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PAPST BENEDIKT XVI.: KATECHESEN IM JAHR DES GLAUBENS / ANNUS FIDEI 2012-2013

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Mittwoch, 17. Oktober 2012

Jahr des Glaubens. Einführung

Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich die neue Katechesereihe einleiten, die sich durch das ganze Jahr des Glaubens hindurchziehen wird, das soeben begonnen hat und das – über diesen Zeitraum hinweg – den Zyklus unterbrechen wird, der der Schule des Gebets gewidmet ist. Mit dem Apostolischen Schreiben Porta Fidei habe ich dieses besondere Jahr ausgerufen, auf daß die Kirche die Begeisterung, an Jesus Christus, den einzigen Erlöser der Welt, zu glauben, erneuern, die Freude, den Weg zu gehen, den er uns gezeigt hat, neu beleben und die verwandelnde Kraft des Glaubens konkret bezeugen möge.

Der 50. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils ist eine wichtige Gelegenheit, zu Gott zurückzukehren, mit größerem Mut den eigenen Glauben zu leben, die Zugehörigkeit zur Kirche – »Lehrerin der Menschlichkeit« – zu festigen, die uns durch die Verkündigung des Wortes, die Feier der Sakramente und die Werke der Nächstenliebe dahin führt, Christus – wahrer Gott und wahrer Mensch – kennenzulernen. Es handelt sich nicht um die Begegnung mit einer Idee oder einem Lebensentwurf, sondern mit einer lebendigen Person, die uns tief im Innern verwandelt und uns unsere wahre Identität als Kinder Gottes offenbart. Die Begegnung mit Christus erneuert unsere menschlichen Beziehungen und richtet sie Tag für Tag in der Logik der Liebe auf größere Solidarität und Brüderlichkeit aus. An den Herrn zu glauben ist nicht etwas, das nur unsere Intelligenz, den Bereich des intellektuellen Wissens betrifft, sondern es ist eine Veränderung, die das Leben, unser ganzes Sein einbezieht: Empfinden, Verstand, Wille, Leiblichkeit, Gefühle, menschliche Beziehungen. Mit dem Glauben ändert sich wirklich alles in uns und für uns, und unsere zukünftige Bestimmung, die Wahrheit über unsere Berufung in der Geschichte, der Sinn des Lebens, der Genuß, Pilger auf dem Weg ins himmlische Vaterland zu sein, treten ganz deutlich zutage.

Aber – so fragen wir uns – ist der Glaube wirklich die verwandelnde Kraft in unserem Leben, in meinem Leben? Oder ist er nur eines der Elemente, die zum Leben gehören, ohne das entscheidende Element zu sein, das es vollkommen einnimmt? Mit den Katechesen dieses Jahres des Glaubens möchten wir einen Weg beschreiten, um die Freude des Glaubens zu stärken oder wiederzufinden und zu verstehen, daß der Glaube nichts Fremdes, vom konkreten Leben Getrenntes ist, sondern daß er die Seele des Lebens ist. Der Glaube an einen Gott, der Liebe ist und der zum Menschen gekommen ist, indem er Mensch geworden ist und sich selbst am Kreuz hingegeben hat, um uns zu erlösen und uns die Tore des Himmels wieder zu öffnen, zeigt auf leuchtende Weise, daß die Fülle des Menschen nur in der Liebe besteht. Das muß heute, da der derzeit stattfindende kulturelle Wandel oft viele Formen der Barbarei aufzeigt, die als »zivilisatorische Errungenschaften« gelten, noch einmal deutlich gesagt werden: Der Glaube sagt, daß es keine wahre Menschlichkeit gibt außer an den Orten, in den Gesten, in den Zeiten und in den Formen, in denen der Mensch beseelt ist von der Liebe, die von Gott kommt, daß sie als Geschenk zum Ausdruck kommt und sich in Beziehungen offenbart, die reich sind an Liebe, Mitgefühl, Aufmerksamkeit und uneigennützigem Dienst am anderen. Wo Herrschaft, Besitzstreben, Ausbeutung ist, wo der andere für den eigenen Egoismus zur Ware degradiert wird, wo die Arroganz des in sich selbst verschlossenen Ich vorhanden ist, dort verarmt der Mensch, wird er herabgewürdigt und entstellt. Der christliche Glaube, der in der Liebe tätig und in der Hoffnung stark ist, beschränkt das Leben nicht, sondern macht es menschlich – ja sogar vollmenschlich.

Der Glaube bedeutet, diese verwandelnde Botschaft in unserem Leben anzunehmen, die Offenbarung Gottes anzunehmen, die uns erkennen läßt, wer er ist, wie er handelt, was seine Pläne für uns sind. Gewiß, das Geheimnis Gottes übersteigt immer unsere Begriffe und unsere Vernunft, unsere Riten und unsere Gebete. Dennoch teilt Gott sich uns durch die Offenbarung mit, berichtet von sich, macht sich zugänglich. Und wir werden in die Lage versetzt, sein Wort zu hören und seine Wahrheit zu empfangen. Das ist das Wunderbare am Glauben: In seiner Liebe schafft Gott in uns – durch das Wirken des Heiligen Geistes – die angemessenen Bedingungen, damit wir sein Wort erkennen können. Gott selbst versetzt uns durch seinen Willen, sich zu offenbaren, mit uns in Berührung zu treten, in unserer Geschichte gegenwärtig zu sein, in die Lage, ihn zu hören und ihn anzunehmen. Der hl. Paulus drückt dies mit Freude und Dankbarkeit so aus: »Darum danken wir Gott unablässig dafür, daß ihr das Wort Gottes, das ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt, nicht als Menschenwort, sondern – was es in Wahrheit ist – als Gottes Wort angenommen habt; und jetzt ist es in euch, den Gläubigen, wirksam« (1Thess 2,13). Gott hat sich mit Worten und Werken offenbart in einer ganzen langen Geschichte der Freundschaft mit dem Menschen, die ihren Höhepunkt in der Menschwerdung des Sohnes Gottes und in seinem Geheimnis des Todes und der Auferstehung hat. Gott hat sich nicht nur in der Geschichte eines Volkes offenbart, er hat nicht nur durch die Propheten gesprochen, sondern er hat seinen Himmel überschritten, um als Mensch auf die Erde des Menschen zu kommen, damit wir ihm begegnen und ihn hören können. Und von Jerusalem aus ist die Verkündigung der Heilsbotschaft bis an die Enden der Erde gelangt. Die Kirche, die aus der geöffneten Seite Christi hervorgegangen ist, ist zur Trägerin einer neuen, festen Hoffnung geworden: der gekreuzigte und auferstandene Jesus von Nazaret, der Retter der Welt, der zur Rechten des Vaters sitzt und Richter der Lebenden und der Toten ist. Das ist das »kerygma«, die zentrale und alles sprengende Botschaft des Glaubens. Von Anfang an stellte sich jedoch das Problem der »Glaubensregel«, also der Treue der Gläubigen zur Wahrheit des Evangeliums, in der man fest bleiben muß, zur Heilswahrheit über Gott und über den Menschen, die bewahrt und weitergegeben werden muß. Der hl. Paulus schreibt: »Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet, den ich euch verkündet habe. Oder habe ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen?« (1Kor 15,2).

Wo aber finden wir die wesentliche Glaubensformel? Wo finden wir die Wahrheiten, die uns treu weitergegeben wurden und die das Licht für unser tägliches Leben darstellen? Die Antwort ist einfach: Im Credo, im Glaubensbekenntnis oder Glaubenssymbolon, knüpfen wir an das ursprüngliche Ereignis der Person und der Geschichte Jesu von Nazaret an; das, was der Völkerapostel zu den Christen in Korinth sagte, wird konkret: »Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, / gemäß der Schrift, und ist begraben worden. / Er ist am dritten Tag auferweckt worden« (1Kor 15,3–4). Auch heute ist es für uns notwendig, daß das Credo besser erkannt, verstanden und gebetet wird. Vor allem ist es wichtig, daß das Credo sozusagen »anerkannt« wird. Erkennen kann nämlich ein rein intellektueller Vorgang sein, während »anerkennen « auf die Notwendigkeit hinweist, die tiefe Bindung zwischen den Wahrheiten, die wir im Credo bekennen, und unserem täglichen Leben zu entdecken, damit diese Wahrheiten wirklich und konkret – wie sie es schon immer gewesen sind – Licht für die Schritte unseres Lebens sein können, Wasser, das die Dürre unseres Weges benetzt, Leben, das die Wüsten des gegenwärtigen Lebens überwindet. Im Credo ist das sittliche Leben des Christen verwurzelt, der in ihm seine Grundlage und seine Rechtfertigung findet.

Es ist kein Zufall, daß der sel. Johannes Paul II. wollte, daß der Katechismus der Katholischen Kirche, die sichere Norm für die Glaubenslehre und sichere Quelle für eine erneuerte Katechese, auf dem Credo aufgebaut sein soll. Es ging darum, den zentralen Kern der Glaubenswahrheiten zu bestätigen und zu bewahren, ihn in eine für die Menschen unserer Zeit, für uns, verständlichere Sprache zu übertragen. Die Kirche hat die Pflicht, den Glauben weiterzugeben, das Evangelium zu verkündigen, damit die christlichen Wahrheiten Licht im neuen kulturellen Wandel sein können und die Christen in der Lage sind, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die sie erfüllt (vgl. 1Petr 3,15). Wir leben heute in einer zutiefst veränderten Gesellschaft – auch im Hinblick auf die jüngere Vergangenheit –, die sich in ständiger Bewegung befindet. Die Prozesse der Säkularisierung und einer verbreiteten nihilistischen Mentalität, in der alles relativ ist, haben das allgemeine Denken stark geprägt. So wird das Leben oft leichtfertig gelebt, ohne klare Ideale und feste Hoffnungen, innerhalb flüchtiger, unbeständiger sozialer und familiärer Bindungen. Vor allem die neuen Generationen werden nicht zur Suche nach der Wahrheit und dem tiefen Sinn des Lebens, der über das Unwesentliche hinausgeht, zu stabilen Affekten, zum Vertrauen erzogen. Der Relativismus führt im Gegenteil dazu, keine festen Bezugspunkte zu haben, Mißtrauen und Unbeständigkeit rufen Brüche in den menschlichen Beziehungen hervor, während man das Leben in Experimenten verbringt, die nur von kurzer Dauer sind, ohne Verantwortungsübernahme.

Während Individualismus und Relativismus das Herz vieler Zeitgenossen zu beherrschen scheinen, kann man nicht sagen, daß die Gläubigen vor diesen Gefahren, denen wir bei der Weitergabe des Glaubens begegnen, völlig gefeit seien. Die Untersuchung, die auf allen Kontinenten für die Feier der Bischofssynode über die Neuevangelisierung durchgeführt wurde, hat einige von ihnen deutlich gemacht: ein passiv und privat gelebter Glaube, die Ablehnung der Erziehung zum Glauben, der Bruch zwischen Leben und Glauben. Der Christ kennt oft nicht einmal das Herzstück des eigenen christlichen Glaubens, des Credo, was Raum läßt für einen gewissen Synkretismus und religiösen Relativismus, ohne Klarheit über die Wahrheiten, die es zu glauben gilt, und über die Einzigartigkeit des Christentums in bezug auf das Heil. Heute ist die Gefahr, sozusagen eine »selbstgemachte« Religion zu konstruieren, nicht weit. Wir müssen jedoch vielmehr zurückkehren zu Gott, zum Gott Jesu Christi, wir müssen die Botschaft des Evangeliums wiederentdecken, es tiefer in unser Bewußtsein und in das tägliche Leben eintreten lassen. In den Katechesen in diesem Jahr des Glaubens möchte ich eine Hilfe anbieten, diesen Weg zu gehen, um die zentralen Wahrheiten des Glaubens über Gott, über den Menschen, über die Kirche, über die ganze soziale und kosmische Wirklichkeit wieder aufzugreifen und über die Aussagen des Credo zu meditieren und nachzudenken. Und ich möchte deutlich machen, daß die Glaubensinhalte oder Glaubenswahrheiten (»fides quae«) einen direkten Bezug zu unserem Leben haben; sie verlangen eine Umkehr unserer Existenz, die eine neue Form, an Gott zu glauben (fides qua), hervorbringt. Gott kennen, ihm begegnen, seine Gesichtszüge zu vertiefen, bringt unser Leben ins Spiel, denn er tritt in die tiefen Dynamiken des Menschen ein. Möge der Weg, den wir in diesem Jahr beschreiten werden, uns alle im Glauben und in der Liebe zu Christus wachsen lassen, damit wir lernen, in unseren Entscheidungen und im täglichen Handeln das gute und schöne Leben des Evangeliums zu leben. Danke.


Mittwoch, 24. Oktober 2012

Jahr des Glaubens. Was ist der Glaube?

Liebe Brüder und Schwestern!

Am vergangenen Mittwoch habe ich mit dem Beginn des »Jahrs des Glaubens« eine neue Katechesereihe über den Glauben begonnen. Und heute möchte ich mit euch über eine grundlegende Frage nachdenken: Was ist der Glaube? Hat der Glaube noch Sinn in einer Welt, in der Wissenschaft und Technik Horizonte eröffnet haben, die bis vor kurzem undenkbar waren? Was bedeutet es, heute zu glauben? In der Tat bedarf es in unserer Zeit einer erneuerten Erziehung zum Glauben, die natürlich eine Kenntnis der Glaubenswahrheiten und des Heilsgeschehens beinhalten, vor allem aber aus einer wahren Begegnung mit Gott in Jesus Christus heraus entstehen muß – aus der Liebe zu ihm, aus dem Vertrauen zu ihm, damit das ganze Leben darin einbezogen ist.

Trotz vieler guter Anzeichen breitet sich heute um uns herum auch eine gewisse spirituelle Wüste aus. Aufgrund gewisser Ereignisse, von denen wir täglich erfahren, hat man zuweilen gleichsam das Gefühl, daß die Welt nicht auf den Aufbau einer brüderlicheren und friedlicheren Gemeinschaft zugeht; selbst die Ideen von Fortschritt und Wohlstand haben auch ihre Schattenseiten. Trotz der großen Entdeckungen der Wissenschaft und der Leistungen der Technik scheint der Mensch heute nicht wirklich freier, menschlicher geworden zu sein; nach wie vor gibt es viele Formen der Ausbeutung, der Manipulierung, der Gewalt, der Unterdrückung, des Unrechts…

Eine bestimmte Art von Kultur hat den Menschen außerdem dazu erzogen, sich nur innerhalb des Horizonts der Materie, des Machbaren zu bewegen, nur an das zu glauben, was man sieht und was man mit eigenen Händen berührt. Andererseits wächst jedoch auch die Zahl derer, die sich orientierungslos fühlen und die im Bestreben, über eine rein horizontale Weltsicht hinauszugelangen, bereit sind, an alles und das Gegenteil zu glauben. In diesem Zusammenhang stellen sich erneut einige grundlegende Fragen, die viel konkreter sind, als sie auf den ersten Blick erscheinen: Welchen Sinn hat es zu leben? Gibt es eine Zukunft für den Menschen, für uns und für die neuen Generationen? In welche Richtung sollen wir unsere freien Entscheidungen lenken, um zu einem guten und glücklichen Leben zu gelangen? Was erwartet uns jenseits der Schwelle des Todes? Aus diesen unumgänglichen Fragen wird deutlich, daß die Welt der Planung, der genauen Berechnung und der empirischen Versuche – mit einem Wort, die wissenschaftliche Erkenntnis – allein nicht ausreicht, auch wenn sie für das Leben des Menschen wichtig ist. Wir brauchen nicht nur das materielle Brot, sondern wir brauchen Liebe, Sinn und Hoffnung, ein sicheres Fundament, einen festen Boden, der uns hilft, auch in der Krise, in der Finsternis, in den Schwierigkeiten und in den täglichen Problemen wirklich sinnvoll zu leben. Der Glaube schenkt uns genau das: Er ist ein zuversichtliches Sich-Anvertrauen an ein »Du«, das Gott ist, der mir eine andere, jedoch nicht weniger feste Gewißheit gibt als jene, die ich aus der genauen Berechnung oder aus der Wissenschaft erhalte.

Der Glaube ist nicht einfach nur eine verstandesgemäße Annahme besonderer Wahrheiten über Gott durch den Menschen; er ist ein Akt, durch den ich mich freiwillig einem Gott anvertraue, der Vater ist und der mich liebt; er ist die Zustimmung zu einem »Du«, das mir Hoffnung und Vertrauen schenkt. Diese Zustimmung zu Gott ist natürlich nicht ohne Inhalte: durch sie sind wir uns bewußt, daß Gott selbst sich uns in Christus gezeigt hat, sein Antlitz offenbart hat und wirklich zu einem jeden von uns gekommen ist. Ja, Gott hat offenbart, daß seine Liebe zum Menschen, zu einem jeden von uns, maßlos ist: Am Kreuz zeigt uns Jesus von Nazaret, der menschgewordene Gottessohn, in strahlend heller Weise, bis wohin diese Liebe reicht: bis zur Selbsthingabe, bis zum vollkommenen Opfer. Durch das Geheimnis des Todes und der Auferstehung Christi kommt Gott bis ins Tiefste unserer Menschennatur herab, um sie wieder zu sich zu bringen, um sie in seine Höhe zu erheben. Glaube bedeutet, an diese Liebe Gottes zu glauben, die angesichts der Bosheit des Menschen, angesichts des Bösen und des Todes nicht weniger wird, sondern fähig ist, jede Form der Knechtschaft zu verwandeln und das Heilsangebot zu schenken. Ein Glaubender zu sein bedeutet also, diesem »Du«, Gott, zu begegnen, der mich trägt und mir die Verheißung einer unvergänglichen Liebe gewährt, die nicht nur nach der Ewigkeit strebt, sondern diese schenkt; es bedeutet, mich Gott anzuvertrauen wie ein Kind, das sicher weiß, daß all seine Schwierigkeiten, all seine Probleme im »Du« der Mutter sicher geborgen sind. Und dieses Heilsangebot durch den Glauben ist ein Geschenk, das Gott allen Menschen macht. Ich denke, wir sollten – in unserem täglichen Leben, das von zuweilen dramatischen Problemen und Situationen geprägt ist – öfter darüber nachdenken, daß christlich zu glauben bedeutet, mich vertrauensvoll dem tiefen Sinn zu überlassen, der mich und die Welt trägt, jenem Sinn, den wir uns nicht selbst geben, sondern nur als Geschenk empfangen können und der das Fundament ist, auf dem wir furchtlos leben können. Und wir müssen fähig sein, diese befreiende und beruhigende Glaubensgewißheit mit Worten zu verkündigen und mit unserem Leben als Christen zu zeigen.

Um uns herum sehen wir jedoch tagtäglich, daß viele dieser Verkündigung gleichgültig gegenüberstehen oder sich weigern, sie anzunehmen. Am Ende des Markusevangeliums haben wir heute harte Worte des Auferstandenen, der sagt: »Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden« (Mk 16,16), verliert sich selbst. Ich möchte euch einladen, darüber nachzudenken. Das Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes muß uns stets anspornen, hinzugehen und das Evangelium zu verkündigen, zum mutigen Glaubenszeugnis. Außer der Möglichkeit einer positiven Antwort auf das Geschenk des Glaubens gibt es jedoch auch die Gefahr der Ablehnung des Evangeliums, der Nichtannahme der lebenspendenden Begegnung mit Christus. Schon der hl. Augustinus stellte sich dieses Problem in seinem Kommentar zum Gleichnis vom Sämann. Er sagte: »Wir sprechen, streuen den Samen aus, verteilen den Samen. Einige verachten, einige tadeln, einige verspotten uns. Wenn wir sie fürchten, haben wir nichts mehr auszusäen und bleiben am Tag der Ernte ohne Ertrag. Möge also der Same des guten Bodens kommen« (Sermo de disciplina christiana, 13,14: PL 40,677–678). Die Ablehnung kann uns also nicht entmutigen. Als Christen sind wir Zeugnis dieses fruchtbaren Bodens: Unser Glaube, trotz all unserer Grenzen, zeigt, daß es den guten Boden gibt, wo der Same des Wortes Gottes reiche Frucht der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe, einer neuen Menschheit, des Heils hervorbringt. Und die ganze Kirchengeschichte mit all ihren Problemen zeigt auch, daß es den guten Boden gibt, daß es den guten Samen gibt und daß er Frucht trägt. Wir wollen uns jedoch fragen: Woraus schöpft der Mensch die Offenheit des Herzens und des Verstandes, an den Gott zu glauben, der im gestorbenen und auferstandenen Jesus Christus sichtbar geworden ist, und sein Heil zu empfangen, so daß er und sein Evangelium Wegweiser und Licht für das Leben sein können? Antwort: Wir können an Gott glauben, weil er uns nahekommt und uns anrührt, weil der Heilige Geist, die Gabe des Auferstandenen, uns fähig macht, den lebendigen Gott anzunehmen. Der Glaube ist also vor allem ein übernatürliches Geschenk, ein Geschenk Gottes.

Das Zweite Vatikanische Konzil sagt: »Dieser Glaube kann nicht vollzogen werden ohne die zuvorkommende und helfende Gnade Gottes und ohne den inneren Beistand des Heiligen Geistes, der das Herz bewegen und Gott zuwenden, die Augen des Verstandes öffnen und ›es jedem leicht machen muß, der Wahrheit zuzustimmen und zu glauben‹« (Dogmatische Konstitution Dei Verbum, 5). Das Fundament unseres Glaubensweges ist die Taufe, das Sakrament, das uns den Heiligen Geist schenkt, das uns in Christus zu Kindern Gottes macht und die Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft, in die Kirche bezeichnet: Man glaubt nicht von sich aus, ohne das Zuvorkommen der Gnade des Heiligen Geistes; und man glaubt nicht alleine, sondern gemeinsam mit den Brüdern und Schwestern. Von der Taufe an ist jeder Gläubige berufen, dieses Glaubensbekenntnis immer wieder neu zu leben und es sich zu eigen zu machen, gemeinsam mit den Brüdern und Schwestern.

Der Glaube ist ein Geschenk Gottes, aber er ist auch ein zutiefst freier und menschlicher Akt. Der Katechismus der Katholischen Kirche sagt das ganz deutlich: »Nur durch die Gnade und den inneren Beistand des Heiligen Geistes ist man imstande, zu glauben. Und doch ist Glauben ein wahrhaft menschlicher Akt. Es widerspricht weder der Freiheit noch dem Verstand des Menschen « (Nr. 154). Im Gegenteil, er setzt sie voraus und erhöht sie, durch den Einsatz des ganzen Lebens, der gleichsam ein Exodus ist, also ein Herauskommen aus sich selbst, aus seinen eigenen Sicherheiten, aus seinen eigenen Denkmustern, um sich dem Wirken Gottes anzuvertrauen, der uns seinen Weg weist, um die wahre Freiheit zu erlangen, unsere menschliche Identität, die wahre Freude des Herzens, den Frieden mit allen. Glauben bedeutet, sich in voller Freiheit und mit Freude dem Plan der Vorsehung Gottes in der Geschichte anzuvertrauen, wie der Erzvater Abraham, wie Maria von Nazaret. Der Glaube ist also eine Zustimmung, durch die unser Verstand und unser Herz »ja« sagen zu Gott und bekennen, daß Jesus der Herr ist. Und dieses »Ja« verwandelt das Leben, öffnet ihm den Weg zu einer Sinnfülle und macht es so neu, reich an Freude und verläßlicher Hoffnung.

Liebe Freunde, unsere Zeit erfordert Christen, die von Christus ergriffen sind, die durch die Vertrautheit mit der Heiligen Schrift und den Sakramenten im Glauben wachsen: Personen, die gleichsam ein aufgeschlagenes Buch sind, das von der Erfahrung des neuen Lebens im Geist erzählt, von der Gegenwart jenes Gottes, der uns auf dem Weg stützt und uns zu dem Leben hin öffnet, das niemals enden wird. Danke.


Mittwoch, 31. Oktober 2012

Jahr des Glaubens. Der Glaube der Kirche

Liebe Brüder und Schwestern!

Wir setzen unseren Weg der Betrachtung über den katholischen Glauben fort. In der letzten Woche habe ich gezeigt, daß der Glaube ein Geschenk ist, denn Gott ist es, der die Initiative ergreift und uns entgegenkommt; und so ist der Glaube eine Antwort, durch die wir ihn als das feste Fundament unseres Lebens annehmen. Er ist ein Geschenk, das das Dasein verwandelt, weil es uns in die Sichtweise Jesu eintreten läßt, der in uns wirkt und uns auf die Liebe zu Gott und zu den anderen hin öffnet.

Heute möchte ich einen weiteren Schritt in unserer Reflexion tun, indem ich wieder von einigen Fragen ausgehe: Hat der Glaube nur persönlichen, individuellen Charakter? Geht er nur mich selbst etwas an? Lebe ich meinen Glauben allein? Sicher ist der Glaubensakt ein höchst persönlicher Akt, der tief im Innern geschieht und eine Richtungsänderung, eine persönliche Umkehr ausdrückt: Mein Dasein bekommt eine Wende, eine neue Ausrichtung. In der Taufliturgie, im Augenblick der Versprechen, fordert der Zelebrant dazu auf, den katholischen Glauben zum Ausdruck zu bringen, indem er drei Fragen formuliert: Glaubt ihr an Gott, den Vater, den Allmächtigen? Glaubt ihr an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn? Glaubt ihr an den Heiligen Geist? Ursprünglich wurden diese Fragen persönlich an denjenigen gerichtet, der die Taufe empfangen sollte, bevor er dreimal ins Wasser getaucht wurde. Und auch heute steht die Antwort im Singular: »Ich glaube.« Mein Glaube ist jedoch nicht das Ergebnis meiner einsamen Reflexion, er geht nicht aus meinem Denken hervor, sondern er ist Frucht einer Beziehung, eines Gesprächs, in dem es ein Hören, ein Empfangen und ein Antworten gibt; er ist das Kommunizieren mit Jesus, das mich aus meinem in mir selbst verschlossenen »Ich« heraustreten läßt, um mich für die Liebe Gottes, des Vaters, zu öffnen. Es ist wie eine Neugeburt, in der ich entdecke, daß ich nicht nur mit Jesus vereint bin, sondern auch mit allen, die denselben Weg gegangen sind und gehen; und diese Neugeburt, die mit der Taufe beginnt, geht das ganze Leben hindurch weiter. Ich kann meinen persönlichen Glauben nicht in einem privaten Gespräch mit Jesus aufbauen, denn der Glaube wird mir von Gott durch eine gläubige Gemeinschaft, die Kirche, geschenkt, und stellt mich so hinein in die Menge der Gläubigen in einer Gemeinschaft, die nicht nur soziologisch, sondern in der ewigen Liebe Gottes verwurzelt ist, die in sich selbst Gemeinschaft des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ist, die dreifaltige Liebe ist. Unser Glaube ist nur dann wirklich persönlich, wenn er auch gemeinschaftlich ist: Er kann nur dann mein Glaube sein, wenn er im »Wir« der Kirche lebt und sich bewegt, nur wenn er unser Glaube ist, der gemeinsame Glaube der einen Kirche.

