III.
ERFOLGREICHE SEELSORGE
Was Wir bis jetzt über das herrliche Beispiel der priesterlichen Aszese und des Gebetslebens gesagt haben, Ehrwürdige Brüder, zeigt euch klar, aus welcher Quelle der heilige Johannes Maria Vianney seinen seelsorglichen Eifer geschöpft hat, und woher jener erstaunliche übernatürliche Erfolg seines Wirkens kommt. Mit Rücksicht darauf gab Unser Vorgänger Pius XII. die weise Mahnung: „Der Priester möge wissen, daß der ihm anvertraute wichtige Dienst um so fruchtbarer sein wird, je enger er selbst mit Christus verbunden und von seinem Geiste geführt arbeitet”. In der Tat bestätigt das Leben des Pfarrers von Ars von neuem und eindrucksvoll jenes höchste, auf den Worten Jesu Christi gegründete Gesetz der apostolischen Arbeit: „Ohne mich könnt ihr nichts tun”71.
Ohne Zweifel brauchen wir hier nicht alle bewundernswerten Taten dieses Dorfpfarrers anzuführen, der dreißig Jahre lang im Beichtstuhl von unzähligen Scharen so belagert wurde, daß er von einigen verächtlich „der Volksaufwiegler des 19. Jahrhunderts” genannt wurde72. Auch halten Wir es nicht für nötig, alle seine seelsorglichen Methoden darzulegen, die für unsere Zeit nicht immer brauchbar sind. Es möge nur das erwähnt werden, daß dieser Heilige für seine Zeit ein Beispiel pastoralen Eifers gewesen ist, und zwar in einem schlichten Dorfe, wo Glaube und Sitten noch unter den Nachwirkungen der französischen Revolution daniederlagen. Vor dem Antritt seines Amtes erhielt er nämlich den Auftrag: „Du wirst wenig Liebe zu Gott in jener Pfarrei finden; sorge dafür, daß sie durch dich erweckt wird”73. Ein unermüdlicher Arbeiter Gottes, geschickt und scharfsinnig bei der Gewinnung der Jugend und der Verchristlichung der Familie, aufgeschlossen für die menschlichen Nöte seiner Herde und nicht fremd gegenüber ihrer Lebensweise, voll tätiger Sorge für das christliche Schulwesen und die Volksmissionen, hat der heilige Johannes Maria Vianney bei dieser kleinen ihm anvertrauten Herde offenkundig das Bild des guten Hirten verwirklicht, der seine Schafe kennt, Gefahren von ihnen fernhält und sie stark und milde zugleich leitet. Er hat unbewußt sein eigenes Lob verkündet, als er einst bei einer Ansprache vor dem Volke sagte: „Ein guter Hirt! Das ist ein Hirt, der den Befehlen und Wünschen Jesu Christi ganz entspricht. Das ist das größte Geschenk, das der gütige Gott einer Pfarrei geben kann”74.
Das Beispiel dieses heiligen Mannes hat nun im wesentlichen unter einem dreifachen Gesichtspunkt dauernden und universalen Wert, worauf Wir, Ehrwürdige Brüder, aufmerksam machen möchten.
Es ist zunächst das Bewußtsein der Verantwortung für seine seelsorglichen Aufgaben. So groß war seine Demut, so hoch stand bei ihm im Lichte des Glaubens der Wert des menschlichen Heiles, daß er niemals ohne Furcht das Pfarramt hätte übernehmen können. „Mein Freund”, so sagte er ganz offen einem Mitbruder, „du weißt nicht, wie furchtbar es ist, wenn ein Priester aus der Seelsorge vor das Gericht Gottes gestellt wird”75. Es ist übrigens schon aus Unseren Darlegungen bekannt, wie lange ihn das Verlangen erfaßt hatte, in die Einsamkeit zu gehen und dort, wie er sagte, sein armseliges Leben zu beweinen und dafür Sühne zu leisten. Auch steht fest, daß ihn nur der Gehorsam und sein Seeleneifer auf das verlassene Feld des Apostolates wieder zurückführen konnten.
