Der Verlauf des Niedergangs
Ich hatte während meiner Studienzeit den Abfall der vorkonziliaren und teilhardistischen Jesuiten erlebt (von denen 2000 anläßlich des Konzils das Priestergewand abgelegt haben!). In den 60er Jahren wurden dann die Patres von Chabeuil von den Konzilswirren mitgerissen. Die Cité Catholique, in der ich aktiv gewesen war, schwenkte nach und nach auf die Konzilslinie ein. Und in den achtziger Jahren habe ich den Anschluß Dom Gérards vom Kloster le Barroux, den Anschluß des Klosters St. Joseph von Flavigny und denjenigen Pater Augustins miterlebt!
Nach diesen Erfahrungen schrieb und veröffentlichte ich im Juni 1981 den nachfolgenden Artikel. Wenn ich ihn heute, 32 Jahre, nachdem ich ihn geschrieben habe, den Lesern von „Sous la Bannière“ zukommen lasse, ohne auch nur ein Wort daran zu ändern, so deshalb, weil ich seit mehr als 50 Jahren miterlebe, wie der gleiche Prozeß in den gleichen Bahnen der gleichen Dekadenz abläuft, und zwar derjenigen der Petrusbruderschaft, des Instituts vom Guten Hirten, derjenigen von Campos und heute derjenigen der Bruderschaft St. Pius X., deren Verräter von Generaloberer sie nach und nach auf dem gleichen Weg auf die schiefe Ebene mitzieht!
Mögen sich die Menschen mit Hilfe der Gnade Gottes rechtzeitig erheben, um endlich Schluß zu machen mit der Dekadenz und um Hoffnung auf eine Wiedergeburt zu wecken.
Es ist eine offenkundige, seit zweihundert Jahren immer wieder gemachte Erfahrung: Die verläßlichsten und tüchtigsten Gehilfen der Revolution sind die liberalen Katholiken. Und es sind nicht die begeisterten, die radikalen und auch nicht die erklärten und bewußt handelnden Liberalen, sondern die vom Liberalismus angehauchten Katholiken, die am meisten zu fürchten sind, denn sie bilden auch die Mehrzahl. Durch ihre Masse, ihre ängstliche Trägheit, ihren Weltgeist und ihre geschickte Anpassung schwächen sie die Reihen der Revolutionsgegner und bereiten den Feinden den Boden. Sie öffnen ihnen entweder die Stadttore oder sie verhindern, daß diese während des Angriffs geschlossen werden und überlassen ihnen auf diese Weise kampflos das Feld.
Die Feinde der Kirche sind sich dessen wohl bewußt und haben immer alle Anstrengungen unternommen, um die große Masse der Schwachen zu verführen und sie gegen die kleine Anzahl der „Widerspenstigen“, der Ultramontanen, der Integristen und der Antiliberalen aufzubringen, denn sie wissen nur allzu gut, daß diese ihre einzigen wahren Gegner sind.
Und es ist für sie bereits ein großer Sieg, wenn sie nur dieses einzige, scheinbar schwache Resultat erzielen: daß man sie nicht mehr bekämpft. „Übernehmt unsere Gesinnung nicht, wenn sie Eurem Gewissen zuwider ist“, scheinen sie zu sagen, „aber bekämpft sie wenigstens nicht. Lehrt die Wahrheit und Ihr werdet ein gutes Gewissen haben, aber bekämpft diejenigen nicht länger, die den Irrtum verbreiten! Seid nicht liberal, aber vor allem nicht antiliberal und versucht, die Antiliberalen zum Schweigen zu bringen.“
Wer vermöchte die Früchte dieser ständig wiederholten und immer wieder wirksamen Taktik zu ermessen?
Seid gute Apostel, fromme Ordensleute mit guter Lehre, gewiß nicht liberal, aber auch nicht antiliberal. Und so werden diese nach und nach vom Liberalismus zunächst getönt, dann gefärbt und schließlich zu Liberalen.
So verhielt es sich mit der Mehrheit der Geistlichen unter Pius XII. Tausende von ihnen wurden jedoch noch als „Integristen“ eingestuft. Ganze Kongregationen hielten stand. Auch Bischöfe gab es unter ihnen. Was ist aus ihnen geworden?
Es ist ganz einfach. Man hatte ihnen einen „guten Papst“ vorgesetzt, der ihnen, unter dem Vorwand des Aggiornamento, nahelegte, niemand mehr mit dem Kirchenbann zu belegen, die Wahrheit zu lehren, jedoch weder den Irrtum weiterhin zu verurteilen noch diejenigen, die ihn verbreiten. Und sie waren gehorsam. Sie hörten auf zu kämpfen und antiliberal zu sein. Zehn Jahre später waren sie reif für die neue Messe, einen neuen Katechismus, eine neue Religion.
Und wie viele dieser „guten Priester“ und „guten Ordensleute“ haben reagiert? Einige Dutzend, einige Hundert vielleicht. Und was hat sich die Revolution ausgedacht, um ihre Zahl zu verringern? Immer das gleiche. Sie hat erreicht, daß sie aufhörten, antiliberal zu sein, daß sie aufhörten, den Irrtum und diejenigen, die ihn verbreiten, zu verurteilen, daß sie denjenigen, die noch kämpften, die Waffen aus der Hand nahmen.
