheit subjektiver Ergüsse die Geister vom Reich Gottes auf den Weg einer rasch enttäuschten, bloß menschlichen Ergriffenheit ablenkte.

Das Auge soll sehen

28. Das Auge soll sehen: wie können wir das erreichen? Da ist der Vorrang des Altares, der beherrschend und sichtbar sein muß. Auch in den größten Kirchen der Christenheit sieht man jetzt oft provisorische, aber sicht­bare Altäre, die gewaltige, aber in fernen, dunklen Ap­siden verborgene Altäre ersetzen.

29. Er muß derart beleuchtet sein, daß er den Blick aller auf sich zieht; nicht theaterhaft, sondern in höchster Würde, mit Gerät von nüchtern-vornehmer Schönheit geschmückt, in verschiedenen Farben je nach den liturgischen Zeiten.

Die Sichtbarkeit soll nicht nur in bezug auf den Altar verwirklicht sein, sondern in dem ganzen heiligen Raum, der in seiner Einheit und in seinen Besonderheiten wie eine Schrift zur dauernden Belehrung und Erbauung ersonnen worden ist. Es kommt mitunter vor, daß der größte Teil der Gläubigen jahrelang dieselbe Kirche besucht, ohne sie je nach ihrem einheitlichen Bauplan und in der Gesamtheit ihrer geschichtlichen und künst­lerischen Reichtümer betrachtet zu haben. Damit also das Auge des Gläubigen die Schönheit seiner Kirche zu entdecken vermag, muß jeder Teil des Gotteshauses in Ordnung gehalten und zu geistigem Gewinn zu sehen sein.

30. Zu diesem Zweck soll das Kirchweihfest der einzelnen Pfarrkirchen wieder zu Ehren gebracht und sorgfältig vorbereitet werden.

Das Ohr soll hören

31. Das Ohr soll hören; vor allem soll es die Stimme hören. Heute, wo die Technik mit Mikrophon und Laut­sprecher die Stimme in jeden Winkel der Kirche tragen kann, möchte ich es unentschuldbar nennen, wenn es am Hören fehlt und die Gläubigen in Ermangelung dieser Mittel um das Verstehen liturgischer Erklärungen oder der Predigt gebracht werden.

32. Dann käme der Gesang; aber über dieses wichtige Thema wird ein andermal ausführlich zu sprechen sein. Für den Augenblick empfehle ich jedenfalls dringend die Ausbreitung des liturgischen Gesanges, besonders soweit die ganze Gemeinde ihn ausführen kann, und auch von gut ausgewählten volkstümlichen Liedern, damit die Liturgie nach Bedeutung und Wirkung zu einem gemeinschaftlichen Gottesdienst wird.


III.

ZUR TEILNAHME GEHÖRT DAS VERSTÄNDNIS

Die Verständlichkeit:
eine Forderung, die sich aus dem Wesen des Ritus ergibt

33. Ferner: zur Teilnahme gehört das Verständnis. Hier vervielfältigen sich die Probleme.

Sollen vor allem die heiligen Riten verstanden werden oder sollen sie wie Geheimformeln dem Verständnis der Gläubigen verschlossen bleiben? Grundsätzlich sollen sie verständlich sein. Das schließt nicht aus, daß sie einen reichen Mysteriengehalt besitzen; oder daß ihr Vollzug z. T. den Priestern vorbehalten ist. Aber die Verständ­lichkeit des Ritus ergibt sich als Norm aus dem Wesen des Ritus selber. Der Ritus ist Zeichen, ist Sprache, ist Ausdruck einer göttlichen Wahrheit, die den Menschen mitgeteilt wird, und einer menschlichen Wahrheit, die sich an Gott wendet. Die Atmosphäre der Liturgie ist das Licht; ihre Stimme ist Erkenntnis. Der hl. Augustinus z. B. wünscht, daß das Volk mit »Amen« auf das ant­wortet, was es eindeutig versteht: populus ad id quod plane intelligit, dicat: Amen. Das Konzil von Trient empfiehlt den Weihekandidaten insbesondere die Lektüre der Bücher, die »über die Riten der Kirche belehren«; und im Katechismus für die Pfarrer sagt es diesen, es sei »große Mühe und Sorgfalt darauf zu verwenden, daß die Gläubigen die zu jedem Sakrament gehörenden Zeremonien gründlich kennenlernen«. Ebenso spricht auch das römische Rituale. Den gleichen Sinn hat die wiederholte Mahnung der Enzyklika Mediator Dei, das liturgische Apostolat zu fördern, den Klerus zum Verständnis der Liturgie zu erziehen und den Gläubigen ihren Wert und ihre Forderungen zu erklären.

