Autor: Pater Hermann Netter SVD
13. Juni 1912. Das Heilige Offizium (die heutige Kongregation für die Glaubenslehre) erklärt folgendes: „Den Gläubigen, die am ersten Samstag eines Monats besondere Andachtsübungen zu Ehren der unbefleckt empfangenen Jungfrau Maria (in Fatima wird dann ferner erbeten: zu Ehren des Unbefleckten Herzens Mariens) verrichten zur Sühne für die Schmähungen Ihres Namens und Ihrer Vorzüge, wird unter den gewöhnlichen Bedingungen ein vollkommener Ablaß verliehen.”
28. September 1915. Benedikt XV. gewährt einen Ablaß von 100 Tagen für jedes Rezitieren des Gebetes: „Schmerzensreiches und Unbeflecktes Herz Mariens, bitte für uns!”
1915. Zwischen April und Oktober sehen Lucia de Jesus Santos und drei Gefährtinnen (von Casa Velha, das auch zur Pfarre Fatima gehört) auf dem Cabeço während des Rosenkranzbetens drei undeutliche Engelserscheinungen. Sie sahen „etwas wie eine Wolke, weißer als der Schnee, etwas Durchscheinendes mit menschlicher Gestalt” über dem Tal schweben. Lucia hätte mit der Zeit die Eindrücke dieser Erscheinungen ganz vergessen, wenn 1916 nicht andere gefolgt wären (1, S. 288). Sie hatte daheim zuerst nichts davon erzählt, die anderen Mädchen aber schon, und so kam es ihrer Mutter zu Gehör, was auch sie gesehen hatte (1, S. 295).
Frühling 1916. Erste deutliche Erscheinung des Engels — den Lucia schon 1915 in unklarer Weise geschaut hatte — an die drei Hirtenkinder Lucia, Francisco und Jacinta auf dem Cabeço, etwas weiter als die dritte klare Erscheinung, wo heute das Denkmal steht, den Abhang hinunter. Je mehr sich der Engel den Kindern näherte, desto klarer konnten sie erkennen, wie er aussah: „Ein Jüngling zwischen vierzehn und fünfzehn Jahren, weißer als der Schnee, den die Sonne durchscheinend machte, gleichsam als wäre er aus Kristall gewesen, und von großer Schönheit.” Er sagte: „Fürchtet euch nicht! Ich bin der Engel des Friedens. Betet mit mir!” Dann warf er sich mit dem Angesicht bis auf den Boden; die Kinder ahmten ihn nach und wiederholten die Worte, die sie ihn sprechen hörten (außer Francisco; Erklärung dazu: Anhang 1).
„Mein Gott, ich glaube an Dich, ich bete Dich an, ich hoffe auf Dich und ich liebe Dich. Ich bitte Dich um Verzeihung für jene, die an Dich nicht glauben, Dich nicht anbeten, auf Dich nicht hoffen und Dich nicht lieben.” Nachdem der Engel dreimal dieses Gebet wiederholt hatte, erhob er sich und sagte: „Betet so! Die Herzen Jesu und Mariens sind aufmerksam auf die Stimme eurer Bitten.”
Lucia erklärt zu dieser Erscheinung: „Die Atmosphäre des Übernatürlichen, die uns umgab, war so dicht, daß wir uns lange Zeit hindurch fast nicht Rechenschaft unserer eigenen Existenz gaben, indem wir in der Haltung verblieben, in der er uns verlassen hatte, und immer das gleiche Gebet wiederholten. Die Gegenwart Gottes fühlte sich so dicht und tief, daß wir nicht einmal miteinander zu sprechen wagten. Am nächsten Tag fühlten wir unseren Geist noch in diese Atmosphäre eingehüllt, die sich nur sehr langsam verminderte. Bei dieser Erscheinung dachte keiner ans Sprechen noch daran, die Verschwiegenheit anzuempfehlen. Die Erscheinung legte sie durch sich selber auf. Sie war so zuinnerst, daß es nicht leicht war, über sie das geringste Wort auszusagen. Sie machte auf uns vielleicht auch größeren Eindruck, weil sie die erste so klare war” (1, S. 291).
Hochsommer 1916. Zweite Erscheinung desselben Engels, der sich diesmal „Schutzengel von Portugal” nennt. Diese Erscheinung erfolgte unter den Bäumen beim Brunnen im Garten der Eltern Lucias. Die drei Kinder verbrachten die heißen Mittagsstunden im Schatten der Bäume. Plötzlich sehen sie den Engel neben sich: „Was macht ihr? Betet! Betet viel! Die Herzen Jesu und Mariens haben über euch Absichten der Barmherzigkeit. Bringt dem Allerhöchsten unablässig Gebete und Opfer dar!” — “Wie sollen wir Opfer bringen?”, fragte Lucia. — „Aus allem, was ihr könnt, macht ein Opfer als Sühneakt für die Sünden, durch die Er beleidigt wird, und als Bitte für die Bekehrung der Sünder. Zieht so den Frieden auf euer Vaterland herab. Ich bin sein Schutzengel, der Engel Portugals. Vor allem nehmt die Leiden an, die der Herr euch senden wird, und ertragt sie mit Unterwürfigkeit.”
Lucia berichtet weiter: „Diese Worte des Engels prägten sich unserem Geist wie ein Licht ein, das uns erkennen ließ, wer Gott war; wie Er uns liebte und geliebt sein wollte; den Wert des Opfers, und wie angenehm es Ihm war; wie Er seinetwegen die Sünder bekehrte” (1, S. 291 und 292).
Herbst 1916. Dritte Erscheinung desselben Engels, die zweite klare auf dem Cabeço, dort, wo heute sein Denkmal steht. Als die drei Kinder dort beteten, erschien er ihnen »in der Hand einen Kelch haltend, über diesem eine Hostie, von der einige Blutstropfen in den Kelch fielen. Er ließ Kelch und Hostie in der Luft schweben, warf sich zur Erde und wiederholte dreimal das folgende Gebet:
„Heiligste Dreifaltigkeit, Vater, Sohn und Heiliger Geist, ich bete Dich in tiefster Ehrfurcht an und opfere Dir auf den kostbaren Leib, das Blut, die Seele und die Gottheit Jesu Christi, der in allen Tabernakeln der Welt gegenwärtig ist, zur Genugtuung für die Schmähungen, Entweihungen und Gleichgültigkeit, durch die Er selbst beleidigt wird. Und durch die unendlichen Verdienste Seines Heiligsten Herzens und des Unbefleckten Herzens Mariens bitte ich Dich um die Bekehrung der armen Sünder.”
