In der Enzyklika „Casti Connubii“ sagt der Heilige Vater Pius XI: „Wenn der Mann das Haupt ist, dann ist die Frau das Herz, und wie er das Vorrecht der Leitung, so kann und soll sie den Vorrang der Liebe als ihr Eigen- und Sondergut in Anspruch nehmen“.
Diese Wahrheit kommt schon im Wort „Weib“ zum Ausdruck. „Die Etymologie des Wortes „Weib“ deutet auf die Wurzel „vip“ zurück und heißt, auf den Priester bezogen, begeistert, innerlich erregt sein. Damit ist das Vorrecht der Frau zu lieben ausgesprochen“.
Weil die grundsätzlich dem Menschen zugeordnete Frau zur Befähigung ihrer Aufgabe in einer besonderen Weise mit der Liebe be-gabt sein muss, gewinnt für sie die quantitative und qualitative Normierung ihrer Liebe an der Liebe Christi eine erhöhte Bedeutung.
Was Liebe ist, weiß der Mensch nicht von sich aus. Eine Methode, die auf induktiven Weg, also von der konkreten menschlichen Erfahrung aus, das Wesen der Liebe bestimmen will, kann leicht das Ziel verfehlen. Einem solchen Versuch begegnen wir heute. Sein und Sinn der Liebe sind weithin von Gott losgelöst und darum willkürlich bestimmt. Menschliche Beziehungen werden als Liebe ausgegeben, die mit wirklicher Liebe nichts mehr zu tun haben. Wo eine „freie Liebe“ gepredigt und die „Liebe ohne Ring“ praktiziert wird, wird ja von vornherein die der echten Liebe wesentliche Kommunikation abgelehnt. Liebe meint hier nicht eine Beziehung des Ich zum Du, sondern eine intensive Ich-Beziehung bei der das „Du“ nicht als Ziel, sondern als Mittel zum Zweck missbraucht wird; noch schärfer formuliert, es handelt sich hier gar nicht mehr um ein Ich-Du, sondern um ein Ich-Es-, bzw. Es-Es-Verhältnis. Der Sexus versachlicht den Menschen, die Frau wird zum „Weibchen“ und der Mann zum „Männchen“.
Missverstanden wird Liebe auch da, wo sie gleichgesetzt wird mit sachlicher Hilfe, wo sie verwechselt wird mit Nachgiebigkeit und Schwäche, wo sie als elterliche, freundliche oder pädagogische Liebe glaubt, dem anderen „Partner“ alles gewähren zu müssen. Aus diesem Missverständnis der Liebe ist das Wort zu erklären „wie kann Liebe Sünde sein“. Aus diesem Missverständnis der Liebe des Erziehers zum Zögling, die eben um das Ziel der Erziehung nicht mehr weiß, ist nicht zuletzt das Phänomen der Halbstarken zu verstehen. Der halbstarke Zögling in das pädagogische Produkt eines halbschwachen Erziehers. Dem halbschwachen Erzieher fehlt der Mut zum kraftvollen Nein. Die Schrankenlosigkeit der Genußsucht resultiert nicht zuletzt aus der Maßlosigkeit der Liebe.
Diesen Missverständnissen können wir nur begegnen, wenn wir auf deduktivem Weg nach dem Wesen der göttlichen Liebe fragen und menschliche Liebe wieder an der göttlichen messen. Nicht die menschliche Erfahrung, die vom konkreten Erlebnis ausgeht und auf analytischem Weg zu allgemein gültigen Erkenntnissen, Regeln und Gesetzen gelangen will, kann ein Ausgangspunkt für die Wesensbestimmung der Liebe sein, sondern die Wirklichkeit Gottes und seine Offenbarung. Die Wirklichkeit Gottes ist immer das erste. Das Wesen väterlicher Liebe wird verbindlich nur erhellt im Licht der Liebe des himmlischen Vaters zu seinem einzigen vielgeliebten Sohn und zu denen, die in seinem Sohn sich Gotteskinder nennen dürfen. Was kindliche Liebe ist, hat uns Jesus Christus gezeigt in seinem Verhältnis zum Vater. Freundliche und eheliche Liebe bekommen ihr Maß vom Liebesbündnis Christi mit seiner Kirche. Alle Formen menschlicher Liebe sind nur schwache Abbilder des göttlichen Urbilder der Liebe. Weil aber die Liebe Gottes in Jesus Christus sichtbar erschienen ist, kulminieren in ihm alle diese Formen. „Christus nennt sich unser Meister und unser Freund, uns nennt er seine Brüder, Schwestern, Mütter – also ist er auch das „Kind“ unserer Seele, er wird in unserer Seele vom Vater geboren – doch nicht ohne unser Zutun – ist aber selbst wieder unsere Mutter (im Bild von der Henne und den Kücklein). In entsprechender Weise sind die Beziehungen zwischen Paulus und seiner Gemeinde so reich, dass Paulus sich als ihren Vater, ihre Amme, ihren Lehrer und ihren Freund und Bruder bezeichnen kann“.