Wenn wir sonntags in der heiligen Messe das Glaubensbekenntnis sprechen, dann drücken wir uns in der ersten Person aus, bekennen aber gemeinschaftlich den einen Glauben der Kirche. Dieses einzeln ausgesprochene »Ich glaube« vereint sich mit dem eines enormen Chors an allen Orten und zu allen Zeiten, in dem jeder sozusagen zu einer harmonischen Polyphonie im Glauben beiträgt. Der Katechismus der Katholischen Kirche faßt es deutlich zusammen: »›Glauben‹ ist ein kirchlicher Akt. Der Glaube der Kirche geht unserem Glauben voraus, zeugt, trägt und nährt ihn. Die Kirche ist die Mutter aller Glaubenden. ›Niemand kann Gott zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat‹ (Cyprian, unit. eccl.)« (Nr. 181). Der Glaube entsteht also in der Kirche, führt zu ihr hin und lebt in ihr. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern.

Zu Beginn des christlichen Abenteuers, als der Heilige Geist mit Macht auf die Apostel herabkommt, am Pfingsttag – wie es in der Apostelgeschichte berichtet wird (vgl. 2,1–13) – empfängt die entstehende Kirche die Kraft, die Sendung umzusetzen, die ihr vom auferstandenen Herrn anvertraut wurde: das Evangelium, die Frohbotschaft vom Reich Gottes, überall in der Welt zu verbreiten, und so jeden Menschen zur Begegnung mit ihm, zum rettenden Glauben zu führen. Die Apostel überwinden alle Furcht in der Verkündigung dessen, was sie persönlich mit Jesus gehört, gesehen, erfahren haben. Durch die Kraft des Heiligen Geistes beginnen sie, in neuen Sprachen zu sprechen, und verkündigen offen das Geheimnis, dessen Zeugen sie waren. In der Apostelgeschichte wird uns dann die große Rede überliefert, die Petrus am Pfingsttag hält. Von einem Abschnitt aus dem Propheten Joel (3,1–5) ausgehend, den er auf Jesus bezieht, verkündet er das Herzstück des christlichen Glaubens: Er, der allen Gutes getan hatte, den Gott durch große Wunder und Zeichen beglaubigt hatte, wurde ans Kreuz geschlagen und umgebracht, Gott aber hat ihn von den Toten auferweckt und ihn zum Herrn und Christus gemacht. Durch ihn haben wir das endgültige Heil erlangt, das von den Propheten verkündigt wurde, und wer seinen Namen anruft, wird gerettet werden (vgl. Apg 2,17– 24). Als sie diese Worte des Petrus hören, fühlen viele sich persönlich angesprochen, bereuen ihre Sünden und lassen sich taufen und empfangen die Gabe des Heiligen Geistes (vgl. Apg 2,37–41). So beginnt der Weg der Kirche: Gemeinschaft, die diese Verkündigung an allen Orten und zu allen Zeiten trägt, Gemeinschaft, die das durch das Blut Christi auf den Neuen Bund gegründete Volk Gottes ist, dessen Mitglieder keiner besonderen sozialen oder ethnischen Gruppe angehören, sondern Männer und Frauen aus allen Nationen und Kulturen sind. Es ist ein »katholisches« Volk, das neue Sprachen spricht und weltweit offen ist, alle anzunehmen, über jede Grenze hinaus, das alle Grenzen niederreißt. Der hl. Paulus sagt: »Wo das geschieht, gibt es nicht mehr Griechen oder Juden, Beschnittene oder Unbeschnittene, Fremde, Skythen, Sklaven oder Freie, sondern Christus ist alles und in allen« (Kol 3,11).

Die Kirche ist also von Anfang an der Ort des Glaubens, der Ort der Weitergabe des Glaubens, der Ort, an dem man durch die Taufe hineingenommen wird in das Paschamysterium des Todes und der Auferstehung Christi, das uns aus der Gefangenschaft der Sünde befreit, uns die Freiheit der Kinder Gottes schenkt und uns in die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott einführt. Gleichzeitig sind wir in die Gemeinschaft mit den anderen Brüdern und Schwestern im Glauben hineingenommen, mit dem ganzen Leib Christi, aus unserer Isolierung herausgezogen. Das Zweite Vatikanische Konzil ruft dies in Erinnerung: »Gott hat es aber gefallen, die Menschen nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindung, zu heiligen und zu retten, sondern sie zu einem Volke zu machen, das ihn in Wahrheit anerkennen und ihm in Heiligkeit dienen soll« (Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 9). Wenn wir noch einmal an die Taufliturgie denken, dann sehen wir, daß der Zelebrant zum Abschluß der Versprechen, in denen wir dem Bösen widersagen und die Glaubenswahrheiten immer wieder durch »Ich glaube« bekennen, sagt: »Das ist unser Glaube, der Glaube der Kirche, zu dem wir uns alle in Christus Jesus bekennen. « Der Glaube ist eine theologische Tugend, die von Gott geschenkt, aber von der Kirche in der Geschichte weitergegeben wird. Der hl. Paulus schreibt an die Korinther, daß er ihnen überliefert hat, was auch er empfangen hat (vgl. 1Kor 15,3).

Es gibt ein ununterbrochenes Band des kirchlichen Lebens, der Verkündigung des Wortes Gottes, der Feier der Sakramente, das bis zu uns reicht und das wir Tradition nennen. Sie ist uns dafür die Garantie, daß das, woran wir glauben, die ursprüngliche Botschaft Christi ist, die von den Aposteln verkündigt wurde. Der Kern der ursprünglichen Verkündigung ist das Ereignis des Todes und der Auferstehung des Herrn, aus dem das ganze Erbe des Glaubens hervorgeht. Das Konzil sagt: »Daher mußte die apostolische Predigt, die in den inspirierten Büchern besonders deutlichen Ausdruck gefunden hat, in ununterbrochener Folge bis zur Vollendung der Zeiten bewahrt werden« (Dogmatische Konstitution Dei Verbum, 8). Wie also die Heilige Schrift das Wort Gottes enthält, so bewahrt die Tradition der Kirche dieses Wort und gibt es treu weiter, damit die Menschen zu jeder Zeit auf seine unendlichen Ressourcen zurückgreifen und an seinem Gnadenreichtum teilhaben können. »So führt die Kirche in Lehre, Leben und Kult durch die Zeiten weiter und übermittelt allen Geschlechtern alles, was sie selber ist, alles, was sie glaubt« (ebd.).

Abschließend möchte ich hervorheben, daß der persönliche Glaube in der kirchlichen Gemeinschaft wächst und reift. Es ist interessant zu sehen, daß das Wort »Heilige« im Neuen Testament die Christen als Ganzes bezeichnet, und gewiß hatten nicht alle die Voraussetzungen, zu Heiligen der Kirche erhoben zu werden. Worauf wollte man mit diesem Begriff also hinweisen? Auf die Tatsache, daß jene, die den Glauben an den auferstandenen Christus hatten und lebten, berufen waren, ein Bezugspunkt für alle anderen zu werden und sie so in Berührung zu bringen mit der Person und der Botschaft Jesu, der das Antlitz des lebendigen Gottes offenbart. Und das gilt auch für uns: Ein Christ, der sich nach und nach vom Glauben der Kirche führen und formen läßt, trotz seiner Schwächen, seiner Grenzen und seiner Schwierigkeiten, wird gleichsam zu einem Fenster, das offen ist für das Licht des lebendigen Gottes, das dieses Licht aufnimmt und es an die Welt weitergibt. In der Enzyklika Redemptoris missio sagte der sel. Johannes Paul II.: »Durch die Mission wird die Kirche tatsächlich erneuert, Glaube und christliche Identität werden bestärkt und erhalten neuen Schwung und neue Motivation. Der Glaube wird stark durch Weitergabe!« (Nr. 2).

Die heute weitverbreitete Tendenz, den Glauben in die Privatsphäre zu verbannen, widerspricht also dem Wesen des Glaubens. Wir brauchen die Kirche zur Bestätigung unseres Glaubens und um die Gaben Gottes zu erfahren: sein Wort, die Sakramente, die Unterstützung der Gnade und das Zeugnis der Liebe. So kann unser »Ich« im »Wir« der Kirche zugleich als Empfänger und als Träger eines Ereignisses verstanden werden, das es übersteigt: die Erfahrung der Gemeinschaft mit Gott, auf der die Gemeinschaft unter den Menschen gründet. In einer Welt, in der der Individualismus die Beziehungen zwischen den Personen zu regeln scheint und sie immer schwächer macht, ruft uns der Glaube auf, Volk Gottes zu sein, Kirche zu sein, Träger der Liebe und der Gemeinschaft Gottes für die gesamte Menschheitsfamilie (vgl. Pastorale Konstitution Gaudium et spes, 1). Danke für die Aufmerksamkeit.


Mittwoch, 7. November 2012

Jahr des Glaubens. Das innere Verlangen nach Gott

Liebe Brüder und Schwestern!

Der Weg der Reflexion, den wir in diesem Jahr des Glaubens gemeinsam beschreiten, läßt uns heute über einen faszinierenden Aspekt der menschlichen und christlichen Erfahrung nachdenken: Der Mensch trägt ein geheimnisvolles Verlangen nach Gott in sich. Bedeutsamerweise wird der Katechismus der Katholischen Kirche gerade mit folgenden Überlegungen eröffnet: »Das Verlangen nach Gott ist dem Menschen ins Herz geschrieben, denn der Mensch ist von Gott und für Gott erschaffen. Gott hört nie auf, ihn an sich zu ziehen. Nur in Gott wird der Mensch die Wahrheit und das Glück finden, wonach er unablässig sucht« (Nr. 27).

Eine solche Aussage, die auch heute in vielen Kulturkreisen völlig annehmbar, ja beinahe selbstverständlich wirkt, könnte im säkularisierten westlichen Kulturkreis dagegen als Provokation erscheinen, denn viele unserer Zeitgenossen könnten einwenden, daß sie überhaupt kein solches Verlangen nach Gott spüren. Für große Teile der Gesellschaft ist er nicht mehr der Erwartete, der Herbeigesehnte, sondern vielmehr eine Wirklichkeit, der man gleichgültig gegenübersteht, die es nicht einmal der Mühe wert ist, sich dazu zu äußern. In Wirklichkeit ist das, was wir als »Verlangen nach Gott« bezeichnet haben, nicht völlig verschwunden, sondern es taucht auch heute in vielerlei Weise im Herzen des Menschen auf. Das menschliche Verlangen ist stets auf bestimmte konkrete Güter ausgerichtet, die oft alles andere als geistlich sind, und dennoch steht der Mensch vor der Frage, was wirklich »das« Gute ist, und muß sich also mit etwas auseinandersetzen, das etwas anderes ist als er selbst, das er nicht selbst herstellen kann, sondern zu erkennen aufgefordert ist. Was kann das Verlangen des Menschen wirklich stillen?

In meiner ersten Enzyklika Deus caritas est habe ich versucht zu analysieren, wie diese Dynamik in der Erfahrung der menschlichen Liebe umgesetzt wird – einer Erfahrung, die in unserer Zeit einfach als ein Augenblick der Ekstase wahrgenommen wird, des Herauskommens aus sich selbst, als ein Ort, an dem der Mensch spürt, von einem Verlangen durchdrungen zu sein, das ihn übersteigt. Durch die Liebe erfahren Mann und Frau auf neue Weise, einer durch den anderen, die Größe und die Schönheit des Lebens und der Wirklichkeit. Wenn das, was wir erfahren, nicht einfach nur eine Illusion ist, wenn ich wirklich das Wohl des anderen will – auch als Weg zu meinem eigenen Wohl –, dann muß ich bereit sein, selbst aus dem Mittelpunkt herauszutreten, mich in seinen Dienst zu stellen, bis hin zum Selbstverzicht. Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Erfahrung der Liebe durchläuft also die Läuterung und die Heilung des Willens, die von dem Wohl verlangt werden, das man für den anderen will. Man muß üben, trainieren, sich auch korrigieren, damit dieses Wohl wirklich gewollt werden kann.

Die anfängliche Ekstase wird so zum Pilgerweg, zum »ständigen Weg aus dem in sich verschlossenen Ich zur Freigabe des Ich, zur Hingabe und so gerade zur Selbstfindung, ja, zur Findung Gottes« (Enzyklika Deus caritas est, 6). Durch diesen Weg kann die Erkenntnis der Liebe, die der Mensch anfangs erfahren hat, allmählich tiefer werden. Und auch das Geheimnis, für das sie steht, nimmt immer deutlicher Gestalt an: Denn nicht einmal die geliebte Person kann das Verlangen stillen, das im menschlichen Herzen wohnt, sondern je authentischer die Liebe zum anderen ist, desto mehr wirft sie die Frage über ihren Ursprung und ihre Bestimmung auf, über ihre Möglichkeit, auf immer zu währen. Die menschliche Erfahrung der Liebe hat also eine Dynamik in sich, die über sich selbst hinausweist, sie ist die Erfahrung von etwas Gutem, das den Menschen aus sich selbst herausgehen läßt und ihn dem Geheimnis gegenüberstellt, das die gesamte Existenz umgibt.

Ähnliche Überlegungen könnte man auch in bezug auf andere menschliche Erfahrungen anstellen, wie die Freundschaft, die Erfahrung des Schönen, die Liebe zur Erkenntnis: Alles Gute, das der Mensch erfährt, strebt auf das Geheimnis zu, das den Menschen selbst umgibt; jedes Verlangen des menschlichen Herzens ist Widerhall eines Grundverlangens, das nie völlig gestillt ist. Natürlich kann man von diesem tiefen Verlangen, das auch etwas Rätselhaftes in sich birgt, nicht unmittelbar zum Glauben gelangen. Der Mensch weiß letztlich wohl, was ihn nicht satt macht, aber er kann sich nicht vorstellen oder beschreiben, was ihn jenes Glück erfahren ließe, nach dem sein Herz sich sehnt. Man kann Gott nicht kennenlernen, wenn man nur vom Verlangen des Menschen ausgeht. Unter diesem Gesichtspunkt bleibt das Geheimnis: Der Mensch sucht nach dem Absoluten, als Suchender macht er kleine und unsichere Schritte. Dennoch ist bereits die Erfahrung des Verlangens, des »unruhigen Herzens«, wie der hl. Augustinus es nannte, sehr bedeutsam. Es zeigt uns, daß der Mensch ein zutiefst religiöses Wesen ist (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 28), »vor Gott ein Bettler«. Wir können mit Pascals Worten sagen, daß  »der Mensch unendlich den Menschen übersteigt« (Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände I,2,5,3).

Die Augen erkennen die Gegenstände, wenn diese vom Licht beleuchtet sind. Daher kommt der Wunsch, das Licht selbst kennenzulernen, das die Dinge der Welt erglänzen läßt und mit ihnen den Sinn für die Schönheit entflammt. Wir müssen also festhalten, daß es auch in unserer Zeit, die für die transzendente Dimension so unempfänglich zu sein scheint, möglich ist, einen Weg zum wahren religiösen Sinn des Lebens hin zu öffnen, der zeigt, daß das Geschenk des Glaubens nicht sinnlos, nicht irrational ist. Zu diesem Zweck wäre es sehr nützlich, eine Art Pädagogik des Verlangens zu fördern, sowohl für den Weg jener, die noch nicht glauben, als auch für jene, die das Geschenk des Glaubens bereits empfangen haben.

Diese Pädagogik umfaßt mindestens zwei Aspekte. An erster Stelle geht es darum, zu lernen oder wieder zu lernen, die wahren Freuden des Lebens zu genießen. Nicht jede Wunschbefriedigung ruft in uns dieselbe Wirkung hervor: Einige hinterlassen eine positive Spur, können dem Herzen Frieden schenken, machen uns aktiver und großherziger. Andere dagegen scheinen nach dem anfänglichen Licht den Erwartungen, die sie erweckt hatten, nicht zu entsprechen, und hinterlassen zuweilen Bitterkeit, Unzufriedenheit oder ein Gefühl der Leere. Von jungen Jahren an dazu erzogen zu werden, die wahren Freuden zu genießen, in allen Bereichen des Lebens – Familie, Freundschaft, Solidarität mit den Leidenden, Selbstverzicht zum Dienst an den anderen, Liebe zur Erkenntnis, zur Kunst, zu den Schönheiten der Natur –, all das bedeutet, inneren Genuß zu üben und wirksame Abwehrkräfte gegen die heute verbreitete Banalisierung und Verflachung zu bilden. Auch die Erwachsenen müssen diese Freuden wiederentdecken, echte Wirklichkeiten verlangen und sich von der Mittelmäßigkeit reinigen, in die sie vielleicht hineingeraten sind. Dadurch wird es einfacher, alles fallenzulassen oder abzulehnen, was zwar scheinbar anziehend ist, sich jedoch als schal erweist, als Quelle der Gewohnheit und nicht der Freiheit. Und daraus tritt dann jenes Verlangen nach Gott zutage, von dem wir sprechen.

Ein zweiter Aspekt, der mit dem ersten einhergeht, besteht darin, sich nie mit dem Erreichten zufriedenzugeben. Gerade die echten Freuden sind in der Lage, in uns jene gesunde Unruhe zu wecken, die uns anspruchsvoller macht – ein höheres, tiefergehendes Wohl zu wollen – und uns gleichzeitig immer deutlicher spüren läßt, daß nichts Endliches unser Herz erfüllen kann. So lernen wir, wehrlos jenes Wohl anzustreben, das wir nicht aus eigener Kraft konstruieren oder uns verschaffen können, uns nicht entmutigen zu lassen von der Anstrengung oder den Hindernissen, die aus unserer Sünde kommen. In diesem Zusammenhang dürfen wir jedoch nicht vergessen, daß die Dynamik des Verlangens immer offen ist für die Erlösung – auch wenn sie Irrwege einschlägt, wenn sie künstliche Paradiese verfolgt und die Fähigkeit, das wahre Gut anzustreben, zu verlieren scheint. Auch im Abgrund der Sünde verlöscht im Menschen nicht jene Flamme, die es ihm erlaubt, das wahre Wohl zu erkennen, es zu kosten und so einen Wiederaufstieg zu beginnen, bei dem Gott es durch seine Gnadengabe nie an seiner Hilfe fehlen lassen wird. Wir alle müssen übrigens einen Weg der Reinigung und der Heilung des Verlangens beschreiten.

Wir sind Pilger auf dem Weg in die himmlische Heimat und gehen auf jenes vollkommene, ewige Wohl zu, das nichts uns wieder entreißen kann. Es geht also nicht darum, das Verlangen, das im Herzen des Menschen ist, zu ersticken, sondern darum, es zu befreien, damit es zu seiner wahren Höhe gelangen kann. Wenn im Verlangen das Fenster auf Gott hin geöffnet wird, dann ist es schon das Zeichen, daß der Glaube im Herzen gegenwärtig ist, und dieser Glaube ist eine Gnade Gottes. Der hl. Augustinus sagte auch: »Durch Warten macht Gott unser Verlangen größer, durch das Verlangen schenkt er uns ein größeres Herz, und indem er es größer macht, macht er es aufnahmefähiger« (Kommentar zum Ersten Brief des Johannes, 4,6: PL 35,2009).

Auf dieser Pilgerreise wollen wir uns als Brüder aller Menschen fühlen, als Weggefährten auch derer, die nicht glauben, die auf der Suche sind, die sich von der Dynamik des eigenen Verlangens nach dem Wahren und Guten aufrichtig hinterfragen lassen. In diesem Jahr des Glaubens wollen wir darum beten, daß Gott sein Antlitz all jenen zeigen möge, die ihn mit aufrichtigem Herzen suchen. Danke.


Mittwoch, 14. November 2012

Jahr des Glaubens.
Die Wege, die zur Erkenntnis Gottes führen

Liebe Brüder und Schwestern!

Am vergangenen Mittwoch haben wir über das Verlangen nach Gott nachgedacht, das der Mensch tief in seinem Innern trägt. Heute möchte ich diesen Aspekt weiter vertiefen, indem ich kurz mit euch über einige Wege nachdenke, um zur Erkenntnis Gottes zu gelangen. Ich möchte jedoch daran erinnern, daß die Initiative Gottes stets jeder Initiative des Menschen vorausgeht; und auch auf dem Weg zu ihm ist zunächst er es, der uns erleuchtet, uns Orientierung schenkt und uns leitet, wobei er stets unsere Freiheit achtet. Er läßt uns auch in die Vertrautheit mit ihm eintreten, indem er sich offenbart und uns die Gnade schenkt, diese Offenbarung im Glauben anzunehmen. Wir sollten nie die Erfahrung des hl. Augustinus vergessen: Nicht wir besitzen die Wahrheit, nachdem wir sie gesucht haben, sondern die Wahrheit sucht uns und besitzt uns.

Dennoch gibt es Wege, die das Herz des Menschen zur Erkenntnis Gottes hin öffnen können, gibt es Zeichen, die zu Gott führen. Gewiß laufen wir oft Gefahr, vom glänzenden Schein des Weltlichen geblendet zu werden, der uns daran hindert, diese Wege zu beschreiten oder diese Zeichen zu interpretieren. Gott wird jedoch nicht müde, uns zu suchen; er ist dem Menschen, den er geschaffen und erlöst hat, treu, und er bleibt unserem Leben nahe, weil er uns liebt. Diese Gewißheit muß uns jeden Tag begleiten, auch wenn gewisse weit verbreitete Auffassungen es der Kirche und dem Christen schwerer machen, jedem Geschöpf die Freude des Evangeliums mitzuteilen und alle zur Begegnung mit Jesus, dem einzigen Retter der Welt, zu führen. Das ist jedoch unsere Sendung, es ist die Sendung der Kirche, und jeder Gläubige muß sie freudig leben, sie als sein eigen empfinden, durch ein wirklich vom Glauben beseeltes Dasein, das von der Liebe, vom Dienst an Gott und an den anderen geprägt und in der Lage ist, Hoffnung auszustrahlen. Diese Sendung erstrahlt vor allem in der Heiligkeit, zu der wir alle berufen sind.

Heute – das wissen wir – mangelt es nicht an Schwierigkeiten und Prüfungen für den Glauben, der oft wenig verstanden, bestritten, abgelehnt wird. Der hl. Petrus sagte zu den Christen: »Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt; aber antwortet bescheiden und ehrfürchtig« (1Petr 3,15–16). Im Westen war in der Vergangenheit, in einer als christlich betrachteten Gesellschaft, der Glaube das Umfeld, in dem sie sich bewegte; der Bezug auf Gott und die Treue zu ihm gehörten für die meisten Menschen zum täglichen Leben. Vielmehr mußte derjenige, der nicht glaubte, seine Ungläubigkeit rechtfertigen. In unserer Welt hat sich die Lage geändert, und der Gläubige muß immer mehr in der Lage sein, seinen Glauben zu begründen. Der sel. Johannes Paul II. hob in der Enzyklika Fides et ratio hervor, daß der Glaube auch in der gegenwärtigen Zeit, die von subtilen und verfänglichen Formen eines theoretischen und praktischen Atheismus durchzogen ist, auf die Probe gestellt wird (vgl. Nr. 46–47).

Seit der Aufklärung hat die Religionskritik zugenommen; die Geschichte wurde auch durch die Anwesenheit atheistischer Systeme geprägt, in denen Gott als reine Projektion des menschlichen Geistes betrachtet wurde, als Illusion und Produkt einer bereits durch viele Entfremdungen verfälschten Gesellschaft. Das letzte Jahrhundert hat außerdem einen starken Säkularisierungsprozeß erlebt, im Zeichen der absoluten Unabhängigkeit des Menschen, der als Maß und Baumeister der Wirklichkeit betrachtet wird, aber in bezug auf seine Geschöpflichkeit »nach Gottes Bild, ihm ähnlich« verkümmert ist. In unserer Zeit hat sich ein Phänomen herausgebildet, das für den Glauben besonders gefährlich ist: Es gibt nämlich eine Form des sogenannten »praktischen Atheismus«, in dem die Glaubenswahrheiten oder die religiösen Riten nicht abgelehnt, sondern einfach nur als bedeutungslos für das tägliche Leben, als dem Leben fernstehend, als nutzlos betrachtet werden. Oft glaubt man also auf oberflächliche Weise an Gott und lebt, »als ob es Gott nicht gäbe« (»etsi Deus non daretur«).

Letztendlich ist diese Lebensweise jedoch noch zerstörerischer, weil sie zur Gleichgültigkeit gegenüber dem Glauben und der Frage nach Gott führt. In Wirklichkeit ist der von Gott getrennte Mensch auf eine einzige Dimension – die horizontale – reduziert, und eben dieser Reduktionismus ist eine der wesentlichen Ursachen für die Totalitarismen, die im letzten Jahrhundert tragische Folgen hatten, ebenso wie für die Wertekrise, die wir in der gegenwärtigen Wirklichkeit erfahren. Durch die Verdunkelung des Gottesbezuges hat sich auch der ethische Horizont verdunkelt, um dem Relativismus und einem zweifelhaften Freiheitsverständnis Raum zu geben, das nicht befreiend ist, sondern den Menschen am Ende vielmehr an Götzen bindet. Die Versuchungen, denen Jesus in der Wüste vor seinem öffentlichen Wirken ausgesetzt war, zeigen jene »Götzen« auf, die den Menschen anziehen, wenn er nicht über sich selbst hinausgeht. Wenn Gott die zentrale Stellung verliert, dann verliert der Mensch den ihm zukommenden Ort, findet er nicht mehr seinen Platz in der Schöpfung, in den Beziehungen zu den anderen. Was die antike Weisheit im Mythos des Prometheus beschreibt, hat seine Gültigkeit nicht verloren: Der Mensch denkt, er könne selbst zum »Gott« werden, zum Herrn über Leben und Tod.

Angesichts dieser Rahmenbedingungen hört die Kirche, dem Gebot Christi treu, niemals auf, die Wahrheit über den Menschen und seine Bestimmung zu verkündigen. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt zusammenfassend: »Ein besonderer Wesenszug der Würde des Menschen liegt in seiner Berufung zur Gemeinschaft mit Gott. Zum Dialog mit Gott ist der Mensch schon von seinem Ursprung her aufgerufen: er existiert nämlich nur, weil er, von Gott aus Liebe geschaffen, immer aus Liebe erhalten wird; und er lebt nicht voll gemäß der Wahrheit, wenn er diese Liebe nicht frei anerkennt und sich seinem Schöpfer anheimgibt« (Konstitution Gaudium et spes, 19).

Welche Antworten soll der Glaube also »bescheiden und ehrfürchtig« auf den Atheismus, den Skeptizismus, die Gleichgültigkeit gegenüber der vertikalen Dimension geben, damit der Mensch unserer Zeit auch weiterhin nach der Existenz Gottes fragt und die Wege beschreitet, die zu ihm führen? Ich möchte einige Wege erwähnen, die sowohl aus der natürlichen Überlegung als auch der Kraft des Glaubens hervorgehen. Ich möchte sie ganz kurz in drei Worten zusammenfassen: die Welt, der Mensch, der Glaube.

Das erste: die Welt. Beim hl. Augustinus, der in seinem Leben lange Zeit nach der Wahrheit gesucht hat und von der Wahrheit ergriffen wurde, gibt es einen berühmten Abschnitt, in dem er sagt: »Frage die Schönheit der Erde, frage die Schönheit des Meeres, frage die Schönheit der Luft, die sich ausdehnt und sich verbreitet, frage die Schönheit des Himmels frage alle diese Dinge. Alle antworten dir: Schau…, wie schön wir sind! Ihre Schönheit ist ein Bekenntnis. Wer hat diese der Veränderung unterliegenden Dinge gemacht, wenn nicht der Schöne, der der Veränderung nicht unterliegt?« (Sermo 241,2; PL 38,1134). Ich denke, wir müssen die Fähigkeit zur Betrachtung der Schöpfung, ihrer Schönheit, ihrer Struktur zurückgewinnen und sie den heutigen Menschen zurückgewinnen lassen. Die Welt ist keine unförmige Masse, sondern je mehr wir sie kennenlernen und je mehr wir ihre wunderbaren Zusammenhänge entdecken, desto mehr erkennen wir einen Plan, sehen wir, daß es eine schöpferische Intelligenz gibt. Albert Einstein sagte, daß sich in der Naturgesetzlichkeit »eine so überlegene Vernunft offenbart, daß alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens dagegen ein gänzlich nichtiger Abglanz ist« (Mein Weltbild, Frankfurt/M.-Berlin 1965). Ein erster Weg, der zur Entdeckung Gottes führt, ist also die Betrachtung der Schöpfung mit aufmerksamen Augen.