Wenn er die große Schwere dieser Last derartig empfand, daß er zuweilen davon fast erdrückt schien, kam es daher, weil er von seinem Amt und der Seelsorge eine so heroische Vorstellung hatte, daß sie nur durch entschlossenes Handeln verwirklicht werden konnte. Zu Beginn seiner pfarrlichen Tätigkeit betete er zu Gott: „Mein Gott, schenke mir die Bekehrung meiner Pfarrei. Ich bin zeitlebens bereit, alles nach deinem Willen zu leiden”76. Gott hat dieses inständige Flehen gewiß erhört, denn später konnte er bekennen: „Wenn mir bei meiner Ankunft in Ars die Leiden, die mich erwarteten, bekannt gewesen wären, wäre ich ohne Zweifel vor Schrecken sofort gestorben”77. Aber nach dem Vorbild apostolischer Männer aller Zeiten sah er vorzüglich im Kreuz das wirksame Mittel, um für das Heil der ihm anvertrauten Seelen zu arbeiten. Für sie ertrug er ohne Klage Verleumdungen, Vorurteile, Widerwärtigkeiten aller Art; für sie übernahm er gern und täglich ein wahres Martyrium körperlicher und seelischer Art in der fast ununterbrochenen Verwaltung des Bußsakramentes während dreißig Jahren. Für sie brachte er seinen Leib durch freiwillige Abtötungen in Knechtschaft. Sehr bekannt ist seine Antwort an einen Priester, der sich bei ihm über die Unfruchtbarkeit seiner seelsorglichen Tätigkeit beklagte: „Hast du flehentlich zu Gott gebetet, hast du geweint und geseufzt, hast du auch Fasten, Nachtwachen, Schlafen auf dem Erdboden und körperliche Kasteiungen übernommen? Solange du dazu noch nicht gekommen bist, glaube nicht, alles getan zu haben”78.
Wir wenden Uns wiederum an alle Seelsorger und bitten sie dringend, die Bedeutung dieser gewichtigen Worte zu erfassen. Ein jeder möge entsprechend der übernatürlichen Klugheit, durch die alle unsere Handlungen geregelt werden müssen, über sein eigenes Verhalten nachdenken, ob es nämlich so ist, wie es die pastorale Sorge für das anvertraute Volk verlangt. Im Vertrauen auf die Hilfe der göttlichen Barmherzigkeit, die niemals der menschlichen Schwachheit fehlt, mögen die Diener des Heiligtums über die übernommenen Aufgaben und Ämter nachdenken, indem sie auf den heiligen Johannes Maria Vianney wie in einen Spiegel schauen. „Das große Unglück für uns Pfarrer”, klagte dieser heilige Mann, „ist es, daß wir in Trägheit und Erschlaffung untätig werden.” Mit diesen Worten wollte er auf den gefährlichen Geisteszustand jener Pfarrer hinweisen, die sich an die Knechtschaft der Sünde ihrer Herde gewöhnt haben. Wenn die Priester aber mehr nach dem Beispiel des Pfarrers von Ars leben wollen, „nach dessen Überzeugung die Menschen geliebt werden müssen, damit wir ihnen Gutes tun können”79, mögen sie sich erforschen, wie sie jene lieben, deren Sorge ihnen Gott anvertraut hat, und für die Christus gestorben ist.
Es ist sicher wahr, daß wegen der Freiheit der Menschen und gewisser Ereignisse, die unabhängig sind vom Willen der Menschen, zuweilen auch die Bemühungen der größten Heiligen erfolglos bleiben. Nichtsdestoweniger soll der Priester bedenken, daß nach den geheimen Plänen der göttlichen Vorsehung das ewige Heil der meisten Menschen von seiner Hirtensorge und dem Beispiel seines priesterlichen Lebens abhängt. Ist dieser Gedanke aber nicht von solcher Bedeutung, daß er die Nachlässigen heilsam bewegt und die eifrigen Arbeiter Christi zu noch größerem Eifer antreibt?
„Immer bereit für die Nöte der Seelen”80, hat sich der heilige Johannes Maria Vianney als guter Hirt auch dadurch ausgezeichnet, daß er seine Herde mit religiöser Wahrheit in reicher Fülle genährt hat. Sein ganzes Leben war er Prediger und Katechet.