Hernach erhob er sich, nahm erneut den Kelch und die Hostie, und gab mir die Hostie; und das, was der Kelch enthielt, gab er Jacinta und Francisco zu trinken, indem er gleichzeitig sagte: ,Nehmt und trinkt den Leib und das Blut Jesu Christi, der von den undankbaren Menschen furchtbar beleidigt wird. Sühnt für ihre Sünden und tröstet euren Gott!’ Erneut warf er sich zur Erde und wiederholte mit uns noch dreimal dasselbe Gebet”, so schreibt Lucia (1, S. 292).
Diese Seherin erklärte noch dazu: „Getragen durch die Macht des Übernatürlichen, das uns umhüllte, ahmten wir den Engel in allem nach, das heißt, wir warfen uns wie er auf die Erde und wiederholten die Gebete, die er sagte. Die Macht der Gegenwart Gottes war so stark, daß sie uns fast zur Gänze aufsaugte und vernichtete. Sie schien uns durch geraume Zeitspanne hindurch sogar des Gebrauchs unserer Körpersinne zu berauben. In diesen Tagen vollzogen wir die körperlichen Handlungen wie getragen durch dieses Übernatürliche, das uns dazu antrieb. Der Friede und die Glückseligkeit, die wir empfanden, war groß, aber nur innerlich, die Seele vollkommen in Gott gesammelt. Die physische Niedergeschlagenheit, die uns entkräftete, war auch groß.
Ich weiß nicht, warum die Erscheinungen Unserer Lieben Frau (1917) in uns ganz verschiedene Wirkungen hervorbrachten. Dieselbe innerste Freude, Glückseligkeit und denselben Frieden. Aber anstatt dieser physischen Niedergeschlagenheit eine gewisse Gewandtheit sich mitzuteilen; anstatt dieser Vernichtung in der göttlichen Gegenwart ein Frohlocken der Freude; anstatt dieser Schwierigkeit im Sprechen ein gewisser Drang sich mitzuteilen.” (1, S. 292; vgl. Anhang 1).
5. Mai 1917. Benedikt XV. fordert zum Gebet auf, um vom Herzen Jesu, dem Thron der Gnade, durch Maria den Frieden zu erlangen, und führt in die Lauretanische Litanei die Anrufung „Königin des Friedens — bitte für uns!” ein (A. A. S. 9, 1. Juni 1917, 265 bis 267).
Die erste Erscheinung
13. Mai 1917. Erste Erscheinung Unserer Lieben Frau von Fatima in der Cova da Iria am Sonntag vor Christi Himmelfahrt. Die drei Kinder sahen zur Mittagszeit einen „Blitz”. (Später erklärte Lucia in ihrem vierten Manuskript, daß diese Blitze nicht solche im eigentlichen Sinn des Wortes waren, sondern der Widerschein eines Lichtes, das sich näherte; „in unserer Unkenntnis wußten wir noch nicht den Widerschein eines Lichtes von einem Blitz zu unterscheiden”.) Im Glauben, es käme ein Gewitter, wollten sie ihre Schafe heimtreiben. Nach einem zweiten „Blitz” sehen sie aber „über einer Steineiche eine ganz in weiß gekleidete Frau, die glänzender als die Sonne ist und die ein helleres und intensiveres Licht als ein Kristallglas ausstrahlt, das voll kristallenem Wasser ist, wenn es von den heißen Strahlen der Sonne durchdrungen wird (1, S. 307).
Lucia schrieb später über das Aussehen Unserer Lieben Frau: „Auf den Bildern, die ich gesehen habe, scheint Unsere Liebe Frau zwei Mäntel zu haben. Es scheint mir, daß, wenn ich malen könnte — wenn ich auch nicht fähig sein würde, Sie zu malen wie Sie ist, denn ich weiß, daß das unmöglich ist, genauso wie es mir unmöglich ist, es zu sagen oder zu beschreiben —, … ich nur ein Kleid (Tunika) zeichnen würde, ein möglichst weißes und einfaches, und einen Mantel, der vom Haupt bis zum Saum des Kleides reicht. Und da ich das Licht und die Schönheit, mit der Sie geschmückt war, nicht malen könnte, würde ich allen Schmuck weglassen, außer einem zarten Goldrand rings um den Mantel. Dieser (Goldrand) würde sich abheben, gleichsam als wäre er ein Sonnenstrahl, der stärker leuchtet. Dieser Vergleich ist weit von der Wirklichkeit entfernt, aber ich weiß es nicht besser zu erklären” (Brief vom 5. Dezember 1937 an den Bischof von Leiria).
Nach ergänzenden Erklärungen der Seherin „sah man weder eine Binde noch einen Gürtel, eine leichte Falte am Kleid deutete jedoch in unauffälliger Weise die Taille an. Ein Rollkragen schloß das Kleid am Hals ab. Der Mantel (Oberwurf) verdeckte die Haare, ließ aber die Stirne gut sehen; er fiel leicht, senkrecht und ohne Wellen und Falten herab und berührte wie das Kleid fast die Füße. Die Hände hielt die Erscheinung senkrecht vor der Brust gefaltet, so daß Sie über sie hinweg die Seher und das Volk schaute. Das Haupt war aufrecht, die ganze Gestalt ein Ausdruck der Heiterkeit (Ruhe) und des Friedens der ewigen Seligkeit. — Die Neigung, die die Bildhauer der Statue geben, mag wohl künstlerische Freiheit sein, entspricht aber nicht der Wirklichkeit” (1, S. 307).