Das zweite Wort: der Mensch. Der hl. Augustinus hat auch ein berühmtes Wort, in dem er sagt, daß Gott selbst mir innerlicher ist als ich selbst für mich es bin (vgl. Bekenntnisse 3,6,11). Daher formuliert er die Einladung: »Gehe nicht aus dir heraus, sondern gehe in dich hinein: Im inneren Menschen wohnt die Wahrheit« (De vera religione, 39,72). Das ist ein weiterer Aspekt, der uns in der lauten Welt mit all ihren Zerstreuungen, in der wir leben, verlorenzugehen droht: die Fähigkeit innezuhalten und tief in uns selbst hineinzublicken und jenes Verlangen nach der Unendlichkeit zu erkennen, das wir in uns tragen, das uns drängt, über uns selbst hinauszugehen, und auf denjenigen verweist, der es stillen kann. Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es: »Mit seiner Offenheit für die Wahrheit und Schönheit, mit seinem Sinn für das sittlich Gute, mit seiner Freiheit und der Stimme seines Gewissens, mit seinem Verlangen nach Unendlichkeit und Glück fragt der Mensch nach dem Dasein Gottes« (Nr. 33).

Das dritte Wort: der Glaube. Vor allem in der Wirklichkeit unserer Zeit dürfen wir nicht vergessen, daß ein Weg, der zur Erkenntnis Gottes und zur Begegnung mit ihm führt, das Glaubensleben ist. Wer glaubt, ist mit Gott vereint, ist offen für seine Gnade, für die Kraft der Liebe. So bezeugt er durch sein Dasein nicht sich selbst, sondern den Auferstandenen, und sein Glaube hat keine Furcht, sich im täglichen Leben zu zeigen, ist offen für den Dialog, der tiefe Freundschaft für den Weg eines jeden Menschen zum Ausdruck bringt und dem Bedürfnis nach Erlösung, nach Glückseligkeit, nach Zukunft Lichter der Hoffnung aufscheinen lassen kann. Denn der Glaube ist Begegnung mit Gott, der in der Geschichte spricht und wirkt, unser tägliches Leben bekehrt, indem er unser Denken, unsere Werturteile, unsere Entscheidungen und unser konkretes Handeln verwandelt. Er ist keine Illusion, Wirklichkeitsflucht, bequemer Rückzug, Sentimentalität, sondern er bezieht das ganze Leben ein und ist Verkündigung des Evangeliums, Frohbotschaft, die den ganzen Menschen befreien kann. Ein Christ, eine Gemeinschaft, die sich tatkräftig einsetzen und treu sind gegenüber dem Plan Gottes, der uns zuerst geliebt hat, stellen einen Königsweg für jene dar, die seiner Existenz und seinem Wirken gleichgültig gegenüberstehen oder daran zweifeln.

Das erfordert jedoch von jedem, das eigene Glaubenszeugnis immer mehr durchscheinen zu lassen und das eigene Leben zu reinigen, um Christus gleichgestaltet zu werden. Heute haben viele ein begrenztes Verständnis vom christlichen Glauben, weil sie ihn mit einem reinen System von Glaubenssätzen und Werten gleichsetzen und nicht so sehr mit der Wahrheit eines Gottes, der sich in der Geschichte offenbart hat und danach verlangt, mit dem Menschen persönlich zu kommunizieren, in einer Liebesbeziehung zu ihm. In Wirklichkeit liegt jeder Lehre und jedem Wert das Ereignis der Begegnung zwischen dem Menschen und Gott in Christus Jesus zugrunde. Das Christentum ist nicht in erster Linie eine Moral oder eine Ethik, sondern ein Ereignis der Liebe, die Annahme der Person Jesu. Daher muß der Christ und müssen die christlichen Gemeinden vor allem auf Christus schauen und schauen lassen: auf den wahren Weg, der zu Gott führt.


Mittwoch, 21. November 2012

Jahr des Glaubens.
Die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott 

Liebe Brüder und Schwestern!

Wir schreiten im Jahr des Glaubens voran und tragen in unserem Herzen die Hoffnung, neu zu entdecken, wieviel Freude im Glauben liegt, und die Begeisterung wiederzufinden, allen die Glaubenswahrheiten zu vermitteln. Diese Wahrheiten sind nicht einfach nur eine Botschaft über Gott, eine besondere Information über ihn. Vielmehr bringen sie das Ereignis der Begegnung Gottes mit den Menschen zum Ausdruck, eine heilbringende und befreiende Begegnung, die die tiefsten Bestrebungen des Menschen, sein Verlangen nach Frieden, nach Brüderlichkeit, nach Liebe verwirklicht. Der Glaube führt zu der Entdeckung, daß die Begegnung mit Gott das Wahre, Gute und Schöne im Menschen zur Geltung bringt, vervollkommnet und erhebt. So geschieht es, daß Gott sich offenbart und sich erkennen läßt und der Mensch gleichzeitig erfährt, wer Gott ist. Und indem er ihn erkennt, entdeckt er sich selbst, den eigenen Ursprung, die eigene Bestimmung, die Größe und die Würde des menschlichen Lebens.

Der Glaube ermöglicht ein echtes Wissen über Gott, das die ganze menschliche Person einbezieht: Es ist ein »sapere«, also ein Erkennen, das dem Leben »sapor«, Geschmack, verleiht – einen neuen Geschmack am Leben, ein freudiges Dasein auf der Welt. Der Glaube kommt in der Selbsthingabe für die anderen zum Ausdruck, in der Brüderlichkeit, die solidarisch und liebesfähig macht und die Einsamkeit, die traurig macht, überwindet. Diese Erkenntnis Gottes durch den Glauben betrifft daher nicht nur den Verstand, sondern das ganze Leben. Sie ist die Erkenntnis Gottes, der die Liebe ist, durch seine eigene Liebe. Die Liebe Gottes läßt erkennen, öffnet die Augen, gestattet es, die ganze Wirklichkeit zu erkennen, über die beschränkten Sichtweisen des Individualismus und des Subjektivismus hinaus, die dem Gewissen die Orientierung nehmen. Die Erkenntnis Gottes ist daher Erfahrung des Glaubens und setzt gleichzeitig einen intellektuellen und einen moralischen Weg voraus: Zutiefst berührt von der Gegenwart des Geistes Jesu in uns überwinden wir die Horizonte unserer Egoismen und öffnen uns gegenüber den wahren Werten des Daseins.

In der heutigen Katechese möchte ich über die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott sprechen. Die katholische Tradition hat von Anfang an den sogenannten Fideismus abgelehnt, also den Willen, auch gegen die Vernunft zu glauben. »Credo quia absurdum« (ich glaube, weil es unvernünftig ist) ist keine Formel, die den katholischen Glauben zum Ausdruck bringt. Denn Gott ist nicht etwas Unvernünftiges, sondern allenfalls Geheimnis. Das Geheimnis wiederum ist nicht irrational, sondern Überfülle an Sinn, an Bedeutung, an Wahrheit. Wenn der Vernunft das Geheimnis dunkel erscheint, dann nicht, weil es im Geheimnis kein Licht gibt, sondern weil es vielmehr zuviel davon gibt. So sehen die Augen des Menschen, wenn er sie direkt auf die Sonne richtet, um sie zu betrachten, nur Finsternis. Aber wer würde behaupten, daß die Sonne nicht leuchtet, ja sogar die Quelle des Lichts ist? Der Glaube gestattet es, die »Sonne«, Gott, zu betrachten, weil er die Annahme seiner Offenbarung in der Geschichte ist. Er empfängt sozusagen wirklich die ganze Helligkeit des Geheimnisses Gottes und erkennt sein großes Wunder: Gott ist zum Menschen gekommen, er hat sich seiner Erkenntnis dargeboten, indem er sich zur kreatürlichen Grenze seiner Vernunft herabgelassen hat (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Dei Verbum, 13). Gleichzeitig erleuchtet Gott mit seiner Gnade die Vernunft, öffnet ihr neue, unermeßliche und unendliche Horizonte. Daher stellt der Glaube einen Ansporn dar, immer zu suchen, nie stehenzubleiben und sich in der unermüdlichen Entdeckung der Wahrheit und der Wirklichkeit nie zufriedenzugeben. Das Vorurteil gewisser moderner Denker, denen zufolge die menschliche Vernunft von den Glaubenssätzen gleichsam blockiert werde, ist falsch. Genau das Gegenteil ist wahr, wie die großen Meister der katholischen Tradition gezeigt haben.

Der hl. Augustinus sucht vor seiner Bekehrung mit viel Unruhe die Wahrheit in allen verfügbaren Philosophien, und findet sie alle unbefriedigend. Sein mühsames rationales Suchen ist für ihn eine wichtige Lehre für die Begegnung mit der Wahrheit Christi. Wenn er sagt: »Glaube, um überhaupt verstehen zu können – Verstehe, um zu glauben« (Sermo 43,9; PL 38,258), dann ist es als teilte er seine eigene Lebenserfahrung mit. Verstand und Glaube sind angesichts der göttlichen Offenbarung einander nicht fremd und stehen nicht im Gegensatz zueinander, sondern beide sind Voraussetzungen, um ihren Sinn zu verstehen, ihre wahre Botschaft zu erfassen und sich der Schwelle des Geheimnisses zu nähern. Der hl. Augustinus ist zusammen mit vielen anderen christlichen Autoren Zeuge für einen Glauben, der mit der Vernunft ausgeübt wird, der denkt und zum Denken einlädt. Auf derselben Linie sagt der hl. Anselm in seinem Proslogion, der katholische Glaube sei »fides quaerens intellectum «, wobei die Suche nach dem Verständnis ein dem Glauben innewohnender Akt ist. Vor allem der hl. Thomas von Aquin stützt sich auf diese Tradition, setzt sich mit der Vernunft der Philosophen auseinander und zeigt, wieviel neue fruchtbare Lebenskraft dem menschlichen Denken aus der Verbindung mit den Prinzipien und den Wahrheiten des christlichen Glaubens erwächst. Der christliche Glaube ist also vernünftig und setzt auch Vertrauen in die menschliche Vernunft.

Das Erste Vatikanische Konzil sagte in der Dogmatischen Konstitution Dei Filius, daß über den Weg der Schöpfung die menschliche Vernunft die Existenz Gottes sicher erkennen kann, während nur dem Glauben die Möglichkeit innewohnt, »ohne Schwierigkeit, mit sicherer Gewißheit und ohne Beimischung eines Irrtums« (DS 3005) die Wahrheiten über Gott im Licht seiner Gnade zu erkennen. Die Glaubenserkenntnis steht außerdem der aufrichtigen Vernunft nicht entgegen. Der sel. Papst Johannes Paul II. faßt es in der Enzyklika Fides et ratio folgendermaßen zusammen: »Die Vernunft nimmt sich durch ihre Zustimmung zu den Glaubensinhalten weder zurück noch erniedrigt sie sich; zu den Glaubensinhalten gelangt man in jedem Fall durch freie Entscheidung und das eigene Gewissen« (Nr. 43). Im unwiderstehlichen Verlangen nach Wahrheit ist nur eine harmonische Beziehung zwischen Glauben und Vernunft der richtige Weg, der zu Gott und zur vollen Selbsterfüllung führt.

Diese Lehre läßt sich im ganzen Neuen Testament leicht erkennen. Der hl. Paulus schreibt, wie wir gehört haben, an die Christen in Korinth: »Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit« (1Kor 1,22–23). Denn Gott hat die Welt nicht mit einem machtvollen Eingriff erlöst, sondern durch die Erniedrigung seines eingeborenen Sohnes: Nach menschlichen Maßstäben steht die ungewöhnliche Vorgehensweise Gottes den Ansprüchen der griechischen Weisheit entgegen. Dennoch wohnt dem Kreuz Christi eine Vernunft inne; der hl. Paulus nennt sie »ho lògos tou staurou«, »das Wort vom Kreuz« (1 Kor 1,18). Hier bezeichnet das Wort »lògos« sowohl das Wort als auch die Vernunft, und wenn es Bezug nimmt auf das Wort, dann weil es in Worten zum Ausdruck bringt, was die Vernunft hervorbringt. Paulus sieht also im Kreuz kein irrationales Ereignis, sondern ein Heilsgeschehen, das eine eigene Vernünftigkeit besitzt, die im Licht des Glaubens erkennbar ist. Gleichzeitig hat er ein solches Vertrauen in die menschliche Vernunft, daß er sich sogar darüber wundert, daß viele, obwohl sie die Werke sehen, die Gott vollbringt, darauf beharren, nicht an ihn zu glauben. Im Brief an die Römer sagt er: »Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit« (1,20). So ermahnt auch der hl. Petrus die Christen in der Diaspora: »Haltet in eurem Herzen Christus, den Herrn, heilig! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt« (1Petr 3,15). In einer Atmosphäre der Verfolgung und der dringenden Notwendigkeit, den Glauben zu bezeugen, wird von den Gläubigen verlangt, ihre Zustimmung zum Wort des Evangeliums mit Vernunftgründen zu rechtfertigen, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die uns erfüllt.

Auf diesen Voraussetzungen hinsichtlich der fruchtbaren Verbindung zwischen Verstehen und Glauben gründet auch die positive Beziehung zwischen Wissenschaft und Glaube. Die wissenschaftliche Forschung führt zur Erkenntnis immer neuer Wahrheiten über den Menschen und über den Kosmos, das sehen wir. Das wahre Wohl der Menschheit, das im Glauben zugänglich ist, öffnet den Horizont, in dem sich ihr Weg der Entdeckung bewegen muß. So müssen zum Beispiel die Forschungen gefördert werden, die im Dienst am Leben stehen und darauf abzielen, Krankheiten zu bekämpfen. Wichtig sind auch die Untersuchungen, die darauf ausgerichtet sind, die Geheimnisse unseres Planeten und des Universums zu entdecken, im Bewußtsein, daß der Mensch die Krone der Schöpfung ist – nicht um sie sinnlos auszubeuten, sondern um sie zu bewahren und bewohnbar zu machen. So gerät der wirklich gelebte Glaube nicht in Konflikt mit der Wissenschaft, sondern wirkt vielmehr mit ihr zusammen, indem er ihr Grundkriterien bietet, damit sie das Wohl aller fördern kann, und sie bittet, nur auf jene Versuche zu verzichten, die – da sie sich dem ursprünglichen Plan Gottes widersetzen – Wirkungen hervorrufen können, die sich gegen den Menschen kehren. Auch aus diesem Grund ist es vernünftig zu glauben: Während die Wissenschaft eine wertvolle Verbündete des Glaubens ist, um Gottes Plan im Universum zu verstehen, sorgt der Glaube dafür, daß der wissenschaftliche Fortschritt stets dem Wohl und der Wahrheit des Menschen dient, indem er diesem Plan treu bleibt.

Daher ist es entscheidend für den Menschen, sich für den Glauben zu öffnen und Gott und seinen Heilsplan in Jesus Christus zu erkennen. Im Evangelium wird ein neuer Humanismus eingeführt, eine echte »Grammatik« des Menschen und der ganzen Wirklichkeit. Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es: »Die Wahrheit Gottes ist auch seine Weisheit, die die ganze Ordnung der Schöpfung und den Lauf der Welt bestimmt. Gott, der Einzige, der Himmel und Erde erschaffen hat [vgl. Ps 115,5), ist auch der Einzige, der die wahre Erkenntnis alles Geschaffenen in seinem Bezug zu ihm schenken kann« (Nr. 216).

Vertrauen wir also darauf, daß unser Bemühen um die Evangelisierung dazu beitragen möge, das Evangelium im Leben vieler Männer und Frauen unserer Zeit wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Und beten wir darum, daß alle in Christus den Sinn des Lebens und die Grundlage der wahren Freiheit finden mögen: Denn ohne Gott verliert der Mensch sich selbst. Die Zeugnisse derer, die uns vorausgegangen sind und dem Evangelium ihr Leben gewidmet haben, bestätigen das für immer. Es ist vernünftig zu glauben, unsere Existenz steht auf dem Spiel. Es lohnt sich, sich für Christus hinzugeben, er allein stillt das Verlangen nach der Wahrheit und dem Guten, das in der Seele eines jeden Menschen verwurzelt ist: jetzt, in der vergänglichen Zeit und am nie endenden Tag der ewigen Glückseligkeit.


Mittwoch, 28. November 2012

Jahr des Glaubens.
Wie können wir von Gott sprechen?

Liebe Brüder und Schwestern!

Die zentrale Frage, die wir uns heute stellen, ist folgende: Wie können wir in unserer Zeit von Gott sprechen? Wie können wir das Evangelium verkündigen, um in den oft verschlossenen Herzen unserer Zeitgenossen und in ihrem Verstand, der oft von vielen Blendungen der Gesellschaft abgelenkt ist, Wege zu seiner Heilswahrheit zu öffnen? Jesus selbst hat sich das, wie die Evangelisten uns sagen, bei der Verkündigung des Reiches Gottes gefragt: »Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen, mit welchem Gleichnis sollen wir es beschreiben?« (Mk 4,30). Wie können wir heute von Gott sprechen? Die erste Antwort ist, daß wir von Gott sprechen können, weil er mit uns gesprochen hat. Die erste Voraussetzung für das Sprechen von Gott ist also das Hören dessen, was Gott selbst gesagt hat. Gott hat mit uns gesprochen!

Gott ist also keine ferne Hypothese über den Ursprung der Welt; er ist keine weit von uns entfernte mathematische Intelligenz. Gott kümmert sich um uns, er liebt uns, er ist persönlich in die Wirklichkeit unserer Geschichte eingetreten, er hat sich selbst mitgeteilt und ist sogar Mensch geworden. Gott ist also eine Wirklichkeit in unserem Leben, er ist so groß, daß er auch Zeit für uns hat, für uns sorgt. In Jesus von Nazaret begegnen wir dem Antlitz Gottes, der vom Himmel herabgekommen ist, um sich in die Welt der Menschen, in unsere Welt hineinzubegeben und die »Kunst des Lebens«, den Weg zum Glück zu lehren; um uns von der Sünde zu befreien und uns zu Söhnen Gottes zu machen (vgl. Eph 1,5; Röm 8,14). Jesus ist gekommen, um uns zu retten und uns das gute Leben des Evangeliums zu zeigen.

Von Gott sprechen heißt zunächst, sich darüber im klaren sein, was wir den Männern und Frauen unserer Zeit bringen sollen: keinen abstrakten Gott, keine Hypothese, sondern einen konkreten Gott, einen Gott, der existiert, der in die Geschichte eingetreten und in der Geschichte gegenwärtig ist; den Gott Jesu Christi als Antwort auf die grundsätzliche Frage des Warum und Wie unseres Lebens. Von Gott sprechen verlangt daher einen vertrauten Umgang mit Jesus und seinem Evangelium, es setzt unsere persönliche, wirkliche Erkenntnis Gottes voraus und eine große Leidenschaft für seinen Heilsplan, ohne der Versuchung des Erfolgs nachzugeben, sondern der Methode Gottes folgend. Gottes Methode ist die der Demut – Gott wird einer von uns –, es ist die Methode, die in der Menschwerdung im einfachen Haus von Nazaret und in der Grotte von Betlehem verwirklicht wurde, die Methode aus dem Gleichnis vom Senfkorn. Man darf die Demut der kleinen Schritte nicht fürchten und muß auf den Sauerteig vertrauen, der den Teig durchdringt und ihn langsam wachsen läßt (vgl. Mt 13,33). Beim Sprechen von Gott, bei der Evangelisierungstätigkeit unter der Führung des Heiligen Geistes, bedarf es einer Wiedererlangung der Einfachheit, einer Rückkehr zum Wesentlichen der Verkündigung: zur Frohen Botschaft von einem Gott, der wirklich und konkret ist, einem Gott, der sich um uns kümmert, einem Gott, der die Liebe ist und uns in Jesus Christus nahekommt bis zum Kreuz und der uns in der Auferstehung die Hoffnung schenkt und uns öffnet zu einem Leben, das kein Ende hat, zum ewigen Leben, zum wahren Leben. Der hl. Paulus, der ein hervorragender Kommunikator war, erteilt uns eine Lehre, die das Verständnis des Problems, wie man mit großer Einfachheit »von Gott sprechen« kann, mitten ins Herz trifft. Im Ersten Brief an die Korinther schreibt er: »Als ich zu euch kam, Brüder, kam ich nicht, um glänzende Reden oder gelehrte Weisheit vorzutragen, sondern um euch das Zeugnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten « (2,1–2). Die erste Wirklichkeit ist also die, daß Paulus nicht über eine Philosophie spricht, die er selbst entwickelt hat, daß er nicht über Ideen spricht, die er irgendwo gefunden oder erfunden hat, sondern daß er von einer Wirklichkeit seines Lebens spricht, von dem Gott spricht, der in sein Leben eingetreten ist, daß er von einem wirklichen Gott spricht, der lebt, der mit ihm gesprochen hat und der mit uns sprechen wird, daß er vom gekreuzigten und auferstandenen Christus spricht.

Die zweite Wirklichkeit ist die, daß Paulus nicht sich selbst sucht, keine Bewunderer um sich scharen will, nicht in die Geschichte eingehen will als Oberhaupt einer Schule großer Erkenntnisse. Der hl. Paulus sucht nicht sich selbst, sondern verkündigt Christus und will die Menschen für den wahren und wirklichen Gott gewinnen. Paulus spricht nur mit dem Wunsch, das verkündigen zu wollen, was in sein Leben eingetreten und das wahre Leben ist, das ihn auf dem Weg nach Damaskus erobert hat. Von Gott sprechen heißt also, demjenigen Raum zu geben, der uns ihn kennenlernen läßt, der uns sein liebevolles Antlitz offenbart; es heißt, das eigene Ich zu entäußern und es Christus darzubringen, im Bewußtsein, daß nicht wir die anderen für Gott gewinnen können, sondern daß wir sie vielmehr von Gott selbst erwarten, von ihm erbitten müssen. Das Sprechen von Gott entsteht also aus dem Hören, aus unserer Erkenntnis Gottes, die im vertrauten Umgang mit ihm verwirklicht wird, im Leben des Gebets und nach den Geboten.

Den Glauben mitteilen bedeutet für den hl. Paulus nicht, sich selbst zu bringen, sondern offen und öffentlich zu sagen, was er bei der Begegnung mit Christus gesehen und gehört hat, was er in seinem nunmehr von jener Begegnung veränderten Leben erfahren hat: Es bedeutet, jenen Jesus zu bringen, den er in sich gegenwärtig spürt und der zur wahren Orientierung seines Lebens geworden ist, um allen zu verstehen zu geben, daß er notwendig für die Welt und entscheidend für die Freiheit eines jeden Menschen ist. Der Apostel begnügt sich nicht damit, Worte zu verkündigen, sondern bindet sein ganzes Leben in das große Werk des Glaubens ein. Um von Gott zu sprechen, muß man ihm Raum schaffen, im Vertrauen darauf, daß er in unserer Schwachheit wirkt: ihm Raum schaffen ohne Furcht, mit Einfachheit und Freude, in der tiefen Überzeugung, daß unsere Verkündigung umso fruchtbarer sein wird, je mehr wir ihn und nicht uns selbst in den Mittelpunkt stellen. Und das gilt auch für die christlichen Gemeinschaften: Sie sind aufgerufen, das verwandelnde Wirken der Gnade Gottes aufzuzeigen, indem sie Individualismen, Verschlossenheit, Egoismen, Gleichgültigkeit überwinden und die Liebe Gottes in den täglichen Beziehungen leben. Fragen wir uns, ob unsere Gemeinschaften wirklich so sind. Wir müssen uns in Bewegung setzen, um immer und wirklich so zu werden, Verkünder Christi und nicht unserer selbst.

An diesem Punkt müssen wir uns fragen, wie Jesus selbst seine Verkündigung mitgeteilt hat. Jesus in seiner Einzigartigkeit spricht von seinem Vater – »Abba« – und vom Reich Gottes, mit dem Blick voll Barmherzigkeit für die Mühen und Schwierigkeiten des menschlichen Lebens. Er spricht mit großem Realismus. Ich würde sagen, das Wesentliche der Verkündigung Jesu ist, daß sie die Welt transparent macht und daß unser Leben für Gott wertvoll ist. Jesus zeigt, daß in der Welt und in der Schöpfung das Antlitz Gottes durchscheint, und er zeigt uns, daß Gott im täglichen Geschehen unseres Lebens gegenwärtig ist, er zeigt uns dies sowohl in Gleichnissen der Natur – das Senfkorn, der Acker mit den verschiedenen Samen –, als auch in unserem Leben: Denken wir an das Gleichnis vom verlorenen Sohn, an Lazarus und an andere Gleichnisse Jesu. Aus den Evangelien sehen wir, daß Jesus sich für jede menschliche Situation interessiert, die ihm begegnet, daß er eintaucht in die Wirklichkeit der Männer und Frauen seiner Zeit, mit vollem Vertrauen auf den Beistand des Vaters, und daß Gott in dieser Geschichte wirklich im Verborgenen gegenwärtig ist: Wenn wir aufmerksam sind, können wir ihm begegnen. Und die Jünger, die bei Jesus leben, die Menge, die ihm begegnet, sehen seine Reaktion auf die verschiedensten Probleme. Sie sehen, wie er spricht, wie er sich verhält; sie sehen in ihm das Wirken des Heiligen Geistes, das Wirken Gottes. In ihm sind Verkündigung und Leben miteinander verwoben: Jesus handelt und lehrt immer von einer engen Beziehung zu Gott, dem Vater, ausgehend.

Dieser Stil wird zu einem wichtigen Hinweis für uns Christen: Unser Leben im Glauben und in der Liebe wird zu einem Sprechen von Gott im Heute, weil es durch ein in Christus gelebtes Dasein die Glaubwürdigkeit, den Realismus dessen aufzeigt, was wir mit Worten sagen, die nicht nur Worte sind, sondern die Wirklichkeit aufzeigen, die wahre Wirklichkeit. Und dabei müssen wir darauf achten, die Zeichen der Zeit in unserer Epoche zu begreifen, das heißt die Möglichkeiten, die Wünsche, die Hindernisse, denen man in der gegenwärtigen Kultur begegnet, erkennen, insbesondere den Wunsch nach Wahrhaftigkeit, das Verlangen nach Transzendenz, die Sensibilität für die Wahrung der Schöpfung, und wir müssen furchtlos die Antwort weitergeben, die der Glaube an Gott schenkt. Das Jahr des Glaubens gibt uns Gelegenheit, mit vom Heiligen Geist beseelter Phantasie neue Wege auf persönlicher und gemeinschaftlicher Ebene zu entdecken, damit die Kraft des Evangeliums überall Lebensweisheit und Orientierung der Daseins sein möge.