Und die Maschinerie läuft weiter. Müssen wir nicht ihr Räderwerk erneut überprüfen, um zu verhindern, daß sie uns wie so viele andere zermalmt?
Der Verlauf des Niedergangs
Erinnern wir mit zwei Begriffen an diesen Mechanismus, dieses Räderwerk, das Augustin Cochin „Denkfabrik“ nannte und das wir als „die den Niedergang bewirkende Gruppe“ („groupe réducteur“) bezeichnen.
Es bildet sich eine Gruppe, die aber, statt hierarchisch aufgebaut zu sein, sich aus Individuen zusammensetzt, die sich untereinander als gleich und frei betrachten. Vor allem aber sind sie „Brüder“ und sie glauben sich untereinander verbunden durch eine vorgeblich gemeinsame Notwendigkeit, nämlich eine mittlere Meinung herauszubilden, die für den internen Zusammenhalt notwendig ist. Und da haben wir die Loge.
Man diskutiert, man spricht, man plaudert, man „stimmt zu“. Und um im ausdrücklichen oder stillschweigenden Respekt der Gleichheit und der Gedankenfreiheit der Mitglieder ein Einverständnis zu erzielen, muß man auf etwas verzichten, um sich um das „Wesentliche“ zu „gruppieren“. Der „Kern“, der diesen ersten „Niedergang“ „leitet“, anregt und vorschlägt, tut dies im Namen der Effizienz.
Inzwischen werden die Schönredner, die unfähig sind, die Wirklichkeit wahrzunehmen und sich ihr unterzuordnen, auf Kommandoposten gehoben, wo sie in der Theorie verhandeln und im Abstrakten predigen.
Äußere Anzeichen des Niedergangs oder die „sechs Gerüche des Teufels“
Wie kann man diesen Vorgang wahrnehmen, wenn er sich im Innern einer Gesellschaft, eines Klosters, eines Seminars oder einer Kongregation abspielt und man das Ergebnis lediglich von außen erkennen kann? Wenn man unter Umständen seit langem Nutznießer der Wohltaten dieses einstmals ausdrücklich antiliberalen Werkes ist?
Es ist ganz einfach und so bekannt, daß das Erinnern an das Profil dieser Kurve denjenigen kindisch vorkommen mag, die es bereits kennen, weil sie gesehen haben, wie es sich ständig wiederholt!
Es ist jedoch notwendig, weil ihr Gefälle – wie das aller Exponentialkurven – zu Beginn derart schwach ist, daß es lange Zeit hindurch nur schwer erkennbar ist. Hinzu kommt, daß jeder aufrichtige Mensch fürchtet, ein vermessenes Urteil zu fällen und oft ist es, wenn er sich seiner Sache sicher ist, bereits zu spät.
Ein Mann gründet ein Werk. Junge Männer scharen sich um ihn. Sie lehren die Wahrheit in einer hierarchischen Struktur, die auf einer Regel gründet. Wie in jedem wahrhaft katholischen Werk lehren sie die Wahrheit und verurteilen den Irrtum. Dem Gläubigen, der zwischen den Fallstricken seinen Weg sucht, zeigen sie die Fallgruben und sie zeigen mit dem Finger auf den, der sie gräbt. Kurzum, sie sind antiliberal.
Sie rufen Glauben und Sitte in Erinnerung, decken die Machenschaften der Liberalen auf, zeigen den Verfall der Messe oder die Schliche des ICP[2], sie prangern das Konzil an, machen auf den Glaubensabfall und die Komplizenschaft der Bischöfe aufmerksam, sie zeigen, daß Rom umzingelt ist. Und daher verfolgt man sie; die Konzilskirche, die sich selbst im Zustand des „rapiden Abbaus“ befindet, „schließt sie aus“, auf die eine oder andere Weise. So tragen sie ihr Kreuz wie es ihr göttliches Leitbild getragen hat.
Der bittere Eifer
Eines Tages jedoch sagen sie Ihnen, der Sie sich diesem Werk angeschlossen haben: „Ja sicher, das ist wahr, aber verstehen Sie doch, man darf nicht übertreiben“. Und nach langem verworrenen und verschwommenen Herumgerede fällt dann endlich der entscheidende Satz: Sie müssen sich vor „bitterem Eifer“ hüten !
Achten Sie bitte auf die Akzentverschiebung. Denn Eifer ist gut und beruht auf dem Äußeren, also auf dem Objektivem, während die Bitterkeit, also Stolz oder Egoismus, innerlich und damit subjektiv ist. Der gleiche objektive Einsatz für dieWahrheit kann einerseits moralisch gut zur Ehre Gottes oder zum Wohl des Nächsten erfolgen oder aber aus Ehrsucht, um sich „hervorzuheben“ oder aus Rache für eine persönliche Kränkung.
Wer jedoch kann, ohne Gefahr zu laufen, sich zu irren, objektiv zwischen beidem unterscheiden, außer Demjenigen, der die Herzen und Nieren erforscht oder seinem Stellvertreter beim Bußgericht?