Es ist allgemein bekannt, welch große und ständige Mühe er auf die gute Erfüllung dieser Aufgabe verwendet hat, die vom Konzil von Trient als die erste und größte Aufgabe bezeichnet wird. Denn der Studiengang, erst im späteren Alter vollendet, war für ihn beschwerlich, und die ersten Predigten vor dem Volke verlangten von ihm sehr viele durchwachte Nächte. Welch ein Beispiel für die Verwalter des Wortes Gottes! Einige von ihnen möchten sich für ihre fast gänzliche Vernachlässigung der Studien gern entschuldigen mit der geringen Gelehrsamkeit des Pfarrers von Ars, aber mit Unrecht. Diese mögen sich lieber die feste Ausdauer des Pfarrers von Ars zum Beispiel nehmen, mit der er sich entsprechend seinen geistigen Anlagen für diese Aufgabe fähig machte. Diese Anlagen waren nämlich nicht so gering, wie man gewöhnlich meint, da er reich war an klarem Verstand und richtigem Urteil81.
Jedenfalls müssen sich die Priester jene allgemeinen Kenntnisse der menschlichen Verhältnisse und jene volle theologische Bildung erwerben, die ihrer Anlage und ihrem Dienst entsprechen. Möchten doch die Hirten der Seelen in dieser Sache soviel Eifer zeigen wie der Pfarrer von Ars, um die Hindernisse und Schwierigkeiten beim Studium zu überwinden, das Gedächtnis durch Übung zu stärken und besonders aus dem wichtigsten Buche Wissen zu schöpfen, dem Kreuze des Herrn. Sein Bischof konnte gewissen Widersachern antworten: „Ich weiß nicht, ob er gelehrt ist; jedoch ist er übernatürlich erleuchtet”82.
Deshalb hat Unser Vorgänger, Pius XII., mit vollem Recht und ohne Zögern diesen schlichten Landpfarrer den Predigern Roms als Vorbild vor Augen gestellt: „Der heilige Pfarrer von Ars hatte keineswegs das natürliche Redetalent eines Segneri oder Bossuet. Aber die lebendige und lichtvolle Klarheit der Lehre, die ihm eigen war, strömte aus dem Klang seiner Stimme, leuchtete aus seinen Augen, und so bot er dem Verstande und der Phantasie seiner Zuhörer passende Bilder und anmutige Gleichnisse; auch ein heiliger Franz von Sales hätte von Bewunderung erfaßt werden können. Das sind die Redner, welche die Herzen der Gläubigen für sich gewinnen. Wer von Christus erfüllt ist, findet ohne Schwierigkeit alle Wege, um andere mit Christus zu verbinden”83. Mit diesen Worten ist der Pfarrer von Ars als Katechet und heiliger Prediger wunderbar gezeichnet. Als aber beim Nahen des Todes seine zu schwache Stimme die Zuhörer nicht mehr erreichen konnte, bewegte er die Gläubigen, die seine Kanzel umgaben, zum Guten durch das Feuer seiner Augen, durch Tränen und Gottesliebe ausströmende Seufzer und Zeichen tiefer Trauer bei dem Gedanken an die Sünde. Wie hätten nicht alle heftig bewegt werden müssen, da ihnen ein solches Leben, das ganz Christus geweiht war, so hell voranleuchtete?
Bis zu seinem frommen Tode war der heilige Johannes Maria Vianney ein treuer Lehrer seiner Gläubigen oder der frommen Pilger, die seine Kirche füllten; „gelegen oder ungelegen”84, nannte er offen alle Übel, unter welchem Schein sie auch verborgen waren, suchte aber vor allem, die Seelen zu Gott emporzuheben; denn „er wünschte mehr die Schönheit der Tugend als die Häßlichkeit des Lasters vor Augen zu führen”85. Dieser demütige Priester erkannte nämlich die Würde und Erhabenheit des Predigtamtes. „Unser Herr”, so sagte er, „der selbst die Wahrheit ist, schätzte sein Wort nicht weniger als seinen Leib.”