Auch in unserer Zeit ist der vorrangige Ort, um von Gott zu sprechen, die Familie, die erste Schule der Weitergabe des Glaubens an die jungen Generationen. Das Zweite Vatikanische Konzil spricht von den Eltern als ersten Glaubensboten (vgl. Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 11; Dekret Apostolicam actuositatem, 11), die berufen sind, diese ihre Sendung wiederzuentdecken und die Erziehungsverantwortung wahrzunehmen, das Gewissen der Kinder für die Liebe Gottes zu öffnen, als grundlegender Dienst für ihr Leben, die ersten Katecheten und Glaubenslehrer für ihre Kinder zu sein. Und bei dieser Aufgabe ist vor allem die Wachsamkeit wichtig. Das bedeutet, günstige Gelegenheiten zu ergreifen, um in der Familie das Glaubensgespräch einzuführen und eine kritische Reflexion über die zahlreichen Einflüsse, denen die Kinder ausgesetzt sind, heranreifen zu lassen. Diese Aufmerksamkeit der Eltern besteht auch in der Sensibilität, religiöse Fragen, die im Herzen der Kinder – manchmal deutlich sichtbar und manchmal verborgen – vorhanden sein mögen, aufzugreifen.

Dann die Freude: Die Weitergabe des Glaubens muß immer einen freudigen Ton haben. Es ist die österliche Freude, die die Wirklichkeit des Schmerzes, des Leidens, der Mühe, der Schwierigkeit, des Unverständnisses und auch des Todes nicht verschweigt oder verbirgt, sondern die Kriterien anzubieten weiß, um alles in der Perspektive der christlichen Hoffnung auszulegen. Das gute und rechte Leben des Evangeliums ist gerade dieser neue Blick, diese Fähigkeit, jede Situation mit den Augen Gottes zu betrachten. Es ist wichtig, allen Mitgliedern der Familie verstehen zu helfen, daß der Glaube keine Last ist, sondern eine Quelle tiefer Freude, daß er die Wahrnehmung des Wirkens Gottes ist, die Erkenntnis der Gegenwart des Guten, das keinen Lärm macht; und daß er wertvolle Orientierungen bietet, um das eigene Dasein recht zu leben. Schließlich die Fähigkeit zum Zuhören und zum Dialog: Die Familie muß ein Umfeld sein, in dem man lernt, zusammenzusein; Gegensätze im gemeinsamen Dialog zu überwinden, der aus Zuhören und Worten besteht; einander zu verstehen und zu lieben, um füreinander Zeichen der barmherzigen Liebe Gottes zu sein.

Von Gott sprechen heißt also, mit dem Wort und mit dem Leben zu vermitteln, daß Gott nicht der Konkurrent unseres Lebens ist, sondern vielmehr sein wahrer Garant, der Garant der Größe der menschlichen Person. So kehren wir zum Anfang zurück: Von Gott sprechen bedeutet, mit Nachdruck und Einfachheit, mit dem Wort und mit dem Leben das Wesentliche mitzuteilen: den Gott Jesu Christi, jenen Gott, der uns eine so große Liebe gezeigt hat, daß er Mensch geworden, für uns gestorben und auferstanden ist; jenen Gott, der darum bittet, ihm nachzufolgen und sich von seiner unermeßlichen Liebe verwandeln zu lassen, um unser Leben und unsere Beziehungen zu erneuern; jenen Gott, der uns die Kirche geschenkt hat, um den Weg gemeinsam zu gehen und durch das Wort und die Sakramente die ganze Stadt der Menschen zu erneuern, damit sie zur Stadt Gottes werden kann.


Mittwoch, 5. Dezember 2012

Die Antwort des Menschen auf die Offenbarung Gottes

Liebe Brüder und Schwestern!

Zu Beginn seines Briefes an die Christen von Ephesus (vgl. 1,3–14) erhebt der Apostel Paulus ein Lobgebet zu Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, das uns einführt, die Adventszeit im Jahr des Glaubens zu leben. Thema dieses Lobpreises ist der Plan Gottes für den Menschen, der mit Worten voll Freude, Staunen und Dankbarkeit als ein »gnädiger Ratschluß« (vgl. V. 9) der Barmherzigkeit und der Liebe dargelegt wird. Warum erhebt der Apostel aus tiefstem Herzen diesen Lobpreis zu Gott? Weil er auf sein Wirken in der Heilsgeschichte schaut, das in der Menschwerdung, im Tod und in der Auferstehung Jesu seinen Höhepunkt gefunden hat, und darüber nachdenkt, daß der himmlische Vater uns noch vor der Erschaffung der Welt erwählt hat, seine Söhne zu werden durch seinen eingeborenen Sohn Jesus Christus (vgl. Röm 8,14–15; Gal 4,4–5). Wir existieren von Ewigkeit her im Geist Gottes, in einem großen Plan, den Gott in sich selbst bewahrt hat. Er hat beschlossen, ihn in der »Fülle der Zeiten« umzusetzen und zu offenbaren (vgl. Eph 1,10). Der hl. Paulus gibt uns also zu verstehen, daß die ganze Schöpfung und insbesondere der Mann und die Frau keine Frucht des Zufalls sind, sondern einem gnädigen Ratschluß der ewigen Vernunft Gottes entsprechen, der durch die schöpferische und erlösende Kraft seines Wortes die Welt ins Dasein ruft.

Diese erste Aussage erinnert uns daran, daß unsere Berufung nicht einfach darin besteht, in der Welt zu existieren, in eine Geschichte eingebunden zu sein, und auch nicht nur darin, Geschöpfe Gottes zu sein. Sie ist etwas Größeres: Sie ist das Erwähltsein von Gott, noch vor der Erschaffung der Welt, im Sohn, Jesus Christus. In ihm existieren wir also sozusagen schon immer. Gott betrachtet uns in Christus als Söhne. Der »gnädige Ratschluß« Gottes, den der Apostel auch als »Liebesplan« umschreibt (vgl. Eph1,5), wird als das »Geheimnis« des göttlichen Willens bezeichnet (V. 9), das verborgen war und jetzt in der Person und im Wirken Christi offenbar geworden ist. Die göttliche Initiative geht jeder menschlichen Antwort voraus: Sie ist ein unentgeltliches Geschenk seiner Liebe, die uns umgibt und uns verwandelt.

Was aber ist das Ziel dieses geheimnisvollen Plans? Was ist der Kern des Willens Gottes? Es ist, wie uns der hl. Paulus sagt, »in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist« (V. 10). In diesem Wort finden wir eine der zentralen Formulierungen des Neuen Testaments, die uns den Plan Gottes verstehen lassen, seinen Liebesplan für die ganze Menschheit, eine Formulierung, die der hl. Irenäus von Lyon im 2. Jahrhundert zum Kernpunkt seiner Christologie machte: die ganze Wirklichkeit in Christus zu »vereinen«. Vielleicht erinnern sich einige von euch an die Formulierung, die der heilige Papst Pius X. für die Weihe der Welt an das Heiligste Herz Jesu gebrauchte: »Instaurare omnia in Christo «, eine Formulierung, die an dieses paulinische Wort angelehnt ist und die auch das Motto jenes heiligen Papstes war. Der Apostel spricht jedoch genauer von der Vereinigung des Universums in Christus, und das bedeutet, daß Christus sich im großen Plan der Schöpfung und der Geschichte als der Mittelpunkt des gesamten Weges erhebt, als die Hauptachse von allem. Er zieht die gesamte Wirklichkeit an sich, um die Zerstreuung und die Begrenzung zu überwinden und alle zu der von Gott gewollten Fülle zurückzuführen (vgl. Eph 1,23).

Dieser »gnädige Ratschluß« ist sozusagen nicht in der Stille Gottes, in der Höhe seines Himmels geblieben, sondern er hat ihn kundgetan, indem er in Beziehung getreten ist zum Menschen, dem er nicht nur etwas, sondern sich selbst offenbart hat. Er hat nicht einfach eine Gesamtheit von Wahrheiten mitgeteilt, sondern er hat sich uns selbst mitgeteilt, bis dahin, daß er einer von uns geworden ist, bis hin zur Menschwerdung. Das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil sagt in der Dogmatischen Konstitution Dei Verbum: »Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun: daß die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur« (Nr. 2). Gott sagt nicht nur etwas, sondern er teilt sich selbst mit, er zieht uns in die göttliche Natur hinein, damit wir in sie eingebunden, vergöttlicht sind. Gott offenbart seinen großen Liebesplan, indem er in Beziehung zum Menschen tritt, sich ihm annähert, so weit, daß er sogar selbst Mensch wird. Das Konzil sagt weiter: »In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14–15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3,38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen« (ebd.). Allein durch die Intelligenz und seine Fähigkeiten hätte der Mensch diese so leuchtende Offenbarung der Liebe Gottes nicht erlangen können; Gott selbst hat seinen Himmel geöffnet und ist herabgestiegen, um den Menschen in die Tiefe seiner Liebe zu führen. Wiederum ist es der hl. Paulus, der an die Christen von Korinth schreibt: »Wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Denn uns hat es Gott enthüllt durch den Geist. Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes« (1 Kor 2,9–10). Und der hl. Johannes Chrysostomos lädt in einem berühmten Abschnitt aus seinem Kommentar zum Brief an die Epheser mit folgenden Worten ein, die Schönheit dieses in Christus offenbarten »gnädigen Ratschlusses« Gottes zu genießen: »Was mangelt dir denn noch? Du bist unsterblich geworden, du bist frei geworden, du bist Sohn geworden, du bist gerecht geworden, du bist Bruder geworden, du bist Miterbe geworden, du herrschest mit ihm, du wirst mit ihm verherrlicht; alles hat er dir geschenkt. ›Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?‹, sagt der Apostel (Röm 8,32). Der Erstling deiner Natur (vgl. 1 Kor 15,20.23) wird von den Engeln angebetet … Was sollte noch mangeln?« (PG 62,11).

Diese Gemeinschaft in Christus durch das Wirken des Heiligen Geistes, die Gott durch das Licht der Offenbarung allen Menschen anbietet, ist nicht etwas, das unser Menschsein von außen überlagert. Vielmehr ist es die Erfüllung der tiefsten Bestrebungen, jenes Wunsches nach Unendlichkeit und Fülle, der im Innersten des Menschen wohnt und ihn offen macht für eine Glückseligkeit, die nicht vorübergehend und begrenzt, sondern ewig ist. Der hl. Bonaventura von Bagnoregio sagt in bezug auf Gott, der sich offenbart und durch die Schrift zu uns spricht, um uns zu sich zu führen: »Die Heilige Schrift ist das Buch, in dem Worte des ewigen Lebens geschrieben stehen, damit wir nicht nur glauben, sondern auch das ewige Leben besitzen, in dem wir sehen und lieben werden und in dem all unsere Wünsche erfüllt werden« (Breviloquium, Prol.; Opera omnia V, 201f.). Schließlich ruft der selige Papst Johannes Paul II. in Erinnerung: »Die Offenbarung führt in die Geschichte einen Bezugspunkt ein, von dem der Mensch nicht absehen kann, wenn er dahin gelangen will, das Geheimnis seines Daseins zu verstehen; andererseits verweist diese Erkenntnis ständig auf das Geheimnis Gottes, das der Verstand nicht auszuschöpfen vermag, sondern nur im Glauben empfangen und annehmen kann« (Enzyklika Fides et ratio, 14).

Was also ist in dieser Hinsicht der Glaubensakt? Er ist die Antwort des Menschen auf die Offenbarung Gottes, der sich zu erkennen gibt, der seinen gnädigen Ratschluß kundtut; es bedeutet, um ein Wort des hl. Augustinus zu gebrauchen, sich von der Wahrheit, die Gott ist, einer Wahrheit, die Liebe ist, ergreifen zu lassen. Daher betont der hl. Paulus, daß man Gott, der sein Geheimnis offenbart, den »Gehorsam des Glaubens« schuldet (Röm 16,26; vgl. 1,5; 2 Kor 10,5–6), denn »darin überantwortet sich der Mensch Gott als ganzer in Freiheit, indem er sich ›dem offenbarenden Gott mit Verstand und Willen voll unterwirft‹ und seiner Offenbarung willig zustimmt« (Dogmatische Konstitution Dei Verbum, 5). All das führt zu einer grundlegenden Veränderung der Beziehung zur gesamten Wirklichkeit. Alles erscheint in einem neuen Licht, es handelt sich also um eine wahre »Bekehrung«. Glaube ist ein »Umdenken«, denn der Gott, der sich in Christus offenbart und seinen Liebesplan zu erkennen gegeben hat, ergreift uns, zieht uns zu sich, wird zum Sinn, der das Leben trägt, zum Fels, auf dem dieses Stabilität finden kann. Im Alten Testament finden wir einen dichten Ausdruck des Glaubens, den Gott dem Propheten Jesaja anvertraut, damit er ihn dem König von Juda, Ahas, mitteilt. Gott sagt: »Glaubt ihr nicht«, das heißt, wenn ihr Gott nicht die Treue haltet, »so bleibt ihr nicht« (Jes 7,9b). Es gibt also eine Verbindung zwischen dem »Bleiben« und dem »Verstehen«, die gut zum Ausdruck bringt, daß der Glaube darin besteht, im Leben die Sicht Gottes auf die Welt anzunehmen, uns von Gott durch sein Wort und seine Sakramente zum Verständnis dessen führen zu lassen, was wir tun sollen, welchen Weg wir beschreiten sollen, wie wir leben sollen. Gleichzeitig ist es jedoch eben das Verstehen auf Gottes Weise, das Sehen mit seinen Augen, was das Leben festigt, was uns gestattet, »standfest zu sein«, nicht zu fallen.

Liebe Freunde, der Advent, die liturgische Zeit, die wir soeben begonnen haben und die uns auf das Weihnachtsfest vorbereitet, stellt uns dem leuchtenden Geheimnis der Ankunft des Gottessohnes gegenüber, dem großen »gnädigen Ratschluß«, mit dem er uns zu sich ziehen will, um uns in voller Gemeinschaft der Freude und des Friedens mit ihm leben zu lassen. Der Advent lädt uns noch einmal ein, inmitten vieler Schwierigkeiten die Gewißheit zu erneuern, daß Gott gegenwärtig ist: Er ist in die Welt gekommen und ist Mensch geworden wie wir, um seinen Liebesplan zur Erfüllung zu bringen. Und Gott bittet darum, daß auch wir zum Zeichen seines Wirkens in der Welt werden. Durch unseren Glauben, unsere Hoffnung, unsere Liebe will er stets aufs neue in die Welt eintreten und will stets aufs neue sein Licht in unserer Nacht erstrahlen lassen.


Mittwoch, 12. Dezember 2012

Gottes Handeln in der Geschichte

Liebe Brüder und Schwestern!

In der letzten Katechese habe ich über die Offenbarung Gottes gesprochen, als Mitteilung, die Gott von sich selbst und von seinem Plan der Güte und der Liebe macht. Diese Offenbarung Gottes ist in die Zeit und in die Geschichte der Menschen eingefügt: »Die Geschichte wird daher zu dem Ort, an dem wir Gottes Handeln für die Menschheit feststellen können. Er erreicht uns in dem, was für uns am vertrautesten und leicht zu überprüfen ist, weil es sich um unsere tägliche Umgebung handelt, ohne die wir uns nicht zu begreifen vermöchten« (Johannes Paul II., Enzyklika Fides et ratio, 12).

Wie wir gehört haben, gibt der heilige Evangelist Markus die Anfänge der Verkündigung Jesu in deutlichen und kurzen Worten wieder: »Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe« (Mk 1,15). Was die Geschichte der Welt und des Menschen erleuchtet und ihr Sinn und Fülle gibt, beginnt in der Grotte von Betlehem aufzustrahlen. Es ist das Geheimnis, das wir in Kürze an Weihnachten betrachten werden: das Heil, das in Jesus Christus verwirklicht wird. In Jesus von Nazaret offenbart Gott sein Antlitz und ruft den Menschen auf, ihn zu erkennen und ihm zu folgen. Die Selbstoffenbarung Gottes in der Geschichte, um in ein liebevolles Zwiegespräch mit dem Menschen einzutreten, schenkt dem ganzen menschlichen Weg einen neuen Sinn. Die Geschichte ist nicht einfach nur eine Abfolge von Jahrhunderten, von Jahren, von Tagen, sondern die Zeit einer Gegenwart, die ihr Bedeutung und Fülle verleiht und sie auf eine feste Hoffnung hin öffnet.

Wo können wir die Stufen dieser Offenbarung Gottes erkennen? Die Heilige Schrift ist der bevorzugte Ort, um die Ereignisse dieses Weges zu entdecken, und ich möchte – noch einmal – alle einladen, jetzt im Jahr des Glaubens öfter die Bibel zur Hand zu nehmen, um sie zu lesen und darüber nachzudenken, und den Lesungen in der Sonntagsmesse größere Aufmerksamkeit zu schenken; all das bietet unserem Glauben wertvolle Nahrung.

Wenn wir das Alte Testament lesen, können wir sehen, daß Gottes Eingreifen in die Geschichte des Volkes, das er sich erwählt hat und mit dem er einen Bund schließt, nicht etwas ist, das vorübergeht und in Vergessenheit gerät, sondern daß es zum »Gedächtnis« wird, in seiner Gesamtheit die »Heilsgeschichte« darstellt, die im Bewußtsein des Volkes Israel durch die Feier des Heilsgeschehens lebendig erhalten wird. So gebietet der Herr im Buch Exodus mit folgenden Worten dem Mose, den großen Augenblick der Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten, das jüdische Pascha, zu feiern: »Diesen Tag sollt ihr als Gedenktag begehen. Feiert ihn als Fest zur Ehre des Herrn! Für die kommenden Generationen macht euch diese Feier zur festen Regel!« (12,14). Für das ganze Volk Israel wird die Erinnerung an das, was Gott gewirkt hat, zu einer Art bleibendem Imperativ, damit die Zeit, die vergeht, von der lebendigen Erinnerung an die vergangenen Ereignisse gezeichnet ist, die so Tag für Tag aufs neue die Geschichte prägen und gegenwärtig bleiben. Im Buch Deuteronomium wendet Mose sich an das Volk und sagt: »Jedoch, nimm dich in acht, achte gut auf dich! Vergiß nicht die Ereignisse, die du mit eigenen Augen gesehen, und die Worte, die du gehört hast. Laß sie dein ganzes Leben lang nicht aus dem Sinn! Präge sie deinen Kindern und Kindeskindern ein!« (4,9).

Und so sagt er auch zu uns: »Nimm dich in acht, achte gut auf dich! Vergiß nicht, was Gott an uns getan hat.« Der Glaube wird genährt von der Entdeckung und vom Gedächtnis, daß Gott stets treu ist, die Geschichte lenkt und den festen Grund bildet, auf dem man das eigene Leben bauen kann. Auch der Gesang des »Magnifikat«, den die Jungfrau Maria zu Gott erhebt, ist ein hohes Beispiel für diese Heilsgeschichte, für dieses Gedächtnis, die das Wirken Gottes gegenwärtig macht und uns vor Augen hält. Maria preist das barmherzige Wirken Gottes auf dem konkreten Weg seines Volkes, die Treue zu den Verheißungen des Bundes, die Abraham und seine Nachkommen empfangen haben; und all das ist lebendiges Gedächtnis der göttlichen Gegenwart, die niemals aufhört (vgl. Lk 1,46–55).

Für Israel ist der Exodus das zentrale historische Ereignis, in dem Gott sein mächtiges Wirken offenbart. Gott befreit die Israeliten aus der Knechtschaft in Ägypten, damit sie in das Gelobte Land zurückkehren und ihn als den einzigen und wahren Herrn verehren können. Israel macht sich nicht auf den Weg, um ein Volk wie alle anderen zu sein – um auch eine nationale Unabhängigkeit zu haben –, sondern um Gott im Gottesdienst und im Leben zu dienen, um für Gott einen Ort zu schaffen, an dem der Mensch ihm gehorsam ist, wo Gott in der Welt gegenwärtig ist und angebetet wird, natürlich nicht nur für Israel selbst, sondern um ihn unter den anderen Völkern zu bezeugen. Die Feier dieses Ereignisses bedeutet, es gegenwärtig und aktuell zu machen, denn das Wirken Gottes hört nicht auf. Er ist seinem Plan der Befreiung treu und verfolgt ihn auch weiterhin, damit der Mensch seinen Herrn erkennen und ihm dienen und mit Glauben und Liebe auf sein Wirken antworten kann.

Gott offenbart sich also nicht nur im ursprünglichen Schöpfungsakt, sondern indem er in unsere Geschichte hereintritt, in die Geschichte eines kleinen Volkes, das weder das zahlenmäßig größte noch das stärkste war. Und diese Offenbarung Gottes, die in der Geschichte weitergeht, gipfelt in Jesus Christus: Gott, der »Logos«, das Schöpferwort, das am Ursprung der Welt steht, ist in Jesus Mensch geworden und hat das wahre Antlitz Gottes gezeigt. In Jesus werden alle Verheißungen erfüllt, in ihm gipfelt die Geschichte Gottes mit der Menschheit. Wenn wir den Bericht über die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus lesen, den der hl. Lukas uns mitteilt, sehen wir, wie daraus deutlich hervorgeht, daß die Person Christi das Alte Testament, die gesamte Heilsgeschichte erleuchtet und den großen einheitlichen Plan der beiden Testamente aufzeigt, den Weg ihrer Einheit aufzeigt. Denn Jesus legt den beiden verwirrten und enttäuschten Weggefährten dar, daß er die Erfüllung aller Verheißungen ist: »Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht« (24,27). Und der Evangelist berichtet, was die beiden Jünger sagen, nachdem sie erkennt haben, daß dieser Weggefährte der Herr war: »Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloß?« (V. 32).

Der Katechismus der Katholischen Kirche faßt die Stufen der göttlichen Offenbarung zusammen und zeigt kurz die Entwicklung auf (vgl. Nr. 54– 64): Gott hat den Menschen von Anfang an zu einer innigen Gemeinschaft mit sich berufen, und auch als der Mensch im Ungehorsam seine Freundschaft verlor, hat Gott ihn nicht verlassen und der Macht des Todes preisgegeben, sondern hat den Menschen immer wieder seinen Bund angeboten (vgl. Römisches Meßbuch, Eucharistisches Hochgebet IV). Der Katechismus zeichnet den Weg Gottes mit dem Menschen nach, vom Bund mit Noach nach der Sintflut bis zum Ruf, der an Abraham ergeht, aus seinem Land auszuziehen, um zum Stammvater einer Menge von Völkern zu werden. Gott formt Israel als sein Volk durch das Ereignis des Exodus, den Bundesschluß am Sinai und die Gabe des Gesetzes durch Mose, damit er als der einzige lebendige und wahre Gott erkannt und ihm gedient wird.

Durch die Propheten führt Gott sein Volk in der Hoffnung auf Rettung und Heil. Durch Jesaja kennen wir den »zweiten Exodus«, die Rückkehr aus der Babylonischen Gefangenschaft in das eigene Land, die Wiedererrichtung des Volkes; gleichzeitig bleiben jedoch viele in der Zerstreuung, und so beginnt die Universalität des Glaubens. Am Ende wird nicht mehr nur ein König – David, ein Sohn Davids – erwartet, sondern ein »Menschensohn«, das Heil aller Völker. Es kommt zu Begegnungen zwischen den Kulturen, zunächst mit Babylonien und Syrien, dann auch mit der Menge der Griechen. So sehen wir, daß der Weg Gottes sich erweitert, sich immer mehr auf das Geheimnis Christi, des Königs des Universums, hin öffnet. In Christus wird schließlich die Offenbarung in ganzer Fülle verwirklicht, der barmherzige Plan Gottes: Er selbst wird einer von uns. Ich habe das Wirken Gottes in der Geschichte des Menschen in Erinnerung gerufen, um die Etappen des großen Liebesplans aufzuzeigen, der im Alten und im Neuen Testament bezeugt wird: ein einziger Heilsplan für die gesamte Menschheit, von Gottes Macht Schritt für Schritt offenbart und verwirklicht, wo Gott stets auf die Antworten des Menschen reagiert und Neuanfänge für den Bund findet, wenn der Mensch in die Irre geht. Das ist wesentlich auf dem Glaubensweg.

Wir befinden uns in der liturgischen Zeit des Advent, die uns auf das heilige Weihnachtsfest vorbereitet. Wie wir alle wissen, bedeutet der Begriff »Advent« »Ankunft«, »Gegenwart«, und in alter Zeit bezeichnete er die Ankunft des Königs oder des Kaisers in einer bestimmten Provinz. Für uns Christen verweist das Wort auf eine wunderbare und erschütternde Wirklichkeit: Gott selbst ist von seinem Himmel herabgestiegen und hat sich dem Menschen zugeneigt; er hat einen Bund mit ihm geschlossen und ist in die Geschichte eines Volkes hereingetreten; er ist der König, der in diese arme Provinz, auf die Erde, herabgekommen ist, uns mit seinem Besuch beschenkt und unser Fleisch angenommen hat und Mensch geworden ist wie wir. Der Advent lädt uns ein, den Weg dieser Gegenwart nachzuvollziehen, und er erinnert uns immer wieder daran, daß Gott sich nicht aus der Welt zurückgezogen hat, daß er nicht abwesend ist, uns nicht uns selbst überlassen hat, sondern uns in verschiedenen Weisen entgegenkommt, die zu erkennen wir lernen müssen. Und auch wir sind mit unserem Glauben, unserer Hoffnung und unserer Liebe jeden Tag aufgerufen, diese Gegenwart in der oft oberflächlichen und zerstreuten Welt zu entdecken und zu bezeugen und in unserem Leben das Licht erstrahlen zu lassen, das die Grotte von Betlehem erleuchtet hat. Danke.


Mittwoch, 19. Dezember 2012

Die Jungfrau Maria: Bild des gehorsamen Glaubens

Liebe Brüder und Schwestern!

Auf dem Weg des Advents nimmt die Jungfrau Maria einen besonderen Platz ein als jene, die auf einzigartige Weise die Erfüllung der Verheißungen Gottes erwartet und Jesus, den Sohn Gottes, im Glauben und in ihrem Leib angenommen hat, in völligem Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen. Heute möchte ich vom großen Geheimnis der Verkündigung her kurz mit euch über den Glauben Marias nachdenken.

»Chaîre kecharitomene, ho Kyrios meta sou«, »Freue dich, du Gnadenvolle. Der Herr ist mir dir« (Lk 1,28). Dies sind die Worte – vom Evangelisten Lukas wiedergegeben –, mit denen der Erzengel Gabriel sich an Maria wendet. Auf den ersten Blick scheint der Begriff »chaîre«, »freue dich«, ein normaler Gruß zu sein, der im griechischen Sprachraum üblich ist. Auf dem Hintergrund der biblischen Überlieferung erhält dieses Wort jedoch eine viel tiefere Bedeutung. Derselbe Begriff erscheint viermal im griechischen Text des Alten Testaments, und zwar immer als freudige Verkündigung der Ankunft des Messias (vgl. Zef 3,14; Joël 2,21; Sach 9,9;Klgl 4,21). Der Gruß des Engels an Maria ist also eine Einladung zur Freude, zu einer tiefen Freude. Er verkündet das Ende der Traurigkeit, die in der Welt ist angesichts der Begrenztheit des Lebens, angesichts des Leidens, des Todes, der Bosheit, der Finsternis des Bösen, die das Licht der göttlichen Güte zu verdunkeln scheint. Es ist ein Gruß, der den Beginn des Evangeliums, der Frohen Botschaft, anzeigt.