Das Hindernis der lateinischen Sprache
und der liturgischen Ausdrucksformen

34. Das Hindernis ist nicht allein die lateinische Sprache, die die Kirche aus gewichtigen Gründen beibehalten will, wiewohl auch für die Gläubigen der Gebrauch des in die Muttersprache übersetzten Missales nicht nur gestattet, sondern empfohlen ist und Richtlinien betreffs des Gebrauchs von Übersetzungen für die Abschnitte aus der Heiligen Schrift in der Messe erlassen worden sind. Ich empfehle daher nach Möglichkeit den Ge­brauch des Meßbuches, wenigstens des sonntäglichen, oder der Heftchen, die Texte und Erklärungen für jede Festmesse bringen. Ich würde es begrüßen, wenn jeder Gläubige mit einem Gebetbuch versehen wäre, das ihm zum Beten mit der Kirche verhilft.

35. Das Hindernis kommt hauptsächlich von der Form, in die die Liturgie das Gebet der Kirche und die gött­lichen Mysterien kleidet. Die Mannigfaltigkeit in der Gestalt, die dramatische Entfaltung der Zeremonien, der hieratische Stil der Sprache, der ständige Gebrauch des Zeichens und des Symbols, die theologische Tiefe der Worte und der sakramentalen Handlungen; alles scheint sich zu verschwören, um das, Verständnis der Liturgie zu erschweren, besonders für den modernen Menschen, der gewohnt ist, alles, was ihn angeht, bis ins letzte einleuchtend zu machen und zu meinen, er habe eine Wahrheit begriffen, wenn es ihm gelungen ist, sie sich in einem greifbaren Bilde vorzustellen, in einer geometrischen Figur, in einem anschaulichen Schema.

Notwendigkeit des Studiums
und der Erklärung der Liturgie

36. Aber gerade um dieses Hindernis zu überwinden, sprechen wir von liturgischer Erziehung. Seien wir unter diesem Gesichtspunkt von zwei Erfordernissen überzeugt : Wir müssen den Gläubigen die Fähigkeit verschaffen, das Beten der Kirche zu verstehen, wenn wir sie nicht abständig werden sehen wollen, sozusagen ausge­schlossen aus dem inneren geistlichen Raum und getroffen in der Haltung, wie sie heute mit dem kultu­rellen Fortschritt angeboren ist, nämlich alles begreifen und wissen zu wollen, was sie irgend umgibt und inter­essiert. Und wir müssen die Schwierigkeit, die die Litur­gie bietet, in eine Hilfe für das Eindringen in den verborgenen, aber wunderbaren, unerschöpflichen und lebendigen Sinn umwandeln, der im katholischen Gottes­dienst enthalten ist; was man eben dadurch erreicht, daß man für die Teilnahme der Gläubigen am Kult selbst sorgt: die Gläubigen werden zu Förderern des Kultes, wenn sie daran beteiligt sind.

37. Ich möchte allgemein sagen, daß man die Liturgie studieren muß, der Klerus sowohl wie die gutwilligen Laien. Das Studium darf sich nicht beschränken auf die rituellen Formen der Liturgie, deren Kenntnis allerdings für den rechten Vollzug der religiösen Zeremonien so wichtig ist, sondern muß bei ihrem dogmatisch-mystischen Gehalt verweilen, muß ihre pastoralen Seiten und ihre heiligenden Kräfte hervorheben; noch besser, wenn es sich auch auf die Erforschung ihres Reichtums in der Geschichte, in literarischen und anderen Zeugnissen erstreckt.