Die Dokumente (zum Beispiel Aussagen Lucias in der kanonischen Untersuchung am 8. Juli 1924) mit Ausnahme der Aufzeichnungen des Dr. Formigão sprechen von einer goldenen Kugel, die an einer vergoldeten Halskette über dem Herzen der Gottesmutter hing. „Kugel” heißt auf portugiesisch „bola”; da wahrscheinlich Dr. Formigão mit diesem Ausdruck nicht viel anzufangen wußte, änderte er ihn auf eigene Verantwortung in „borla”, was „Quaste” bedeutet. (Eine andere Wortänderung auf eigene Faust machte dieser sonst eifrige und kluge Priester auch mit dem Gebet Mariens am Ende jedes Rosenkranzgeheimnisses; vgl. Anhang 2.) Jedoch kann man die Kugel sehr gut erklären: Keiner trägt wie Maria die Welt, deren Symbol die Kugel ist, an Ihrem königlichen Mutterherzen, was Sie auch durch Ihre Botschaft in Fatima beweist.
Es spielte sich nun an diesem 13. Mai 1917 folgendes Zwiegespräch zwischen dieser Frau (sie schien 15 bis 18 Jahre alt zu sein) und Lucia ab:
„Habt keine Angst, ich tue euch nichts zuleide.” — „Woher seid Ihr?” „Ich bin vom Himmel.” — „Und was wollt Ihr von mir?” — „Ich bin gekommen, euch zu bitten, daß ihr sechsmal nacheinander zur gleichen Stunde wie heute am Dreizehnten jeden Monats hierherkommt. Hernach werde Ich euch sagen, wer Ich bin und was Ich will. Ich werde dann noch ein siebtes Mal hierher zurückkommen” (vgl. 17. Mai 1921). „Werde ich auch in den Himmel kommen?” — » Ja, du wirst dorthin kommen.” — „Und Jacinta?”.— »Sie auch.” — „Und Francisco?” „Er auch, aber er muß viele Rosenkränze beten.” — „Ist Maria das Neves schon im Himmel?” — „Ja, sie ist dort.” — „Und Amelia?” — „Sie wird sich im Fegfeuer bis ans Ende der Welt befinden.” (In 2, S. 23, Anm. 7, heißt es dazu: „Das Mädchen hatte eine ähnliche Versuchung wie die heilige Maria Goretti zu bestehen, hatte aber nicht die Kraft der Heiligen. Bald darauf starb sie und hatte kaum noch die Zeit, in Eile beichten.” Ebenso in 4, S. 63 und 64, Anm.
Auch in Portugal erhob sich selbst unter Personen, die sich zur Echtheit Fatimas bekennen, eine Kontroverse über diese Worte, die Lucia der Gottesmutter zuschreibt, und die dieses Seherkind selber zum Weinen brachten (2, S. 23):
Das Zwiegespräch fährt fort: „Wollt ihr euch Gott zum Opfer bringen, um alle Leiden zu ertragen, die Er euch schicken will, als Sühneakt für die Sünden, durch die Er beleidigt wird, und als Bitte für die Bekehrung der Sünder?” — „Ja, das wollen wir.” — „Ihr werdet also viel zu leiden haben, aber die Gnade Gottes wird eure Stärkung sein.”
Bei den Worten „die Gnade Gottes …” öffnete Maria Ihre gefalteten Hände und teilte den Kindern ein ganz innerliches Licht mit, „gleichsam einen Widerschein, den Sie von Ihren Händen ausstrahlen ließ, der in unsere Brust und in das Innerste unserer Seele drang und der bewirkte, daß wir uns selber in Gott sahen, der dieses Licht war, klarer als wir uns im besten aller Spiegel sehen. Durch einen auch mitgeteilten innerlichen Antrieb fielen wir hierauf auf die Knie und wiederholten aus innerstem Herzen:
Heiligste Dreifaltigkeit, ich bete Dich an! Mein Gott, mein Gott, ich liebe Dich im Heiligsten Sakrament!”
(In dem Untersuchungsschreiben, das der Pfarrer von Fatima, Manuel Marques Ferreira, am 6. August 1918 an seinen Vorgesetzten, den Erzbischof von Mitilene, sandte, steht die Behauptung der Lucia, nach der Unsere Liebe Frau die Hände gefaltet hatte und von denen ein weißer Rosenkranz herabhing. Jedes Mal, wenn Sie sprach, öffnete Sie die Hände, etwas mehr oder weniger als in Schulternbreite.
Bei diesem Öffnen der Hände ließ Sie dreimal, und zwar in Ihren ersten drei Erscheinungen, eine Lichtflut über die Kinder ausstrahlen, und einmal, am Ende Ihrer letzten Erscheinung in der Cova da Iria, schien sich von Ihren geöffneten Händen aus ein Lichtstrahl über die Sonne zu ergießen.
Lucia schreibt in ihrem vierten Manuskript: „Das, was ihn [Francisco] am meisten beeindruckte und ganz in Anspruch nahm, war Gott, die Heiligste Dreifaltigkeit in diesem unermeßlichen Licht, das uns in das Innerste der Seele eindrang. Hernach sagte er: ,Wir waren am Brennen in jenem Licht, das Gott ist, und das uns [trotzdem] nicht verbrannte. Wie ist Gott? Man kann es nicht sagen. Das wohl, daß man es nicht sagen kann. Wie schade jedoch, daß Er so traurig ist! Könnte ich Ihn doch trösten …`”
Lucia berichtet ferner in ihrem vierten Manuskript: „Einmal sagte er [Francisco] mir: »Ich liebte es sehr, den Engel zu sehen, ich liebte es jedoch noch mehr, Unsere Liebe Frau zu sehen. Was ich am meisten liebte, war, Unseren Herrn in jenem Licht zu sehen, das Unsere Liebe Frau uns in die Brust strahlen ließ. Ich habe eine so große Freude an Gott! Aber Er ist wegen so vieler Sünden so traurig! Nie dürfen wir eine begehen!”)
Zum Schluß dieser ersten Erscheinung sagte Maria: „Die Leute sollen täglich den Rosenkranz beten, um den Frieden für die Welt und das Ende des Krieges zu erlangen.”
Lucia war damals zehn Jahre alt, Francisco neun und Jacinta sieben. Obwohl sie sich nach dieser Erscheinung vereinbart hatten, nichts davon zu erzählen, plauderte Jacinta daheim doch aus.
An diesem 13. Mai 1917 wurde auch der spätere Papst Pius XII. in Rom zum Bischof geweiht (vgl. 4. Juni 1951).