Warum aber wird Maria eingeladen, sich auf diese Weise zu freuen? Die Antwort findet sich in der zweiten Hälfte des Grußes: »Der Herr ist mit dir«. Auch hier müssen wir uns, um den Sinn des Gesagten richtig zu verstehen, dem Alten Testament zuwenden. Im Buch Zefanja finden wir dieses Wort: »Juble, Tochter Zion … Der König Israels, der Herr, ist in deiner Mitte … Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der Rettung bringt« (3,14–17). In diesen Worten liegt eine zweifache Verheißung, die an Israel, die Tochter Zion, ergeht: Gott wird als Retter kommen und in der Mitte seines Volkes Wohnung nehmen, im Schoß der Tochter Zion. Im Zwiegespräch zwischen dem Engel und Maria erfüllt sich genau diese Verheißung: Maria wird gleichgesetzt mit dem Volk, mit dem Gott den Bund geschlossen hat, sie ist wirklich die Tochter Zion in Person; in ihr erfüllt sich die Erwartung der endgültigen Ankunft Gottes, in ihr nimmt der lebendige Gott Wohnung.

Im Gruß des Engels wird Maria »Gnadenvolle« genannt; im Griechischen hat der Begriff »Gnade«, »charis«, dieselbe sprachliche Wurzel wie das Wort »Freude«. Auch in diesem Ausdruck wird die Quelle der Freude Marias noch besser erläutert: Die Freude kommt aus der Gnade, sie kommt also aus der Gemeinschaft mit Gott, aus der Tatsache, in so enger Verbindung mit ihm zu stehen, die Wohnung des Heiligen Geistes zu sein, völlig vom Wirken Gottes geprägt. Maria ist das Geschöpf, das auf einzigartige Weise ihrem Schöpfer die Tür weit geöffnet hat, sich ohne Einschränkung in seine Hände gegeben hat. Sie lebt ganz und gar »von« und »in« der Beziehung mit dem Herrn; sie ist in hörender Haltung, achtet darauf, die Zeichen Gottes auf dem Weg seines Volkes zu erfassen; sie ist eingebunden in eine Geschichte des Glaubens und der Hoffnung auf die Verheißungen Gottes, die das Gefüge ihres Daseins darstellt. Und sie unterwirft sich im Glaubensgehorsam freiwillig dem empfangenen Wort, dem göttlichen Willen. Der Evangelist Lukas erzählt die Geschichte Marias durch einen subtilen Parallelismus zur Geschichte Abrahams. Wie der große Erzvater der Vater der Glaubenden ist, der auf den Ruf Gottes geantwortet hat, das Land, in dem er lebte, seine Sicherheiten zu verlassen, um in ein unbekanntes Land aufzubrechen, dessen Besitz ihm von Gott verheißen ist, so vertraut sich Maria mit völligem Vertrauen dem Wort an, das ihr der Bote Gottes verkündigt, und wird zum Vorbild und zur Mutter aller Gläubigen.

Ich möchte einen weiteren wichtigen Aspekt hervorheben: Die Öffnung der Seele für Gott und sein Wirken im Glauben schließt auch das Element der Dunkelheit ein. Die Beziehung des Menschen zu Gott löscht die Entfernung zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht aus, beseitigt nicht das, was der Apostel Paulus angesichts der Tiefe der Weisheit Gottes sagt: »Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege!« (Röm 11,33). Aber gerade wer – wie Maria – vollkommen offen ist für Gott, gelangt zur Annahme des göttlichen Willens, auch wenn er geheimnisvoll ist, auch wenn er oft nicht dem eigenen Willen entspricht und ein Schwert ist, das durch die Seele dringt, wie der alte Simeon auf prophetische Weise zu Maria sagen wird, als Jesus später im Tempel dargebracht wird (vgl. Lk 2,35). Zum Glaubensweg Abrahams gehört der Augenblick der Freude über das Geschenk seines Sohnes Isaak ebenso wie der Augenblick der Dunkelheit, als er auf den Berg Morija steigen muß, um eine paradoxe Geste zu vollbringen: Gott fordert ihn auf, den Sohn zu opfern, den er ihm gerade geschenkt hat. Auf dem Berg gebietet ihm der Engel: »Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus, und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, daß du Gott fürchtest; du hast mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten « (Gen 22,12). Das volle Vertrauen Abrahams in einen Gott, der den Verheißungen treu ist, schwindet auch dann nicht, wenn sein Wort geheimnisvoll und schwierig, fast unmöglich anzunehmen ist. Ebenso ist es für Maria: Ihr Glaube lebt die Freude der Verkündigung, aber er geht auch durch die Dunkelheit der Kreuzigung ihres Sohnes, um zum Licht der Auferstehung gelangen zu können.

Auch für den Glaubensweg eines jeden von uns ist es nicht anders: Wir erleben Augenblicke des Lichts, aber wir erleben auch Zeiten, in denen Gott abwesend zu sein scheint, sein Schweigen auf unserem Herzen lastet und sein Wille nicht dem unseren entspricht – dem, was wir möchten. Aber je mehr wir uns Gott öffnen, das Geschenk des Glaubens annehmen, unser Vertrauen ganz auf ihn setzen – wie Abraham und wie Maria –, desto mehr befähigt er uns, mit seiner Gegenwart jede Situation des Lebens im Frieden und in der Gewißheit seiner Treue und seiner Liebe zu leben. Das bedeutet jedoch, aus sich selbst und aus den eigenen Plänen herauszugehen, damit das Wort Gottes das Licht sei, das unser Denken und unser Handeln leitet.

Ich möchte noch einen anderen Aspekt erwähnen, der in den Berichten des hl. Lukas über die Kindheit Jesu zum Vorschein kommt. Maria und Josef bringen ihren Sohn nach Jerusalem, zum Tempel, um ihn dem Herrn darzubringen und zu weihen, wie das Gesetz des Mose es vorschreibt: »Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein« (vgl. Lk 2,22–24). Diese Geste der Heiligen Familie bekommt einen noch tieferen Sinn, wenn wir sie im Licht der im Evangelium berichteten Episode des zwölfjährigen Jesus betrachten, der nach dreitägiger Suche im Tempel wiedergefunden wird, wo er mit den Schriftgelehrten diskutiert. Auf die sorgenvollen Worte von Maria und Josef: »Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht«, erfolgt die geheimnisvolle Antwort Jesu: »Warum habt ihr mich gesucht? Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?« (Lk 2,48–49) – also im Eigentum des Vaters, im Haus des Vaters, wie ein Sohn. Maria muß den tiefen Glauben erneuern, mit dem sie bei der Verkündigung »ja« gesagt hat; sie muß akzeptieren, daß der eigentliche Vater Jesu den Vorrang hat, sie muß den Sohn loslassen können, den sie zur Welt gebracht hat, damit er seiner Sendung folgt. Und das »Ja« Marias zum Willen Gottes, im Glaubensgehorsam, wiederholt sich ihr ganzes Leben lang, bis hin zum schwierigsten Augenblick, dem des Kreuzes.

Angesichts all dessen können wir uns fragen: Wie konnte Maria diesen Weg an der Seite ihres Sohnes mit einem so festen Glauben leben, auch in der Dunkelheit, ohne das volle Vertrauen in das Wirken Gottes zu verlieren? Es gibt eine Grundhaltung, die Maria angesichts dessen, was in ihrem Leben geschieht, annimmt. Bei der Verkündigung erschrickt sie, als sie die Worte des Engels hört – es ist die Furcht, die der Mensch verspürt, wenn er von der Nähe Gottes berührt wird –, aber es ist nicht die Haltung dessen, der Angst vor dem hat, was Gott erbitten könnte. Maria denkt nach, sie überlegt, was dieser Gruß zu bedeuten habe (vgl. Lk 1,29). Der griechische Begriff, der im Evangelium gebraucht wird, um dieses »Nachdenken« zum Ausdruck zu bringen, »dielogizeto«, verweist auf die Wurzel des Wortes »Dialog«. Das bedeutet, daß Maria in einen vertrauten Dialog eintritt mit dem Wort Gottes, das ihr verkündigt wurde. Sie betrachtet es nicht oberflächlich, sondern sie verweilt dabei, läßt es in ihren Verstand und in ihr Herz eindringen, um zu verstehen, was der Herr von ihr will, den Sinn der Verkündigung. Einen weiteren Hinweis auf die innere Haltung Marias gegenüber dem Wirken Gottes finden wir – ebenfalls im Evangelium des hl. Lukas – bei der Geburt Jesu, nach der Anbetung der Hirten. Es heißt, Maria »bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach« (Lk 2,19). Der griechische Begriff ist »symballon«: Wir könnten sagen, daß sie all das, was ihr geschah, in ihrem Herzen »zusammenhielt«, »zusammenstellte «; sie stellte jedes einzelne Element, jedes Wort, jede Tatsache in das Ganze hinein und verarbeitete es, bewahrte es und erkannte, daß alles aus dem Willen Gottes kommt. Maria macht nicht halt bei einem oberflächlichen Verständnis dessen, was in ihrem Leben geschieht, sondern sie blickt in die Tiefe, läßt sich von den Ereignissen ansprechen, verarbeitet sie, erkennt sie und erlangt jenes Verständnis, das nur der Glaube gewährleisten kann. Es ist die tiefe Demut des gehorsamen Glaubens Marias, der auch das in sich aufnimmt, was sie am Wirken Gottes nicht versteht, indem sie zuläßt, daß Gott ihren Verstand und ihr Herz öffnet. »Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ« (Lk 1,45), ruft ihre Verwandte Elisabet aus. Eben aufgrund ihres Glaubens werden alle Geschlechter sie seligpreisen.

Liebe Freunde, das Hochfest der Geburt des Herrn, das wir in einigen Tagen feiern werden, lädt uns ein, dieselbe Demut und denselben Glaubensgehorsam zu leben. Die Herrlichkeit Gottes zeigt sich nicht im Triumph und in der Macht eines Königs, sie erstrahlt nicht in einer berühmten Stadt, in einem prächtigen Palast, sondern sie nimmt Wohnung im Schoß einer Jungfrau, sie offenbart sich in der Armut eines Kindes. Auch in unserem Leben wirkt die Allmacht Gottes mit der oft stillen Kraft der Wahrheit und der Liebe. Der Glaube sagt uns also, daß die wehrlose Macht jenes Kindes am Ende den Lärm der Mächte der Welt besiegt.


Mittwoch, 2. Januar 2013

Er hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist

Liebe Brüder und Schwestern!

Das Weihnachtsfest erleuchtet wieder einmal mit seinem Licht die Dunkelheit, die unsere Welt und unser Herz oft umgibt, und bringt Hoffnung und Freude. Woher kommt dieses Licht? Aus der Grotte von Betlehem, wo die Hirten »Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag« fanden (Lk 2,16). Angesichts der Heiligen Familie steht eine andere und tiefere Frage auf: Wie kann dieses kleine, schwache Kind eine so radikale Neuheit in die Welt gebracht haben, daß es den Lauf der Geschichte verändert hat? Liegt in seiner Herkunft nicht vielleicht etwas Geheimnisvolles, das über jene Grotte hinausgeht?

So taucht immer wieder die Frage nach der Herkunft Jesu auf, die auch der Statthalter Pontius Pilatus im Prozeß stellt: »Woher bist du?« (Joh 19,9). Dennoch ist die Herkunft ganz klar. Im Johannesevangelium sagt der Herr: »Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist«, und die Juden reagieren mit Murren: »Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen: Ich bin vom Himmel herabgekommen?« (Joh 6,41– 42). Und wenig später lehnen sich die Einwohner Jerusalems nachdrücklich gegen den messianischen Anspruch Jesu auf, indem sie sagen, man wisse gut, »woher er stammt; wenn jedoch der Messias kommt, weiß niemand, woher er stammt« (Joh 7,27). Jesus selbst weist darauf hin, wie anmaßend ihre Behauptung ist, seine Herkunft zu kennen, und damit gibt er bereits einen Hinweis, um zu erfahren, woher er kommt: »Ich bin nicht in meinem eigenen Namen gekommen, sondern er, der mich gesandt hat, bürgt für die Wahrheit. Ihr kennt ihn nur nicht« (Joh 7,28).

Gewiß, Jesus stammt aus Nazaret, er ist in Betlehem geboren, aber was weiß man über seine wahre Herkunft? Aus den vier Evangelien geht die Antwort auf die Frage, »woher« Jesus kommt, ganz klar hervor: Seine wahre Herkunft ist der Vater, Gott. Er kommt völlig aus ihm, aber anders als jeglicher Prophet oder Gesandter Gottes, der ihm vorausgegangen ist. Diese Herkunft aus dem Geheimnis Gottes, »den niemand kennt«, ist bereits in den Kindheitsgeschichten der Evangelien des Markus und des Lukas enthalten, die wir jetzt in der Weihnachtszeit lesen. Der Engel Gabriel verkündigt: »Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden« (Lk 1,35). Wir wiederholen diese Worte jedes Mal, wenn wir das Credo, das Glaubensbekenntnis, sprechen: »Et incarnatus est de Spiritu Sancto, ex Maria Virgine«, er »hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria«. Bei diesen Worten knien wir nieder, weil der Vorhang, der Gott verbarg, sozusagen geöffnet wird und sein unergründliches und unzugängliches Geheimnis uns berührt: Gott wird der Immanuel, der »Gott mit uns«. Wenn wir die Messen hören, die von den großen Meistern der Sakralmusik komponiert wurden – ich denke zum Beispiel an die Krönungsmesse von Mozart –, merken wir sofort, daß sie besonders bei diesen Worten verweilen, gleichsam als wollten sie versuchen, durch die universale Sprache der Musik das zum Ausdruck zu bringen, was Worte nicht offenbaren können: das große Geheimnis Gottes, der Fleisch annimmt, Mensch wird.

Wenn wir den Ausdruck »durch den Heiligen Geist geboren von der Jungfrau Maria« aufmerksam betrachten, dann merken wir, daß er vier handelnde Subjekte enthält. Ausdrücklich erwähnt werden der Heilige Geist und Maria, aber miteingeschlossen ist »Er«, also der Sohn, der im Schoß der Jungfrau Maria Fleisch angenommen hat. Im Glaubensbekenntnis, dem Credo, wird Jesus mit verschiedenen Namen bezeichnet: »Herr, … Christus, Gottes eingeborener Sohn… Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott… eines Wesens mit dem Vater« (Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel). Wir sehen also, daß »Er« auf eine andere Person, die des Vaters, verweist. Das erste Subjekt dieses Satzes ist also der Vater, der mit dem Sohn und dem Heiligen Geist der eine Gott ist.

Diese Aussage des Credo bezieht sich nicht auf das ewige Wesen Gottes, sondern spricht vielmehr von einem Handeln, an dem die drei göttlichen Personen beteiligt sind und das sich »ex Maria Virgine« verwirklicht. Ohne sie wäre der Eintritt Gottes in die Geschichte der Menschheit nicht zu seinem Ziel gelangt und hätte nicht das stattgefunden, was in unserem Glaubensbekenntnis zentral ist: Gott ist ein Gott mit uns. So gehört Maria auf unverzichtbare Weise zu unserem Glauben an den Gott, der handelt, der in die Geschichte eintritt. Sie stellt ihre ganze Person zur Verfügung, sie »ist bereit«, Wohnstatt Gottes zu werden. Auch auf dem Glaubensweg und im Glaubensleben können wir zuweilen unsere Armut spüren, unsere Unzulänglichkeit in bezug auf das Zeugnis, das wir der Welt geben sollen. Aber Gott hat gerade eine einfache Frau in einem unbekannten Dorf in einer der entlegensten Provinzen des großen Römischen Reiches erwählt. Immer, auch inmitten der größten Schwierigkeiten, denen wir begegnen, müssen wir Vertrauen haben in Gott und den Glauben an seine Gegenwart und sein Handeln in unserer Geschichte – so wie in der Geschichte Marias – erneuern. Für Gott ist nichts unmöglich! Mit ihm geht unser Dasein immer auf sicherem Grund und ist geöffnet auf eine Zukunft sicherer Hoffnung hin.

Wenn wir im Credo bekennen: Er »hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria«, dann sagen wir, daß der Heilige Geist als Kraft des Höchsten auf geheimnisvolle Weise in der Jungfrau Maria die Empfängnis des Sohnes Gottes gewirkt hat. Der Evangelist Lukas gibt die Worte des Erzengels Gabriel wieder: »Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten« (1,35). Zwei Verweise sind offensichtlich: Der erste bezieht sich auf den Augenblick der Schöpfung. Zu Beginn des Buches Genesis lesen wir: »Gottes Geist schwebte über dem Wasser« (1,2); der Schöpfergeist hat alle Dinge und den Menschen ins Leben gerufen. Was in Maria geschieht, durch das Wirken desselben göttlichen Geistes, ist eine neue Schöpfung: Gott, der alles Sein aus dem Nichts ins Dasein gerufen hat, ruft durch die Menschwerdung einen Neubeginn der Menschheit ins Leben.

Die Kirchenväter sprechen mehrmals von Christus als dem neuen Adam, um zu betonen, daß die neue Schöpfung mit der Geburt des Sohnes Gottes aus der Jungfrau Maria beginnt. Das läßt uns darüber nachdenken, daß der Glaube auch in uns eine Neuheit bringt, die so stark ist, daß sie eine zweite Geburt bewirkt. Denn am Anfang des Christseins steht die Taufe, die uns als Kinder Gottes neu geboren werden läßt, uns an der Sohnesbeziehung Jesu zum Vater teilhaben läßt. Und ich möchte darauf hinweisen, daß man die Taufe »empfängt«, wir »werden getauft« – es ist ein Passiv –, denn niemand ist in der Lage, sich selbst zum Kind Gottes zu machen: Es ist ein Geschenk, das unentgeltlich gegeben wird. Der hl. Paulus ruft die Sohnschaft der Christen in einem zentralen Abschnitt seines Briefes an die Römer in Erinnerung, wo er schreibt: »Alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes. Denn ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so daß ihr euch immer noch fürchten müßtet, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater! So bezeugt der Geist selber unserem Geist, daß wir Kinder Gottes sind« (8,14–16), nicht Knechte. Nur wenn wir uns, wie Maria, dem Wirken Gottes öffnen, nur wenn wir unser Leben dem Herrn anvertrauen wie einem Freund, dem wir völlig vertrauen, dann ändert sich alles, dann erhält unser Leben einen neuen Sinn und ein neues Gesicht: das der Kinder eines Vaters, der uns liebt und uns nie verläßt.

Wir haben von zwei Elementen gesprochen: das erste Element, der Geist über dem Wasser, der Schöpfergeist; es gibt ein weiteres Element in den Worten der Verkündigung. Der Engel sagt zu Maria: »Die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.« Es ist ein Verweis auf die heilige Wolke, die sich auf dem Weg des Auszugs aus Ägypten auf dem Offenbarungszelt niederließ, auf der Bundeslade, die das Volk Israel mit sich trug, und die die Gegenwart Gottes anzeigte (vgl. Ex 40,34 – 38). Maria ist also das neue heilige Zelt, die neue Bundeslade: Mit ihrem »Ja« zu den Worten des Erzengels erhält Gott eine Wohnstatt in dieser Welt, er, den das Universum nicht fassen kann, nimmt seine Wohnstatt im Schoß einer Jungfrau. Kehren wir also zu der Frage zurück, von der wir ausgegangen sind, zur Frage nach der Herkunft Jesu, die zusammengefaßt wird von der Frage des Pilatus: »Woher bist du?« Aus unseren Überlegungen geht klar hervor, vom Anfang der Evangelien an, welches die wahre Herkunft Jesu ist: Er ist der eingeborene Sohn des Vaters, er kommt von Gott. Wir stehen vor dem großen und erschütternden Geheimnis, das wir jetzt in der Weihnachtszeit feiern: Der Sohn Gottes ist durch das Wirken des Heiligen Geistes im Schoß der Jungfrau Maria Mensch geworden. Diese Verkündigung erklingt stets aufs neue, sie trägt Hoffnung in sich und bringt Freude in unser Herz, denn sie schenkt uns immer wieder die Gewißheit, daß – auch wenn wir uns oft schwach, arm, machtlos gegenüber den Schwierigkeiten und dem Bösen der Welt fühlen – die Kraft Gottes immer handelt und gerade in der Schwachheit Wunder wirkt. Seine Gnade ist unsere Kraft (vgl. 2 Kor12,9–10). Danke.


Mittwoch, 9. Januar 2013

Das Geheimnis der Menschwerdung Jesu

Liebe Brüder und Schwestern!

In dieser Weihnachtszeit verweilen wir noch einmal bei dem großen Geheimnis Gottes, der vom Himmel herabgekommen ist, um unser Fleisch anzunehmen. In Jesus ist Gott Fleisch geworden, ist er Mensch geworden wie wir und hat uns so den Weg zum Himmel, zur vollen Gemeinschaft mit ihm geöffnet.

In diesen Tagen ist in unseren Kirchen mehrmals der Begriff »Menschwerdung« Gottes erklungen, um die Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen, die wir an Weihnachten feiern: Der Sohn Gottes ist Mensch geworden, wie wir im Credo sagen. Aber was bedeutet dieses für den christlichen Glauben zentrale Wort? »Menschwerdung« entspricht dem lateinischen »incarnatio«. Der hl. Ignatius von Antiochien – Ende des Ersten Jahrhunderts – und vor allem der hl. Irenäus haben diesen Begriff gebraucht, als sie über den Prolog des Johannesevangeliums nachdachten, besonders über den Ausdruck: »Das Wort ist Fleisch geworden« (Joh 1,14). Hier verweist das Wort »Fleisch«, dem hebräischen Sprachgebrauch gemäß, auf den Menschen in seiner Ganzheit, den ganzen Menschen, aber gerade unter dem Aspekt seiner Hinfälligkeit und Zeitlichkeit, seiner Armseligkeit und Vergänglichkeit. Es besagt, daß das Heil, das von dem Gott gebracht wurde, der in Jesus von Nazaret Mensch gewordenen ist, den Menschen in seiner konkreten Wirklichkeit und in jeder Situation, in der er sich befindet, berührt. Gott hat die Menschennatur angenommen, um sie von allem zu heilen, was sie von ihm trennt, damit wir ihn in seinem eingeborenen Sohn »Abba, Vater« nennen und wirklich Kinder Gottes sein können. »Dazu ist das Wort Gottes Mensch geworden und der Sohn Gottes zum Menschensohn, damit der Mensch das Wort in sich aufnehme und, an Kindesstatt angenommen, zum Sohn Gottes werde« (Adversus haereses, 3,19,1: PG 7,939; vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 460).

»Das Wort ist Fleisch geworden« ist eine jener Wahrheiten, an die wir uns so sehr gewöhnt haben, daß uns die Größe des Ereignisses, das darin zum Ausdruck kommt, fast nicht mehr berührt. Und tatsächlich wird jetzt in der Weihnachtszeit, in der dieser Ausdruck häufig in der Liturgie wiederkehrt, manchmal mehr auf die äußerlichen Aspekte, auf die »Farben« des Festes, geachtet als auf das Herzstück der großen christlichen Neuheit, die wir feiern: etwas absolut Undenkbares, das nur Gott wirken konnte, und in das wir nur mit dem Glauben eintreten können. Der »Logos«, der bei Gott ist, der »Logos«, der Gott ist, der Schöpfer der Welt (vgl.Joh 1,1), durch den alles geschaffen wurde (vgl. 1,3), der die Menschen in der Geschichte mit seinem Licht begleitet hat und begleitet (vgl. 1,4–5; 1,9), wird einer unter den anderen, wohnt unter uns, wird einer von uns (vgl.1,14). Das Zweite Vatikanische Konzil sagt über den Sohn Gottes: »Mit Menschenhänden hat er gearbeitet, mit menschlichem Geist gedacht, mit einem menschlichen Willen hat er gehandelt, mit einem menschlichen Herzen geliebt. Geboren aus Maria, der Jungfrau, ist er in Wahrheit einer aus uns geworden, in allem uns gleich außer der Sünde« (Konstitution Gaudium et spes, 22). Es ist also wichtig, das Staunen vor diesem Geheimnis wiederzuerlangen, uns von der Größe dieses Ereignisses ergreifen zu lassen: Gott, der wahre Gott, der Schöpfer aller Dinge, ist als Mensch durch unsere Straßen gegangen, ist in die Zeit des Menschen eingetreten, um uns sein Leben mitzuteilen (vgl. 1 Joh 1,1–4). Und er hat es nicht mit dem Glanz eines Herrschers getan, der mit seiner Macht die Welt unterwirft, sondern mit der Demut eines Kindes.

Ich möchte ein zweites Element hervorheben. An Weihnachten tauscht man gewöhnlich mit nahestehenden Personen Geschenke aus. Es kann manchmal eine konventionelle Geste sein, aber im allgemeinen bringt es Zuneigung zum Ausdruck, ist es ein Zeichen der Liebe und der  Wertschätzung. Im Gabengebet der Christmette am Hochfest der Geburt des Herrn betet die Kirche so: »Allmächtiger Gott, in dieser heiligen Nacht bringen wir dir unsere Gaben dar. Nimm sie an und gib, daß wir durch den wunderbaren Tausch deinem Sohn gleichgestaltet werden, in dem unsere menschliche Natur mit deinem göttlichen Wesen vereint ist.« Der Gedanke des Gabentausches steht also im Mittelpunkt der Liturgie und bringt uns das ursprüngliche Weihnachtsgeschenk zu Bewußtsein: In jener heiligen Nacht ist Gott Fleisch geworden und hat sich den Menschen zum Geschenk gemacht, hat sich selbst für uns hingeschenkt; Gott hat uns seinen einzigen Sohn zum Geschenk gemacht, hat unsere Menschennatur angenommen, um uns seine göttliche Natur zu schenken. Das ist das große Geschenk. Auch bei unserem Schenken ist es nicht wichtig, ob ein Geschenk teuer ist oder nicht; wer nicht in der Lage ist, etwas von sich selbst zu schenken, schenkt immer zu wenig. Manchmal wird sogar versucht, das Herz und das Bemühen um Selbsthingabe durch Geld, durch materielle Dinge zu ersetzen. Das Geheimnis der Menschwerdung weist darauf hin, daß Gott es nicht so gemacht hat: Er hat nicht etwas geschenkt, sondern er hat sich selbst in seinem eingeborenen Sohn hingeschenkt. Hier finden wir das Vorbild für unser Schenken, damit unsere Beziehungen, besonders die wichtigsten, von der Unentgeltlichkeit der Liebe gelenkt sein mögen.

Ich möchte eine dritte Reflexion anbieten: Die Tatsache der Menschwerdung, daß Gott ein Mensch wird wie wir, zeigt uns den unerhörten Realismus der göttlichen Liebe. Denn Gottes Handeln ist nicht auf Worte beschränkt; wir könnten sogar sagen, daß er sich nicht damit begnügt zu sprechen, sondern in unsere Geschichte eintritt und die Mühe und Last des menschlichen Lebens auf sich nimmt. Der Sohn Gottes ist wirklich Mensch geworden, ist von der Jungfrau Maria geboren, in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort, in Betlehem während der Herrschaft des Kaisers Augustus, unter dem Statthalter Quirinius (vgl. Lk 2,1–2); er ist in einer Familie aufgewachsen, hatte Freunde, hat eine Gruppe von Jüngern gebildet, hat die Apostel gelehrt, seine Sendung fortzusetzen, hat den Lauf seines irdischen Lebens am Kreuz beendet.

