Von Jean Vaquiè, Ile-Barbe, LYON IX (Rhône)
(Aus dem Französischen übersetzt von Dr. Walter Quessel, Oberkirn)
I.
Betrachten wir zuerst, unter welchen Bedingungen die traditionelle Liturgie zerstört wurde. Zwei fundamentale Texte haben ihre Zerstörung hervorgerufen:
— Die Konzilskonstitution “De sacra liturgia” vom 3. Dezember 1963, vom Vaticanum II in einer quasi-Einmütigkeit angenommen.
— Die apostolische Konstitution “Missale Romanum” vom 6. April 1969, durch die der Papst den neuen Ordo und seinen Kommentar, die “Institutio generalis”, promulgiert.
Diese zwei Texte sind das Werk der progressistischen Intelligentsia, die, das Konzil ausnutzend, die Macht in der Kirche ergriffen hat. Zu ihr gehört Paul VI selbst. Der progressistische Klüngel hat den ganzen katholischen Klerus unter seine Herrschaft gebracht. Indessen ist seine Lehre nicht ganz homogen. Es macht keine Mühe, zwei Tendenzen zu unterscheiden:
— Die erste ist von freimaurerischem Typ und betreibt den ÖKUMENISMUS als erste Phase eines Synkretismus, der in einer ALLERWELTSRELIGION münden soll. Sie fusst auf der eklektischen Theosophie der Gnosis und des Rosenkreuzertums. — Die liberalen Prälaten, die diese Tendenz vertreten, möchten, daß die religiöse Revolution bei dieser gemässigten Phase bleibt. Paul VI gehört zu ihnen. Er glaubt an die Verträglichkeit von Religion und Fortschritt und praktiziert die seinerzeit von Pius IX in dem Syllabus verurteilte Devise: “Der Römische Oberhirte soll sich mit dem Fortschritt, dem Liberalismus und der modernen Zivilisation versöhnen und sich ihnen anbequemen.” (80. Satz)
— Die neuere ist der marxistische Typ. Die Verfechter dieser zweiten Richtung wollen die Religion zuerst ausnutzen und sie schliesslich zerstören. — Sie entstellen die Dogmen (zum Beispiel die von der “christlichen Liebe” und der “Gemeinschaft der Heiligen”), um die Katholiken, ohne daß sie sich wehren, einen echten spirituellen Sozialismus annehmen zu lassen. — Aber sie wollen schliesslich alle Institutionen der Kirche zerstören, vor allem in der Liturgie, weil sie sich mit dem Materialismus nicht vertragen, auf dem alle marxistischen Lehren beruhen. — Es ist diese Richtung, die den Geist der sogenannten “GEMEINSCHAFTLICHKEIT” ersonnen hat.
Diese zwei Richtungen des Progressismus gehen zusammen, um über ihren gemeinsamen Feind zu triumphieren, die traditionelle Orthodoxie. Die Konzilskonstitution von 1963 und die apostolische Konstitution von 1969 schaffen eine Neo-Liturgie, die genau übereinstimmt mit dieser doppelten Strömung, der ökumenischen und der kollektivistischen.
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Die neuen Bestimmungen bringen eine neue Definition der Liturgie. Sie machen sie didaktisch, der Evolution unterworfen, gemeinschaftsträchtig und schwärmerisch.
DIDAKTISCH: Die Unterweisung wird über den Kult gestellt. Die Katechese wird bewußt übertrieben. Der Kult hört auf, theozentrisch zu sein, um anthropozentrisch zu werden.
EVOLUTIV: Die Liturgie wird sich in Zukunft ständig weiter entwickeln, um sich der Welt anzupassen. Sie gibt ihre frühere Beständigkeit auf.
GEMEINSCHAFTSTRÄCHTIG: Das Priestertum der Gläubigen wird erhöht, das des Priesters gemindert. Beide vereinigen sich in einem kollektiven Priestertum.
SCHWÄRMERISCH: Unter dem Vorwand, den Elan der Aufrichtigkeit zu fördern, öffnen die neuen Bestimmungen die Tore dem alten Rosenkreuzertum, wonach Gott sich seitens der Gläubigen mit einem privaten Kult begnügen kann.
Es ist durchaus verständlich, daß die progressistischen Gesetzgeber der Neo-Liturgie diese vier Merkmale eingeprägt haben. Um die alten Institutionen zu zerstören, musste man sie dem Prinzip der ständigen Veränderung unterwerfen. Um einen auf die nichtchristlichen Religionen ausgedehnten Ökumenismus zu ermöglichen, musste man die Liturgie entsakralisieren, also die Unterweisung an die erste Stelle rücken. — Um den Kult für das Eindringen des Sozialismus brauchbar zu machen, musste man ihn gemeinschaftsträchtig gestalten. Um den Keim der Zerstörung in die liturgischen Institutionen zu tragen, war es erforderlich, daß, im Verein mit den drei anderen Merkmalen, die Schwärmerei schließlich dem privaten Kult die erste Stelle einräumte, (die Hausmessen gehen aus diesem Prinzip hervor.)
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Um die alte Liturgie zu zerstören, ohne heftigen Widerstand hervorzurufen, sahen sich die progressistischen Redakteure der beiden fundamentalen Dokumente wohl genötigt, traditionelle Grundsätze zum Ausdruck zu bringen. Aber sie achteten darauf, daß sie nicht angewendet werden. Was sie dagegen angewendet haben, allerdings ohne es ausdrücklich zu schreiben, ist die modernistische Theologie.