Leider gehen wir oft mit menschlichen Vorstellungen von Liebe an die Liebe Gottes heran. Wir versuchen, von der menschlich erfahrbaren Liebe aus einen Zugang zur Liebe Gottes zu finden. Dieser Weg kann zu einem Gottesbild führen, das wir mit dem Ausdruck „der liebe Gott“ zu bezeichnen pflegen. Josef Andreas Jungmann hat darauf hingewiesen, dass diese Bezeichnung aus der Aufklärung stammt. Sie ist unbiblisch. Dahinter steckt der Gottesbegriff des Deismus, für den Gott nur die Verbrämung eines selbstherrlichen menschlichen Daseins ist. Gegen dieses Gottesbild hat schon Augustin Gruber Stellung genommen. Er macht darauf aufmerksam, wie sehr es der göttlichen Offenbarung widerspricht, „wenn man – was man seit einigen Dezennien häufig im Religionsunterricht tut und getan wissen will – Gott nur als einen weichen Vater darstellt, der alles Böse ohne Sinnesänderung hingehen lasse und auch dem im bösen Sinne Fortbleibenden verzeihe; wenn man besorgt, man möchte die Menschen durch die Darstellung der göttlichen Strafgerechtigkeit zu viel ängstigen, Ihnen das Herz schwer machen“. Noch stärker spricht sich Beta Weber gegen ein Gottesbild aus, „der ‚liebe Gott‘ den sie – damit sind die protestantischen Konfirmanten gemeint – bisweilen genannt und wiederholt bekommen, ist ein freundlicher morgenländlicher Emir, aus dessen Bart beständig die Tränen der Rührung träufeln, mit einem Schäferstock aus grünem Schilfrohr, damit er ja niemandem wehtun kann“.
Der Gottesbegriff des Deismus schillert von der absoluten Transzendenz bis zur absoluten Immanenz. Im Ausdruck „der liebe Gott“ schwingt stark die Transzendenz mit. Man lässt Gott „einen guten, alten Mann sein“, wie eine typische Redewendung besagt. Gott hat mehr Großväterliches als Väterliches an sich.
Es ist von entscheidender Bedeutung, den Gläubigen in Predigt und Katechese ein Gottesbild zu vermitteln, das größer ist als das Leben. Denn dieses kann einen engen Gottesbegriff sprengen. Den Gläubigen sollte das unendlich weite Bild des lebendigen und stets wirkenden Gottes der Offenbarung geboten werden, in dem alles Geschehen noch Platz hat, das eine Antwort gibt auf die Qualen der Hölle und den Tod Christi am Kreuz. Der Vater im Himmel hat niemals etwas Furchtbareres zugelassen als den Tod seines einzigen vielgeliebten Sohnes.
Der missverständliche und belastete Ausdruck „der liebe Gott“ müsste in der Sprache der Verkündigung verschwinden. Er könnte ersetzt werden mit „Vater-Gott“, oder „Herr-Gott“, oder „der liebe Herrgott“. Die Liebe Gottes ist etwas anderes als der liebe Gott. Wer die Liebe Gottes „verstehen“ will, darf das Ziel dieser Liebe nicht aus dem Auge verlieren. Das Ziel aber ist die Heiligkeit, die Vollendung des Menschen.
Gott lässt Schweres über den Menschen kommen – aus Liebe –, damit er daran innerlich wachse und reife. Es ist ein allgemeines Gesetz, dass der Mensch nur am Schweren wächst. Dieses Gesetz beobachten wir allenthalben. In der Schule werden dem Kind zunächst leichte und kleine Aufgaben gestellt. Soll es wachsen in der Erkenntnis und im Wissen, müssen die Aufgaben von Jahr zu Jahr schwieriger und grösser werden. Auf die Dezimalrechnung folgt die Bruchrechnung, auf die Bruchrechnung die Prozentrechnung, usw. Wer Klavier lernen will, beginnt mit ganz leichten Etüden, die sich aber im Schwierigkeitsgrad immer mehr steigern, bis man schließlich die Etüden von Chopain und Liszt bewältigen kann und so in der Lage ist, auch die schwierigsten Klavier Sonaten von Beethoven zu spielen. Ein guter Lehrer, der seinen Schüler weiterführen will, macht ihm Schwierigkeiten, mutet ihm mit zunehmendem Fortschritt mehr und mehr zu. Er versucht gerade durch die schwere der gestellten Aufgaben die letzten schlummernden Möglichkeiten im Kind wachzurufen, er will mit seinen Schülern bis an die äusserste Grenze des möglichen gehen. Ebenso macht es der Sportler, der jeweils die Latte höher legt, wenn er im Hochsprung eine gewisse Höhe erreicht hat. Nur wer etwas von Menschen fordert, fördert ihn.