Diese Vorgehensweise Gottes ist ein starker Ansporn, über den Realismus unseres Glaubens nachzudenken, der nicht auf die Sphäre des Gefühls, der Emotionen beschränkt sein darf, sondern in unser konkretes Dasein eintreten, das heißt unser tägliches Leben berühren und es auch praktisch ausrichten muß. Gott hat nicht bei Worten haltgemacht, sondern hat uns gezeigt, wie wir leben sollen, indem er unsere Erfahrung mit uns geteilt hat, ausgenommen die Sünde. Der Katechismus des hl. Pius X., den einige von uns als Jugendliche gelernt haben, gibt in seiner Wesentlichkeit auf die Frage: »Was müssen wir tun, um nach dem Willen Gottes zu leben?«, diese Antwort: »Um nach dem Willen Gottes zu leben, müssen wir die von ihm offenbarten Wahrheiten glauben und seine Gebote halten mit dem Beistand seiner Gnade, die man durch die Sakramente und das Gebet erlangt.« Der Glaube hat einen grundlegenden Aspekt, der nicht nur den Verstand und das Herz betrifft, sondern unser ganzes Leben.

Ein letztes Element unterbreite ich eurer Reflexion. Der hl. Johannes sagt, daß das Wort, der »Logos«, von Anfang an bei Gott war, und daß alles durch das Wort geworden ist, und ohne es nichts wurde, was geworden ist (vgl. Joh 1,1–3). Der Evangelist nimmt deutlichen Bezug auf den Schöpfungsbericht, der in den ersten Kapiteln des Buches Genesis zu finden ist, und liest ihn neu im Licht Christi. Dies ist ein Grundkriterium bei der christlichen Auslegung der Bibel: Das Alte und das Neue Testament müssen immer zusammen gelesen werden, und vom Neuen her erschließt sich auch der tiefere Sinn des Alten. Dasselbe Wort, das immer bei Gott war, das selbst Gott ist und durch das und auf das hin alles geschaffen wurde (vgl. Kol 1,16–17), ist Mensch geworden: Der ewige und unendliche Gott ist in die menschliche Endlichkeit eingetreten, in sein Geschöpf, um den Menschen und die gesamte Schöpfung zu ihm zurückzuführen. Der Katechismus der Katholischen Kirche sagt: »Die erste Schöpfung findet ihren Sinn und Höhepunkt in der Neuschöpfung in Christus, welche die erste an Glanz übertrifft« (Nr. 349).

Die Kirchenväter haben Jesus Adam gegenübergestellt und ihn sogar als »zweiten Adam« oder endgültigen Adam bezeichnet, das vollkommene Abbild Gottes. Durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes geschieht eine neue Schöpfung, die die vollständige Antwort auf die Frage gibt: »Wer ist der Mensch?« Nur in Jesus offenbart sich in ganzer Fülle der Plan Gottes für den Menschen: Er ist der endgültige Mensch nach dem Willen Gottes. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt es mit Nachdruck: »Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf… Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung« (Konstitution Gaudium et spes, 22; vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 359). In jenem Kind, dem Sohn Gottes, das wir an Weihnachten betend betrachten, können wir das wahre Antlitz nicht nur Gottes, sondern das wahre Antlitz des Menschen erkennen; und nur wenn wir uns dem Wirken seiner Gnade öffnen und jeden Tag versuchen, ihm nachzufolgen, verwirklichen wir den Plan Gottes für uns, für einen jeden von uns.

Liebe Freunde, in dieser Zeit denken wir über den großen und wunderbaren Reichtum des Geheimnisses der Menschwerdung nach, um uns vom Herrn erleuchten und immer mehr verwandeln zu lassen nach dem Bild seines Sohnes, der für uns Mensch geworden ist.


Mittwoch, 16. Januar 2013

Jesus Christus,
“Mittler und Fülle der ganzen Offenbarung”

Liebe Brüder und Schwestern!

Das Zweite Vatikanische Konzil sagt in der Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum , daß die innere Wahrheit der ganzen Offenbarung Gottes für uns »in Christus« aufleuchtet, »der zugleich der Mittler und die Fülle der ganzen Offenbarung ist« (Nr. 2). Das Alte Testament erzählt uns, daß Gott nach der Schöpfung trotz der Erbsünde, trotz der Anmaßung des Menschen, sich an den Platz seines Schöpfers stellen zu wollen, erneut die Möglichkeit seiner Freundschaft anbietet, vor allem durch den Bund mit Abraham und den Weg eines kleinen Volkes, des Volkes Israel, das er nicht nach Kriterien irdischer Macht, sondern einfach aus Liebe erwählt.

Es ist eine Erwählung, die ein Geheimnis bleibt und den Stil Gottes offenbart, der einige beruft – nicht um andere auszuschließen, sondern damit sie eine Brücke seien, die zu ihm führt: Erwählung ist stets Erwählung für den anderen. In der Geschichte des Volkes Israel können wir die Etappen eines langen Weges verfolgen, auf dem Gott sich zu erkennen gibt, sich offenbart, mit Worten und Taten in die Geschichte eintritt. Für dieses Werk bedient er sich verschiedener Mittler wie Mose, der Propheten, der Richter, die dem Volk seinen Willen kundtun, die Notwendigkeit der Treue zum Bund in Erinnerung rufen und die Erwartung der vollen und endgültigen Verwirklichung der göttlichen Verheißung wachhalten.

Und eben die Verwirklichung dieser Verheißungen haben wir an Weihnachten betrachtet: Die Offenbarung Gottes gelangt zu ihrem Höhepunkt, zu ihrer Fülle. In Jesus von Nazaret besucht Gott wirklich sein Volk, besucht die Menschheit in einer Weise, die alle Erwartungen übersteigt: Er sendet seinen eingeborenen Sohn; Gott selbst wird Mensch. Jesus sagt uns nicht etwas über Gott, er spricht nicht einfach über den Vater, sondern er ist die Offenbarung Gottes, weil er Gott ist, und offenbart uns so das Angesicht Gottes. Im Prolog seines Evangeliums schreibt der hl. Johannes: »Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht« (Joh 1,18).

Ich möchte bei dieser »Offenbarung von Gottes Angesicht« verweilen. In diesem Zusammenhang gibt der hl. Johannes in seinem Evangelium eine aufschlußreiche Begebenheit wieder, die wir gerade gehört haben. Als das Leiden näher rückt, beruhigt Jesus seine Jünger, indem er sie auffordert, keine Angst zu haben und zu glauben; dann beginnt er ein Gespräch mit ihnen, in dem er über Gott, den Vater, spricht (vgl. Joh 14,2–9). An einem bestimmten Punkt bittet der Apostel Philippus Jesus: »Herr, zeig uns den Vater, das genügt uns« (Joh 14,8). Philippus ist sehr praktisch und konkret, er sagt auch das, was wir sagen wollen: »Wir wollen sehen, zeig uns den Vater.« Er bittet darum, den Vater zu »sehen«, sein Angesicht zu sehen. Die Antwort Jesu ist nicht nur eine Antwort für Philippus, sondern auch für uns und führt uns mitten in den christologischen Glauben hinein; der Herr sagt: »Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen« (Joh 14,9). In diesem Ausdruck ist zusammenfassend die Neuheit des Neuen Testaments enthalten, jene Neuheit, die in der Grotte von Betlehem erschienen ist: Man kann Gott sehen, Gott hat sein Angesicht offenbart, er ist sichtbar in Jesus Christus.

Im ganzen Alten Testament ist das Thema der »Suche nach Gottes Angesicht« vorhanden, der Wunsch, dieses Gesicht kennenzulernen, der Wunsch, Gott so zu sehen wie er ist. Der hebräische Begriff »pānîm«, der »Gesicht« bedeutet, kommt etwa 400 Mal vor, und 100 Mal davon ist er auf Gott bezogen: 100 Mal wird Bezug genommen auf Gott, will man das Angesicht Gottes sehen. Die jüdische Religion verbietet jedoch Bilder völlig, denn man kann Gott nicht darstellen, wie die Nachbarvölker es mit dem Götzenkult taten; durch dieses Bilderverbot scheint das Alte Testament das »Sehen« also völlig vom Gottesdienst und von der Frömmigkeit auszuschließen. Was bedeutet es also für den frommen Israeliten, trotzdem nach dem Angesicht Gottes zu suchen, im Bewußtsein, daß es kein Bild geben kann? Die Frage ist wichtig: Einerseits will man sagen, daß Gott nicht auf einen Gegenstand reduziert werden kann, wie ein Bild, das man in die Hand nimmt, und man auch nichts an die Stelle von Gott setzen kann; andererseits sagt man jedoch, daß Gott ein Gesicht hat, er also ein »Du« ist, das in Beziehung treten kann, daß er nicht in seinen Himmel verschlossen ist und von oben auf die Menschheit herabblickt. Sicher steht Gott über allen Dingen, aber er wendet sich uns zu, er hört uns, er sieht uns, er spricht, er schließt einen Bund, er ist fähig zu lieben. Die Heilsgeschichte ist die Geschichte Gottes mit der Menschheit, sie ist die Geschichte dieser Beziehung Gottes, der sich dem Menschen allmählich offenbart, der sich selbst, sein Gesicht zu erkennen gibt.

Zum Jahresbeginn, am 1. Januar, haben wir in der Liturgie das wunderschöne Segensgebet über das Volk gehört: »Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil« (Num 6,24–26). Der Glanz des göttlichen Angesichts ist die Quelle des Lebens, er gestattet es, die Wirklichkeit zu sehen; das Leuchten seines Angesichts ist es, was das Leben leitet. Im Alten Testament gibt es eine Gestalt, mit der das Thema des »Angesichts Gottes« auf ganz besondere Weise verbunden ist; es handelt sich um Mose, den Gott erwählt, um sein Volk aus der Knechtschaft in Ägypten zu befreien, ihm das Gesetz des Bundes zu schenken und es zum Gelobten Land zu führen. Im 33. Kapitel des Buches Exodus heißt es dann auch, daß Mose eine enge und vertrauensvolle Beziehung zu Gott hatte: »Der Herr und Mose redeten miteinander Auge in Auge, wie Menschen miteinander reden.« Kraft dieses Vertrauens bittet Mose Gott: »Laß mich doch deine Herrlichkeit sehen!«, und Gott gibt eine klare Antwort: »Ich will meine ganze Schönheit vor dir vorüberziehen lassen und den Namen des Herrn vor dir ausrufen … Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben …Hier, diese Stelle da! … Du wirst meinen Rücken sehen. Mein Angesicht aber kann niemand sehen« (V. 18–23).

Einerseits gibt es also das direkte Zwiegespräch wie zwischen Freunden, aber andererseits ist es in diesem Leben unmöglich, das Angesicht Gottes zu sehen, das verborgen bleibt; das Sehen ist begrenzt. Die Kirchenväter sagen, daß die Worte: »Du kannst nur meinen Rücken sehen «, bedeuten: Du kannst nur Christus nachfolgen, und wenn du ihm nachfolgst, siehst du vom Rücken her das Geheimnis Gottes; man kann Gott nachfolgen, wenn man seinen Rücken sieht. Etwas völlig Neues geschieht jedoch mit der Menschwerdung. Die Suche nach dem Angesicht Gottes erfährt eine unvorstellbare Wende, denn dieses Gesicht kann man jetzt sehen: Es ist das Gesicht Jesu, des Sohnes Gottes, der Mensch wird. In ihm kommt der Weg der Offenbarung Gottes, der mit der Berufung Abrahams begonnen hat, zur Erfüllung, er ist die Fülle dieser Offenbarung, weil er der Sohn Gottes ist und zugleich »der Mittler und die Fülle der ganzen Offenbarung« (Dogmatische Konstitution Dei Verbum, 2), in ihm sind der Inhalt der Offenbarung und der Offenbarer eins. Jesus zeigt uns das Angesicht Gottes und macht uns den Namen Gottes bekannt. Im Hohepriesterlichen Gebet beim Letzten Abendmahl sagt er zum Vater: »Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart … Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht« (Joh 17,6.26).

Der Ausdruck »Name Gottes« steht für Gott als der bei den Menschen Gegenwärtige. Gott hatte Mose beim brennenden Dornbusch seinen Namen offenbart, hatte sich also anrufbar gemacht, hatte ein konkretes Zeichen seines »Daseins« bei den Menschen gegeben. All das findet in Jesus Erfüllung und Fülle: Er führt die Gegenwart Gottes auf neue Weise in die Geschichte ein, denn wer ihn gesehen hat, hat den Vater gesehen, wie er zu Philippus sagt (vgl. Joh 14,9). Das Christentum – sagt der hl. Bernhard – ist die »Religion des Wortes Gottes«; jedoch nicht »eines geschriebenen und stummen Wortes, sondern des fleischgewordenen und lebendigen Wortes« (Hom. Super missus est, 11: PL 183,86B). In der patristischen und mittelalterlichen Überlieferung wird eine besondere Formulierung gebraucht, um diese Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen: Man sagt, Jesus sei das »Verbum abbreviatum« (vgl. Röm 9,28, mit Bezug auf Jes 10,23), das verkürzte Wort, das kurze, abgekürzte und wesentliche Wort des Vaters, das uns alles über ihn gesagt hat. In Jesus ist das ganze Wort gegenwärtig. In Jesus findet auch die Mittlerschaft zwischen Gott und dem Menschen ihre Erfüllung.

Im Alten Testament gibt es eine Reihe von Gestalten, die diese Funktion ausgeübt haben, insbesondere Mose, der Befreier, der Leiter, der »Mittler« des Bundes, wie ihn auch das Neue Testament bezeichnet (vgl. Gal 3,19; Apg 7,35; Joh 1,17). Jesus, wahrer Gott und wahrer Mensch, ist nicht einfach nur einer der Mittler zwischen Gott und den Menschen, sondern er ist »der Mittler « des neuen und ewigen Bundes (vgl. Hebr 8,6; 9,15; 12,24). »Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus« (1 Tim2,5; vgl. Gal 3,19–20), sagt Paulus. In Jesus sehen wir den Vater und begegnen ihm; in ihm können wir Gott mit dem Namen »Abba, Vater« anrufen; in ihm wird uns das Heil geschenkt.

Der Wunsch, Gott wirklich kennenzulernen, also das Angesicht Gottes zu sehen, wohnt jedem Menschen inne, auch den Atheisten. Und wir haben vielleicht unbewußt diesen Wunsch, einfach zu sehen, wer er ist, was er ist, wer er für uns ist. Dieser Wunsch wird jedoch verwirklicht, indem wir Christus nachfolgen. So sehen wir den Rücken und sehen am Ende auch Gott als Freund, sein Angesicht im Angesicht Christi. Wichtig ist, daß wir Christus nicht nur in dem Augenblick nachfolgen, in dem wir ihn brauchen, und wenn wir in unseren täglichen Beschäftigungen Raum finden, sondern mit unserem Leben als solchem. Unser ganzes Dasein muß auf die Begegnung mit Jesus Christus, auf die Liebe zu ihm ausgerichtet sein; und in ihr muß die Nächstenliebe einen zentralen Platz einnehmen: jene Liebe, die uns im Licht des Gekreuzigten das Angesicht Jesu im Armen, im Schwachen, im Leidenden erkennen läßt. Das ist nur dann möglich, wenn das wahre Gesicht Jesu uns im Hören auf sein Wort, im inneren Zwiegespräch, im Eintreten in dieses Wort vertraut geworden ist, so daß wir ihm wirklich begegnen, und natürlich im Geheimnis der Eucharistie. Im Evangelium des hl. Lukas ist der Abschnitt der beiden Emmausjünger bedeutsam, die Jesus erkannten, als er das Brot brach – aber vorbereitet durch den gemeinsamen Weg mit ihm, vorbereitet durch die an ihn gerichtete Einladung, bei ihnen zu bleiben, vorbereitet durch  das Gespräch, das ihnen das Herz brennen ließ; so sehen sie am Ende Jesus. Auch für uns ist die Eucharistie die große Schule, in der wir lernen, das Angesicht Gottes zu sehen, in der wir in innige Beziehung zu ihm treten und gleichzeitig lernen, den Blick auf das Ende der Geschichte zu richten, wenn er uns mit dem Licht seines Angesichts sättigen wird. Auf Erden gehen wir auf diese Fülle zu, in der freudigen Erwartung, daß das Reich Gottes wirklich kommen möge. Danke.


Mittwoch, 23. Januar 2013

„Ich glaube an Gott“

Liebe Brüder und Schwestern!

In diesem Jahr des Glaubens möchte ich heute beginnen, mit euch über das Credo nachzudenken, über das feierliche Glaubensbekenntnis, das unser Leben als Gläubige begleitet. Das Credo beginnt so: »Ich glaube an Gott«. Es ist eine grundlegende Aussage, scheinbar einfach in ihrer Wesentlichkeit, die jedoch zur unendlichen Welt der Beziehung zum Herrn und zu seinem Geheimnis hin öffnet. An Gott glauben bedeutet Treue zu ihm, Annahme seines Wortes und freudigen Gehorsam gegenüber seiner Offenbarung, wie der Katechismus der Katholischen Kirche lehrt: »Der Glaube ist ein persönlicher Akt: die freie Antwort des Menschen auf die Einladung des sich offenbarenden Gottes« (Nr. 166). Sagen zu können, an Gott zu glauben, ist also gleichzeitig Geschenk – Gott offenbart sich, kommt uns entgegen – und Aufgabe, es ist göttliche Gnade und menschliche Verantwortung, in einer Erfahrung des Dialogs mit Gott, der aus Liebe »die Menschen anredet wie Freunde« (vgl. Dei Verbum, 2), der zu uns spricht, damit wir im Glauben und durch den Glauben in Gemeinschaft treten können mit ihm.

Wo können wir Gott und sein Wort hören? Grundlegend ist die Heilige Schrift, in der das Wort Gottes für uns hörbar wird und unser Leben als »Freunde« Gottes nährt. Die ganze Bibel berichtet davon, wie Gott sich der Menschheit offenbart; die ganze Bibel spricht vom Glauben und lehrt uns den Glauben, indem sie uns die Geschichte erzählt, wie Gott seinen Erlösungsplan verwirklicht und uns Menschen nahe ist durch viele leuchtende Gestalten: durch Menschen, die an ihn glauben und sich ihm anvertrauen, bis zur Fülle der Offenbarung im Herrn Jesus Christus. Sehr schön ist in diesem Zusammenhang das 11. Kapitel des Hebräerbriefes, das wir soeben gehört haben. Hier ist vom Glauben die Rede, und die großen biblischen Gestalten, die ihn gelebt haben und Vorbilder für alle Glaubenden geworden sind, werden ins Licht gerückt. Im ersten Vers des Textes heißt es: »Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht« (11,1). Die Augen des Glaubens sind also fähig, das Unsichtbare zu sehen, und das Herz des Gläubigen kann hoffen gegen alle Hoffnung, genau wie Abraham, von dem Paulus im Brief an die Römer sagt: »Gegen alle Hoffnung hat er voll Hoffnung geglaubt« (4,18).

Und bei Abraham möchte ich verweilen und unsere Aufmerksamkeit auf ihn richten, denn er ist die erste große Gestalt, auf die man Bezug nehmen kann, um über den Glauben an Gott zu sprechen: Abraham, der große Erzvater, das beispielhafte Vorbild, Vater aller Glaubenden (vgl. Röm 4,11–12). Der Hebräerbrief stellt ihn so vor: »Aufgrund des Glaubens gehorchte Abraham dem Ruf, wegzuziehen in ein Land, das er zum Erbe erhalten sollte; und er zog weg, ohne zu wissen, wohin er kommen würde. Aufgrund des Glaubens hielt er sich als Fremder im verheißenen Land wie in einem fremden Land auf und wohnte mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung, in Zelten; denn er erwartete die Stadt mit den festen Grundmauern, die Gott selbst geplant und gebaut hat« (11,8–10).

Der Autor des Hebräerbriefes bezieht sich hier auf die Berufung Abrahams, von der im Buch Genesis berichtet wird, dem ersten Buch der Bibel. Was verlangt Gott von diesem Erzvater? Er fordert ihn auf, aufzubrechen und sein eigenes Land zu verlassen, um in das Land zu ziehen, das er ihm zeigen wird: »Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in ein Land, das ich dir zeigen werde« (Gen 12,1). Wie hätten wir auf eine solche Aufforderung geantwortet? Es handelt sich nämlich um einen Aufbruch ins Dunkel, ohne zu wissen, wohin Gott ihn führen wird; es ist ein Weg, der radikalen Gehorsam und radikales Vertrauen erfordert, zu denen nur der Glaube Zugang gewährt. Aber das Dunkel des Unbekannten – wo Abraham hingehen soll – wird vom Licht einer Verheißung erhellt; Gott fügt der Weisung ein beruhigendes Wort hinzu, das vor Abraham eine Zukunft des Lebens in Fülle öffnet: »Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen … Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen« (Gen 12,2.3).

In der Heiligen Schrift ist der Segen in erster Linie mit dem Geschenk des Lebens verbunden, das von Gott kommt und sich vor allem in der Fruchtbarkeit zeigt, in einem Leben, das sich vermehrt, das von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Und mit dem Segen ist auch die Erfahrung des Besitzes von Land verbunden, eines festen Ortes, an dem man in Freiheit und Sicherheit leben und wachsen kann und in Gottesfurcht eine Gesellschaft von Menschen aufbaut, die dem Bund treu sind, »ein Reich von Priestern … und ein heiliges Volk« (Ex 19,6).

Daher ist Abraham im göttlichen Plan dazu bestimmt, »Stammvater einer Menge von Völkern « (Gen 17,5; vgl. Röm 4,17–18) zu werden und in ein neues Land zu ziehen, in dem er wohnen soll. Sara, seine Ehefrau, ist jedoch unfruchtbar, sie kann keine Kinder bekommen; und das Land, in das Gott ihn führt, ist fern von seiner Heimat, ist schon von anderen Völkern bewohnt und wird ihm nie wirklich gehören. Der biblische Erzähler hebt dies hervor, wenngleich sehr zurückhaltend: »Die Kanaaniter waren damals im Land« (Gen 12,6), als Abraham an den von Gott verheißenen Ort kommt. Das Land, das Gott Abraham schenkt, gehört ihm nicht, er ist ein Fremder und wird es immer bleiben, mit allem, was dies mit sich bringt: kein Besitzstreben zu haben, immer die eigene Armut zu spüren, alles als Geschenk zu betrachten.

Das ist auch die geistliche Verfassung dessen, der sich entscheidet, dem Herrn nachzufolgen, der sich entschließt aufzubrechen und seinen Ruf anzunehmen, im Zeichen seines unsichtbaren, aber mächtigen Segens. Und Abraham, der »Vater der Glaubenden«, nimmt diesen Ruf im Glauben an. Der hl. Paulus schreibt im Brief an die Römer: »Gegen alle Hoffnung hat er voll Hoffnung geglaubt, daß er der Vater vieler Völker werde, nach dem Wort: So zahlreich werden deine Nachkommen sein. Ohne im Glauben schwach zu werden, war er, der fast Hundertjährige, sich bewußt, daß sein Leib und auch Saras Mutterschoß erstorben waren. Er zweifelte nicht im Unglauben an der Verheißung Gottes, sondern wurde stark im Glauben und er erwies Gott Ehre, fest davon überzeugt, daß Gott die Macht besitzt zu tun, was er verheißen hat« (Röm 4,18–21).

Der Glaube bringt Abraham dazu, einen paradoxen Weg zu beschreiten. Er wird gesegnet sein, aber ohne sichtbare Zeichen des Segens: Er empfängt die Verheißung, ein großes Volk zu werden, aber mit einem Leben, das von der Unfruchtbarkeit seiner Ehefrau Sara geprägt ist; er wird in eine neue Heimat geführt, muß dort jedoch als Fremder leben; und der einzige Landbesitz, der ihm gewährt wird, ist ein Stück Land, auf dem er Sara bestatten kann (vgl. Gen 23,1–20). Abraham ist gesegnet, weil er im Glauben den göttlichen Segen erkennt, indem er über den Anschein hinausgeht, auf die Gegenwart Gottes vertraut, auch wenn seine Wege ihm geheimnisvoll erscheinen. Was bedeutet das für uns? Wenn wir sagen: »Ich glaube an Gott«, dann sagen wir wie Abraham: »Ich vertraue dir; ich vertraue mich dir an, Herr« – aber nicht wie zu jemandem, an den man sich nur in schwierigen Augenblicken wendet oder dem man einige Augenblicke des Tages oder der Woche widmet. Zu sagen: »Ich glaube an Gott«, bedeutet, mein Leben auf ihn zu gründen, zuzulassen, daß sein Wort meinem Leben jeden Tag, in den konkreten Entscheidungen Orientierung gibt, ohne Angst, etwas von mir selbst zu verlieren. Wenn im Taufritus dreimal gefragt wird: »Glaubt ihr?« – an Gott, an Jesus Christus, an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche und die anderen Glaubenswahrheiten, dann steht die dreifache Antwort im Singular: »Ich glaube«, weil es mein persönliches Dasein ist, das durch das Geschenk des Glaubens eine Wende erfahren muß; es ist mein Leben, das sich ändern, sich bekehren muß. Jedesmal, wenn wir an einer Taufe teilnehmen, sollten wir uns fragen, wie wir täglich das große Geschenk des Glaubens leben.

Abraham, der Glaubende, lehrt uns den Glauben; und als Fremder auf Erden weist er uns die wahre Heimat. Der Glaube macht uns zu Pilgern auf Erden, eingefügt in die Welt und in die Geschichte, aber auf dem Weg zum himmlischen Vaterland. An Gott zu glauben macht uns also zu Trägern von Werten, die oft nicht mit der Mode und der Meinung des Augenblicks übereinstimmen; es verlangt von uns, Kriterien und Verhaltensweisen anzunehmen, die nicht zum allgemein verbreiteten Denken gehören. Der Christ darf keine Furcht haben, »gegen den Strom zu schwimmen«, um den eigenen Glauben zu leben, und muß der Versuchung widerstehen, sich »anzupassen «. In vielen unserer Gesellschaften ist Gott der »große Abwesende«, und an seiner Stelle stehen viele Götzen, sehr verschiedene Götzen, vor allem der Besitz und das autonome »Ich«. Und auch die beachtlichen und positiven Fortschritte von Wissenschaft und Technik haben den Menschen zur Illusion der Allmacht und der Unabhängigkeit verleitet, und eine wachsende Egozentrik hat nicht wenig Ungleichgewicht in den zwischenmenschlichen Beziehungen und im Sozialverhalten geschaffen.

Dennoch ist das Verlangen nach Gott (vgl. Ps 63,2) nicht ausgelöscht, und die Botschaft des Evangeliums hallt auch weiterhin in den Worten und Werken vieler gläubiger Männer und Frauen wider. Abraham, der Vater der Glaubenden, ist auch weiterhin der Vater vieler Kinder, die auf seinen Spuren wandeln und sich auf den Weg machen, im Gehorsam gegenüber der göttlichen Berufung, im Vertrauen auf die gütige Gegenwart des Herrn und in der Annahme seines Segens, um zum Segen für alle zu werden. Es ist die vom Glauben gesegnete Welt, zu der wir berufen sind, um furchtlos Jesus Christus, dem Herrn, nachzufolgen. Und manchmal ist es ein schwieriger Weg, der auch Prüfung und Tod kennt, jedoch zum Leben hin öffnet, in einer radikalen Verwandlung der Wirklichkeit, die nur die Augen des Glaubens sehen und in Fülle genießen können. Zu sagen: »Ich glaube an Gott«, spornt uns also an aufzubrechen, beständig aus uns selbst herauszugehen, genau wie Abraham, um in die tägliche Wirklichkeit, in der wir leben, die Gewißheit zu bringen, die uns aus dem Glauben erwächst: die Gewißheit der Gegenwart Gottes in der Geschichte, auch heute; eine Gegenwart, die Leben und Heil bringt und die uns öffnet für eine Zukunft mit ihm und für eine Fülle des Lebens, das nie vergehen wird.