Die beiden Konstitutionen sind also im höchsten Grade ZWEIDEUTIG. Sie verkünden abwechselnd traditionelle Thesen, welche die Integristen beruhigen sollen, aber toter Buchstabe bleiben, und progressistische Thesen, die üppig entwickelt werden. Zum Beispiel ist das Prinzip des Latein erhalten, aber nur in der Theorie, denn, was in allen Einzelheiten geregelt ist, ist die Generalisierung der Anwendung der Volkssprachen.
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Alle treuen Katholiken haben eine zweifache Feststellung gemacht: die Hierarchie ist verblendet, aber sie bleibt legitim.
— Die VERBLENDUNG der Hierarchie ist offensichtlich geworden seit dem Konzil, aus dem nichts Klares hervorgegangen ist. Ihm fehlte nicht nur die Kraft, die latente Krise zu meistern, sondern es machte sie offen, allgemein und tief. Die Glaubenstreue verbietet uns, die in diesem Zustand der Verblendung erlassenen liturgischen Bestimmungen endgültig anzunehmen, insbesondere die neue Messordnung.
— DIE LEGITIMITÄT der Hierarchie. — Indem sie den Gläubigen die heterodoxen Lehren des Progressismus auferlegen, mißbrauchen der Episkopat und der Heilige Stuhl die geistliche Autorität, die sie von Gott haben. Aber diese Autorität bleibt legitim in ihrem Ursprung und im Wesentlichen ihrer Ausübung. Niemand kann sich an die Stelle der Hierarchie setzen, auch wenn sie verdunkelt und mißbräuchlich ist. Man muß sie ERDULDEN, solange der göttliche Meister sie nicht gewandelt hat.
ERLEIDEN OHNE ANZUNEHMEN, das ist die Haltung, die sich aus diesem Konflikt ergibt. — Man soll die Neo-Liturgie erleiden wegen der Legitimität des Klerus. Es wäre nicht richtig, sich selbst zu exkommunizieren. Man muß in der Kirche bleiben, die von Gott gegründet ist. — Aber man darf weder Geist, noch Buchstaben dieser zweideutigen Liturgie akzeptieren, um nicht durch Gehorsam Progressist zu werden, wie sehr viele.
Diese Haltung wird keineswegs von allen Traditionalisten eingenommen. Sie scheint ihnen zur Regelung der Krise nicht geeignet. Betrachten wir das näher.
— Die einen sagen: “Lasst uns die Religion durch Disziplin retten.” Und sie nehmen nach und nach alle Reformen an, zuerst dem Buchstaben nach, um nicht ungehorsam zu sein, und dann auch im Geiste.
— Die anderen sagen: “Lasst uns die Religion durch die Rechtgläubigkeit retten.” Und wegen der Gefahr der Ansteckung verzichten sie auf die Teilnahme an häretischen oder auch nur häretisierenden Gottesdiensten und organisieren eine private Liturgie.
Sie schleudern, die einen wie die andern, furchtbare Anathemas gegeneinander. Die Orthodoxen beschuldigen die Gehorsamen der Häresie. Die Gehorsamen beschuldigen die Orthodoxen des Seinsmas.
Wir dürfen uns über diese Meinungsverschiedenheiten nicht wundern und dürfen nicht daran Anstoss nehmen. Sie sind in einer derartigen Situation normal. Wenn die geistliche Autorität so zweideutige, seltsame, beunruhigende Verlautbarungen von sich gibt, ist es unvermeidlich, daß die Gläubigen, sich selbst überlassen, ihrem Temperament entsprechend reagie-. ren bei dem Versuch, die Zweideutigkeit der Anordnungen durch eine eindeutige Stellungnahme zu kompensieren. Es ist entschuldbar, daß sie, wie eben jeder kann, Mittel gegen eine Krise suchen, die von der verworrenen Lehre der kirchlichen Autorität herrührt.
Die einen wie die anderen werden bald feststellen, daß die Situation grundsätzlich UNLÖSBAR ist und nur durch einen wunderbaren Eingriff der Heiligsten Dreifaltigkeit geregelt werden kann. Die Stunden der Verzweiflung sind die Stunden Gottes.
Bis dahin muß man sich mit einer Einstellung zufrieden zu geben wissen, deren Unsicherheit nicht von uns abhängt. “Erleiden ohne anzunehmen” ist schwer. Man kann es nur erreichen, wenn man zwei Bedingungen erfüllt.
— Man muß eine Grenze festsetzen, weil die Neo-Liturgie grundsätzlich veränderlich ist, und es wird eine Zeit kommen, da man an ihr nicht mehr teilnehmen kann. Diese Grenze ist gezogen durch die Realität der sakramentalen Gegenwart. Wenn man sicher ist, daß der Priester gültig konsekriert, kann man der Messe beiwohnen, die er zelebriert, wie auch immer sonst seine Unvollkommenheiten sein mögen. Wenn der Priester aber nicht gültig konsekriert, wird man nicht teilnehmen dürfen, um nicht zum Komplizen einer sakrilegischen Heuchelei zu werden. Leider wird es meistens Zweifel geben. Die Grenze wird also nicht klar sein. Wir können daran nichts ändern, es ist die Folge der Zweideutigkeit der Bestimmungen.