Diese Verlagerung von der obkjektiven auf die subjektive Ebene ist typisch für die Revolution, den Liberalismus und die oben erwähnten Gruppen. Sie ist das erste Anzeichen eines Niedergangs.
Man greift nicht den objektiven Eifer an, sondern die unvermeidlichen Schwächen, die ihn begleiten, denn wir armen Sünder sind unfähig zur Vollkommenheit. Indem man jedoch den Kämpfer unlauterer Absichten bezichtigt, bereitet man ihm mehr oder weniger gerechtfertigte Gewissensqualen. Und das Ziel ist erreicht. Indem man ihn dazu treibt, die Bitterkeit zu vermeiden, erstickt man seinen Eifer. Man hat ihm Hindernisse in den Weg gelegt, um ihn daran zu hindern, voranzuschreiten[3].
Denn das Spiel geht weiter. Diejenigen, die sich auf die schiefe Ebene begeben haben, machen da nicht halt. Sie verkünden weiterhin die Wahrheit, unterweisen mit Festigkeit in Glauben und Sitten.
Aber sie reden immer weniger von den Feinden des Glaubens und den Fallen des Liberalismus. Rom wird zum heißen Eisen, das sie nur noch andeutungsweise erwähnen. Sie reden immer weniger von den abtrünnigen Bischöfen. Die neue Messe und die häretischen Katechismen werden zweitrangig oder zum unlösbaren Problem erklärt. Und schließlich sprechen sie gar nicht mehr davon.
Das kann Wochen, Monate oder Jahre dauern. Nur die Zeitspanne ist unterschiedlich, die Kurve ist immer die gleiche. Selbstverständlich ist man nicht liberal, aber man ist auch nicht antiliberal. Und man predigt Ihnen immer öfter, daß Sie kein Urteil fällen und sich auf „das Wesentliche“ beschränken sollen.
Man verurteilt das Übel und die Übeltäter nicht mehr. Und man möchte gern, daß Sie weniger laut reden, daß Sie nicht so hart sind, daß Sie aufhören, voranzuschreiten. Um Sie daran zu hindern, beunruhigt man Sie mit falschen Gründen, zum Beispiel mit folgendem:
Gar keinen Eifer zeigen
„Verstehen Sie doch, Sie sind lediglich Anfänger. Was Sie tun, kann keine guten Früchte bringen; Sie werden durch eitle Ehre versucht! Wenn man handeln will, muß man den Einigungsweg erreicht haben! (sic!).“
Also, meine lieben Freunde, hören Sie mit allem auf, Sie sind nicht auf dem Einigungsweg. Tun Sie also nichts, außer uns Geld zu schicken, damit wir Schlösser bauen und sie mit neuen Mitgliedern füllen können!
Falsche Einwände, lächerliche Einwände, die ich in meiner Kindheit so oft aus dem Mund von modernistischen Priestern und verdrehten Jesuiten gehört habe: „Sie sprechen vom sozialen Königtum Jesu Christi, aber auch in der Christenheit hat es Mißstände gegeben!“ „Wenn Sie handeln wollen, ohne den Einigungsweg erreicht zu haben, sündigen Sie!“ Es ist immer die gleiche Verlagerung von der objektiven auf die subjektive Ebene, es sind die durch Skrupel verursachten Gewissensqualen, die traurigen falschen Gründe, damit man nicht weiter vorrückt!
Es ist immer das gleiche Lied: Hören Sie auf, Gutes zu tun, denn Sie laufen Gefahr, es auf schlechte Weise zu tun. Kämpfen Sie nicht gegen die Feinde des Glaubens, denn Sie laufen Gefahr, zu hart zuzuschlagen! Verkünden Sie nicht länger die Wahrheit, denn Sie tun es vielleicht auf unvollkommene Weise. Im übrigen sind Sie weder Theologe noch Bischof.
Und dabei wird vergessen, daß die Kirche uns „minores“ verpflichtet, „in den Ring zu steigen“, wenn der Glaube angegriffen wird, um die Feigheit oder Pflichtvergessenheit der Theologen und Bischöfe auszugleichen. Satan, wir haben dich gesehen und deinen Geruch wahrgenommen, die sechs Gerüche des Teufels, die der hl. Ignatius in seinen Exerzitien beschreibt. Deine Hörner und dein Schwanz schauen bereits unter der Soutane des jungen Mönches oder Priesters hervor, der sich auf der schiefen Ebene befindet und der uns das Lied der Gruppe vorsingt, unter deren Einfluß er steht.
Wir ziehen den unvollkommenen Eifer diesem üblen Diskurs vor. Dem falschen Mystizismus ziehen wir den wahren, den der hl. Theresia vor, die sagte: „Seit ich Priorin bin, zahlreiche Arbeiten zu erledigen habe und oft auf Reisen bin, mache ich viel mehr Fehler. Da ich aber hochherzig kämpfe und mich nur für Gott abmühe, weiß ich, daß ich mich Ihm immer mehr nähere.“[4]
„In hoc signo vinces“
Während man auf diesem Weg immer weiter voranschreitet, wird ein weiteres äußeres Zeichen des Niedergangs zunehmend sichtbar und schließlich klar erkennbar. Die Verfolgung läßt nach, das Kreuz verschwindet. Die vormals hartnäckigen Liberalen werden leiser, die Verleumdungen nehmen ab.