Mittwoch, 30. Januar 2013

Ich glaube an Gott: den Vater, den Allmächtigen

Liebe Brüder und Schwestern!

In der Katechese am letzten Mittwoch sind wir näher auf die Anfangsworte des Credo eingegangen:»Ich glaube an Gott«. Das Glaubensbekenntnis umschreibt diese Aussage jedoch genauer: Gott ist der Vater, der Allmächtige, der Schöpfer des Himmels und der Erde. Ich möchte also jetzt mit euch über die erste, grundlegende Definition nachdenken, die das Credo uns vorlegt: Er ist Vater.

Heute ist es nicht immer einfach, über Vaterschaft zu sprechen. Zerbrochene Familien, immer stärker beanspruchende berufliche Verpflichtungen, Sorgen und oft Mühe, die Haushaltsbilanz der Familie auszugleichen, das Eindringen der Massenmedien mit all ihren Ablenkungen in das tägliche Leben sind – vor allem in der westlichen Welt – einige der vielen Faktoren, die eine friedliche und konstruktive Beziehung zwischen Vätern und Kindern verhindern können. Die Kommunikation wird manchmal schwierig, das Vertrauen schwindet, und die Beziehung zur Gestalt des Vaters kann problematisch werden; und so wird es auch problematisch, sich Gott als Vater vorzustellen, wenn man keine angemessenen Bezugsmodelle hat. Wer Erfahrungen mit einem zu autoritären und unbeugsamen oder gleichgültigen und lieblosen oder sogar abwesenden Vater gemacht hat, für den ist es nicht einfach, mit innerem Frieden an Gott als Vater zu denken und sich ihm vertrauensvoll zu überlassen.

Die biblische Offenbarung hilft, diese Schwierigkeiten zu überwinden, indem sie zu uns von einem Gott spricht, der uns zeigt, was »Vater« sein wirklich bedeutet; und vor allem das Evangelium offenbart uns dieses Angesicht Gottes als Vater, der liebt – bis zur Hingabe des eigenen Sohnes für das Heil der Menschheit. Der Bezug auf die väterliche Gestalt hilft also, etwas von der Liebe Gottes zu verstehen, die jedoch unendlich viel größer, treuer, vollkommener ist als die irgendeines Menschen. Um den Jüngern das Angesicht des Vaters zu zeigen, sagt Jesus: »Ist einer unter euch, der seinem Sohn einen Stein gibt, wenn er um Brot bittet, oder eine Schlange, wenn er um einen Fisch bittet? Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten« (Mt 7,9–11; vgl. Lk 11,11–13). Gott ist unser Vater, weil er uns gesegnet hat und uns erwählt hat vor der Erschaffung der Welt (vgl. Eph 1,3–6), weil er uns wirklich zu seinen Kindern in Jesus gemacht hat (vgl. 1 Joh 3,1). Und als Vater begleitet Gott mit Liebe unser Dasein und schenkt uns sein Wort, seine Lehre, seine Gnade, seinen Geist.

Er ist – wie Jesus offenbart – der Vater, der die Vögel des Himmels nährt, ohne daß diese säen und ernten müssen, und die Blumen auf dem Feld in wunderbare Farben kleidet, in schönere Kleider als die des Königs Salomo (vgl. Mt 6,26 – 32; Lk 12,24–28); und wir – fügt Jesus hinzu – sind viel mehr wert als die Blumen und die Vögel des Himmels! Und wenn er so gut ist, daß er »seine Sonne aufgehen läßt über Bösen und Guten und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte « (vgl. Mt 5,45), können wir uns stets ohne Furcht und mit völligem Vertrauen seiner väterlichen Vergebung anvertrauen, wenn wir den falschen Weg einschlagen. Gott ist ein guter Vater, der den verlorenen und reuigen Sohn aufnimmt und umarmt (vgl. Lk 15,11 ff.), den Bittenden unentgeltlich schenkt (vgl. Mt 18,19; Mk 11,24; Joh 16,23) und das Brot vom Himmel gibt, das ewiges Leben schenkt (vgl. Joh 6,32.51.58). Der Beter des Psalms 27, von Feinden umringt, belagert von Frevlern und Verleumdern, kann daher, während er den Beistand des Herrn sucht und ihn anruft, voll Glauben Zeugnis geben und sagen: »Wenn mich auch Vater und Mutter verlassen, der Herr nimmt mich auf« (V. 10). Gott ist ein Vater, der seine Kinder nie verläßt, ein liebevoller Vater, der stützt, hilft, annimmt, vergibt, erlöst, mit einer Treue, die die menschliche Treue unendlich übersteigt, um sich zu Dimensionen der Ewigkeit hin zu öffnen. »Denn seine Huld währt ewig«, wiederholt Psalm 136, der die Heilsgeschichte durchläuft wie in einer Litanei nach jedem Vers. Die Liebe Gottes, des Vaters, läßt niemals nach, er wird unser nicht müde; es ist eine Liebe, die bis zum Äußersten gibt, bis zum Opfer des Sohnes. Der Glaube schenkt uns diese Gewißheit, die zum sicheren Fels im Aufbau unseres Lebens wird: Wir können allen Schwierigkeiten und Gefahren gegenübertreten, der Erfahrung der Dunkelheit der Krise und der Zeit des Schmerzes, gestützt vom Vertrauen, daß Gott uns nicht allein läßt und stets nahe ist, um uns zu erlösen und zum ewigen Leben zu führen.

Im Herrn Jesus zeigt sich in Fülle das gütige Gesicht des Vaters im Himmel. Wenn wir ihn kennen, können wir auch den Vater erkennen (vgl. Joh 8,19; 14,7), wenn wir ihn sehen, können wir den Vater sehen, denn er ist im Vater und der Vater ist in ihm (vgl.Joh 14,9.11). Er ist »das Ebenbild des unsichtbaren Gottes«, wie der Hymnus des Briefes an die Kolosser über ihn sagt, »der Erstgeborene der ganzen Schöpfung … der Erstgeborene der Toten«, »durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden«, und alles ist durch ihn versöhnt, »alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut« (vgl. Kol 1,13–20).

Der Glaube an Gott, den Vater, erfordert, an den Sohn zu glauben, unter dem Wirken des Heiligen Geistes, und im erlösenden Kreuz die endgültige Offenbarung der göttlichen Liebe zu erkennen. Gott ist unser Vater, da er uns seinen Sohn schenkt; Gott ist unser Vater, da er uns unsere Sünden vergibt und uns zur Freude des auferstandenen Lebens führt; Gott ist unser Vater, da er uns den Heiligen Geist schenkt, der uns zu Söhnen macht und uns erlaubt, ihn wahrhaft »Abba, Vater« zu nennen (vgl. Röm 8,15). Jesus lehrt uns daher beten, indem er uns einlädt zu sagen: »Unser Vater« (Mt 6,9–13; vgl. Lk 11,2–4). Gottes Vaterschaft ist also unendliche Liebe, Zärtlichkeit, die sich über uns schwache, in allem bedürftige Kinder niederbeugt. Psalm 103, der große Lobgesang auf die Barmherzigkeit Gottes, verkündet: »Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über alle, die ihn fürchten. Denn er weiß, was wir für Gebilde sind; er denkt daran: Wir sind nur Staub« (V. 13–14).

Gerade unsere Kleinheit, unsere schwache menschliche Natur, unsere Zerbrechlichkeit wird zum Appell an die Barmherzigkeit des Herrn, damit er seine Größe und Liebe als Vater zeige, indem er uns hilft, uns vergibt und uns erlöst. Und Gott antwortet auf unseren Appell, indem er seinen Sohn sendet, der für uns stirbt und aufersteht; er tritt in unsere Schwäche ein und wirkt das, was der Mensch von sich aus niemals hätte wirken können: Er nimmt die Sünde der Welt auf sich, wie ein unschuldiges Lamm, und öffnet uns wieder den Weg zur Gemeinschaft mit Gott, er macht uns zu wahren Kindern Gottes. Dort, im Ostergeheimnis, wird das endgültige Angesicht des Vaters in seinem ganzen Glanz offenbart. Und dort, am glorreichen Kreuz, erfolgt die volle Offenbarung der Größe Gottes als »der Vater, der Allmächtige«.

Wir könnten uns jedoch fragen: Wie ist es möglich, an einen allmächtigen Gott zu denken, wenn wir auf das Kreuz Christi schauen? Auf diese Macht des Bösen, die soweit geht, daß sie sogar den Sohn Gottes tötet? Gewiß hätten wir gern eine göttliche Allmacht nach unseren Denkschemata und unseren Wünschen: einen »allmächtigen « Gott, der unsere Probleme löst, der eingreift, um Schwierigkeiten für uns zu vermeiden, der die feindlichen Mächte besiegt, den Lauf der Ereignisse ändert und den Schmerz hinwegnimmt. So sagen manche Theologen heute, daß Gott nicht allmächtig sein kann, denn sonst könnte es nicht soviel Leiden, soviel Böses in der Welt geben. Für viele, für uns wird es tatsächlich problematisch, schwierig, angesichts des Bösen und des Leids an einen Gott als Vater zu glauben und zu glauben, daß er allmächtig ist; einige suchen Zuflucht in Götzen und geben der Versuchung nach, Antwort zu finden in einer angeblichen »magischen« Allmacht und ihren trügerischen Versprechungen.

Der Glaube an Gott, den Allmächtigen, drängt uns jedoch, ganz andere Wege zu beschreiten: verstehen zu lernen, daß Gottes Gedanken anders sind als unsere Gedanken, daß Gottes Wege anders sind als unsere Wege (vgl. Jes 55,8) und daß auch seine Allmacht anders ist. Sie kommt nicht als automatische oder willkürliche Kraft zum Ausdruck, sondern ist geprägt von einer liebevollen und väterlichen Freiheit. Indem Gott freie Geschöpfe geschaffen, Freiheit geschenkt hat, hat er tatsächlich auf einen Teil seiner Macht verzichtet und uns die Macht unserer Freiheit gibt. So liebt er und achtet die freie, liebevolle Antwort auf seinen Ruf. Als Vater möchte Gott, daß wir seine Kinder werden und als solche in seinem Sohn leben, in Gemeinschaft, in völliger Vertrautheit mit ihm. Seine Allmacht kommt nicht in der Gewalt zum Ausdruck, kommt nicht in der Zerstörung jeder feindlichen Macht zum Ausdruck, wie wir es wünschen, sondern kommt in der Liebe, in der Barmherzigkeit, in der Vergebung, in der Annahme unserer Freiheit und im unermüdlichen Appell an die Bekehrung des Herzens zum Ausdruck, in einer nur scheinbar schwachen Haltung – Gott scheint schwach zu sein, wenn wir an Jesus Christus denken, der betet, der sich töten läßt. Eine scheinbar schwache Haltung aus Geduld, Sanftmut und Liebe zeigt, daß dies die wahre Art ist, mächtig zu sein! Das ist die Macht Gottes! Und diese Macht wird siegen! Der Weise aus dem Buch der Weisheit wendet sich so an Gott: »Du hast mit allen Erbarmen, weil du alles vermagst, und siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie sich bekehren. Du liebst alles, was ist … Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens « (11,23–24a.26).

Nur wer wirklich mächtig ist, kann das Böse ertragen und sich als barmherzig erweisen; nur wer wirklich mächtig ist, kann die Kraft der Liebe in Fülle ausüben. Und Gott, dem alles gehört, weil alles von ihm erschaffen wurde, offenbart seine Kraft, indem er alles und alle liebt, in geduldiger Erwartung der Bekehrung von uns Menschen, die seine Kinder werden sollen. Gott wartet auf unsere Bekehrung. Die allmächtige Liebe Gottes kennt keine Grenzen, er hat sogar »seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben« (Röm 8,32). Die Allmacht der Liebe ist nicht die der Macht der Welt, sondern die der völligen Hingabe, und Jesus, der Sohn Gottes, offenbart der Welt die wahre Allmacht des Vaters, indem er sein Leben für uns Sünder hingibt. Das ist die wahre, echte und vollkommene göttliche Macht: Böses nicht mit Bösem zu vergelten, sondern mit Gutem, Beleidigungen mit Vergebung, tödlichen Hass mit lebenspendender Liebe. Dann ist das Böse wirklich besiegt, weil es durch die Liebe Gottes geläutert wurde; dann ist der Tod endgültig besiegt, weil er in das Geschenk des Lebens verwandelt wurde. Der Vater läßt den Sohn auferstehen: Der Tod, der große Feind (vgl. 1 Kor 15,26), ist verschlungen und seines Giftes beraubt (vgl. 1 Kor 15,54–55), und wir, von der Sünde befreit, haben Zugang zu unserer Wirklichkeit als Kinder Gottes.

Wenn wir also sagen: »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen«, dann bringen wir unseren Glauben an die Allmacht der Liebe Gottes zum Ausdruck, der in seinem gestorbenen und auferstandenen Sohn den Haß, das Böse, die Sünde besiegt und für uns das ewige Leben öffnet, das Leben als Kinder, die für immer im »Haus des Vaters« sein wollen. Zu sagen: »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen«, an seine Macht, ist immer ein Akt des Glaubens, der Bekehrung, der Verwandlung unseres Denkens, all unserer Zuneigung, unserer ganzen Lebensweise. Liebe Brüder und Schwestern, bitten wir den Herrn, unseren Glauben zu stützen, uns zu helfen, wirklich den Glauben zu finden und uns die Kraft zu schenken, den gekreuzigten und auferstandenen Christus zu verkündigen und ihn in der Liebe zu Gott und zum Nächsten zu bezeugen. Und möge Gott uns gewähren, das Geschenk unserer Kindschaft anzunehmen, um die Wirklichkeit des Credo in Fülle zu leben, in vertrauensvoller Hingabe an die Liebe des Vaters und seine barmherzige Allmacht, die die wahre Allmacht ist und die erlöst.


Mittwoch, 6. Februar 2013

Ich glaube an Gott:
den Schöpfer des Himmels, der Erde und der Menschen

Liebe Brüder und Schwestern!

Das Credo, das damit beginnt, daß Gott als »der Vater, der Allmächtige« bezeichnet wird – wir haben in der vergangenen Woche darüber nachgedacht –, fügt dann hinzu, daß er der »Schöpfer des Himmels und der Erde« ist und greift so die Aussage wieder auf, mit der die Bibel beginnt. Denn im ersten Vers der Heiligen Schrift ist zu lesen: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1): Gott ist der Ursprung aller Dinge, und in der Schönheit der Schöpfung entfaltet sich seine Allmacht als liebender Vater.

Gott offenbart sich als Vater in der Schöpfung, insofern er Ursprung des Lebens ist, und im Erschaffen zeigt er seine Allmacht. Die von der Heiligen Schrift in diesem Zusammenhang gebrauchten Bilder sind sehr eindrucksvoll (vgl. Jes 40,12; 45,18; 48,13; Ps104,2.5; 135,7; Spr 8,27– 29; Ijob 38–39). Als guter und mächtiger Vater trägt er Sorge für das, was er geschaffen hat, mit unvergänglicher Liebe und Treue, wie es wiederholt in den Psalmen heißt (vgl. Ps 57,11; 108,5; 36,6). So wird die Schöpfung zum Ort, an dem man die Allmacht des Herrn und seine Güte erkennen und anerkennen kann, und sie wird zum Appell an den Glauben von uns Gläubigen, Gott als Schöpfer zu verkündigen. Der Autor des Hebräerbriefes schreibt: »Aufgrund des Glaubens erkennen wir, daß die Welt durch Gottes Wort erschaffen worden und daß so aus Unsichtbarem das Sichtbare entstanden ist« (11,3). Der Glaube setzt also die Fähigkeit voraus, das Unsichtbare zu erkennen und seine Spur in der sichtbaren Welt zu entdecken. Der Glaubende kann das große Buch der Natur lesen und seine Sprache verstehen (vgl. Ps 19,2–5); es bedarf jedoch des Wortes der Offenbarung, das den Glauben weckt, damit der Mensch zum vollen Bewußtsein der Wirklichkeit Gottes als Schöpfer und Vater gelangen kann. Im Buch der Heiligen Schrift kann der menschliche Verstand im Licht des Glaubens den Schlüssel zum Verständnis der Welt finden. Einen besonderen Platz nimmt dabei das erste Kapitel des Buches Genesis ein, mit der feierlichen Verkündigung des göttlichen Schöpfungswerkes, das sich über sieben Tage erstreckt: In sechs Tagen vollendet Gott die Schöpfung, und am siebten Tag, dem Sabbat, beendet er alle Arbeit und ruht: Tag der Freiheit für alle, Tag der Gemeinschaft mit Gott. Und so, mit diesem Bild, zeigt uns das Buch Genesis, daß der erste Gedanke Gottes war, eine Liebe zu finden, die seiner Liebe entspricht. Der zweite Gedanke ist dann, eine materielle Welt zu erschaffen, in die er diese Liebe, diese Geschöpfe, die ihm in Freiheit antworten, hineinstellen kann. Diese Struktur hat zur Folge, daß der Text durch einige bedeutsame Wiederholungen unterteilt wird. Sechsmal wird beispielsweise der Satz wiederholt: »Gott sah, daß es gut war« (V. 4, 10, 12, 18, 21, 25), um beim siebten Mal, nach der Erschaffung des Menschen, zu schließen: »Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut« (V. 31). Alles, was Gott erschafft, ist schön und gut, von Weisheit und Liebe durchdrungen; Gottes Schöpferwirken bringt Ordnung, führt Harmonie ein, schenkt Schönheit. Aus dem Bericht der Genesis geht außerdem hervor, daß der Herr durch sein Wort erschafft: Zehnmal ist im Text der Ausdruck: »Gott sprach« (V. 3, 6, 9, 1, 4, 20, 26, 28, 29) zu lesen. Das Wort, der »Logos« Gottes, ist der Ursprung der Wirklichkeit der Welt, und wenn es heißt: »Gott sprach« – »so geschah es«, wird dadurch die Wirkkraft des göttlichen Wortes hervorgehoben. So sagt der Psalmist: »Durch das Wort des Herrn wurden die Himmel geschaffen, ihr ganzes Heer durch den Hauch seines Mundes … Denn der Herr sprach und sogleich geschah es; er gebot und alles war da« (33,6.9). Das Leben entsteht, die Welt existiert, weil alles dem göttlichen Wort gehorcht.

Aber heute stellen wir uns die Frage: Hat es in der Zeit von Wissenschaft und Technik noch Sinn, von Schöpfung zu reden? Wie sind die Erzählungen der Genesis zu verstehen? Die Bibel will kein Lehrbuch der Naturwissenschaften sein; sie will vielmehr die echte und tiefe Wahrheit der Dinge verstehen helfen. Die Grundwahrheit, die die Erzählungen der Genesis uns offenbaren, ist die, daß die Welt keine Gesamtheit aus entgegengesetzten Kräften ist, sondern daß sie ihren Ursprung und ihre Stabilität im »Logos« hat, in Gottes ewiger Vernunft, die auch weiterhin das Universum trägt. Es gibt einen Plan für die Welt, der aus dieser Vernunft, aus dem Schöpfergeist hervorgeht. Zu glauben, daß dieser allem zugrunde liegt, erleuchtet jeden Aspekt des Daseins und gibt Mut, das Abenteuer des Lebens mit Vertrauen und Hoffnung anzunehmen. Die Schrift sagt uns also, daß der Ursprung des Seins, der Welt, unser Ursprung nicht das Irrationale und die Notwendigkeit ist, sondern die Vernunft und die Liebe und die Freiheit. Daher die Alternative: entweder Priorität des Irrationalen, der Notwendigkeit oder Priorität der Vernunft, der Freiheit, der Liebe. Wir glauben, daß letzteres wahr ist.

Ich möchte jedoch auch ein Wort sagen über den, der die Krone der ganzen Schöpfung ist: über den Mann und die Frau, den Menschen. Er ist als einziger »fähig, seinen Schöpfer zu erkennen und zu lieben« (Pastorale Konstitution Gaudium et spes, 12). Der Psalmist betrachtet den Himmel und fragt sich: »Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst, des Menschen Kind, daß du sich seiner annimmst?« (8,4–5). Der Mensch, den Gott aus Liebe erschaffen hat, ist winzig klein vor der Unendlichkeit des Universums; manchmal haben auch wir fasziniert die enormen Weiten des Firmaments betrachtet und unsere Begrenztheit wahrgenommen. Dem Menschen wohnt dieser Widerspruch inne: Unsere Kleinheit und unsere Vergänglichkeit existieren zusammen mit der Größe dessen, was die ewige Liebe Gottes für uns gewollt hat.

Die Schöpfungsberichte im Buch Genesis führen uns auch in diesen geheimnisvollen Bereich ein und helfen uns, den Plan Gottes für den Menschen zu erkennen. Zunächst sagen sie, daß Gott den Menschen aus dem Staub der Erde formte (vgl. Gen 2,7). Das bedeutet, daß wir nicht Gott sind, daß wir uns nicht selbst gemacht haben, daß wir Erde sind; aber es bedeutet auch, daß wir von der guten Erde herkommen, durch das Werk des guten Schöpfers. Hinzu kommt eine weitere grundlegende Wirklichkeit: Alle Menschen sind Staub, über alle Unterscheidungen, die die Kultur und die Geschichte vorgenommen hat, über alle sozialen Unterschiede hinweg; wir sind eine einzige Menschheit, geformt aus der einen Erde Gottes. Dann gibt es noch ein zweites Element: Der Mensch entsteht, weil Gott den Lebensatem in den aus Erde geformten Leib bläst (vgl. Gen 2,7). Der Mensch ist als Gottes Abbild geschaffen, ihm ähnlich (vgl. Gen 1,26–27). Wir alle tragen also den Lebensatem Gottes in uns, und jedes menschliche Leben – das sagt uns die Bibel – steht unter dem besonderen Schutz Gottes. Das ist der tiefere Grund für die Unantastbarkeit der Würde des Menschen gegen jegliche Versuchung, die Person nach Kriterien der Nützlichkeit und der Macht zu bewerten. Gottes Abbild, ihm ähnlich sein, bedeutet außerdem, daß der Mensch nicht in sich selbst verschlossen ist, sondern einen wesentlichen Bezugspunkt in Gott hat.

In den ersten Kapiteln des Buches Genesis finden wir zwei vielsagende Bilder: den Garten mit dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse und die Schlange (vgl. 2,15–17; 3,1–5). Der Garten sagt uns, daß die Wirklichkeit, in die Gott den Menschen gestellt hat, kein wilder Urwald ist, sondern ein Ort, der schützt, nährt und erhält; und der Mensch darf die Welt nicht als Eigentum betrachten, das er plündern und ausbeuten kann, sondern er muß sie als Geschenk des Schöpfers betrachten, als Zeichen seines Heilswillens, als Geschenk, das er bebauen und behüten soll, das er respektvoll und harmonisch wachsen und sich entwickeln lassen muß, ihren Rhythmen und ihrer Logik entsprechend und nach dem Plan Gottes (vgl. Gen 2,8–15). Die Schlange wiederum ist eine Gestalt, die von den orientalischen Fruchtbarkeitskulten herkommt, die Israel faszinierten und eine ständige Versuchung darstellten, den geheimnisvollen Bund mit Gott zu verlassen. In diesem Licht stellt die Heilige Schrift die Versuchung, die Adam und Eva erfahren, als den Kern der Versuchung und der Sünde dar. Denn was sagt die Schlange? Sie verleugnet Gott nicht, sondern stellt eine heimtückische Frage: »Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?« (Gen 3,1). Auf diese Weise weckt die Schlange den Verdacht, daß der Bund mit Gott gleichsam ein fesselndes Band ist, das dem Menschen die Freiheit und die schönsten und kostbarsten Dinge des Lebens nimmt. Es regt sich die Versuchung, sich die Welt, in der man leben will, selbst zu schaffen, die Grenzen des Geschöpfseins, die Grenzen von Gut und Böse, der Moralität nicht anzunehmen; die Abhängigkeit von der Schöpferliebe Gottes wird als Last angesehen, von der man sich befreien muß. Das ist immer der Kern der Versuchung.

Wenn man jedoch die Beziehung zu Gott durch eine Lüge verfälscht, indem man sich an seine Stelle setzt, werden alle anderen Beziehungen dadurch entstellt. Der andere wird dann zum Rivalen, zur Bedrohung: Als Adam der Versuchung nachgegeben hat, klagt er sofort Eva an (vgl. Gen 3,12); die beiden verstecken sich vor dem Angesicht des Gottes, mit dem sie in Freundschaft sprachen (vgl. 3,8–10); die Welt ist nicht mehr der Garten, in dem man harmonisch leben kann, sondern ein Ort, den man ausbeuten kann und in dem Hinterhalte lauern (vgl. 3,14–19); Neid und Hass gegenüber dem anderen kommen in das Herz des Menschen: ein deutliches Beispiel ist Kain, der seinen Bruder Abel tötet (vgl. 4,3–9). Wenn der Mensch sich gegen seinen Schöpfer wendet, wendet sich der Mensch in Wirklichkeit gegen sich selbst, verleugnet seinen Ursprung und somit seine Wahrheit; und das Böse kommt in die Welt, mit seiner qualvollen Kette von Schmerz und Tod. Und so war das, was Gott geschaffen hatte, gut, ja sogar sehr gut, aber nach dieser freien Entscheidung des Menschen für die Lüge gegen die Wahrheit kommt das Böse in die Welt.

Eine letzte Lehre der Schöpfungsberichte möchte ich hervorheben: Die Sünde erzeugt Sünde, und alle Sünden der Geschichte sind miteinander verbunden. Dieser Aspekt veranlaßt uns, über das zu sprechen, was »Erbsünde« genannt wird. Was bedeutet diese Wirklichkeit, die schwer zu verstehen ist? Ich möchte nur einige Elemente aufzeigen. Vor allem müssen wir bedenken, daß kein Mensch in sich selbst verschlossen ist, keiner nur aus sich selbst heraus und für sich selbst leben kann; wir empfangen das Leben vom anderen, und zwar nicht nur im Augenblick der Geburt, sondern jeden Tag. Der Mensch ist Beziehung: Ich bin nur ich selber im Du und durch das Du, in der Liebesbeziehung zum Du Gottes und zum Du der anderen. Die Sünde ist also die Störung oder die Zerstörung der Beziehung zu Gott; das ist ihr Wesen: die Beziehung zu Gott, die Grundbeziehung zu zerstören, sich an die Stelle Gottes zu setzen. Der Katechismus der Katholischen Kirche sagt: In der ersten Sünde »zog der Mensch sich selbst Gott vor und mißachtete damit Gott: er entschied sich für sich selbst gegen Gott, gegen die Erfordernisse seines eigenen Geschöpfseins und damit gegen sein eigenes Wohl« (Nr. 398).