— Man muß fähig sein, dem unmerklichen Abgleiten in die Häresie zu widerstehen, das durch die neuen Maßnahmen bezweckt wird. Die Gefahr dieses Soges ist besonders groß bei den Kindern, die keine Vergleichsmöglichkeiten haben, da sie die alten Riten nicht kennen. Sie ist aber auch bei den Erwachsenen nicht unbedeutend. Um die Kraft zu haben, zu “erleiden, ohne anzunehmen”, muß man sich um die Kenntnis und das Verständnis der traditionellen Liturgie bemühen. Darum erschien es uns nützlich, ihre Hauptcharakteristika in Erinnerung zu rufen.
II
KULT UND PÄDAGOGIK
Es ist vollkommen unzweifelhaft, daß die Liturgie nicht geschaffen wurde, um der Katechese ein Asyl zu verschaffen. Der Kult und die Unterweisung stören sich gegenseitig. Man kann nicht beide zugleich einwandfrei ausüben. Man muß sie trennen.
Allerdings ist es notwendig, die Gelegenheit, daß die Gläubigen in der Kirche sind, zu ihrer Unterweisung zu benutzen, weil die Sonntagsmesse Pflicht ist, Religionsunterricht dagegen nicht. Die Liturgie liefert also eine Gelegenheit der Unterweisung, ist aber in ihrem Wesen nicht pädagogisch. Die Väter haben schon vor sehr langer Zeit eine äusserst einfache Lösung für das empfindliche Verhältnis zwischen Kult und Katechese gefunden:
— im Chor zelebriert man die heiligen Geheimnisse lateinisch,
— von der Kanzel erteilt man Unterweisung in der Landessprache.
Die Predigt ist geschaffen, um alles in der Landessprache zu erklären, was erklärungsbedürftig ist. Und wenn die Erklärungen beendet sind, setzt man die heilige Handlung fort, ohne sich weiter um etwas zu kümmern als um den Kult, der Gott darzubringen ist.
Die Frucht der Liturgie ist nicht die Unterweisung, sondern die ERBAUUNG. Der Kult regt in den Seelen der Anwesenden religiöse Gedanken und Empfindungen nicht nur durch die Wirkung der Worte, die sie hören, sondern durch alles, was sie sehen und erkennen, an. Diese Erbauung ist umso intensiver, je reiner der Kult ist, das heisst, je weniger Katechese er enthält. Wir zögern nicht zu behaupten, daß die Kraft der Erbauung der Liturgie eben auf dem Fehlen jeder pädagogischen Absicht beruht.
Sie muß auch der Seele die Musse lassen, in die Ferne zu schweifen. Die Zeiten der AKTIVEN Teilnahme müssen unterbrochen werden durch längere Zeiten der bloß PASSIVEN Anwesenheit, in denen der Geist die geheimnisvollen Sätze des Messbuches gleichsam wiederkäuen kann, um daraus einen noch unbekannten Sinn hervorzubringen.
Nehmen wir ein Beispiel. Der Text des Graduale bringt: “… um ihm sein Mass Weizen zu geben zur rechten Zeit.”
Die Seele ist, an diesem Tage, erfasst durch das Wort “zur rechten Zeit” und sie fragt sich, welche Bedeutung das haben kann. Sie entdeckt schliesslich, daß Gott sie dadurch belehrt, man müsse zuerst im Gebet bitten und dann in Geduld warten. Man muss darauf warten, daß die Vorsehung die günstige Zeit ergreift. — Und der Rest des Gottesdienstes wird vergehen, indem man still psalmodiert: “… um ihm sein Mass Weizen zu geben zur rechten Zeit.” Das wird die Nahrung sein für diesen Tag.
An einem anderen Tag wird man verweilen bei jener Stelle der Kollekte: “… damit eure Freude vollkommen sei.” Und man wird sich vergegenwärtigen, daß es auf dieser Erde in der Tat geistige Freuden gibt, die wirklich von Gott geschickt sind, daß sie aber dennoch nicht vollkommen sind, weil die Seele schwer ist und sich weder ausweiten, noch erheben kann. Und man wird daran denken, daß im Hause des Vaters jede Härte und Bitterkeit verschwunden sein wird, und die Freuden dann vollkommen sein werden.
Diese kleinen aber so kostbaren Funken werden nicht hervorbrechen, wenn ein Dauersprecher durch sein Mikrophon allen eine gemeinschaftsfördernde Erläuterung aufdrängt, die notwendigerweise von einer widerwärtigen Fadigkeit sein wird.
— Indem sie unterweisen will zu einer Zeit, die nicht gut ist, stört die liturgische Katechese nicht nur die Zeremonie und verunreinigt den Kult, sondern hemmt auch die Erbauung der Gläubigen, statt sie, wie sie vorgibt, zu fördern.
DIE LITURGISCHEN SPRACHEN
“Lasst uns Gott einen wohlgefälligen Kult darbringen in Frömmigkeit und Furcht, denn unser Gott ist auch ein verzehrendes Feuer.” (Hebr. XII — 29)
Um Gott einen wohlgefälligen Kult darzubringen, muss man das vor allem in einer Sprache tun, die ihm gefällt. Nun hat Er selbst die Sprachen bezeichnet, die ihm gefallen. Das sind die drei Sprachen der Kreuzesinschrift, das Kreuz aber ist der vollkommenste Altar.