Die zweite Erscheinung
13. Juni 1917, ein Mittwoch. Zweite Erscheinung Mariens in der Cova. Fest des heiligen Antonius, groß gefeiert in Fatima. Folgendes Zwiegespräch zwischen Unserer Lieben Frau und Lucia:
„Was wollt Ihr von mir?” — „Ich will, daß ihr am Dreizehnten des folgenden Monats hierherkommt; daß ihr täglich den Rosenkranz betet und daß ihr lesen lernt. Hernach werde Ich sagen, was Ich wünsche.” Lucia bittet um die Heilung eines Kranken: »Wenn er sich bekehrt, wird er innerhalb eines Jahres gesund.” — »Ich möchte Sie bitten, uns in den Himmel zu führen.” — „Ja, bald werde Ich Jacinta und Francisco (dorthin) führen, du (Lucia) jedoch bleibst hier einige Zeit länger. Jesus will sich deiner bedienen, damit die Menschen Mich kennen- und liebenlernen. Er will die Verehrung Meines Unbefleckten Herzens in der Welt festen Fuß fassen lassen.”
(In einigen Fatimabüchern — zum Beispiel 4, S. 75, António de Almeida Fazenda, Meditações dos Primeiros Sábados, Braga — 1944, S. IX bis XI — stehen noch folgende Worte der Gottesmutter: „Wer sie [die Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariens] übt, dem verspreche Ich das Heil, und diese Seelen werden von Gott geliebt sein wie Blumen, die von Mir hingestellt sind, um Seinen Thron zu schmücken.”)
Lucia fragte dann traurig die Erscheinung: „Ich bleibe hier allein?” „Nein, Tochter. Und leidest du viel? Verzage nicht, Ich werde dich nie verlassen. Mein Unbeflecktes Herz wird deine Zuflucht sein und der Weg, der dich zu Gott führen wird.”
Während Unsere Liebe Frau diese Worte aussprach, „öffnete Sie die Hände und teilte uns zum zweiten Mal den Widerschein dieses unermeßlichen Lichtes mit: In ihm sahen wir uns wie in Gott versunken. Jacinta und Francisco schienen in dem Teil dieses Lichtes zu sein, der sich zum Himmel erhob; und ich in dem, der sich über die Erde ergoß. Vor der rechten Handfläche Unserer Lieben Frau befand sich ein mit Dornen umwundenes Herz, die darin hineingetrieben zu sein schienen. Wir verstanden, daß es das Unbefleckte Herz Mariens war — durch die Sünden der Menschheit beleidigt —, das Sühne wollte” (1, S. 308 und 311).
Besonders vor der nächsten Erscheinung mußte Lucia viel leiden: von seiten ihrer Familie, besonders aber durch ein Wort des Pfarrers von Fatima, der ihr sagte: „Das (die Erscheinung) kann auch eine Täuschung des Teufels sein …” Lucia sagte sich, daß Gott ein Gott des Friedens sei. Die Visionen hatten aber schon so viel Unfrieden und Widerspruch allein in ihrer Familie ausgelöst, so daß nach ihrer Meinung diese Erscheinungen nicht von Gott kommen konnten. Selbst die beiden anderen Seherkinder konnten sie kaum trösten. Dazu kam noch ein furchtbarer Traum, der die Finsternis ihres Geistes noch vermehrte: Sie sah den Teufel, wie er sich freute, sie betrogen zu haben, und wie er sich anstrengte, um sie in die Hölle hinabzuzerren. Als sie sich in seinen Krallen sah, begann sie nach der Gottesmutter zu schreien, so sehr, daß sie ihre Mutter aufweckte, die nicht glauben konnte, daß Maria einem ihrer Kinder erscheinen könnte; denn sonst müßten sie und ihr Mann täglich in die heilige Messe gehen und öfters zu den Sakramenten. — So war Lucia am 12. Juli 1917 entschlossen, nicht mehr zur Cova da Iria, zur Erscheinungsstätte, zu gehen. Sie sagte zu Jacinta: „Schau, wenn die Frau dich nach mir fragen sollte, sage Ihr, daß ich nicht komme, weil ich Angst habe, es sei der Teufel” (4, S. 79 bis 85).
Die dritte Erscheinung
13. Juli 1917, ein Freitag. Dritte Erscheinung Mariens in der Cova. Eine unerklärbare Kraft, der Lucia nicht leicht widerstehen konnte, trieb sie plötzlich an, die beiden anderen Seherkinder zur Cova da Iria zu begleiten. 3000 bis 4000 Personen warteten dort auf die Erscheinung. Auch die Eltern von Francisco und Jacinta waren — zum ersten Male gekommen. Nach dem Widerschein sahen die drei Kinder Unsere Liebe Frau:
»Was wollt Ihr von mir?” — „Ich wünsche, daß man am Dreizehnten des folgenden Monats hierherkomme, daß man fortfahre, täglich den Rosenkranz zu Ehren Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz zu beten, um den Weltfrieden und das Kriegsende zu erlangen, denn Sie allein kann ihnen (den Menschen) helfen.” — Ich wollte Sie bitten, uns zu sagen, wer Sie sind; ein Wunder zu wirken, wodurch alle zum Glauben gelangen mögen, daß Sie uns erscheinen.” — Die Leute sollen fortfahren, alle Monate hierherzukommen. Im Oktober werde Ich sagen, wer Ich bin und was Ich wünsche, und Ich werde ein Wunder wirken, daß alle sehen werden, um zum Glauben zu gelangen.”
Lucia stellte dann einige Bitten; Maria antwortete, daß die Leute den Rosenkranz beten müßten, um die Gnaden während des Jahres zu erhalten. Dann fuhr Sie fort: „Opfert euch für die Sünder, und sagt häufig, besonders immer, wenn ihr ein Opfer bringt:
„O Jesus, aus Liebe zu Dir, für die Bekehrung der Sünder und zur Genugtuung für die Sünden, die gegen das Unbefleckte Herz Mariens begangen werden.”
(Die Seherkinder fügten später oft noch hinzu: „ … und für den Heiligen Vater”.)