Wenn die Grundbeziehung gestört ist, sind auch die anderen Beziehungspole geschädigt oder zerstört, die Sünde verdirbt die Beziehungen, und so verdirbt sie alles, denn wir sind Beziehung. Wenn nun die Beziehungsstruktur der Menschheit von Anfang an gestört ist, dann kommt jeder Mensch in eine Welt, die von dieser Störung der Beziehung gezeichnet ist, dann kommt jeder Mensch in eine Welt, die von der Sünde gestört ist, die ihn persönlich prägt; die Ursünde greift die menschliche Natur an und verwundet sie (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 404–406). Und der Mensch allein, einer allein kann aus dieser Situation nicht herauskommen, kann sich nicht selbst erlösen; nur der Schöpfer kann die richtigen Beziehungen wiederherstellen. Nur wenn Gott, von dem wir uns entfernt haben, zu uns kommt und uns liebevoll die Hand reicht, können die richtigen Beziehungen wieder geknüpft werden. Dies geschieht in Jesus Christus, der genau den entgegengesetzten Weg wie Adam geht, wie es der Hymnus im zweiten Kapitel des Briefes des hl. Paulus an die Philipper beschreibt (2,5–11): Während Adam sein Geschöpfsein nicht anerkennt und sich an die Stelle Gottes setzen will, steht Jesus, der Sohn Gottes, in einer vollkommenen Sohnesbeziehung zum Vater, entäußert sich, wird wie ein Sklave, beschreitet den Weg der Liebe, erniedrigt sich bis zum Tod am Kreuz, um die Beziehungen zu Gott wieder in Ordnung zu bringen. Das Kreuz Christi wird so zum neuen Baum des Lebens.

Liebe Brüder und Schwestern, aus dem Glauben leben heißt, Gottes Größe zu erkennen und unsere Kleinheit, unsere Geschöpflichkeit anzunehmen, indem wir zulassen, daß der Herr sie mit seiner Liebe erfüllt und so unsere wahre Größe wächst. Das Böse mit all seinem Schmerz und seinem Leiden ist ein Geheimnis, das vom Licht des Glaubens erleuchtet wird, das uns die Gewißheit schenkt, davon befreit werden zu können: die Gewißheit, daß es gut ist, ein Mensch zu sein.


Mittwoch, 13. Februar 2013

Liebe Brüder und Schwestern!

Wie ihr wißt – [Applaus] Danke für eure Zuneigung! –, habe ich mich dazu entschlossen, auf das Amt, das mir der Herr am 19. April 2005 anvertraut hat, zu verzichten. Ich habe dies in voller Freiheit zum Wohl der Kirche getan, nachdem ich lange gebetet und vor Gott mein Gewissen geprüft habe. Ich bin mir des Ernstes dieses Aktes sehr bewußt, aber ich bin mir ebenso bewußt, nicht mehr in der Lage zu sein, das Petrusamt mit der dafür erforderlichen Kraft auszuüben. Mich trägt und erleuchtet die Gewißheit, daß es die Kirche Christi ist und der Herr es ihr nie an seiner Leitung und Sorge fehlen lassen wird. Ich danke euch allen für die Liebe und für das Gebet, mit dem ihr mich begleitet habt. [Applaus] Danke! Ich habe in diesen für mich nicht leichten Tagen gleichsam physisch die Kraft des Gebets verspürt, die mir die Liebe der Kirche, euer Gebet bringt. Betet weiter für mich, für die Kirche und für den kommenden Papst. Der Herr wird uns leiten.

Das Evangelium – die konkrete Richtschnur des Lebens

Liebe Brüder und Schwestern,

Heute, am Aschermittwoch, beginnen wir die liturgische Fastenzeit: 40 Tage, die uns auf die Feier des Osterfestes vorbereiten. Es ist eine Zeit der besonderen Bemühung auf unserem geistlichen Weg. Die Zahl 40 kommt in der Heiligen Schrift mehrmals vor. Insbesondere ruft sie, wie wir wissen, die 40 Jahre in Erinnerung, in denen das Volk Israel in der Wüste umherzog: eine lange Zeit der Formung, um das Volk Gottes zu werden, aber auch eine lange Zeit, in der die Versuchung, dem Bund mit dem Herrn untreu zu werden, stets gegenwärtig war. 40 Tage lang dauerte auch der Weg des Propheten Elija, um den Gottesberg Horeb zu erreichen; ebensolang war die Zeit, die Jesus vor dem Beginn seines öffentlichen Wirkens in der Wüste verbrachte, wo er vom Teufel versucht wurde. In der heutigen Katechese möchte ich bei diesem Augenblick des irdischen Lebens des Herrn verweilen, von dem wir im Evangelium des kommenden Sonntags lesen werden.

Zunächst einmal ist die Wüste, wohin Jesus sich zurückzieht, der Ort der Stille, der Armut, wo dem Menschen sein materieller Halt entzogen ist und er vor den grundlegenden Fragen der Existenz steht. Er wird gedrängt, sich dem Wesentlichen zuzuwenden, und gerade deshalb kann er Gott leichter begegnen. Aber die Wüste ist auch der Ort des Todes, denn wo kein Wasser ist, ist auch kein Leben, und sie ist der Ort der Einsamkeit, an dem der Mensch die Versuchung stärker spürt. Jesus geht in die Wüste, und dort wird er in Versuchung geführt, den vom Vater gewiesenen Weg zu verlassen, um andere, einfachere und weltlichere Wege einzuschlagen (vgl. Lk 4,1–13). So nimmt er unsere Versuchungen auf sich, nimmt unser Elend mit sich, um das Böse zu besiegen und uns den Weg zu Gott, den Weg zur Umkehr zu öffnen.

Das Nachdenken über die Versuchungen, denen Jesus in der Wüste ausgesetzt ist, ist eine Einladung an jeden von uns, auf eine grundlegende Frage zu antworten: Was zählt wirklich in meinem Leben? In der ersten Versuchung fordert der Teufel Jesus auf, einen Stein in Brot zu verwandeln, um den Hunger zu stillen. Jesus erwidert, daß der Mensch auch von Brot lebt, aber nicht nur von Brot: Ohne eine Antwort auf den Hunger nach Wahrheit, auf den Hunger nach Gott kann der Mensch nicht gerettet werden (vgl. V. 3–4). In der zweiten Versuchung schlägt der Teufel Jesus den Weg der Macht vor: Er führt ihn auf einen Berg hinauf und bietet ihm die Herrschaft über die Welt an. Aber das ist nicht der Weg Gottes: Jesus weiß sehr gut, daß nicht die weltliche Macht die Welt rettet, sondern die Macht des Kreuzes, der Demut, der Liebe (vgl. V. 5–8). In der dritten Versuchung fordert der Teufel Jesus auf, sich von der Zinne des Tempels von Jerusalem hinabzustürzen und sich von Gott durch seine Engel retten zu lassen, etwas Sensationelles zu tun, um Gott selbst auf die Probe zu stellen; aber die Antwort lautet, daß Gott kein Objekt ist, dem wir unsere Bedingungen auferlegen können: Er ist Herr über alles (vgl. V. 9–12). Was ist der Kern der drei Versuchungen, in die Jesus geführt wird? Es ist der Vorschlag, Gott zu instrumentalisieren, ihn für die eigenen Interessen, für die eigene Verherrlichung und für den eigenen Erfolg zu gebrauchen – und im Grunde sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen, ihn aus dem eigenen Leben zu entfernen und überflüssig erscheinen zu lassen. Jeder sollte sich also fragen: Welchen Platz hat Gott in meinem Leben? Ist er der Herr oder bin ich es?

Die Versuchung zu überwinden, Gott sich selbst und den eigenen Interessen zu unterwerfen oder ihn in eine Ecke zu stellen, und sich zur rechten Ordnung der Prioritäten zu bekehren, Gott den ersten Platz zu geben, ist ein Weg, den jeder Christ immer wieder aufs neue beschreiten muß. »Umkehren«, eine Einladung, die wir in der Fastenzeit sehr oft hören werden, bedeutet, Jesus so nachzufolgen, daß sein Evangelium die konkrete Richtschnur des Lebens ist; es bedeutet, uns von Gott verwandeln zu lassen, nicht länger zu meinen, daß wir die einzigen Baumeister unseres Lebens sind; es bedeutet anzuerkennen, daß wir Geschöpfe sind, daß wir von Gott, von seiner Liebe abhängen und unser Leben nur gewinnen können, wenn wir es in ihm »verlieren«. Dazu ist es erforderlich, unsere Entscheidungen im Licht des Wortes Gottes zu treffen. Man kann heute nicht mehr Christ sein, nur weil man in einer Gesellschaft lebt, die christliche Wurzeln hat: Auch wer in einer christlichen Familie geboren und religiös erzogen wurde, muß jeden Tag erneut die Entscheidung treffen, Christ zu sein, also Gott den ersten Platz zu geben, gegenüber den Versuchungen, vor die eine säkularisierte Kultur ihn ständig stellt, gegenüber dem kritischen Urteil vieler Zeitgenossen.

Die Prüfungen, derer die gegenwärtige Gesellschaft den Christen unterzieht, sind in der Tat zahlreich und berühren das persönliche und das gesellschaftliche Leben. Es ist nicht leicht, der christlichen Ehe treu zu sein, im täglichen Leben Barmherzigkeit zu üben, dem Gebet und der inneren Stille Raum zu geben; es ist nicht leicht, sich öffentlich Entscheidungen zu widersetzen, die viele als selbstverständlich betrachten – wie die Abtreibung im Falle einer unerwünschten  Schwangerschaft, die Euthanasie im Falle schwerer Krankheiten oder die Selektion von Embryonen, um Erbkrankheiten vorzubeugen. Die Versuchung, den eigenen Glauben beiseite zu stellen, ist stets gegenwärtig, und die Umkehr wird zur Antwort an Gott, die im Leben öfter bestätigt werden muß. Ein Beispiel und Ansporn sind uns die großen Bekehrungen wie die des hl. Paulus auf dem Weg nach Damaskus oder des hl. Augustinus. Aber auch in unserer Zeit, in der der Sinn für das Heilige verdunkelt wird, ist Gottes Gnade am Werk und wirkt Wunder im Leben vieler Menschen. Der Herr wird nicht müde, in sozialen und kulturellen Umfeldern, die von der Säkularisierung verschlungen zu sein scheinen, an die Tür des Menschen zu klopfen. So war es bei dem orthodoxen Russen Pawel Florenski. Nach einer vollkommen agnostischen Erziehung, die ihn sogar echte Feindseligkeit gegenüber den in der Schule vermittelten religiösen Lehren verspüren ließ, ruft der Naturwissenschaftler Florenski eines Tages aus: »Nein, man kann nicht ohne Gott leben!«, ändert vollkommen sein Leben und wird sogar Mönch.

Ich denke auch an die Gestalt von Etty Hillesum, einer jungen Holländerin jüdischer Herkunft, die in Auschwitz gestorben ist. Anfangs Gott fern, entdeckt sie ihn, indem sie tief in sich selbst hineinschaut, und schreibt: »Ein tiefer Brunnen ist in meinem Innern. Und Gott ist in diesem Brunnen. Manchmal kann ich zu ihm gelangen, meistens aber ist er mit Steinen und Sand bedeckt: Dann ist Gott begraben. Ich muß ihn wieder ausgraben« (Tagebuch). In ihrem zersplitterten und ruhelosen Leben findet sie Gott mitten in der großen Tragödie des 20. Jahrhunderts, der Shoah. Vom Glauben verwandelt, wird dieses zerbrechliche und unzufriedene junge Mädchen zu einer Frau voll Liebe und innerem Frieden und ist in der Lage zu sagen: »Ich lebe ständig in inniger Vertrautheit mit Gott.«

Die Fähigkeit, sich den ideologischen Verlockungen ihrer Zeit zu widersetzen, um die Suche nach der Wahrheit zu wählen und sich der Entdeckung des Glaubens zu öffnen, wird von einer weiteren Frau unserer Zeit bezeugt, der US-Amerikanerin Dorothy Day. In ihrer Autobiographie bekennt sie offen, daß sie in Versuchung geraten ist, alles durch die Politik lösen zu wollen und der marxistischen Theorie zu folgen: »Ich wollte mit den Demonstranten gehen, ins Gefängnis gehen, schreiben, die anderen beeinflussen und der Welt meinen Traum hinterlassen. Wieviel Ehrgeiz und wieviel Suche nach mir selbst steckte in all dem!« In einem so säkularisierten Umfeld war der Weg zum Glauben besonders schwierig, aber die Gnade wirkt trotzdem, wie sie selbst hervorhebt: »Und gewiß spürte ich öfter die Notwendigkeit, in die Kirche zu gehen, niederzuknien, das Haupt zum Gebet zu beugen. Ein einfacher Instinkt, könnte man sagen, denn ich war mir nicht bewußt zu beten. Aber ich ging, ich fügte mich in die Atmosphäre des Gebetes ein …« Gott führte sie zu einer bewußten Hinwendung zur Kirche, in einem Leben, das den Entrechteten gewidmet war.

In unserer Zeit gibt es nicht wenige Bekehrungen, die als Rückkehr eines Menschen verstanden werden, der sich nach einer vielleicht oberflächlichen christlichen Erziehung jahrelang vom Glauben entfernt hat und dann Christus und sein Evangelium wiederentdeckt. Im Buch der Offenbarung lesen wir: »Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir« (3,20). Unser innerer Mensch muß sich darauf vorbereiten, von Gott besucht zu werden, und gerade deshalb darf er sich nicht von den Illusionen, vom Schein, von den materiellen Dingen einnehmen lassen.

In dieser Fastenzeit, im Jahr des Glaubens, erneuern wir unser Bemühen auf dem Weg der Umkehr, um die Tendenz, uns in uns selbst zu verschließen, zu überwinden und vielmehr Raum zu schaffen für Gott, indem wir die tägliche Wirklichkeit mit seinen Augen betrachten. Wir könnten sagen, daß die Alternative zwischen der Verschlossenheit in unseren Egoismus und der Öffnung für die Liebe zu Gott und zu den anderen der Alternative der Versuchungen Jesu entspricht: eine Alternative also zwischen menschlicher Macht und Liebe zum Kreuz, zwischen einer Erlösung, die allein im materiellen Wohlstand gesehen wird, und einer Erlösung als das Werk Gottes, dem wir den ersten Platz im Leben geben. Umkehren bedeutet, sich nicht in der Suche nach dem eigenen Erfolg, dem eigenen Ansehen, der eigenen Position zu verschließen, sondern dafür zu sorgen, daß jeden Tag, in den kleinen Dingen, die Wahrheit, der Glaube an Gott und die Liebe das Wichtigste werden.


Mittwoch, 27. Februar 2013

Verehrte Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst,
sehr geehrte Vertreter des öffentlichen Lebens,
liebe Brüder und Schwestern!

Ich danke euch, daß ihr so zahlreich zu meiner letzten Generalaudienz gekommen seid.

Herzlichen Dank! Ich bin wirklich gerührt, und ich sehe, daß die Kirche lebt! Und ich denke, wir müssen auch dem Schöpfer Dank sagen für das schöne Wetter, das er uns jetzt – noch im Winter – schenkt.

Wie der Apostel Paulus in dem biblischen Text, den wir gehört haben, spüre auch ich in meinem Innern, daß ich vor allem Gott zu danken habe, der die Kirche führt und wachsen läßt, der sein Wort aussät und so den Glauben in seinem Volk nährt. In diesem Augenblick weitet sich mein Geist und umfaßt die ganze, über die Welt verbreitete Kirche; und ich danke Gott für die „Nachrichten“, die ich in diesen Jahren des Petrusdienstes habe empfangen können über den Glauben an Jesus Christus, den Herrn, über die Liebe, die wirklich den Leib der Kirche durchströmt und sie in der Liebe leben läßt, und über die Hoffnung, die uns öffnet und zum Leben in Fülle, zur Heimat des Himmels hin orientiert.

Ich spüre, daß ich alle im Gebet trage, in eine Gegenwart, welche die Gegenwart Gottes ist, in die ich jede Begegnung, jede Reise, jeden Pastoralbesuch hineinnehme. Alles und alle nehme ich in das Gebet hinein, um sie dem Herrn anzuvertrauen, damit wir seinen Willen ganz erkennen, in aller Weisheit und Einsicht, die der Geist schenkt, und damit wir ein Leben führen können, das des Herrn und seiner Liebe  würdig ist, und Frucht bringen in jeder Art von guten Werken (vgl. Kol 1,9-10).

In diesem Augenblick herrscht in mir eine große Zuversicht, denn ich weiß – wir alle wissen –, daß das Wort der Wahrheit des Evangeliums die Kraft der Kirche, ihr Leben ist. Das Evangelium läutert und erneuert, es bringt Frucht, wo immer die Gemeinschaft der Gläubigen es hört und die Gnade Gottes in der Wahrheit und in der Liebe aufnimmt. Das ist meine Zuversicht, das ist meine Freude.

Als ich am 19. April vor fast acht Jahren eingewilligt habe, den Petrusdienst zu übernehmen, hatte ich die feste Gewißheit, die mich immer begleitet hat: diese Gewißheit, daß die Kirche lebt und zwar aus dem Wort Gottes. Wie ich schon mehrmals erzählt habe, vernahm ich in meinem Innern diese Worte: „Herr, warum verlangst du das von mir, und was verlangst du von mir? Es ist eine große Last, die du mir auf die Schultern legst, aber wenn du es von mir verlangst, werde ich auf dein Wort hin die Netze auswerfen, in der Gewißheit, daß du mich leiten wirst, auch mit all meinen Schwächen.“ Und acht Jahre danach kann ich sagen, daß der Herr mich wirklich geführt hat, er ist mir nahe gewesen, täglich habe ich seine Gegenwart wahrnehmen können. Es war eine Wegstrecke der Kirche, die Momente der Freude und des Lichtes kannte, aber auch Momente, die nicht leicht waren; ich habe mich gefühlt wie Petrus mit den Aposteln im Boot auf dem See Gennesaret: Der Herr hat uns viele Sonnentage mit leichter Brise geschenkt, Tage, an denen der Fischfang reichlich war, und es gab Momente, in denen das Wasser aufgewühlt war und wir Gegenwind hatten, wie in der ganzen Geschichte der Kirche, und der Herr zu schlafen schien. Aber ich habe immer gewußt, daß in diesem Boot der Herr ist, und ich habe immer gewußt, daß das Boot der Kirche nicht mir, nicht uns gehört, sondern ihm. Und der Herr läßt sie nicht untergehen; er ist es, der sie lenkt, sicherlich auch durch die Menschen, die er erwählt hat, denn so hat er es gewollt. Das war und ist eine Gewißheit, die durch nichts verdunkelt werden kann. Und das ist der Grund, warum mein Herz heute voll Dankbarkeit gegenüber Gott ist, weil er es der ganzen Kirche und auch mir nie an seinem Trost, seinem Licht, seiner Liebe hat fehlen lassen.

Wir befinden uns im Jahr des Glaubens, das ich wollte, um gerade unseren Glauben an Gott zu stärken in einem Kontext, der ihn immer mehr als nebensächlich betrachtet. Ich möchte alle einladen, ihr festes Vertrauen auf den Herrn zu erneuern, sich wie Kinder den Armen Gottes anzuvertrauen, in der Gewißheit, daß diese Arme uns immer stützen und uns ermöglichen, Tag für Tag voranzuschreiten, auch in der Mühsal. Ich möchte, daß jeder sich geliebt fühlt von jenem Gott, der seinen Sohn für uns hingegeben und uns seine grenzenlose Liebe gezeigt hat. Ich möchte, daß jeder die Freude empfindet, Christ zu sein. In einem schönen Gebet, das man jeden Morgen beten sollte, heißt es: „Ich bete dich an, mein Gott, und ich liebe dich von ganzem Herzen. Ich danke dir, daß du mich erschaffen hast und mich hast Christ werden lassen …“ Ja, seien wir froh über das Geschenk des Glaubens; es ist das kostbarste Gut, das niemand uns nehmen kann! Danken wir dem Herrn jeden Tag dafür, mit dem Gebet und mit einem kohärenten christlichen Leben. Gott liebt uns, aber er erwartet, daß auch wir ihn lieben!

Doch nicht allein Gott will ich in diesem Augenblick danken. Ein Papst ist nicht allein bei der Leitung des Bootes Petri, auch wenn er der Hauptverantwortliche ist. Ich habe mich beim Tragen der Freude und der Last des Petrusdienstes nie allein gefühlt; der Herr hat mir viele Menschen zur Seite gestellt, die mir mit Großherzigkeit und Liebe zu Gott und zur Kirche geholfen haben und mir nahe waren. Vor allem ihr, liebe Kardinäle: Eure Weisheit, euer Rat, eure Freundschaft sind mir kostbar gewesen; meine Mitarbeiter, angefangen von meinem Staatssekretär, der mich in diesen Jahren treu begleitet hat; das Staatssekretariat und die ganze Römische Kurie wie auch alle, die in den verschiedenen Bereichen dem Heiligen Stuhl dienen: Es sind sehr viele Gesichter, die nicht in Erscheinung treten, die im Schatten bleiben, die mir aber gerade im Stillen, in der täglichen Hingabe, im Geist des Glaubens und der Demut eine sichere und verläßliche Unterstützung waren. Ein besonderes Gedenken gilt der Kirche Roms, meiner Diözese! Ich kann auch die Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst, die gottgeweihten Personen und das ganze Volk Gottes nicht unerwähnt lassen: Bei den Pastoralbesuchen, den Begegnungen, den Audienzen, auf den Reisen habe ich immer große Aufmerksamkeit und tiefe Zuneigung gespürt; aber auch ich war unterschiedslos allen und jedem zugeneigt mit jener pastoralen Liebe, die das Herz jedes Hirten ist, vor allem des Bischofs von Rom, des Nachfolgers des Apostels Petrus. Jeden Tag habe ich jeden von euch mit väterlichem Herzen ins Gebet mit hineingenommen.

Ich möchte, daß dann mein Dank alle erreicht: das Herz eines Papstes weitet sich für die ganze Welt. Und ich möchte meine Dankbarkeit gegenüber dem Diplomatischen Korps beim Heiligen Stuhl ausdrücken, der die große Familie der Nationen gegenwärtig werden läßt. Hier denke ich auch an alle, die für eine gute Medien-Kommunikation arbeiten und denen ich für ihren wichtigen Dienst danke.

An dieser Stelle möchte ich sehr herzlich auch den vielen Menschen aus aller Welt danken, die mir in den letzten Wochen bewegende Zeichen der Zuwendung, der Freundschaft, des Gebets geschickt haben. Ja, der Papst ist nie allein – das erlebe ich nun noch einmal in großer, das Herz berührender Weise. Er gehört allen, und sehr viele Menschen fühlen sich ihm ganz nahe. Ich bekomme Briefe gewiß von den Großen der Erde – von Staatsoberhäuptern, Religionshäuptern, Repräsentanten der großen Kultur usw. Aber ich bekomme auch sehr viele Briefe von ganz einfachen Menschen, die mir schlicht aus dem Herzen heraus schreiben und mich ihre Zuneigung fühlen lassen, die aus dem gemeinsamen Sein mit Jesus Christus in der Kirche kommt. Diese Menschen schreiben mir nicht, wie man etwa einem Fürsten oder einem großen Unbekannten schreibt. Sie schreiben mir wie Brüder und Schwestern oder wie Söhne und Töchter in einer ganz herzlichen familiären Verbundenheit. Hier kann man greifen, was Kirche ist – nicht eine Organisation, nicht eine Vereinigung für religiöse oder humanitäre Zwecke, sondern ein lebendiger Leib, eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern im Leib Jesu Christi, der uns alle verbindet. In einer Zeit, in der so viele vom Niedergang der Kirche sprechen, ist es beglückend, sie so zu erleben und die Kraft ihrer Wahrheit und Liebe geradezu mit Händen berühren zu können. Wir sehen, daß die Kirche heute lebt!

In diesen letzten Monaten habe ich gespürt, daß meine Kräfte nachgelassen haben, und ich habe Gott im Gebet angefleht, mich mit seinem Licht zu erleuchten, um mir zu helfen, die Entscheidung zu fällen, welche nicht für mein eigenes Wohl, sondern für das Wohl der Kirche die richtigste ist. Ich habe diesen Schritt im vollen Bewußtsein seines schwerwiegenden Ernstes und seiner Neuheit, aber mit einer tiefen Seelenruhe getan. Die Kirche zu lieben bedeutet auch, den Mut zu haben, schwierige, durchlittene Entscheidungen zu treffen und dabei immer das Wohl der Kirche und nicht sich selbst im Auge zu haben.

Lassen Sie mich da noch einmal auf den 19. April 2005 zurückkommen. Das Schwere der Entscheidung lag gerade auch darin, daß ich nun vom Herrn immer und für immer beansprucht war. Immer – wer das Petrusamt annimmt, hat kein Privatleben mehr. Er gehört immer und ganz allen, der ganzen Kirche. Sein Leben wird sozusagen ganz entprivatisiert. Ich durfte erleben und erlebe es gerade jetzt, daß einem das Leben eben darin geschenkt wird, daß man es weggibt. Vorhin habe ich davon gesprochen, daß die vielen Menschen, die den Herrn lieben, auch den Nachfolger des heiligen Petrus lieben und ihm zugetan sind. Daß er wirklich Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter rundum auf der ganzen Welt hat und in ihrer Gemeinschaft geborgen ist. Weil er nicht mehr sich selber gehört, gehört er zu allen, und alle gehören zu ihm.

Das „immer” ist auch ein „für immer” – es gibt keine Rückkehr ins Private. Meine Entscheidung, auf die aktive Ausführung des Amtes zu verzichten, nimmt dies nicht zurück. Ich kehre nicht ins private Leben zurück – in ein Leben mit Reisen, Begegnungen, Empfängen, Vorträgen usw. Ich gehe nicht vom Kreuz weg, sondern bleibe auf neue Weise beim gekreuzigten Herrn. Ich trage nicht mehr die amtliche Vollmacht für die Leitung der Kirche, aber im Dienst des Gebetes bleibe ich sozusagen im engeren Bereich des heiligen Petrus. Der heilige Benedikt, dessen Name ich als Papst trage, wird mir da ein großes Vorbild sein: Er hat uns den Weg für ein Leben gezeigt, das aktiv oder passiv ganz dem Werk Gottes gehört.

Ich danke allen und jedem auch für den Respekt und das Verständnis, mit dem ihr diese so wichtige Entscheidung aufgenommen habt. In Gebet und Besinnung werde ich den Weg der Kirche weiterhin begleiten, mit jener Hingabe an den Herrn und seine Braut, die ich bis jetzt täglich zu leben versucht habe und die ich immer leben möchte. Ich bitte euch, vor Gott meiner zu gedenken und vor allem für die Kardinäle zu beten, die zu einer so bedeutenden Aufgabe gerufen sind, und für den neuen Nachfolger des Apostels Petrus: Der Herr begleite ihn mit dem Licht und der Kraft seines Geistes.

Erbitten wir die mütterliche Fürsprache der Jungfrau Maria, der Mutter Gottes und der Kirche, daß sie jeden von uns und die ganze kirchliche Gemeinschaft begleite; ihr vertrauen wir uns an, in tiefer Zuversicht.

Liebe Freunde! Gott leitet seine Kirche, er stützt sie immer, auch und vor allem in den schwierigen Momenten. Verlieren wir niemals diese Sicht des Glaubens, die die einzig wahre Sicht des Weges der Kirche und der Welt ist. Möge in unserem Herzen, im Herzen eines jeden von uns immer die frohe Gewißheit herrschen, daß der Herr uns zur Seite steht, uns nicht verläßt, uns nahe ist und uns mit seiner Liebe umfängt. Danke!


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