“Diese Inschrift lasen viele Juden, denn die Kreuzigungsstätte war nahe bei der Stadt; sie war geschrieben hebräisch, griechisch und lateinisch.” Joh. XIX 20
Das sind die drei liturgischen Sprachen, die Gott gefallen. Er hätte sie nicht deutlicher bezeichnen können. Der lateinische Ritus verwendet auch Griechisch und Hebräisch:
— Griechisch in Ausdrücken wie: Kyrie eleison, Agios 0 Theos; Hebräisch in einer Reihe von Worten, die so oft wiederholt werden wie: Amen, Alleluja, Hosanna.
Das ist das beste Argument zugunsten des Latein in der Liturgie. Und doch wird es oft vergessen. Man führt vor allem zwei andere an:
— seine UNIVERSALITÄT, die eine wertvolle Stütze der Katholizität der Kirche bildet,
— seine BESTÄNDIGKEIT, die es zum besten Werkzeug einer unwandelbaren Doktrin macht. “Man braucht eine tote Sprache, um ewige Wahrheiten auszudrücken.”
Diese zwei Argumente haben sicher ihren Wert. Aber sie sind aus dem Bereich des Praktischen und des Menschlichen und kommen nicht an den Wert desjenigen heran, das aus der Kreuzesinschrift abgeleitet ist und die göttliche Wahl offenbart. “Lasst uns Gott einen wohlgefälligen Kult darbringen.” Der Kult muss gottgefällig sein, das geht vor dem Nutzen für die Menschen.
Im Zusammenhang mit der liturgischen Sprache möchten wir darauf hinweisen, daß das DUZEN in den französischen Übersetzungen absolut unzulässig ist. Die Neo-Modernisten finden darin einen dreifachen Vorteil:
- Das Duzen verstärkt die Ähnlichkeit der katholischen Liturgie mit dem protestantischen Gottesdienst. Es fördert den Zusammenschluß der Kirchen.
- Verständlicherweise ist es beliebt bei Leuten, nach deren Meinung Gott vom Menschen keinen öffentlichen Kult verlangt und sich mit einem privaten Kult begnügt. Das Duzen ist in der Tat eine Ausdrucksweise, die unwillkürlich angewendet wird bei mystischer Begeisterung und Stossgebeten, wenn Jesus für einen kurzen Augenblick sich zum innigen Freund der Seele macht.
- Die katholischen Krypto-Kommunisten predigen auch das Duzen, und zwar aus folgenden Gründen: die menschliche Sprache ist so beschaffen, daß sie im allgemeinen eine emphatische Form benutzt, um Hochachtung auszudrücken; wenn man einer bedeutenden Persönlichkeit Ehre erweisen will, geschieht es instinktiv, daß man sie noch vergrössert und, um sie zu vergrössern, sie gewissermassen vervielfältigt, indem man entweder die Mehrzahl oder das Superlativ verwendet. Das Duzen, in unserer Sprache wenigstens (Französisch, Anm. d. Übers.), bedingt umgekehrt einen Reflex der Vertraulichkeit. Es ist ein ausgezeichnetes Mittel, uns an einen vertraulichen Umgang mit Gott zu gewöhnen und uns den Sinn für die göttliche Majestät verlieren zu lassen.
Aus diesen Gründen schämen wir uns des Duzens, das in den neuen Gottesdienst eine Albernheit und eine wahrhaft unerträgliche Vulgarität hereinbringt. (Den Leser, der die französische Sprache nicht kennt, möchten wir auf die Tatsache aufmerksam machen, daß die Höflichkeitsform “vous” (entspricht unserem “Sie”) gegenüber dem einfachen “tu” (entspricht unserem “du”) einen viel grösseren Raum einnimmt als unser “Sie” gegenüber dem “du”. Beispielsweise ist es in Frankreich üblich, daß Eheleute sich siezen. Auch bei Kindern gegenüber den Eltern ist die Höflichkeitsform vorherrschend. Dementsprechend drückt die einfache Anrede entweder sehr grosse Intimität oder Mißachtung aus. Daher wurde beim Gebet immer die Höflichkeitsform verwendet.)
DIE GEHEILIGTE UMFRIEDUNG
Die Liturgie soll in einer GEHEILIGTEN UMFRIEDUNG gefeiert werden. Wir haben genug gelitten unter den Messen im Freien oder in profanen Hallen, auf Podien, ähnlich Boxringen, gestaltet nicht von heiligen Mystikern in Gottesnähe, sondern von einer Art Schaustellern und Standkrämern.