38. Man muß den Gläubigen die liturgischen Riten erklären, den Sinn dieser mystischen Sprache erschließen sowie zeigen, welche Schätze der Belehrung und Frömmigkeit sie enthält, und daß darin die tiefsten heiligenden Kräfte für das menschliche Leben zu finden sind.

Das Volk muß das Jahr des Herrn
in der Liturgie miterleben

39. Zu diesem Zweck ist es von größter Wichtigkeit, den Jahreskreis der Liturgie mit unermüdlichem Eifer zu verfolgen und dem Volk zu erklären, »derart, daß das göttliche Haupt des mystischen Leibes in der Fülle seiner Heiligkeit in den einzelnen Gliedern lebe«. Die Mysterien Christi müssen mittels der liturgischen Vergegenwärtigung einen tiefen Einfluß auf das Leben der kirchlichen Gemeinde und der einzelnen Gläubigen ausüben. Die großartige, dramatische Schau der höchsten Mysterien, von denen unsere Erlösung kommt, darf dabei nicht durch unangemessene, unorganische Ein­schaltung anderer Feiern oder spezieller Frömmigkeits­übungen gestört werden.

40. Die Seelsorger wie die unterrichteten Gläubigen sollen daher Vorbereitung und Feier des Weihnachts-, Oster- und Pfingstfestes mit dem größten Eifer ver­stärken. Die Zeiten, die diese großen, glanzvollen Feste umgeben, Advent, Quadragesima und Osterzeit, müssen von passenden Übungen der Frömmigkeit und Aszese entschieden geprägt sein.

Ganz dringend empfehle ich den Pfarrern und Kirchen­rektoren, mit großer Sorgfalt die Feier der Heiligen Woche vorzubereiten. Sie sollen auf jede Weise dafür sorgen, daß die Gläubigen sie als wichtigstes religiöses Ereignis des ganzen Jahres verstehen, indem man verständnisvoll die neuen römischen Anordnungen befolgt, die ihre Schönheit und ihren tiefen Sinn zu neuem Glanz gebracht haben.

41. Wir dürfen in der liturgischen Erziehung nicht von der Bedeutung des Sonntags und der anderen Festtage schweigen. Die Flucht aus dem Sonntagsgottesdienst oder seine allmähliche Vernachlässigung ist das Vor­zeichen des volkstümlichen Atheismus. Die Beobachtung des Sonntagsgebots hingegen ist die Hauptsäule des religiösen Lebens in der Gesellschaft. Sie darf aber nicht als lästige und drückende Pflicht verstanden werden, sondern eher als geistliches Recht dessen, der wirkt und leidet, sich anstrengt und abmüht, seine Seele zu Gott zu erheben in Danksagung und Bitte, in der Erneuerung der Leitgedanken des Lebens und der notwendigen sittlichen Kräfte, um ihm einen tiefen, vollen und wahrhaft menschlichen Sinn zu verleihen.

Die Feste Mariens und der Heiligen

42. Die Feste der Muttergottes und der heiligen Patrone sollen die schuldige Feierlichkeit erhalten, ebenso wie jene wenigen anderen Feste, die nach örtlicher Gewohn­heit ihren Platz im religiösen Leben der Bevölkerung haben.

Man achte aber stets darauf, daß im Kult die Propor­tionen des Dogmas gewahrt bleiben, daß die Seelen den Sinn für Christus als Mittelpunkt unseres geistlichen Lebens bekommen und daß die Religion ein Werk des Gotteslobes und der Gottesliebe wird, anstelle eines Systems von willkürlichen Devotionsübungen oder von zutiefst und hauptsächlich auf Nutzen bedachter Eigenart.