Während Maria die letzten Worte aussprach, öffnete Sie erneut die Hände. „Der Widerschein schien in die Erde zu dringen — und wir sahen etwas wie ein Feuermeer: Versunken in diesem Feuer die Dämonen und die Seelen gleichsam als wären sie durchsichtige und schwarze oder bronzefarbene Kohlenglut gewesen, in menschlicher Gestalt, die im Feuer hin- und herwogten, die von den Flammen, die aus ihnen selber herauskamen, zusammen mit Rauchwolken emporgehoben wurden und die nach allen Seiten hin herabfielen, gleich dem Funkenregen bei großen Feuerbrünsten — ohne Gewicht und Gleichgewicht —, unter Schreien und Stöhnen aus Schmerz und Verzweiflung, die (uns) mit Entsetzen erfüllten und vor Furcht erzittern machten … Die Dämonen unterschieden sich durch entsetzliche und widerliche Gestalten von schrecklichen und unbekannten Tieren, die jedoch wie schwarze Kohlen im glühenden Zustand durchscheinend waren. Erschreckt und wie um Hilfe zu erflehen richteten wir unsern Blick auf Unsere Liebe Frau, die uns mit Güte und Traurigkeit sagte:
„Ihr habt die Hölle gesehen, wohin die Seelen der armen Sünder gelangen. Um sie zu retten, will Gott in der Welt die Andacht zu Meinem Unbefleckten Herzen festen Fuß fassen lassen. Wenn man das tut, was Ich euch sagen werde, werden viele Seelen gerettet werden, und man wird Frieden haben. Der Krieg (1914 bis 1918) geht seinem Ende zu; wenn man aber nicht aufhört, Gott zu beleidigen, wird unter der Regierung Pius XI. ein anderer, noch schlimmerer Krieg beginnen. (Der Kriegsplan Hitlers begann sich mit dem „Anschluß” Österreichs zu verwirklichen; vgl. P. Baumann SJ, Fatima und die Kritik, in »Bote von Fatima”, v. 13. August 1962, S. 61. — Vgl. über die Voraussage des Krieges: 6. Februar 1939, 29. Juni 1956, 24. Februar 1960). Wenn ihr einmal die Nacht durch ein unbekanntes Licht erhellt sehen werdet, so wißt, daß es das große Zeichen ist, das Gott euch gibt, daß Er daran ist, die Welt wegen ihrer Verbrechen zu züchtigen, durch Krieg, Hungersnot und Verfolgung der Kirche und des Heiligen Vaters. (Dieses „unbekannte Licht” war nach der Überzeugung Lucias das Licht in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar 1938; vgl. 2, S. 46, Anm. 19.) Um das zu verhindern, werde Ich die Weihe Rußlands an Mein Unbeflecktes Herz und die Sühnekommunion an den ersten Samstagen fordern. Wenn man Meine Forderungen beachtet, wird Rußland sich bekehren, und man wird Frieden haben. Wenn man das aber nicht tut, dann wird es seine Irrtümer in der Welt verbreiten und Kriege und Verfolgungen der Kirche hervorrufen. Die Guten werden gemartert werden. Der Heilige Vater wird viel zu leiden haben. Verschiedene Nationen werden vernichtet werden. Zuletzt wird Mein Unbeflecktes Herz triumphieren. Der Heilige Vater wird Mir Rußland weihen, das sich bekehren wird, und der Welt wird einige Zeit des Friedens gewährt werden. In Portugal wird sich immer der wahre Glaube (wörtlich: das Dogma des Glaubens) erhalten usw… (hier wahrscheinlich folgt der sogenannte dritte Teil des Geheimnisses: vgl. 18. August 1964, 13. September 1964, 25. Juli 1966, 11. Februar 1967; ferner „Die Geheimnisse von Fatima” in „Pilgerbuch von Fatima”). Erzählt das niemand. Wohl könnt ihr es Francisco sagen (er hörte ja die Gottesmutter — wie auch den Engel nicht sprechen).
Wenn ihr den Rosenkranz betet, sagt nach jedem Geheimnis:
”O mein Jesus, verzeih uns, bewahre uns vor dem Feuer der Hölle, führe alle Seelen in den Himmel, besonders die, welche es am meisten bedürfen.”
(Mit letzteren Seelen sind die Todsünder gemeint, die jetzt oder zumindestens bald sterben müssen. Gerade sie bedürfen jetzt besonderer Gnaden, um noch gerettet werden zu können. Den Himmel brauchen wir alle, aber die Art der Hilfe, um dorthin zu gelangen, ist natürlich für einen Menschen im Stande der Freundschaft Gottes von der für einen Todsünder verschieden (vgl. dazu 5, S. 158 bis 177; Anhang 2; 4. Februar 1956).
Wollt Ihr von mir nichts mehr?” — »Nein, heute will Ich von dir nichts mehr.”
Zwischen dem 13. Juli und 13. August 1917 ließ der freimaurerische Verwalter Artur de Oliveira Santos vom Bezirk Vila Nova de Ourém die drei Kinder mit ihren Vätern zu sich rufen. Doch der Vater von Francisco und Jacinta nahm diese seine beiden Kinder nicht mit, wofür er eine starke Verwarnung bekäm. Lucia hätte das Geheimnis des Juli preisgeben und versprechen sollen, nicht mehr die Cova da Iria aufzusuchen. Trotz Versprechungen und Drohungen erreichte der Verwalter nichts; er gab sich aber noch nicht geschlagen; er würde schon zu seinem Ziele kommen, selbst wenn es Lucia das Leben kosten sollte (4, S. 98 bis 100).
Die vierte Erscheinung
13. August 1917, ein Montag. Die drei Seherkinder werden vormittags zum Pfarrhaus gerufen, wo sie in Anwesenheit des Verwalters von Vila Nova de Ourém von ihrem Pfarrer verhört werden. Hernach heißt sie der Verwalter in seinen Karren einsteigen, weil sie so schneller zur Cova da Iria gelangen könnten. Bald aber schlägt er Richtung nach Vila Nova de Ourém ein; er beruhigt die drei Kinder damit, daß er sie zum Pfarrhaus von Vila Nova führen wolle und hernach mit einem Auto zur Cova da Iria bringen lasse, wo sie noch rechtzeitig ankommen würden. Er behält sie jedoch bis zum 15. August zurück, läßt sie in den Kerker einsperren, er droht ihnen sogar, sie in siedendem Olivenöl braten zu lassen, falls sie das Geheimnis des Juli nicht offenbaren wollten; die Kinder jedoch wollen lieber sterben als den Worten Unserer Lieben Frau nicht gehorchen. So bleibt dem Verwalter nichts anderes übrig, als sie wieder die rund 15 km nach Fatima zurückzubringen. Als der Vater von Francisco und Jacinta nach der hl. Messe (Fest Mariens Aufnahme in den Himmel) aus der Pfarrkirche herauskommt, wird er auf seine Kinder aufmerksam gemacht, die sich gerade auf der Veranda des Herrn Pfarrers befänden. Er trägt seine Jacinta auf dem rechten Arm heim, die Frauen tragen ihre Kinder immer auf dem linken Arm, um mit dem rechten arbeiten, „streiten” zu können. An diesem Tag gingen — nach einer Aussage einer Schwester der Lucia, namens Teresa — die drei Kinder nirgends mehr wohin (vgl. die Monatszeitschrift „Stella”, Oktober 1942, S. 14 und 19).