Der Mensch liebt es, die letzte Grenze der Leistung zu suchen. Wer Auto fährt, möchte den Wagen einmal „ausfahren“, er will wissen, was der Wagen „hergibt“, was in ihm steckt.
Ähnlich verhält es sich mit der Heilspädagogik Gottes. Gott weiß, dass der Mensch zur Trägheit neigt und am liebsten den bequemen Weg geht. Die wenigsten Menschen würden sich Schwierigkeiten machen. Jeder Mensch geht gerne Schwierigkeiten aus dem Weg. Der beliebteste Weg ist immer der Weg des geringsten Widerstandes. Nun macht Gott dem Menschen Schwierigkeiten, er lässt Leid und Not und Versuchung über ihn kommen, weil er ihm damit eine Chance geben möchte, den Höhenweg einzuschlagen. Der Mensch soll die Potenzen seiner inneren Kräfte aktivieren. Gott ruft den Menschen in die äußersten Möglichkeiten des Glaubens, um ihn zu wahrer Größe zu führen. Das Schulbeispiel dafür ist die Glaubensprobe Abrahams. Gott prüft und läutert ihn, wie man Gold und Silber im Feuer läutert. Nur im Feuer schmilzt die Schlacke weg. Nur in „Feuer“ der Leiden wird der Mensch „lauter“ und rein vor Gott.
Wir beobachten jährlich in der Natur den Reifungsprozess. Es gibt kein Reifen ohne die Glut der Sonne. Je heißer die Sonne brennt, desto süßer werden die Trauben, desto schmackhafter der Wein, desto besser der „Jahrgang“. Auch der Mensch braucht zum inneren Wachsen und Reifen die „Sonne“. Diese Sonne ist das Leid. So verschieden auch das Leben der Heiligen sein mag, in einem stimmen sie alle überein: Niemand ist heilig geworden ohne das Leid.
Gott lässt sich im Verhältnis zu uns Menschen von der wahren Liebe leiten, die niemals unser Ziel, die Heiligung, aus dem Auge verliert. Die Liebe Gottes lässt sich auch durch unsere Bitten von diesem Ziel nicht abbringen. Wir wollen oft, was uns passt; Gott will, was uns frommt. – Wir wollen unser Liebstes; Gott unser Bestes. Gott muss uns aus Liebe unser Liebstes nehmen, damit wir das Beste finden, wenn unser Liebstes unser Bestes, unser Heil, gefährdet.
Die tiefste Offenbarung über Gottes Wesen ist die, dass er die Liebe ist. Das versichert uns mehrmals eindringlich der Evangelist Johannes (1. Joh. 4.7ff.). Wenn die Liebe das Wesen Gottes ausmacht, muss diese Liebe auch am deutlichsten geoffenbart sein. Krippe, Kreuz, Altar reißen die Abgründe göttlicher Liebe auf. Sie sind drei Höhepunkte in der Liebesoffenbarung Gottes. Wenn die Offenbarung eine Tatsache immer wieder erhärtet, dann ist es die, dass Gott die Liebe ist. Gerade die größten Heilstaten Gottes, die Menschwerdung seines Sohnes im Stall von Bethlehem, der Tod des Herrn am Kreuz, die Einsetzung der heiligen Eucharistie, sind unüberhörbare und unübersehbare Manifestationen seiner Liebe.
Gott ist ewig und unveränderlich. Er ist der unbedingt getreue Gott. Er kann sich auch nicht ändern in der Liebe zum Menschen. Seine Liebe zu uns hat die Beständigkeit seines eigenen Wesens. Das Symbol der ewigen Liebe Gottes ist das von der Lanze durchbohrte geöffnete Herz des Gott-menschen. In der Präfation vom Herz-Jesu-Fest heißt es: „Dies Herz, in dem die Glut der Liebe zu uns nie erlischt, sollte den Frommen eine Stätte der Ruhe werden, den Büßenden aber als rettende Zuflucht offenstehen.“
Für den gläubigen Christen gibt es keine größere und unumstößliche Gewissheit als die, dass er von Gott geliebt wird. Dieser Glaube dürfte den Christen zu keiner Stunde seines Lebens verlassen. Dieses Licht sollte ihm gerade in den dunkelsten schwersten Stunden leuchten. Nur im Dunkeln leuchten die Sterne. Nur im Dunkel der Nacht des Leidens und der Prüfung kann das Licht des Glaubens erstrahlen.
(Fortsetzung folgt!)
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Quelle: Josef Dreissen: „Christus Leitbild jeder Frau“, 312 Seiten, 1962
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