Es ist deshalb leicht begreiflich, daß Unsere Vorgänger mit großer Freude den Vorstehern des christlichen Volkes ein solches Beispiel zur Nachahmung empfahlen; denn es ist von großer Bedeutung, daß der Klerus das heilige Lehramt sorgfältig verwaltet. Der heilige Pius X. erklärte mit Bezug darauf, „man möge danach streben und darauf dringen, daß der Priester durch keine andere Aufgabe so schwer verpflichtet, durch kein anderes Band so eng gebunden werde”86. Diese Mahnung haben Unsere Vorgänger immer wieder erneuert, und sie ist unter die Vorschriften des Kirchlichen Gesetzbuches87 aufgenommen. Auch Wir richten sie an euch, Ehrwürdige Brüder, bei Gelegenheit der Zentenarfeier zu Ehren des heiligen Katecheten und Predigers von Ars. Wir loben die Bemühungen, die in kluger Weise unter eurer Führung in verschiedenen Ländern unternommen sind, um die religiöse Unterweisung der Jugend und der Erwachsenen in ihren verschiedenen Formen mit Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Verhältnisse zu verbessern. Solche Versuche sind zwar nützlich, aber bei dieser Zentenarfeier soll nach Gottes Willen die staunenswerte und unüberwindliche apostolische Macht eines Priesters von neuem ins Licht gerückt werden, der durch Wort und Tat Zeugnis von dem gekreuzigten Christus abgelegt hat: „nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern im Erweis von Geist und Kraft”88.
Wir müssen jetzt noch jene seelsorgliche Tätigkeit des heiligen Johannes Maria Vianney betrachten, die für ihn täglich ein langes Martyrium war, nämlich die Verwaltung des Bußsakraments, die besonderes Lob verdient und überaus reiche und heilsame Früchte hervorbrachte. „Er war durchschnittlich 15 Stunden täglich mit Geduld im Beichtstuhl. Diese Tagesarbeit begann schon sehr früh am Morgen und endete erst tief in der Nacht”89. Als er fünf Stunden vor dem Tode vor Übermüdung zusammenbrach, drängten sich die letzten Pönitenten um sein Sterbebett. Man schätzt, daß gegen Ende seines Lebens jährlich 80 000 Pilger zu ihm kamen90.
Kaum vorstellbar sind die Härten, Unannehmlichkeiten, körperlichen Beschwerden dieses Mannes während der langen Sitzungen bei der Verwaltung des Bußsakramentes. Das ist um so bewundernswerter, wenn man bedenkt, daß er durch Fasten, Abtötungen, Nachtwachen und Mangel an Schlaf aufgerieben war. Besonders aber wurde er dabei durch seelische Ängste gequält und ganz niedergedrückt. Man höre seine Klage: „So viel Böses wird gegen Gott getan”, sagte er, „daß man zuweilen das Ende der Welt herbeiwünschen möchte. Man muß nach Ars kommen, um die Schwere und fast unendliche Menge der Sünden zu erfahren… Wir wissen leider nicht, was wir tun sollen; wir glauben nichts anderes tun zu müssen, als voll Trauer unser Gebet zu Gott zu richten.” Außerdem konnte dieser heilige Mann hinzufügen, er übernehme freiwillig einen Teil der Sühne für die Sünden. Er sagte nämlich denen, die ihn in dieser Sache befragten: „Ich lege den Beichtkindern, die ihre Sünden rechtmäßig bekannt haben, nur eine kleine Buße auf; das übrige übernehme ich an ihrer Stelle”91.
Der heilige Johannes Vianney hatte wahrlich, wie er sagte, die armen Sünder immer vor Augen und im Herzen, in der Hoffnung, es schließlich zu erleben, daß sie sich zu Gott bekehrten und ihre Sünden beweinten. Darauf waren alle seine Sorgen und Gedanken gerichtet, dafür verwendete er fast alle seine Zeit und alle seine Kräfte92. Aus den Erfahrungen bei der Verwaltung des heiligen Bußsakramentes, bei der er die Bande der Schuld löste, erkannte er, wieviel Bosheit in der Sünde steckt und welch schreckliche Verwüstungen sie in den Herzen der Menschen anrichtet93. Er pflegte das in düsteren Farben zu schildern: „Wenn wir”, so versicherte er, „die von schwerer Schuld befleckte Seele im Lichte des Glaubens betrachten würden, müßten wir vor Schrecken sterben.”