Am 13. August 1917 hatten sich ungefär 15000 bis 18000 Personen in der Cova da Iria eingefunden. Als man dort von der Entführung der drei Kinder erfuhr, begaben sich sofort einige Leute zum Pfarrhaus von Fatima, wo sie forderten, der Pfarrer sei zu lynchen, weil er an diesem Raub der Seherkinder mitschuldig sei. Dieser konnte aber seine Unschuld beweisen und bekundete sogar seinen Unmut über diese Entführung, und so konnte er die Leute von dem geplanten Mord abhalten (4, S. 105). Die Entrüstung über den Raub wurde bei den Leuten, die in der Cova da Iria verblieben, durch ein wunderbares Ereignis besänftigt. Sie versicherten, „einen Donnerschlag gehört und einen Blitz gesehen zu haben, darauf habe sich um die Steineiche eine wunderschöne Wolke gebildet, nach etwa zehn Minuten hätte sich die Wolke erhoben und sei verschwunden …” (2, S. 52). Jedoch noch am 15. August mußte der Vater Jacintas, als er sie vom Pfarrhaus abholte, den Pfarrer gegen die Leute verteidigen (4, S. 114).
(Über den Verwalter von Vila Nova de Ourém siehe: 27. Juli 1955.)
19. August 1917, ein Sonntag (vgl. Anhang 3): Vierte Erscheinung der Gottesmutter, die einzige, die auf den Valinhos, einem Grundstück, das der Familie Lucias gehörte, erfolgte. Lucia, Francisco und sein Bruder Johannes näherten sich gegen vier Uhr nachmittags diesem Ort, um die Schafe zu weiden. In einem bestimmten Augenblick bemerkten sie die atmosphärischen Veränderungen, die gewöhnlich das Kommen Mariens anzeigten. Auf Bitten Lucias lief Johannes heim, um seine Schwester Jacinta zu holen. Währenddessen sahen Lucia und Francisco den Widerschein des Lichtes und kurz nach der Ankunft Jacintas Unsere Liebe Frau auf einer Steineiche.
Was wollt Ihr von mir?” — „Ich wünsche, daß ihr fortfahrt, am Dreizehnten zur Cova da Iria zu kommen und täglich den Rosenkranz zu beten. Im letzten Monat werde Ich das Wunder wirken, damit alle glauben mögen.”
(In der Niederschrift des Pfarrers stehen noch folgende Worte der Gottesmutter an Lucia: „Wenn man mit dir nicht zum Dorf [Vila Nova de Ourém] geflohen wäre, würde das Wunder [im Oktober] mehr bekannt sein.” Vgl. Costa Brochado, „Fatima à Luz da História”, S. 225 bis 296.)
Lucia fragt: „Was wollt Ihr, daß man mit dem Geld mache, das das Volk in der Cova da Iria zurückläßt?” — „Man möge damit zwei Traggestelle machen. Eines trägst du mit Jacinta und zwei weiteren Mädchen, alle in weiß gekleidet. Das andere trägt Francisco und drei andere Knaben. Das Geld der Traggestelle dient für das Fest Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz (und was übrigbleibt, dient als Hilfe für die Erbauung einer Kapelle, die angeordnet werden möge). Diese eingeklammerten Worte sagte Maria wahrscheinlich erst im September, wie es auch der Bericht des Pfarrers von 1917 hat. Lucia dürfte sich also 1941 in ihrem vierten Manuskript geirrt haben (vgl. über den Irrtum Lucias: Anhang 4; 5, S. 86 bis 88).
Lucia bittet: „Ich wollte Sie um die Heilung einiger Kranker bitten.” — „ Ja, einige werde Ich im Verlauf des Jahres heilen. Betet, betet viel und bringt Opfer für die Sünder; denn es kommen viele Seelen in die Hölle, weil sie niemand haben, der für sie Opfer bringt und betet.” Und wie gewöhnlich begann sich Maria gegen Osten hin zu erheben.
Die fünfte Erscheinung
13. September 1917. Fünfte Erscheinung der Gottesmutter, die vierte in der Cova da Iria. An diesem Donnerstag versammelten sich ungefähr 25000 bis 30000 Menschen in der Cova. Nach Beginn des Rosenkranzgebetes sahen die drei Kinder den Widerschein des Lichtes und hernach Unsere Liebe Frau: „Man möge fortfahren, den Rosenkranz zu beten, um das Kriegsende zu erlangen. Im Oktober wird auch unser Herr kommen, Unsere Liebe Frau von den Schmerzen und vom Berge Karmel, der heilige Josef mit dem Jesus-Knaben, um die Welt zu segnen. Gott ist mit euren Opfern zufrieden; Er will jedoch nicht, daß ihr mit dem Strick (um die Hüften gebunden) schlaft. Tragt ihn nur tagsüber.” „Man ersuchte mich, Sie um viele Dinge zu bitten: die Heilung einiger Kranker, eines Taubstummen .. .” „Ja, einige werde Ich heilen, andere nicht.” (Hier dürfte sich wohl die beim 19. August 1917 schon erwähnte Bitte um die Erbauung einer Kapelle nach dem Bericht des Pfarrers von Fatima vom Jahre 1917 einfügen: Lucia frägt: „Das Volk hätte hier gerne eine Kapelle!” Die Antwort Mariens: „ …Die andere Hälfte des Geldes möge zur Unterstützung der Kapelle sein”; vgl. 5, S. 63; 2, S. 70). Lucia sagte weiter: „Ich bat erneut, daß Sie ein Wunder wirken möge, damit das Volk zum Glauben gelange; denn man sagte, daß ich eine Schwindlerin wäre, die man erhängen und verbrennen müsse” (Lucia in der offiziellen Befragung am 8. Juli 1924; 4, S. 126). Und die Allerseligste Jungfrau antwortete: „Im Oktober werde Ich das Wunder wirken, damit alle zum Glauben gelangen mögen.”