Die Liturgie im persönlichen Lebensablauf

43. Noch auf einen dritten Lebenskreis muß der Seel­sorger seine Heilssorge richten, den Kreis nämlich eines jeden Einzellebens, das in jeder Etappe seiner irdischen Pilgerschaft durch die Sakramente und Sakramentalien geheiligt werden soll. Keine Taufe, keine Firmung oder Erstkommunion, keine Eheschließung und kein Begräbnis dürfte durch Luxus und übermäßigen äußeren Aufwand, durch weltliche Musik, durch allzu gesuchte Kleidung ins Heidentum abgleiten, zum Schaden des inneren religiösen Sinnes dieser außergewöhnlichen Momente, der vielmehr eine kurze, schlichte, tiefe Deutung im Wort des Seelsorgers finden sollte. Wir hätten eine schwere Verantwortung, wenn wir diese Begegnungen — vielleicht die letzten — mit ent­christlichten Massen oder kritischen Geistern, die viel­leicht keine andere Gelegenheit mehr haben, um Gott, Christus und die Kirche kennenzulernen, ohne glaub­würdiges religiöses Zeugnis vorübergehen ließen.

IV.

TEILNEHMEN BEDEUTET AUCH HANDELN

Wege zur aktiven Teilnahme an der Sonntagsmesse

44. Und schließlich verlangt die liturgische Erziehung nach dem Tun.

Teilnahme bedeutet auch dies: handeln.

Beschränken wir für den Augenblick unsere Betrach­tungen auf die Sonntagsmesse, und zwar auf diejenige mit zahlreicher Volksbeteiligung.

Für das Hochamt sind die Anordnungen der Liturgie und diejenigen, die der Heilige Stuhl kürzlich erlassen hat, bekannt.

Für die Missa lecta: An erster Stelle muß man für tüchtige Vorbeter sorgen; ein würdiges, vollklingendes, deutliches und gut betontes Sprechen, derart, daß es die Aufmerksamkeit der Gemeinde auf sich zieht, ist nicht leicht. Man muß jemand finden, der sich dar­auf versteht: einen Priester, wo es möglich ist; sonst einen Laien, eine Schwester oder auch ein geeignetes Kind. Ein guter Schritt voran ist es schon, die Messe mit einigen Texten in der Volkssprache zu begleiten, mit einigen Abschnitten aus dem belehrenden Teil des Meßopfers. Der Vorbeter nennt die verschiedenen Teile der Messe; er fordert das Volk auf, die richtige Haltung einzunehmen: z. B. das Stehen beim Evangelium, eine tiefe Sammlung beim Kanon usw. Man bilde dann eine Gruppe, die dem Priester regelrecht und ehrfürchtig die Antworten gibt. Sodann kann man laut einige der erhabenen kultischen Texte der Messe rezitieren lassen, das Gloria, das Credo. Nach und nach geht man dazu über, wenigstens etwas singen zu lassen, wofür die Gruppen der katholischen Vereine eingesetzt werden können. Die stumme Kirche besagt das Nicht­verstehen dieses großen Ereignisses von geistlicher Fülle und dieser großen Freudenbotschaft: der Messe. Man kann das Offertorium verständlich machen, indem man Kinder oder Jugendliche beauftragt, das Brot und den Wein für das heilige Opfer zum Altar zu tragen, wobei man allen den Wert des hochbedeutsamen Aktes erklärt; damit können sich andere symbolische Gaben für den Gottesdienst verbinden, Wachs, Öl und Weihrauch oder besondere Sach- und Geldspenden für die Armen. Auch kann man beim Offertorium, oder sonst beim Memento der Lebenden, diskret, ohne Nennung von Namen, die Anliegen von Personen mitteilen, die des Gebetes der ganzen Gemeinde bedürfen, und beim Memento der Toten einen Verstorbenen erwähnen, für den man be­sonders beten will.

Geduldige, schrittweise, nüchterne, überlegte Erziehung

45. Wenn man nicht für alle Messen die gleiche Mühe aufwenden kann, beginne man so gut man kann; aber man beginne damit, der Gemeinde verständlich zu machen, daß die Messe für sie da ist und daß man nicht nur dabeisein, sondern sich beteiligen muß. Ein langes Werk, ein geduldiges, erzieherisches Werk, das Schritt für Schritt das allgemeine Niveau unseres gemeinsamen Gottesdienstes heben, ihn seinen inneren Erfordernissen mehr anpassen, sowie lebendiger und beliebter bei allen Gläubigen machen muß.