Die Texte der Kirchweihe und die der Messe “Terribilis” zeigen wohl die Bedeutung, die seinerzeit der Einweihung der Kirchen beigelegt wurde. Heute scheint der Klerus zu glauben, daß man die Liturgie ungestraft feiern kann, egal wo. Das ist ein großer Irrtum, denn “wir haben nicht nur gegen das Fleisch und das Blut zu kämpfen, sondern auch gegen jene GEISTER DER BOSHEIT, die in der Luft ausgebreitet sind.” Nicht geweihte Räume bieten keinerlei Schutz. Dagegen ist die Atmosphäre gereinigt in einer Einfriedung, die Gott in Besitz genommen hat für die Zeit und für die Ewigkeit:
“Furchtbar ist dieser Ort. Das ist FÜRWAHR das Haus Gottes und die Pforte des Himmels, und man wird ihn die Wohnung Gottes heissen. Wie lieblich sind Deine Wohnungen, Herr der Heerscharen. Meine Seele seufzte und verzehrte sich nach den Vorhöfen des Herrn.” (Introitus der Messe “Terribilis”)
DIE LITURGISCHE STABILITÄT
Die traditionelle Liturgie ist BESTÄNDIG, aber gleichzeitig aufgeschlossen für die Eingebungen des Heiligen Geistes. Wie sind diese zwei Eigenschaften gleichzeitig möglich?
Es ist notwendig, daß die Liturgie durch ihre Beständigkeit an die göttliche Unwandelbarkeit erinnert. Eine evolutive Liturgie beweist, eben durch ihre Evolution, daß sie nicht von Gott kommt:
“Der Vater des Lichtes, bei dem es keinen Wechsel und keinen Schatten von Veränderung gibt.” (Jak. I-17)
— Übrigens ist unser Geist so beschaffen, daß ein Ritus, bei dessen Ausarbeitung wir zugegen waren, für uns immer von prekärer Art sein wird, beinahe eine heuchlerische Ziererei. Wenn wir ihn dagegen in der Überlieferung vorgefunden haben, wird er mit dem Prestige des Herkommens bekleidet und unbestritten sein.
Zugleich muß die Liturgie sich für die aufeinanderfolgenden Eingebungen des Heiligen Geistes aufnahmefähig erweisen, die sie bereichern, ohne ihre Stabilität zu erschüttern. Sie verleibt sich zur rechten Zeit alles ein, was wahrhaft von Gott kommt. So wird sie ständig gestaltreicher, indem sie sich mit Geschichte anreichert. Die Seiten der alten Kathedrale erhalten immer neue Anbauten verschiedenen Stils, die ihre Seele bereichern.
Die Partei des Fortschritts verabscheut sowohl die Stabilität der Liturgie, als auch die schrittweise Bereicherung. Sie will sie in ständiger Evolution sehen, damit sie sich an die sich ständig ändernde Welt anpasst. Sie gibt diesem Willen nach permanenter Mutation zwei Arten von Rechtfertigung, deren mangelnde Berechtigung wir nachweisen werden.
Sie setzen als Axiom, daß jedes Sein sich notwendig ändern muß, um sich am Leben zu erhalten. EVOLUTION und LEBEN sind zwei völlig gleichbedeutende Worte geworden. Man identifiziert sie. Man muß sich ändern, um zu leben, meint man. Und umgekehrt, alles, was sich ändert, lebt. Man macht aus dem Leben ein Äquivalent der Evolution.
Indessen ist das nicht die Wahrheit. Das Leben beruht auf der REGELMÄSSIGKEIT DER PULSATION. Wenn diese Regelmässigkeit fehlt, kommt der Tod. Wir sterben, sobald wir anfangen, diese Regelmässigkeit zu verlieren und folglich uns zu ändern. Umgekehrt erhalten wir uns am Leben in dem Masse, wie unsere verschiedenen Pulsationen konstant bleiben.
Indem die Neo-Modernisten der Liturgie die Evolution aufzwingen, unter dem Vorwand, ihr Leben zu verschaffen, bereiten sie in Wirklichkeit ihren Ruin, denn, anstatt ihr die Konstanz ihrer regelmässigen Pulsationen zu lassen, unterwerfen sie sie dem Zyklus Geburt, Höhepunkt, Tod. — Und in der Tat, das ist es, was wir beobachten. Die Mutation bringt der Liturgie nicht das Leben, sondern das FIEBER. Das Fieber aber führt zum Tod.
Man wiederholt uns ohne Unterlass den schönen Spruch: NOVA ET VETERA, dessen Anwendung so aussieht. — Die Liturgie müsse eine Mischung von Neuem und Altem sein; das Alte findet man in der Tradition (das konzediert man uns), aber das Neue in der Welt.
Diese Interpretation ist sehr schlecht. Der vollständige Text in der Schrift heißt:
“Jeder Schriftgelehrte, der ein Schüler des Himmelreiches geworden ist, gleicht einem Familienvater, der Neues und Altes aus seinem Schatz hervorholt.”
Man sieht klar, daß auch das Neue (und nicht nur das Alte), um dem Willen Gottes zu entsprechen, aus dem Schatz der Familie geholt werden muss, und das läuft darauf hinaus, zu sagen, aus der Tradition.
DIE FÜNF TEILE DES OPFERS
Die Messe bildet eine UNZERSTÖRBARE Gesamtheit wie ein Block. Die Neo-Modernisten wollen unterscheiden eine Liturgie des Wortes und eine Liturgie des Opfers, weil diese Unterscheidung die Umwandlung der Lesungen in eine Katechese gestattet. Was ist aber der Wert dieser Unterscheidung? Wir gestehen, von dem Prinzip dieser zwei aufeinanderfolgenden Liturgien nicht überzeugt worden zu sein.
Die Messe ist das Erlösungsopfer, von den Gebeten an den Stufen des Altares an bis zum Schlußsegen. Sie enthält fünf Teile wie das mosaische Opfer, dessen Vollendung sie ist:
— die Heiligung,
— die Darbringung, — die Opferung,
— die Verzehrung und — die Annahme.