Dies ist ein weiteres untrügliches Zeichen. Wenn die Verfolgung eines kirchlichen Werkes durch die Liberalen aufhört, dann ist der Wurm im Apfel. Widerspruch und Kreuz sind die Zeichen der Christen. Sie verschwinden nur, wenn der Niedergang sich vollzieht und die Führungsgruppe in Bereitschaft steht.
Das Gesetz der Auslese
Ein weiteres äußeres Zeichen des Niedergangs ist die Auslese. Achten Sie genau auf diejenigen, die gehen oder ausgeschlossen werden und auf den Grund des Ausschlusses. Wenn es standhafte Männer sind und sie wegen ihrer „Härte“ ausgeschlossen werden, dann geben Sie acht! Hier kommt das Gesetz der Auslese zur Anwendung. Sie ist immer ein Zeichen des Phänomens der „den Niedergang bewirkenden Gruppe“…Sie zielt auf diejenigen, die nicht nachgeben, auf die „Unbeugsamen“. Diese schlagen gelegentlich wütend die Tür hinter sich zu, wenn sie gehen, und das täuscht oft, weil man ihnen schlechte Laune unterstellt und sich bemüht, alles auf die subjekte Ebene zu heben. Man unterstellt ihnen bitteren Eifer und unterläßt es, nach den objektiven Gründen und Motiven zu forschen.
Je weiter der Niedergang fortschreitet, desto deutlicher wird der Verlauf. Denn dann geht man im allgemeinen auf typischere Weise vor, indem man auf die Schwachen oder diejenigen, die man eher für beeinflußbar hält, psychologischen Druck ausübt, damit sie sich von denjenigen abwenden, die man ausschließen will. Anschließend werden diese ersetzt, ohne daß man ihnen den Grund darlegt. Das ist die sanfte Art der Auslese, die noch typischer ist als die brutale.
Der Schleier Noes
Ein weiteres Charakteristikum im Verlauf des Niedergangs ist der Mißbrauch des Arguments der Autorität. Man erwähnt beispielsweise Diplome, obwohl jedermann wissen müßte, daß sie sowohl an die größten Schwachköpfe als auch an die wertvollsten Menschen verliehen werden und daß sie nichts weiter sind als der schriftliche Nachweis einer bestimmten Anzahl von Studienjahren, die wegen der revolutionären Rahmenbedingungen oft mehr der Verbildung als der Ausbildung dienen! So wird man Ihnen, wenn Sie eine These des hl. Thomas gegen einige suspekte Jesuiten verteidigen, zur Antwort geben: „Sie irren sich, denn ich bin Doktor der Philosophie!“
Was hat das schon zu sagen! Was für ein Argument! Was beweist das denn? Wenn das etwas bewiese, wo kämen wir da hin mit all den übergeschnappten Doktoren, die uns seit vielen Jahren von laizistischen oder gar katholischen Universitäten geliefert werden. Nein, dieses billige Argument ist lediglich ein falscher Einwand, ein auf unserem Weg aufgerichtetes Hindernis, damit wir nicht voranschreiten.
Ein weiteres, noch weitaus gängigeres Argument ist das des Klerikalismus. Hier einige Beispiele:
„Aber verstehen Sie doch, das sind Priester! Wir haben kein Recht, sie zu kritisieren!“ – „Wenn Sie von den Cristeros reden, kritisieren Sie Pius XI! Das ist schlimm, denn das ist ein Papst, ein großer Papst! Der Nachfolger Petri! Reden Sie nur nicht mehr von den Cristeros!“ – „Aber die Priester sind doch unsere Väter! Wir müssen es machen wie Sem und den Schleier Noes über sie werfen..“
Und wer könnte die typische Verwirrung bei den Äußerungen übersehen, bei denen Dinge miteinander verwoben werden, die keinerlei Bezug zueinander haben und die nicht auf gleicher Rangstufe stehen. Als ob beispielsweise Kritik an einem Priester automatisch einen Mangel an Respekt oder die Verachtung der Heiligkeit seines Standes einschlösse. Nein, ist es nicht eher so, daß es manchen Priestern sehr gelegen käme, wenn wir jede Art der Kritik an ihnen unterließen und angesichts ihres Stande automatisch Unfehlbarkeit und Sündenlosigkeit voraussetzten?
Nun wird der falsche Grund offensichtlich. In meiner Jugend führten die progressistischen Jesuiten den gleichen falschen Grund an, um den Scharfblick der Laien, vor allem der Jugendlichen, zu entschärfen: „Wir sind Priester und Ihr seid lediglich Laien! Mit welchem Recht kritisiert Ihr uns? Für wen haltet Ihr euch?“
So hat sich seit einem Jahrhundert der ganze geistliche Niedergang vollzogen. Auf diesen falschen Grund muß man antworten, daß der Respekt, den man dem Priester- und vor allem dem Ordensstand schuldet, weder Unterwürfigkeit einschließt noch den Verzicht auf ein kritisches Urteil über ihre Lehre und ihr öffentliches Handeln.