46. Man verlange Anstand, Stille, Ernst und Bescheiden­heit von allen Anwesenden und versuche, sie dahin zu bringen, pünktlich vom Anfang bis zum Ende der Messe dazusein.

47. Wenn man Prozessionen abhält, müssen sie recht gut vorbereitet und in jeder Einzelheit geordnet sein. Es sollen wenige sein, aber mit allgemeiner, ehrfürch­tiger Teilnahme. Diejenige an Fronleichnam soll nie fehlen.

48. Die Regel strenger Pünktlichkeit bei den heiligen Handlungen, das Maßhalten in ihrer Dauer, eine nicht willkürliche, aber pastoral überlegte Anpassung der Zeiten an die Wünsche der Bevölkerung, das ständige Bemühen, die Gläubigen jede Einzelheit des Gottes­dienstes verstehen und verfolgen zu lassen, werden bei dieser allmählichen Reform Hilfe leisten.

Die Rolle der Pfarrgruppen und der Meßdiener

49. Wie die Beteiligung der Gläubigen an der heiligen Liturgie, so wird auch die Erziehung der Gruppen schrittweise geschehen, die dafür in Frage kommen und etwas damit anfangen können. Die katholischen Vereine müßten sich zuerst für diese Teilnahme einsetzen, und mit ihnen die verschiedenen Gebetsvereinigungen, die in unseren Pfarreien blühen; es genügt, ihnen ein wenig Anleitung und ein klares gemeinsames Programm zu geben.

50. Unter diesen Gruppen werden wir stets voranstellen, im Auge die Bewunderung der kindlichen Schönheit, im Herzen ergriffen von dem Geheimnis der Gnade und des Wohlgefallens Gottes, die Schar der Pueri chorales, der Chorknaben, unserer Meßdiener. Diese Knabenschar ist ein lebendiger, froher Kranz, der den Altar umgibt; er sollte niemals fehlen.

Sie besagt die Fähigkeit des Hirten, Vater und Lehrer zu sein. Sie besagt die Frische seines Geistes und seinen immer neuen Willen, trotz seiner Jahre und seiner Sorgen mit den Kindern im Sinne des Evangeliums Kind zu sein. Sie bedeutet das Band des Vertrauens und des Wohl­wollens, das sich zwischen den Priestern und den Fa­milien der Pfarrei schlingt, wie eine Verkettung zwischen der natürlichen und der geistlichen Vaterschaft. Sie besagt die Geschicklichkeit und die Geduld eines Erziehers oder einer Erzieherin, die geistliche Tiefe der Kindheit entdecken zu können, die begabten und eindrucksfähigen Seelen (und es sind häufig die leb­haftesten und unruhigsten) herausfinden sowie die außergewöhnlichen Vorstellungskräfte des Kindes be­nutzen zu können, um ihm die wunderbare Sprache des äußeren sinnfälligen Gewandes zu erklären, womit sich der Gehalt und die innere Wirklichkeit des litur­gischen Mysteriums bekleidet. Sie bedeutet die Hoffnung der Kirche, in dieser Schar von Schülern des Altares die Seelen zu besitzen, die am meisten fähig sind, auf ihre Stimme zu hören, und am meisten geneigt, zum Mittel­punkt ihres Lebens, welche Richtung es auch nehmen mag, Gott zu machen, der die Jugend der Seele erfreut. Ich empfehle insbesondere die Einrichtung und die Sorge um die Chorknaben; ich grüße auch in diesem Hirtenbrief unsere lieben Meßdiener; ich danke und mache Mut allen, die Mühe und Sorgfalt darauf verwenden.