Man muß die Opfergaben heiligen, bevor man sie darbringt, weil nichts Unvollkommenes vor Gott erscheinen darf. Man muß das Opfer seinem wahren Empfänger darbringen, bevor man es opfert. Man muß es aufopfern, bevor man es verzehrt. Schließlich soll es angenommen werden von dem, dem es dargebracht worden ist. — Das sind die fünf Teile des gleichen Opfers. Wenn man einen davon ausscheidet oder verändert, bricht das Ganze zusammen. Das ist der Zusammenbruch, dessen Zeugen wir sind.
Ein Beispiel wird uns zeigen, daß unsere Väter die Unzerstörbarkeit des Heiligen Opfers verstanden haben. Als das tridentinische Konzil beschloss, das Evangelium in der Vulgärsprache zu verkünden, wagte man nicht, an seine Verkündung in Latein zu rühren, die im Chor geschah, aus Furcht, daß diese Änderung andere nach sich ziehen würde und die ganze Liturgie in Frage gestellt wäre. Man wiederholte das Evangelium in der Vulgärsprache von der Kanzel, nachdem man es lateinisch im Chor verkündet hatte. Diese charakteristische Episode in der Geschichte der Liturgie beweist, daß die “Lesungen” damals nicht als ein Lehrstück betrachtet wurden, sondern als Bestandteil der Opferhandlung, an der man nicht rühren darf. Die Lesungen sind FEIERLICHE VERKÜNDIGUNGEN und nicht ein Stück Katechese. Das ist sehr wichtig, denn, wie man sich erinnern wird, war es die Vulgarisierung der Lesungen, mit der die Aushöhlung der Liturgie einsetzte. Damit hat man den Finger in das Räderwerk gelegt.
Der Begriff “Liturgie des Wortes” ist von den Progressisten erfunden worden, um die Lesungen der Opferhandlung aus den Angeln zu heben und damit auch den Kanon verwundbar zu machen. Es wäre logisch, wenn die Wiederherstellung der Liturgie eine neue Latinisierung der Lesungen mit sich bringen würde.
ALTAR UND TABERNAKEL
Es ist unzulässig, den Altar zu versetzen, um die Zelebrierung VERSUS POPULUM zu ermöglichen. Der ganze traditionelle Symbolismus wird dadurch durcheinander gebracht! Diese Anordnung beinhaltet für sich allein die ganze revolutionäre Religion.
— Die Aufgabe des Priesters ist die Mittlerschaft zwischen Gott und den Menschen. In der klassischen Anordnung ist seine Aufgabe durch seinen Platz zwischen der Hostie und den Gläubigen zum Ausdruck gebracht.
— Die moderne Anordnung macht aus der Hostie einen Mittler zwischen Priester und Volk. Die Rollen sind vertauscht. Und das geschieht in der Tat auch in der Wirklichkeit. Wir fahren fort, die Kirchen zu besuchen, nur mit Rücksicht auf unseren Herrn. Die Hostie ist es, die uns noch an den Klerus bindet.
— Der Tabernakel, Gottes Wohnung unter den Menschen, ist vom Ehrenplatz vertrieben worden, den er in der Mitte des großen Altars hatte, von wo er ohne offensichtliche Herabsetzung nicht entfernt werden konnte. Er irrt jetzt nach der Phantasie der Priester in der Erwartung, zu verschwinden, wenn man uns eröffnet haben wird, daß er nichts mehr enthält, weil die Realpräsenz, den letzten Äusserungen gemäss, von kurzer Dauer ist.
— Der Heilige Tisch ist ebenfalls verschwunden im Gegenstoss der Umwälzung des Altars, der zum Tisch des Liebesmahles geworden ist. Man wird ihn wiederherstellen müssen.
— Das Kruzifix, das sich auf dem Altar aufrichten sollte, fängt an, den Platz zu ändern, denn es ist in der Tat sehr störend. Es verliert seine symbolische Bedeutung und wird zu einem Instrument der Ausstattung. Man sieht es jetzt dem Priester den Rücken kehren, providentiell die Mißbilligung der neuen Riten offenbarend.
DIE SCHÖNHEIT DES KULTES
Lassen wir zunächst ein Kriterium fallen, das oft angewendet wird, obwohl es in Wirklichkeit sehr unvollkommen ist. Viele erkennen die gute Liturgie an ihrer Schönheit, die schlechte an ihrer Hässlichkeit. — Diese Art der Unterscheidung ist sehr unvollkommen, weil der Teufel und seine Engel einen Teil ihrer ursprünglichen Schönheit bewahrt haben, und wenn wir nach der Schönheit urteilen würden, müssten wir die Werke des Teufels bewundern und als gut annehmen. Den heidnischen Zeremonien, die doch einen Kult der bösen Geister darstellen, fehlte es nicht an Schönheit.
Viele Gegenstände der Andacht, fromme Worte und Gesten, die sicher von Gott eingegeben und gesegnet sind, erscheinen uns dagegen zunächst von einer Künstlichkeit, die Menschen mit einem exklusiven Formsinn manchmal mißfällt.