Aber die Heftigkeit seines Schmerzes und seiner Worte kamen weniger aus der Furcht vor den ewigen Strafen, die den unbußfertigen Sünder bedrohen, als aus der angstvollen Sorge, daß die göttliche Liebe nicht erkannt oder aber beleidigt wird. Wegen der Hartnäckigkeit des Sünders und seiner Undankbarkeit gegen einen so guten Gott flossen reichlich Tränen aus seinen Augen! „O mein Freund”, sagte er, „ich weine deshalb, weil ihr nicht weint”94. Andererseits verstand er es, mit Güte die Hoffnung in den Herzen der reumütigen Sünder wieder wachzurufen. Für sie wurde er unermüdlich der Verwalter der göttlichen Barmherzigkeit, sie ist nach seinen Worten „mächtig wie ein reißender Strom und zieht die Herzen mit sich”95, sie ist zarter als die Sorge einer Mutter, „weil Gott mehr bereit ist zu verzeihen, als eine Mutter bereit ist, eines ihrer Kinder aus dem Feuer zu holen”96.
Die Seelsorger mögen sich daher nach dem Beispiel des heiligen Pfarrers von Ars dieser so wichtigen Aufgabe eifrig und mit dem notwendigen Wissen widmen, weil hier vorzüglich die göttliche Barmherzigkeit über die Bosheit der Menschen triumphiert und die Sünder frei von Schuld mit Gott versöhnt werden. Man möge auch das bedenken, daß Unser Vorgänger, Pius XII., “mit sehr bedeutungsvollen Worten” jene Ansicht verurteilt hat, wonach das häufige Bekenntnis der läßlichen Sünden in der Beichte nicht von Bedeutung sei; der Papst sagt nämlich: „Für einen täglich größeren Fortschritt in der Tugend empfehlen Wir dringend den frommen Brauch der öfteren Beichte, der von der Kirche nicht ohne Eingebung des Heiligen Geistes eingeführt ist”97. Wir vertrauen zuversichtlich darauf, daß vor allen anderen die Priester die Vorschriften des kirchlichen Rechts98 treu befolgen, daß sie nämlich das für die Heiligung so notwendige Sakrament der Buße fromm und zu bestimmten Zeiten benutzen. Sie mögen auch jene dringenden Mahnungen mit Hochachtung und durch die Tat befolgen, die von Unserem Vorgänger »betrübten Herzens” öfter ausgesprochen worden sind99.
SCHLUSSWORT
Am Schluß dieses Rundschreibens möchten Wir, Ehrwürdige Brüder, noch Unsere Hoffnung ausdrücken, daß mit der Gnade Gottes diese Zentenarfeier in jedem Priester das Verlangen erwecke, mit brennenderem Eifer den heiligen Dienst zu versehen und vor allem auf die »erste priesterliche Pflicht, die eigene Heiligung”, bedacht zu sein100. Wenn Wir von der Höhe der päpstlichen Würde, zu der Uns die göttliche Vorsehung geführt hat, Unseren Geist auf das richten, was im Bereich der Seelsorge noch auf Erfüllung wartet, nämlich auf so viele Gebiete des Erdkreises, die noch nicht vom Lichte des Evangeliums erleuchtet sind, oder auf die zahllosen Bedürfnisse des christlichen Volkes, begegnet Uns immer wieder die Gestalt des Priesters. Was würden ohne ihn, ohne seine tägliche Arbeit alle apostolischen Unternehmungen, auch die scheinbar sehr zeitgemäßen, nützen? Was auch könnten die Laien erreichen, die großmütig das Apostolat unterstützen? Deshalb möchten Wir ohne Zögern alle Priester, denen Wir mit großer Liebe zugetan sind und auf welche die Kirche eine so große Hoffnung setzt, im Namen Jesu Christi und in väterlicher Gesinnung dazu aufrufen, daß sie mit größter Gewissenhaftigkeit alles das leisten, was ihre hohe kirchliche Würde von ihnen verlangt. Dieser Unser Aufruf möge durch die weisen Worte des heiligen Pius X. noch verstärkt werden: „Zur Ausbreitung des Reiches Christi auf Erden ist nichts mehr notwendig als die Heiligkeit der Priester, so daß sie als Führer durch Beispiel, Wort und Lehre den Gläubigen vorangehen”101. Etwas Ähnliches sagte der heilige Johannes Maria Vianney zu seinem Bischof: „Wenn ihr eure Diözese bekehren wollt, müßt ihr dafür sorgen, daß alle eure Pfarrer heilig werden.”