 

ABSCHLUSS

DIE LITURGIE ENTSPRICHT VOLL UND GANZ
DEN GEISTIGEN ANSPRÜCHEN
DES MODERNEN MENSCHEN

Heißt heute von Liturgie sprechen,
nicht sich der Wirklichkeit entziehen?

51. Während ich euch über dieses Thema, unsere liturgische Erziehung, schreibe, weicht die Schau der Welt, in der unser Leben abläuft, nicht aus meiner Seele; einer Welt, die stolz ist auf ihre wissenschaftlichen Errungenschaften und die aufsehenerregenden Neue­rungen, die sie in das menschliche Dasein einführen werden; einer Welt, die von einer pausenlosen Geschäf­tigkeit gehetzt wird, wie sie Arbeit, Technik, Industrie, Wirtschaft und Politik mit sich bringen; einer Welt, die von den zunehmenden Lockbildern ihrer Literatur und ihrer publizistischen und darstellerischen Mittel geblendet ist; einer babylonischen Welt, wo sich Ideen und Utopien, Phantasien und Philosophien häufen, die aber noch um ihren Frieden und um ihre Einheit bangt — und da keimt mir im Herzen ein Zweifel auf, als sei er der Widerhall eines verbreiteten Einwandes: Wozu von Liturgie reden, einer Sache, die außerhalb der Welt ist, einer Sache, von der die Leute nichts mehr wissen wollen; einer Sache, die keine praktischen Bezüge zum wirklichen Leben hat; einer Sache, die die großen sozialen und politischen Probleme nicht löst; die, wenn überhaupt zu irgendeiner, dann zu anderen Zeiten und anderen Lebensverhältnissen paßt?

Ist dieses Interesse für ein Zeremonienwesen ohne Belang für den modernen Menschen nicht vielleicht eine Flucht aus der Wirklichkeit?

Hat der moderne Mensch es noch nötig zu beten?

52. Es existiert wirklich der verbreitete und starke Einwand, der die Kirche anklagt, sie stehe außerhalb des Feldes der lebendigen Wirklichkeit, und der, wenn sie zeigt, wie das gesamte Leben von ihr durchdrungen und erhellt werden kann, sie ablehnt und zurückweist. Ja der Einwand gelangt zu einer noch ernsteren und radikaleren Fassung: Der moderne Mensch braucht das Gebet nicht mehr; der moderne Mensch begründet sein Leben und seine Kultur auf das eigene Können. Und daher kommt es, daß nach und nach, während der menschliche Geist die erstaunlichen Möglichkeiten entwickelt, mit denen die Vorsehung ihn begabt und die Natur erfüllt hat, die Werke zwar wachsen und an­schwellen, die menschliche Seele aber, weit davon, gestillt und getröstet zu sein, an sich selber leidet, dem Pessimismus und der Selbstverachtung ergeben, unfähig zu Hoffnungen, die nicht neue Ängste, neue Lasten, neue Knechtschaft wären.

Der Mensch braucht die Verbindung mit Gott

53. Diesen Einwand könntet ihr euch nicht zu eigen machen, die ihr im Gegenteil wißt, daß die Welt es wirklich nötig hat, in Beziehung zu Gott zu stehen,und daß sie es aus sich nicht fertig bringen kann, ihrem Werk Bestand zu verleihen, wie gewaltig und großartig es auch sein mag. Ihr wißt, daß Gott selber diese Beziehung hergestellt hat und daß von ihm dem Menschen eine erstaunliche und großartige Hilfe kommt, die Wahrheit und die Gnade. Ihr wißt, daß diese Brücke durch Christus gebildet wird, den einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen, und daß die Kirche die mittierische Tätigkeit Christi in der Zeit fortsetzt, indem sie ihn als Lebendigen und Wirkenden zu den Menschen bringt. Ihr wißt, daß der Mensch das Gebet nötig hat: sein wahres, heilskräftiges Vermögen kommt von Gott (vgl. 2 Kor 3, 5). Der Mensch braucht das Gebet; in keiner Situation offenbart sich das mensch­liche Leben in solcher Fülle, in solcher Kraft, in solcher Reinheit, in solcher Güte wie im Gebet. Und das hervorragendste Gebet nach seiner Autorität, nach seiner Form, nach seiner Geschichte ist die Liturgie. Sie ist das mächtigste Gebet, denn sie enthält nicht nur das Flehen des menschlichen Beters, sondern die wirkende Gegenwart Gottes. Es ist das einzige unersetzliche, das einzige verpflichtende Gebet.