In der Liturgie muß man mehr auf den Grund als auf die Form sehen. Das in dieser Beziehung leitende Kriterium ist die EXAKTHEIT DER SYMBOLE. Sind diese exakt, dann erhalten die Zeremonien, sowohl geistlich, als auch sinnlich, eine Vollkommenheit von unaussprechlicher Schönheit.
Man muß sich vergegenwärtigen, daß der echte Symbolismus notwendigerweise komplex ist, weil die Schöpfung ein Schlachtfeld ist, wo Gutes und Böses vermischt ist. Das gleiche Zeichen hat mehrere Bedeutungen. Zum Beispiel bedeutet der Löwe “die Stimme des Rufenden in der Wüste”, aber auch die Raubgier dessen, der “sucht, wen er verschlinge” (quaerens quem devoret). — Der übermässig vereinfachte Symbolismus, wie er heute Mode ist, hat keinerlei religiösen Wert. Seine Aufgabe ist die Rationalisierung und Entsakralisierung der Riten.
DER GREGORIANISCHE GESANG
Man wird wohl eines Tages die GÖTTLICHE INSPIRATION des traditionellen Kirchengesanges erkennen müssen. Es ist ein himmlischer Gesang. Freilich ist es schwierig, eine strenge Grenze zwischen religiöser und profaner Musik zu ziehen. Und doch ist es sicher, daß der Gregorianische Gesang im menschlichen Empfinden einen Bereich einnimmt, den man als PNEUMATISCH bezeichnen kann. Dieser steht in Beziehung zur Funktion der Atmung, das heisst zur Funktion einer subtilen Nahrung.
Die profane Musik ruft mächtigere, aber ohne Zweifel weniger hohe und weniger edle Gefühle hervor.
Indessen gibt es auch eine Musik von UNZWEIFELHAFT RELIGIÖSEM Charakter, aber geschaffen, um die Religion des Unten zu suggerieren und zu begleiten, die Religion der Götzen, der üblen Instinkte, der bösen Geister. Sie erzeugt einen Widerhall, den man ABDOMINAL nennen muß.
Da die Progressisten den Gregorianischen Gesang aufgegeben haben und diese elementaren Unterscheidungen ablehnen, sind sie bestrebt, und zwar mit Erfolg, in unsere Kirchen eine Musik einzuführen, die sicher bewegend ist, aber von einer PROFANEN Bewegung. Sie hat nichts mehr Himmlisches.
Sie gehen sogar noch weiter, indem sie uns an HEIDNISCHE Klänge gewöhnen wollen, die nichts anderes sind als die Musik der Götzen, also einer Religion des Unten.
DIE FIXIERUNG DES OSTERFESTES
Die Fixierung des Osterfestes ist unannehmbar. Dafür lassen sich nur Gründe wirtschaftlicher und praktischer Art anführen, die auf dem Gebiet der Religion keinen Wert haben. Und doch schliesst die Konzilskonstitution vom 4. Dezember 1963 mit jener verblüffenden Erklärung:
“Das Heilige Konzil widersetzt sich nicht einer Fixierung des Osterfestes auf einen bestimmten Sonntag des Gregorianischen Kalenders.”
Die Kirchenregeln zur Bestimmung des Osterfestes sind durch das Konzil von Nizäa festgesetzt worden. Dieses hat beschlossen, daß Ostern am Sonntag nach dem Vollmond, der nach dem 21. März, das heisst nach dem Frühlings-Äquinoktium, eintritt, gefeiert werden soll. Dieses Datum, das dem Mondzyklus angehört, ist im Kalender beweglich. Es ist im höchsten Grade angebracht, ja unerlässlich, das Rechenverfahren der Juden beizubehalten, weil Jesus selbst es respektiert hat, indem er an dem so bestimmten Datum die Passion erlitt.
Die Beweglichkeit dieses Datums ergibt eine notwendige Pulsation zwischen den beweglichen und den unbeweglichen Festen. Man muß sich an dieses traditionelle Rechenverfahren halten. Alle beweglichen Feste richten sich nach Ostern. Es steht geschrieben:
“A LUNA SIGNUM DIEI FESTI” (Ekk. XLIII — 7 “Vom Monde kommt das Zeichen des Festtages”.
Der Mond ist das Zeichen der Heiligen Jungfrau. Ebenso wie Maria in Kana das Signal für das öffentliche Leben unseres Herrn gab, gibt der Mond das Signal für die Feste der Liturgie, die das öffentliche Leben des mystischen Leibes unseres Herrn ist. Die vitale Pulsation des Osterfestes aufgeben, heisst den Festzyklus zu einer tödlichen Verkalkung verdammen.
Übrigens ist der ganze liturgische Jahreszyklus in großer Gefahr. Er ist dem Wettbewerb mit dem neuen DREIJÄHRIGEN Zyklus ausgesetzt. Der Vorwand ist wie immer die bessere Unterweisung der Gläubigen. Doch schon seit langem ist es nicht mehr möglich, an die guten Absichten der reformatorischen Prälaten zu glauben. In Wirklichkeit wollen sie nach und nach zu zwei für ihre Absichten wesentlichen Wandlungen gelangen.
Die erste Wandlung zielt auf den Ökumenismus. Die durch den dreijährigen Zyklus bedingten Umarbeiten begünstigen die Vermehrung der Texte “ad libitum”. Im Verein mit dem neuen Ordo werden sie es ermöglichen, eine vollkommene Verschwommenheit der Liturgie zu erreichen. Der Zelebrant wird schließlich die Texte seiner Wahl lesen. Das wird eine “Normativmesse” sein, die nur in einer Reihe von Kapitelüberschriften besteht, unter die der Diener des Wortes die Texte seiner Religion einführt.