Euch aber, Ehrwürdige Brüder, die ihr vorzüglich verantwortlich seid für die Heiligung eurer Priester, empfehlen Wir, ihnen in ihren zuweilen großen Schwierigkeiten persönlicher oder amtlicher Art zur Seite zu stehen. Was vermag nicht ein Bischof, der seinen Klerus liebt, mit ihm fest verbunden ist, ihn wirklich kennt und ihm in ständiger Sorge nahe ist und ihn fest und väterlich zugleich leitet? Ihr seid Hirten der ganzen Diözese, aber seid es vor allem in besonderer Sorge für jene, die durch die heilige Weihe eure engsten Mitarbeiter und mit so heiligen Banden mit euch verbunden sind.
Auch an alle Gläubigen richten Wir bei Gelegenheit der Zentenarfeier die väterliche Mahnung, daß sie ihre Priester in ihr Gebet einschließen und so zu ihrer Heiligung nach Kräften beitragen. Heute schauen die eifrigen Christen mit großen Erwartungen auf den Priester. In einer Welt, in der überall das Geld herrscht, die Sinnlichkeit und eine Überschätzung der Technik, möchten sie im Priester einen Mann sehen, der im Namen Gottes spricht, der von festem Glauben beseelt ist und selbstlos von Liebe zum Nächsten brennt. Alle Gläubigen mögen deshalb wissen, daß sie viel dazu beitragen können, den Priestern die Erreichung dieses erhabenen Zieles zu erleichtern, wenn sie der priesterlichen Würde Ehrfurcht erweisen, ihre seelsorglichen Aufgaben und Schwierigkeiten richtig einschätzen und den Priestern mit größerem Eifer als bisher zur Seite stehen.
Mit väterlicher Gesinnung möchten Wir Uns auch noch an die Jungmänner wenden, die wir mit großer Liebe umfassen und auf deren Hilfe die Kirche ihre Hoffnung für die Zukunft setzt. „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige”102. In vielen Gegenden warten die Boten des Evangeliums, von Arbeiten überlastet, sehnlichst auf diejenigen, die ihre Aufgaben übernehmen. Nicht wenige Völker werden mehr durch Hunger nach himmlischer als nach irdischer Nahrung schlaff. Wer wird ihnen die übernatürliche Nahrung des Lebens und der Wahrheit bringen? Wir vertrauen fest darauf, daß die jungen Männer unserer Zeit nicht weniger als früher der Einladung des göttlichen Meisters großmütig entsprechen und bei dieser notwendigen Aufgabe mithelfen.
Die Priester leben oft unter schwierigen Verhältnissen. Kein Wunder, denn die Feinde der Kirche gehen mit Schmähungen und Nachstellungen zuerst gegen die Priester feindlich vor; wie auch der Pfarrer von Ars sagte, richten die Feinde der Religion ihre Angriffe zuerst gegen den Priester. Aber in dieser schweren Notlage erfahren die eifrigen Priester große und wahre Befriedigung im Bewußtsein ihrer Aufgabe; sie wissen nämlich, daß sie vom göttlichen Erlöser dazu berufen sind, für eine ganz heilige Angelegenheit einzutreten, nämlich für die Erlösung der Menschen und das Wachstum des mystischen Leibes Christi. Deshalb mögen die christlichen Familien es als Ehrensache ansehen, der Kirche Priester zu schenken; sie mögen freudig und dankbar ihre Söhne für den heiligen Dienst opfern.
Weil aber Unsere Mahnung auch euch heftig bewegt, Ehrwürdige Brüder, ist es nicht notwendig, länger dabei zu verweilen. Wir sind davon überzeugt, daß ihr Unsere Sorge klar erkennt und wirksam daran teilnehmt. Inzwischen aber übergeben Wir dieses bedeutungsvolle Anliegen der Fürbitte des heiligen Johannes Maria Vianney, mit dem das Heil unzähliger Menschen so eng verbunden ist.