Die Liturgie kann noch immer zum Ausdruck
der Seele des Volkes werden

54. Deswegen wünschte ich, ihr möchtet begreifen und erwägen, daß die heilige Liturgie durchaus geeignet ist, von neuem zum Ausdruck der Seele des Volkes zu werden. Das ist, wie man weiß, heute nicht leicht. Die Verbindung zwischen dem Volk und dem Altar hat sich gelockert, ist zum Teil abgerissen, und es ist jetzt schwierig, sie wiederherzustellen. Aber es muß sein. Das Volk ist überschwemmt von so vielen weltlichen An­schauungen und hat heute eine geistige Haltung, die den Regungen des religiösen Geistes entgegengesetzt zu sein scheint. Gewiß, aber es muß sein. Es handelt sich um eine der Hauptaufgaben des katholischen Lebens in diesem Zeitpunkt. »Die lebendig gefeierte Liturgie ist jahrhundertelang die Hauptform der Seelsorge gewesen« (Jungmann) ; sie muß es noch immer sein.

Auch die moderne Arbeitswelt besitzt die Voraussetzungen
für das Verständnis der Liturgie

55. Sicher ist es nicht einfach, zu unserer Arbeitswelt von Liturgie zu sprechen. Ihre Geistesart scheint der Spiritualität des Gebetes im allgemeinen und besonders derjenigen der Liturgie Widerstand entgegenzusetzen. »Die technische Weltanschauung«, sagt der Papst, »ist nur eine Sonderform des Materialismus, insofern sie als letzte Antwort auf die Frage nach dem Dasein eine mathematische Formel, eine Nützlichkeitsberechnung bietet.« Aber wer sich der Seele des Arbeiters nähert, wird noch die Fortdauer entscheidender geistiger Hal­tungen feststellen, die zu echtestem religiösem Ausdruck und zu durchaus menschlicher Übereinstimmung mit der heiligen Sprache befähigen. Man muß ihm zunächst einen einfachen, klaren Begriff davon geben; man muß ihn zuallererst Christus erkennen lassen und das Licht des Glaubens in ihm wieder entzünden. Dann muß man ihn am gemeinschaftlichen Gebet teilnehmen lassen und ihm das Verständnis dafür geben, daß da etwas zu tun ist, das heißt für die aktive Teilnahme. Das Herz des Arbeiters ist vielleicht mehr als jedes andere ein mensch­liches Herz in seinem Mühen, in seinem Gehorchen, in seinem Hoffen; das sind die Saiten, die unser mensch­lich-göttliches Gebet in vollen Tönen erklingen lassen kann, in denen Wahrheit, Menschlichkeit und starkes, ursprüngliches Christentum schwingt.56.     Ihm und allen muß man schließlich zeigen, daß die Feier des liturgischen Gottesdienstes nicht vom Leben der Welt abgewandt ist, sondern von dort herkommt, wie wenn Stufen zu ihm hinführten, und sich dann im Leben mit selbstverständlicher Konsequenz fortsetzt. Muß etwa nicht unsere ganze Lebenserfahrung, sei sie gut oder traurig, uns zum Beten führen? Und führt nicht das Gebet, besonders das liturgische, uns zurück ins Leben mit erneuerter Gesinnung, gestärkter Mensch­lichkeit? Den wahren Begriff von persönlicher Untade­ligkeit, das wahre Gefühl für eine soziale Haltung, das wahre Hochziel des Handelns, Liebens und Lei­dens, die wahre Überwindung des Todes in der Gewiß­heit der Auferstehung — lehrt uns das alles etwa nicht die Liturgie, und zwar eben als fruchtbare Prinzipien, die in den Ablauf der profanen Welt einzuführen sind?