Die zweite Wandlung zielt auf die Zerstörung des Jahres-Zyklus, der eine der wichtigsten Institutionen der traditionellen Liturgie ist. Der dreijährige Zyklus, zuerst im Wettbewerb mit dem jährlichen Zyklus, wird schließlich über ihn die Oberhand gewinnen und ihn aus den Angeln heben. Man wird eine neue Rückkehr zu den Quellen vorgeben, indem man darauf hinweist, daß das öffentliche Leben unseres Herrn in einem Zyklus von drei Jahren verlief.
DAS WAHRE PRIESTERTUM DER GLÄUBIGEN
Viele liturgische Neuerungen werden mit der Existenz eines gewissen PRIESTERTUMS der Gläubigen begründet. Dieses ist in den offiziellen Dokumenten nicht klar definiert, man macht aber daraus einen Teil des Amtspriestertums. Es soll unter anderem die Ausübung eines liturgischen Dienstes durch die Gläubigen rechtfertigen, der unbestreitbar Eingriffe in den des Priesters mit sich bringt. Man sieht sogar den Begriff eines kollektiven Priestertums entstehen.
Kein Zweifel, daß jeder Getaufte Inhaber jenes “königlichen Priestertums” ist, das ihm die berühmte Stelle aus dem heiligen Petrus zuschreibt. Aber dieses Priestertum entspringt in Wirklichkeit dem von Maria und nicht dem von Jesus. Und zwar so: unser Herr hat die Passion physisch erlitten. Die allerseligste Jungfrau Maria hat die Passion mystisch erlitten und ein ebenfalls mystisches, das heisst nicht amtliches, Priestertum ausgeübt. Sie wurde weder belästigt, noch beschimpft. Sie hat in das Priestertum Jesu nicht eingegriffen. Ihre Passion war innerlich.
Nach ihrem Vorbild erleidet die Kirche, die der mystische Leib Christi ist, die Passion nur mystisch, denn die Pforten der Hölle dürfen sie nicht überwältigen und sie darf nicht von der Oberfläche der Erde verschwinden. Das Priestertum, zu dem die Zugehörigkeit zur Kirche durch die Taufe berechtigt, ist ein mystisches Priestertum von derselben Art wie das Marias.
Die gesunde Theologie lehrt, wie wir gesehen haben, daß das Priestertum der Gläubigen sich von dem der Priester nicht nur nach dem Grade unterscheidet, sondern auch nach dem Wesen. Nun war das Amtspriestertum schon seit langem Gegenstand notwendiger Präzisierungen im Hinblick auf seine Natur. Jetzt müsste das der Gläubigen an die Reihe kommen. Uns scheint, daß das Priestertum der Gläubigen, definiert als Fortsetzung des Priestertums Marias, seine Grenzen achten würde und, da nicht amtlich sondern mystisch, das heisst verborgen, in das der geweihten Priester nicht mehr eingreifen würde. Keinerlei Verwirrung wäre dann möglich.
DAS MESSBUCH
Das PERSÖNLICHE ZWEISPRACHIGE MESSBUCH ist absolut notwendig. Sein Verschwinden verhindert, wie uns die Erfahrung zeigt, eine verständige Teilnahme der Gläubigen am Gottesdienst. Der progressistische Klerus hat gegen dieses Messbuch mit Verbissenheit gekämpft, weil es der Änderung der Liturgie im Wege war. Es war der feste Punkt, der alles zusammenhielt. Man hat es durch gemeinschaftliche und veränderliche Bücher ersetzt, die nichts Persönliches und daher nichts Lebendiges an sich haben.
Wenn der Aufbau der Ruinen kommt, möchte man wünschen, dass das individuelle Messbuch, die geistige Nahrung fürs ganze Leben, wieder zu Ehren kommt und sogar amtlich wird wie das Brevier für jeden Priester, wenn auch auf einer niedrigeren Stufe.
Die traditionelle Liturgie war HIERATISCH, das heißt sakral und nicht lehrhaft. Der Opfernde stieg zum Altar empor, um dem Ewigen Vater das geschlachtete Lamm darzubringen, das Erlösungsopfer zum Loskauf von den Sünden. Sie manifestierte die aus der Tiefe der Zeiten hervorgegangene Religion, eingesetzt durch das Opfer Abels und geheiligt auf Golgotha, die einzige wahre Religion des einzigen wahren Gottes, ebenso unzerstörbar wie “das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt.” Sie wird immer wiedererstehen, geheimnisvoll, feierlich, symbolisch, gesichert durch ihren Formalismus und ihre Beständigkeit, aber gleichzeitig empfänglich für den Heiligen Geist und widerspenstig gegen den Geist der Welt, der da ist des Bösen. — Wenn die Ruhe wiedergekehrt sein wird, wird man diese Erbschaft wiederherstellen und preisen, denn der Eifer der Seelen trägt nicht den Sieg davon über den Eifer Gottes, auch diesmal nicht.
Jean Vaquiè / Dr. Walter Quessel
Der französische Originaltext trägt den Titel: “Restauration de la liturgie traditionelle”