Nehmen wir uns vielmehr ein Beispiel an der Weisheit und dem Freimut des heiligen Königs Ludwig, den man wohl kaum der Respektlosigkeit gegenüber Priestern bezichtigen kann. So wird berichtet, wie er einer Versammlung aller Prälaten des Königreichs Frankreich die Stirn bot:
Bischof Gui von Auxerre sprach im Namen aller: Majestät, die hier versammelten Bischöfe und Erzbischöfe haben mich beauftragt, Ihnen zu sagen, daß die Christenheit unter Ihrer Herrschaft verfällt und daß sie noch weiter verfällt, wenn Sie nicht Abhilfe schaffen, denn heute fürchtet niemand mehr die Exkommunikation. Wir ersuchen Sie daher, Majestät, ihren Vögten und Offizieren zu befehlen, daß sie die Exkommunizierten nach einem Jahr und einem Tag zwingen, der Kirche Genugtuung zu leisten.“ Ohne sich zuvor beraten zu lassen, antwortete der König, daß er gern tue, was die Bischöfe verlangten, vorausgesetzt, daß man ihn über das Urteil in Kenntnis setze, damit er beurteilen könne, ob es gerechtfertigt sei oder nicht. Sie berieten sich untereinander und antworteten dann dem König, daß sie ihn nicht über etwas in Kenntnis setzen würden, was in den Bereich der kirchlichen Justiz falle. Der König erwiderte ihnen, daß er ihnen keine Kenntnis von etwas geben würde, das in sein Ressort falle und daß er seinen Offizieren niemals befehlen würde, die Exkommunizierten zu zwingen, sich lossprechen zu lassen, sei es zu Recht oder zu Unrecht. „Denn wenn ich es täte, würde ich gegen Gott und gegen das Recht handeln. Ich bringe Ihnen ein Beispiel: Die Bischöfe der Bretagne haben den Grafen gut sieben Jahre lang im Kirchenbann gehalten, und dann erhielt er vom römischen Gericht die Absolution. Hätte ich ihn vom ersten Jahr an unter Zwang gesetzt, so wäre es zu Unrecht geschehen.“
Mir scheint, daß, wenn die Laien in den vergangenen zwei Jahrhunderten im Umgang mit den Geistlichen auf gleiche Weise gehandelt hätten, es mit uns nicht soweit gekommen wäre!
Jedenfalls weigern wir uns strikt, zur Frage der Cristeros unter dem Vorwand zu schweigen, daß man über die Sünden Pius XI. den Schleier werfen müsse, so wie Sem ihn über den Patriarchen Noe geworfen hatte, als dieser mit dem Rebensaft leidige Erfahrungen gemacht hatte.
Der falsche Grund ist hier nur allzu offensichtlich. So als ob es gleichbedeutend wäre, ein ganzes Volk zu verraten, indem man es seinen Henkern preisgibt, oder sich zu betrinken. Mißt man etwa übermäßigem Trinken die gleiche Bedeutung bei wie dem öffentlichen Verrat an einem Volk, das einem Genozid preisgegeben wird, der über 100.000 Tote – fast alle Märtyrer – zur Folge hatte, selbst wenn die Verantwortung für diesen Verrat schwer zu bewerten ist?!
Wer erkennt nicht die Gewissensqualen, die Verwirrung, die falschen Gründe, wer versteht nicht, daß das Vergehen des Patriarchen Noe lediglich ein privates Vergehen war, während die Handlungen Pius XI. und der römischen Kurie in Bezug auf Mexiko öffentliche Handlungen waren, die politischen Charakter hatten.
Hätte Pius XI. auf der öffentlichen Ebene so gehandelt wie er sollte und sich im Vatikan wie ein Betrunkener benommen, wäre dies tausendmal besser gewesen. Wir hätten es zweifellos nie erfahren, und wenn doch, dann hätten wir den Schleier des Sem über ihn werfen können und müssen. Bei öffentlichen Handlungen und politischen Standpunkten jedoch können und dürfen wir das nicht, denn das ist nicht die gleiche Ebene.
Die Auswahl der Lektüre
Ein weiteres äußeres Zeichen können wir an der Auswahl der Lektüre erkennen. Der Niedergang hat sowohl zu Beginn als auch im weiteren Verlauf zur Folge, daß ausdrücklich antiliberale Lektüre, die die jeweiligen Häresien und ihre Verursacher anprangert oder zum Kampf gegen den Irrtum und seine Verbreiter aufruft, entfernt wird.
Manche Werke sind diesbezüglich kennzeichnend, zum Beispiel „Der Liberalismus ist Sünde“ von Don Sarda y Salvany. Wenn solche Werke in Ungnade fallen, können Sie sicher sein, daß etwas im Gange ist. Den Lesestoff reduziert man zunächst ein wenig, dann stark, aber man spricht noch darüber. Dann spricht man nicht mehr darüber, aber verkauft ihn noch. Und schließlich wird er nicht mehr erwähnt und auch nicht mehr verkauft.