Die liturgische Erneuerung ist also fortzusetzen

57. Alles veranlaßt uns, dem liturgischen Gebet große Bedeutung zuzumessen.

Vieles ist schon geschehen, um es wieder zu Ehren zu bringen und die Seele des Volkes ihm wieder zu nähern. Auf diesem Wege muß man beständig fortfahren. Erinnern wir uns an die unablässigen Ermahnungen meines verehrten Vorgängers: »Lange habe ich erwogen«, so schrieb er während des Krieges, »welches Thema ich wählen sollte, um den Glauben unseres Volkes in der gegenwärtigen Stunde der Verwirrung und des Leidens zu stützen. Schließlich habe ich mich entschieden, über das Gebet zu schreiben … Mit dem Wiederaufblühen der liturgischen Studien bei uns kommen auch das Missale und das Brevier bei dem gehobeneren Teil der katholischen Laien wieder zu Ehren. Die Seelsorger mögen nicht glauben, sie könnten diese Aufgabe, die ihnen von der kirchlichen Autorität durch göttliche Eingebung gestellt ist, nach ihrem Gutdünken ungestraft durch eine andere ersetzen, die mit einer Frömmigkeit nach ihrem Geschmack ausgestattet ist. Es besteht die Gefrahr, nicht zu Christus zu gelangen oder zu spät zu ihm zu gelangen, auf weiten Umwegen.« So Kardinal Schuster.

Maria als Führerin zur Liturgie der Kirche
und zu Christus

58. Wir hingegen wollen zu Christus gelangen auf geraden, lichten Wegen; und auf diesem Weg der heiligen Liturgie führe uns, zumal in diesem hundertsten Jahr seit den Erscheinnungen der Muttergottes in Lourdes, Maria, die Mutter Christi und unsere Mutter. Mit ihr, Maria, begann in der geschichtlichen Wirklichkeit das Mysterium der Gegenwart Emmanuels (»Gott mit uns«), da sie Jesus Christus, unseren Heiland, gebar; die Liturgie setzt dieses Mysterium in der Zeit fort und läßt es in mystischer und sakramentaler Weise andauern. Maria ist die Mutter des physischen Leibes Christi und so auch die Mutter des mystischen Leibes, der von Christus stammt, der Kirche: mater unitatis (Augustinus). Zu den Füßen des Kreuzes leidet sie, bringt mit ihrem göttlichen Sohn das Erlösungsopfer dar und empfängt von ihm als neuen Sohn den Lieblingsjünger, sozusagen die Personifikation des Priestertums der Kirche, das dieses selbe Opfer unserer Rettung in der Welt fort­dauern lassen sollte.

Sie, Maria, ist die Blüte in der Liturgie, die unversehrt bleibend die gebenedeite Frucht Jesus Christus trägt: Blüte der Reinheit, Blüte der Schönheit, Blüte der Kraft, Blüte der Demut, Blüte des Mitleidens, Blüte der Güte, Blüte der Herrlichkeit. Blüte auf unserer armen Erde, die aber Gott selbst für sich gezogen hat: unbefleckt, voll der Gnade, Freude des Paradieses.

Zu Maria laßt uns also fromm und vertrauend gehen, und von ihr wollen wir uns auf den Pfaden Christi führen lassen. Die Mutter Gottes sei unsere Lehrerin im Gebet; sie möge uns seine lebendigen Quellen kosten lassen in der Liturgie jener heiligen Kirche, deren leuchtendes Bild sie ist: figuram in se sanctae Ecclesiae demonstrat (Augustinus). Wer diese Einladung hört und annimmt, zu dem komme mein bischöflicher Segen.

_______

Quelle: Giovanni Battista Montini, Erzbischof von Mailand – ERZIEHUNG ZUR LITURGIE – Fastenhirtenbrief 1958 – Übersetzt und im Auftrag des Liturgischen Instituts herausgegeben von FERDINAND KOLBE – Verlag Aschendorff, Münster, 1963



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