Die sechste und letzte Erscheinung
13. Oktober 1917. Sechste Erscheinung Mariens, die fünfte in der Cova da Iria. An diesem regnerischen Samstag kamen über 50000 Menschen zur Cova, zum ersten Male auch die Eltern Lucias, weil man von einem Bombenattentat auf die Seherkinder im Augenblick der Erscheinung sprach. Bei der Steineiche angelangt, bat Lucia durch einen inneren Anstoß das Volk, die Regenschirme zu schließen, um den Rosenkranz zu beten. Bald hernach sahen die drei Kinder die Allerseligste Jungfrau.
(Die Mutter Lucias nahm beim Kommen Mariens den wunderbaren Duft wahr, den sie schon am 19. August nach der Erscheinung auf den Valinhos gespürt hatte, als ihr Jacinta zwei Zweige der Steineiche zeigte, auf der sich Maria niedergelassen hatte; damals war diese Mutter zum Zweifeln gekommen, ob die drei Kinder vielleicht doch die Wahrheit sagen würden. 4, S. 119 und 135.)
Lucia fragte: „Was wollt Ihr von mir?” — „Ich möchte dir sagen, daß man hier eine Kapelle zu Meiner Ehre errichten möge, daß Ich Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz bin, daß man immer fortfahren möge, täglich den Rosenkranz zu beten. Der Krieg ist im Begriffe, zu Ende zu gehen, und die Soldaten werden in Kürze nach Hause zurückkehren” (vgl. Anhang 4).
Lucia sagte: „Ich hätte Sie um viele Dinge zu bitten: Ob Sie einige Kranke heilen könnten, ob Sie einige Sünder bekehren könnten usw …” Maria antwortete: „Einige ja, andere nicht. Die Leute müssen sich bessern und um Verzeihung ihrer Sünden bitten.” Und, indem Sie einen traurigeren Gesichtsausdruck annahm, sagte Sie: „Die Leute sollen Gott, unsern Herrn, nicht mehr beleidigen, der schon so viel beleidigt wurde!” Hernach „öffnete Sie die Hände und ließ sie in der Sonne widerspiegeln; und während Sie sich erhob, fuhr der Widerschein Ihres eigenen Lichtes fort, sich auf die Sonne zu erstrecken. Das war auch der Grund, warum ich rief, die Leute sollten zur Sonne schauen. Meine Absicht war nicht, dorthin die Aufmerksamkeit des Volkes zu lenken, weil ich mir nicht einmal Rechenschaft seiner Anwesenheit gab; ich machte das nur, durch einen inneren Antrieb dazu bewogen …
Nachdem Unsere Liebe Frau in der unermeßlichen Weite des Firmamentes verschwunden war, sahen wir (die drei Seherkinder) neben der Sonne den heiligen Josef mit dem Jesuskind und Unsere Liebe Frau, die mit einem weißen Gewand und einem blauen Mantel bekleidet war. Der heilige Josef und das Jesuskind schienen die Welt mit Handbewegungen in Kreuzesform zu segnen.
Ein wenig hernach, nachdem diese Erscheinung verschwunden war, sah ich Unsern Herrn und Unsere Liebe Frau, die mir Unsere Liebe Frau von den Schmerzen zu sein schien. Unser Herr schien die Welt in der gleichen Weise wie der heilige Josef zu segnen. Nach dieser Erscheinung glaubte ich noch Unsere Liebe Frau in einer Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel ähnlichen Form zu sehen”. So berichtet Lucia in ihrem vierten Manuskript (1, S. 319, vgl. Anhang 5).
Das Sonnenwunder
Während die drei Seherkinder die Erscheinung der Heiligen Familie hatten, begann für die rund 50000 Menschen in der Cova da Iria ein anderes Schauspiel: das Sonnenwunder. (Nach den Angaben der drei Hirtenkinder an Dr. Formigão sahen sie auch das Sonnenwunder. Wahrscheinlich sahen sie gleichzeitig beide Visionen, die der Heiligen Familie und des Sonnenwunders.) Viele der Augenzeugen dieses Wunders — unter ihnen befanden sich auch Ungläubige und Sensationslustige (zum Beispiel: Avelino de Almeida, der in der liberalen Zeitung „O Século” vom 15. Oktober 1917 den Artikel schrieb: „Coisas espantosas! Como o sol bailou ao meio dia em Fátima” [„Tolle Dinge! Wie die Sonne zu Mittag in Fatima tanzte”] und in der Wochenillustrierten „Ilustração Portugueza” [„Portugiesische Illustrierung”] vom 29. Oktober 1917 den Artikel „O Milagre de Fátima” [„Das Wunder von Fatima”] mit zehn Photographien von den Leuten am 13. Oktober 1917 in der Cova da Iria, von denen sechs während des Sonnenwunders gemacht wurden) — gaben ihre Aussagen darüber ab, die in folgenden, wesentlichen Punkten übereinstimmen:
Nachdem Lucia gerufen hatte, die Leute sollten zur Sonne schauen, sahen diese Menschen, die sich in der Cova da Iria, dem vorausgesagten Ort des Wunders, zur dafür vorausgesagten Zeit eingefunden hatten, folgendes:
Zu Mittag (Sonnenzeit) öffnete sich der wolkenbedeckte Himmel, der die erwartungsvollen Menschen in der Cova durchnäßt hatte, und es wird die Sonne sichtbar, die man mit freiem Auge ohne Schmerz fixieren kann. (Wohlgemerkt, es gibt weder Wolken vor der Sonne noch Sonnenfinsternis!)
Dieser Gegenstand, der die Sonne zu sein scheint, beginnt sich um seine eigene Achse zu drehen und schimmernde Farbenbündel — wie ein Feuerwerk — über den ganzen Himmel hin auszustrahlen und alles auf der Erde in dieses Lichtspiel zu tauchen.