Wir wenden Uns auch an die unbefleckt gebliebene Gottesgebärerin. Kurz bevor der heilige Pfarrer von Ars sein irdisches Leben, das reich war an übernatürlichen Verdiensten, vollendet hat, erschien sie in einer anderen Gegend Frankreichs einem unschuldigen und demütigen Mädchen und ließ die Menschen zum Gebet und zu christlicher Buße in mütterlicher Weise einladen. Diese erhabene Stimme bewegt noch nach dem Verlauf eines Jahrhunderts die Seelen und hat weithin ein gewaltiges Echo. In Wahrheit war das Leben und die Lehre jenes unter die Heiligen aufgenommenen Priesters, dessen Säkularfeier wir begehen, im voraus eine Illustration jener übernatürlichen Wahrheiten, die in der Grotte von Lourdes dem unschuldigen Mädchen mitgeteilt wurden. Er hatte eine große Verehrung für die unbefleckt empfangene Jungfrau, weihte im Jahre 1836 die Pfarrkirche der unbefleckten Jungfrau Maria und nahm mit größter Pietät und Freude im Jahre 1854 die unfehlbare dogmatische Definition dieser Wahrheit auf103.
Mit dem schuldigen Dank gegen Gott verbinden Wir deshalb diese beiden Zentenarfeiern von Lourdes und Ars, die aufeinander folgen und sehr ehrenvoll für die uns teure Nation sind, die sich jener heiligen Orte rühmt. Eingedenk so vieler Wohltaten und im Vertrauen auf neue Segnungen für Uns und die ganze Kirche, bedienen Wir Uns jener Bitte, die so oft von den Lippen des heiligen Pfarrers kam: „Gepriesen sei die heiligste und unbefleckte Empfängnis der seligen Jungfrau Maria und Mutter Gottes. Alle Nationen, alle Länder der Erde mögen dein unbeflecktes Herz loben, anrufen und preisen”104.
Wir haben das feste Vertrauen, daß diese Hundertjahrfeier zu Ehren des heiligen Johannes Maria Vianney überall frommen Eifer weckt, sowohl bei den Priestern als auch bei denen, die durch Gottes Gnade zum Priestertum berufen werden, und daß sie auch alle Gläubigen zu tätigem Interesse für das Leben und den Dienst der Priester anregt.
In diesem Vertrauen erteilen Wir allen und besonders euch, Ehrwürdige Brüder, als Unterpfand himmlischer Gnade und zum Zeugnis Unseres Wohlwollens liebevoll den apostolischen Segen.
Gegegeben zu Rom beim heiligen Petrus, am 1. August 1959, im ersten Jahre Unseres Pontifikats.
PAPST JOHANNES XXIII.
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ANMERKUNGEN
71 Io. 15,5
72 Arch. Secret. Vat. t. 227, 629
73 Ibidem t. 227, 15
74 Sermons, 1. c. t. 2, 86
75 Arch. Secret. Vat. t. 227, 1210
76 Arch. Secret. Vat. t. 227, 53
77 Ibidem t. 227, 991
78 Ibidem t. 227, 991
79 Arch. Secret. Vat. t. 227, 1002
80 Ibidem t. 227, 580
81 Arch.Secret. Vat. t. 3897, 444
82 Ibidem t. 3897, 272
83 Discorso 16. 3. 1946; AAS XXXVIII 1946, 186
84 Ibidem 2 Tim. 4,2
85 Arch. Secret. Vat. t. 227, 185
86 Litt. Enc. Acerbo nimis; Acta Pii X, II 75
87 CIC can. 1330-1332
88 1 Cor. 2,4
89 Arch. Secret. Vat. t. 227, 18
90 Ibidem
91 Ibidem t. 227, 1018
92 Ibidem t. 227, 18
93 Ibidem t. 227, 290
94 Ibidem t. 227, 999
95 Ibidem t. 227, 978 96
96 Ibidem t. 3900, 1554
97 Litt. Enc. Mystici Corporis; AAS XXXV 1943, 235
98 CIC can. 125 5 1
99 Litt. Enc. Mystici Corporis; AAS XXXV 1943, 235. Litt. Enc. Mediator Dei; AAS XXXIX 1947, 585. Adhort. Apost. Menti Nostrae; AAS XLII, 1950, 674
100 Adhort. Apost. Menti Nostrae; AAS XLII 1950, 677
101 Epist. La ristorazione; Acta Pii X, I 257
102 Matth. 9,37
103 Arch. Secret. Vat. t. 227, 90
104 Ibidem t. 227, 1021