Die gleiche Kurve läßt sich auf alle Werke anwenden, die auch nur ein klein wenig kämpferisch und wirklich antiliberal sind, die zu Mut und Eifer anspornen und die auf die Fallen des Feindes hinweisen.
Seien Sie jedoch unbesorgt, denn man ersetzt diesen Lesestoff durch Werke von Heiligen hoher Spiritualität. Aber auch hier gibt es einen Fortschritt. Natürlich wird man nicht gleich auf Congar oder Chenu zu sprechen kommen, aber das ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, denn wenn die persönliche Autorität des Gründers immer schwächer wird, wird auch er irgendwannn zur Seite geschoben.
Zur Zeit ist man erst bei den Gewissensqualen, z. B.: „Verstehen Sie doch, Don Sarda ist gut, aber er erregt die Leute zu sehr. Wenn sie gehen, erinnern sie sich nur an die erste Woche und an Don Sarda. Und acht Tage später erinnern sie sich nur noch an Don Sarda.“ Ja gewiß, selbst wenn sie nur das behalten hätten, wäre das für’s erste nicht schlecht!!
Es wäre sogar schon sehr viel, und gerade deshalb haben sie „durchgehalten“. Jetzt, da sie sich nicht einmal daran zu erinnern brauchen, bleiben ihnen nur noch ein paar hohle Worte und Vorträge von reiner Spiritualität ohne praktische Wirkung, die sich beim ersten „Ansturm“ des Weltgeistes in Rauch verflüchtigen!
Den konkreten praktischen Bezug weglassen und hoffen, man könne auf diese Weise ein höheres Ziel erreichen, das ist so, als wolle man mit Hilfe der Flügel des Ikarus fliegen. Das ist geradezu der Prototyp des falschen Grundes.
Vom Irdischen zur Stratosphäre
Des weiteren stört viele das soziale Königtum Jesu Christi und so wird es im Verlauf des Niedergangs bald angegriffen. Im allgemeinen leugnet man diese Lehre nicht offen. Aber man vermeidet es, davon zu sprechen. So wissen Sie sofort, daß der Niedergang begonnen hat, wenn man Ihnen sagt: „ Sie sprechen vom sozialen Königtum Unseres Herrn Jesus Christus, aber sind Sie denn sicher, daß Sie es nicht in gleicher Weise erwarten wie die Apostel am Abend des Gründonnerstags, die das Kommen eines irdischen Königs erwarteten?“
Kann es sein, daß… und wenn… diese Bedingungen sind typisch für die Gewissensqualen , mit denen der Gehörnte Sie zu verwirren hofft. Auch hier findet eine Verlagerung von der objektiven Ebene der Standespflichten, die wir im Dienst des Christkönigs zu erfüllen haben, auf die subjektive Ebene unserer Absichten statt, die leider immer unvollkommen sind. Falsche Gründe, die sich gut eignen, um uns daran zu hindern, voranzuschreiten und mit denen – darauf wette ich – weder Konstantin noch Chlodwig das vollbracht hätten, was sie vollbracht haben!
Die teilhardistischen Jesuiten meiner Jugend haben es mir bereits vor 25 Jahren gesagt. Auch die Patres von Chabeuil haben uns nahegelegt, nicht so oft davon zu reden und Jean Ousset hat ihnen seinerzeit darauf geantwortet. Nun ist es an uns armseligen Menschen, es heute ganz laut zu wiederholen: Christus ist König! Wir wollen, daß Er über uns herrscht, denn in keinem anderen ist Heil. Und wir stecken uns die Spitzfindigkeiten der Geistlichen an den Hut, die sich auf der schiefen Ebene befinden und gern hätten, wenn wir uns weniger laut äußerten und unseren Eifer darauf beschränkten, ihnen Geld und Berufungen zu schicken.
Der innere Verlauf des Niedergangs
Ohne gleich alles über das übliche Vorgehen sagen zu können, mit dem sich eine Denkfabrik im Innern einer Organisation einspielt, kann man doch auf zwei hauptsächliche Aspekte hinweisen, die einerseits von den Menschen und andererseits von den Meinungen oder den „Gedanken“ herrühren.
Der Aspekt, der die Menschen betrifft, ist im allgemeinen derjenige, der seit zweihundert Jahren am schwersten zu erkennen ist, vor allem bei den Geistlichen. Die Beurteilung des Äußeren ist hier in der Tat grundlegend, da Geistliche von Berufs wegen mehr dazu neigen, die innere Vollkommenheit anzustreben als das Sozialverhalten von Einzelpersonen und ihre menschlichen Qualitäten zu beobachten. Um die Sekten und ihre soziologischen Phänomene zu bekämpfen, muß man jedoch zunächst erkennen, daß ein Verräter ein Verräter ist, selbst wenn er nett und sanft ist; daß ein aufrichtiger Mensch aufrichtig ist, auch wenn man ihn ein wenig hart findet und daß ein „Dussel“ ein „Dussel“ ist, auch wenn er fromm und ein Asket ist. Und es ist von wesentlicher Bedeutung, daß man sein Verhalten darauf einstellt und dies dauerhaft beibehält.