Nach verschiedenen Aussagen wurde dieses „Feuerwerk zweimal nach Unterbrechungen, in denen das Sonnenlicht abnahm, wiederholt.
Ob sich auch die folgende Phase des Wunders dreimal wiederholte, ist nicht sicher:
Die Sonnenscheibe scheint sich zu vergrößern und auf die Erde zu stürzen; viele Leute nehmen eine Hitzezunahme wahr und glauben, das Ende der Welt sei gekommen. Hernach bewegt sich der Sonnenball in großer Geschwindigkeit am Firmament. Schließlich nimmt er wieder seinen gewöhnlichen Standort ein: Das versprochene Zeichen ist erfüllt. Nach diesem etwa zehn Minuten dauernden Schauspiel sind die Kleider der Leute wieder trocken (sie hatten vor dem Wunder noch während des Regens auf Anordnung Lucias ihre Schirme geschlossen!) — mit ganz geringen Ausnahmen.
Viele der Zeugen erklärten, daß sie nicht wußten, wie und wo (zum Beispiel am Himmel oder auf der Erde) sich dieses Wunder ereignen würde. Sie schauten deshalb nicht zur Sonne. Andere aber behaupteten, daß es sich an der Sonne verwirklichen werde. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang folgendes: Dem offiziellen Verhör vom 8. Juli 1924 nach erklärte Lucia bezüglich des 19. August 1917: „Ich bat Sie (Unsere Liebe Frau) auch um ein Wunder, damit das Volk glaube, und Sie sagte, daß Sie im letzten Monat ein Zeichen an der Sonne machen würde, daß alle zum Glauben gelangen sollten.”
Die Zuschauer glaubten, daß es die Sonne selber war, die sich ihnen in diesen wunderbaren Formen zeigte. Nur eine Zeugin führt an, daß es „eine weiße Form aus Schnee war, die sich von ihr (der Sonne) löste und erneut zu ihr zurückkehrte”. Nur zwei oder drei Personen dürften es gewesen sein, die in der Cova da Iria zu dieser Zeit weilten und und nichts Außergewöhnliches an der Sonne bemerkten.
Dafür sahen aber Personen, die ,sich mehrere Kilometer von der Cova entfernt damals aufhielten, dieses Sonnenwunder, wenn auch einige von ihnen es nur in etwas gekürzter Form erlebten:
In Alburitel (13 km von Fatima entfernt) erwartete man das versprochene Wunder »an den Sternen”, wie das einfache Volk sich ausdrückte. Eine Gruppe von rund zwanzig Personen begab sich trotz des schlechten Wetters auf eine Anhöhe in der Nähe dieser Ortschaft, um auf das Wunder zu warten: sie erlebten dort wie in der Cova da Iria das „Feuerwerk” der Sonne und ein dreimaliges Stürzen derselben auf sie, so daß sie sich zu Boden warfen und das Ende ihres Lebens erwarteten. Die Bewohner dieses Ortes Alburitel liefen zur Kirche und baten um Barmherzigkeit.
Auch in Leiria (25 km von Fatima entfernt) sahen einige Leute das Sonnenwunder, auch in Torres Novas (38 km von Fatima entfernt) „zeigte sich an der Sonne etwas …”.
In São Pedro de Muel, rund 40 km von der Cova da Iria entfernt, sah der Dichter Afonso Lopes Vieira das blendende Schauspiel am Himmel, ohne sich an die Voraussage der Seherkinder zu erinnern.
Selbst in Praia de Granja (in der Nähe von Porto, rund 160 km Luftlinie von Fatima entfernt!) gab es — nach den Aussagen der Gemahlin des Herrn Almeida Garrett, Universitätsprofessors in Coimbra — Personen, die die Kreisbewegung der Sonne sahen (vgl. Anhang 6).
Andere besondere Begleitzeichen
Bei den Erscheinungen Unserer Lieben Frau stellten sich nach den Aussagen von Augenzeugen noch folgende Zeichen ein (vgl. 3, S. 74 bis 76):
a) Blitze, die den Erscheinungen immer vorangingen. Donner, genau im Augenblick der Erscheinung oder am Ende derselben, dessen Ursprung von der Steineiche herzukommen schien.
b) Krümmung der Steineiche, gleichsam als wäre sie von einem Mantel bedeckt worden, mit allen in dieselbe Richtung geneigten Blättern (so am 13. Juni 1917).
c) Duft, neuer und unbekannter Art, der sich vom Zweig der Steineiche verbreitete, auf dem die Füße der Gottesmutter während Ihrer vierten Erscheinung in denValinhos geruht hatten. Dieser Duft wurde von der Mutter Lucias und den Umstehenden, ebenso vom Vater Franciscos und Jacintas, wahrgenommen. Die Mutter Lucias erlebte dieses Aroma noch einmal, nämlich am 13. Oktober 1917, dem Tag des Sonnenwunders, in der Cova da Iria. (Sie ging nur zu dieser Erscheinung und auch nur, weil sie für das Leben ihres Kindes bangte, nicht aber, weil sie an die Echtheit der Visionen geglaubt hätte).
d) Ein leuchtender Wolkenball, von Osten nach Westen majestätisch durch den Himmelsraum gleitend, bis er die Steineiche berührte (am 13. September 1917).
e) Eine weiße oder bunte Wolke von sehr angenehmem Anblick, die sich verschiedene Male um die Seherkinder bildete, bis zu fünf oder sechs Metern Höhe. Und das dreimal gut unterscheidbar bei ein und derselben Erscheinung.
f) Rosenregen: weiße Röschen, von der Ferne gesehen schienen sie größer zu sein, langsam wurden sie kleiner, während sie sich dem Boden näherten, bis sie ganz verschwanden (am 13. September 1917).
g) Verminderung des Sonnenlichtes bei voller Mittagszeit, ohne daß es Wolken oder Sonnenfinsternis gegeben hätte. Einige Leute konnten den Mond und die Sterne sehen. Dieses Phänomen wiederholte sich bei allen Erscheinungen mit Ausnahme der letzten. (An diesem 13. Oktober 1917 regnete es nämlich vor dem Sonnenwunder.) Bezüglich der ersten Erscheinung weiß man nichts.
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Quelle: P. Hermann Netter SVD – 50 Jahre Fatima, S. 017-037
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(Fortsetzung folgt!)