In einer Gruppe werden die Phänomene der Denkfabrik von zwei Arten von Menschen gefördert: zum einen von den netten Menschen, zum anderen von den Organisatoren. Die netten Menschen sind, ohne sich dessen bewußt zu werden, der günstige Nährboden für die Aktionen der Führungsgruppe, weil sie sich ihnen nicht widersetzen. Aus Mangel an Urteilsvermögen hören sie den sanften, salbungsvollen Stimmen der Liberalen, die auf leisen Sohlen daherkommen und ihre Worte abzuwägen wissen, gern zu. Sie sind leicht zu beeinflussen und werden, ohnen es zu wollen, zu Verbreitern der „Gedanken“, Tendenzen und Meinungen, die ihnen entweder direkt von den infiltrierten Liberalen suggeriert werden oder indirekt von anderen netten Menschen, die dem gleichen Einfluß unterliegen. Da dieser Einfluß aber sorgfältig verschleiert wird, werden sie sich dessen nicht bewußt und fühlen sich verletzt, wenn man auch nur andeutet, daß sie sich an einem derartigen Spiel beteiligen. Und so gehen sie automatisch in Opposition zu den Antiliberalen, die imstande wären, sie aufzuklären; sie sind ihnen gegenüber zurückhaltend und finden sie zu hart und zu vermessen in ihrem Urteil. So werden nach und nach die Nichtliberalen vom Liberalismus angesteckt, ohne sich dessen bewußt zu werden und ohne daß man sie darauf aufmerksam machen könnte. Sie werden nach und nach die besten Hilfskräfte der Führungsgruppe und setzen deren Vorhaben am besten um. Sie sind es, die die Führungsgruppe nach und nach auf die Schlüsselposten setzt, wobei sie selbst im Schatten bleibt.
Es versteht sich von selbst, daß diese Entwicklung umso schneller fortschreitet und umso schwieriger zu vermeiden ist, je größer die Gemeinschaft ist und je mehr junge und unerfahrene Menschen ihr angehören, die leicht beeinflußbar sind.
Antriebsmotor aber sind die liberalen Unterwanderer. Und da es nur weniger Einzelpersonen bedarf – oft nur eine oder zwei -, sind sie wegen ihrer Falschheit nur schwer zu erkennen. Diese oder jene sind, je nach ihrer Initiation, d. h. je nach genauer Kenntnis der Rolle, die sie spielen, mehr oder weniger geschickt darin, diese Rolle systematisch zu verbergen, sich zu verstecken, nicht unmittelbar zu handeln sondern immer durch zwischengeschaltete Personen. Und ihre List ist umso erfolgreicher, als die Bösen im allgemeinen durchtrieben sind, die Guten aber fast nie. Im übrigen sind sie sehr darum bemüht, vor allem diejenigen auszuschalten, deren Urteil hinreichend scharf ist, um sie früher oder später zu entwaffnen und ihre Manöver aufzudecken, weil nur so ihr Vorhaben wirksam vereitelt werden kann. So kann man oft die Tricks der Führungsgruppe am besten daran erkennen, wer von ihr ausgeschlossen wird.
So entstehen und verstärken sich auf der menschlichen Ebene Kreise des persönlichen Einflusses, die dann die Auslese vornehmen. Zum Schluß sind die Schlüsselpositionen und die Ränge der Hierarchie mit rechtschaffenen Leuten von einwandfreier Lehre und untadeligem Lebenswandel besetzt, die jedoch über keinerlei Urteilsvermögen verfügen und dem Einfluß der Führungsgruppe unterstehen, die, ohne wahrgenommen zu werden, die wahre Macht innehat. Indem sie glauben, aus eigenem Antrieb und aus löblichen Motiven zu handeln, schalten diese rechtschaffenen Männer die Besten aus, isolieren die Unnachgiebigen, verhindern deren Handeln und schließen sie aus dem Werk aus, ehe sie den Unterwanderern gefährlich werden können.
Und da man mir vorwirft, zu den Unnachgiebigen zu gehören, höre ich bereits die guten Priester, die dies lesen, aufschreien: “ Adrien Loubier übertreibt! Eine Unterwanderung in unseren traditionalistischen Kongregationen! Das ist nicht möglich!“
Aber gewiß doch! Dieses Phänomen gibt es bereits seit zweihundert Jahren. Seit 50 Jahren werden alle Orden, alle Seminare, alle Kongregationen und alle Abteien von jüdischen Freimaurern und ihrem liberalen Gefolge unterwandert. Und da glauben Sie, daß der Feind ausgerechnet dann aufhört, sich für die Inseln katholischen Widerstandes zu interessieren, wenn Gründungen den Ausgangspunkt einer katholischen Wiedergeburt bilden?… Sie träumen wohl! Wenn Sie nicht glauben, daß sich unsere Feinde weitaus mehr für die Gründungen der Tradition interessieren als für jede andere, dann stecken Sie den Kopf nach Vogel-Strauß-Manier in den Sand, um die Gefahr nicht zu sehen zu müssen!
Während sich auf der menschlichen Ebene das Spiel der Auslese abspielt, bahnen sich Gespräche an. „Meinungen“ bilden und verbreiten sich. Die große Frage ist, ob man wirklich so hart sein muß, ob es angemessen ist, dieses ernste und brennende Problem anzusprechen oder jenes andere, das schwer zu lösen ist. Ist das Urteil von diesem oder jenem nicht ebenso gut wie das Ihre? Wäre es nicht klüger, zu schweigen?
Natürlich werden eine Reihe von spitzfindigen Verleumdungen über die Antiliberalen und die vorgeblich bitteren Früchte ihres aufdringlichen Eifers in Umlauf gebracht. Sie reden zuviel, sie urteilen zu hart, und das liegt vielleicht an uns…
Die Gerüche des Teufels sind dort immer wahrnehmbar. Alle diese „Meinungen“ setzen vor allem die Einbildungskraft in Form von Zweifel ausdrückenden Fragen ein, die Verwirrung hervorrufen, ohne jemals zu einer Lösung beizutragen.
Und wenn eine Vereinbarung mit Rom möglich wäre… Und wenn wir zu hart vorgehen, wird es keine Priesterweihen mehr geben… Und wenn dieser oder jener einen groben Fehler begeht, werden wir in die Sache verstrickt… Und falls wir uns irren… hätten die Leute kein Vertrauen mehr zu uns. Und wenn… und wenn…
So bilden sich nach und nach verschiedene „mittlere Meinungen“ heraus und der Niedergang schreitet fort. Das Rad dreht sich weiter. Indem man sich offensichtlich auf das Niveau des Zufälligen begibt, verständigt man sich darauf, diese oder jene Wahrheit zu verschweigen und diese oder jene Irrtümener nicht mehr zu verurteilen. Die Meinungsfreiheit schleicht sich ein, gestützt auf eine sich allmählich durchsetzende Form der Gleichheit der Berücksichtigung der verschiedenen Meinungen, vorausgesetzt, man bemüht sich um brüderliche Einheit auf gemeinsamer Basis.
So wird die Lehre nach und nach verwässert, indem man sich zunächst die lästigsten Aspekte vornimmt. Man hört auf zu kämpfen und ist im Niedergang begriffen.
Was also ist zu tun?
Was sollen wir also tun? Sollen wir die Arme sinken lassen?
Oft ist es bereits zu spät, wenn man das Spiel bemerkt. Menschlich gesehen ist dann alles verloren. Wenn man Ihnen nicht mehr zuhört oder Sie nicht mehr empfängt, können Sie nur noch beten. Beten wir für diejenigen, die wir unterstützt haben, die uns einmal Gutes getan haben, aber jetzt beginnen, uns zu schaden. Beten wir, weil es Pflicht ist, aber haben wir auch den Mut, uns von ihnen zu trennen.
„Verflucht sei der Mensch, der auf den Menschen vertraut.“ Niemand hat das Recht, sein Gewissen durch bedingungsloses Vertrauen auf Menschen, auch nicht auf Geistliche, zu entlasten, zumal nicht in solch wirren Zeiten. Haben wir den Grundsatz des hl. Ignatius vor Augen: Wir müssen uns der geschaffenen Dinge, auch der Menschen, bedienen, damit sie uns beim Streben nach unserem Ziel behilflich sind. Und wir müssen uns von ihnen abwenden, wenn sie uns daran hindern.
Und unser Ziel ist es nicht, andere anzuwerben und Geld zu überweisen, sondern Gott zu loben, zu ehren und ihm zu dienen und dadurch unsere Seele zu retten.
Es ist daher unsere Pflicht, auf der Hut zu sein, zu wachen und zu beten und niemandem blindes Vertrauen entgegenzubringen. Und wenn man sicher ist, daß ein Werk, eine Vereinigung oder eine Kongregation im Niedergang begriffen ist, muß man sich von ihnen trennen und auf der Hut sein vor allem, was von dort kommt.
Ich weiß, was man tun sollte, wenn man dazu gehört. Ich habe es bereits anderweitig dargelegt und es würde zu lange dauern und von keinerlei Nutzen sein, wenn ich es wiederholte. Wie der hl. Alfons von Liguori sagt, ist der Stolz die große Versuchung der Priester. Deshalb hat der hl. Benedikt in seiner Regel so viele Mittel vorgesehen, damit sie sich vor allem in der Demut bewahren. Ich weiß daher im voraus, daß kein Geistlicher auf mich hören würde.
Es wurde schon oft festgestellt, daß der soziologische Prozeß bei den „den Niedergang bewirkenden Gruppen“, den Denkfabriken, in seiner logischen Entwicklung ähnlich verläuft. Um ihn aufzuhalten, muß man die Brüderlichkeit aufkündigen. Und um zu verhindern, daß er in einer Gemeinschaft auftritt, muß man ihr beispielsweise eine Regel auferlegen.
Überlassen wir aber lieber einem berühmten Mönch das Wort: „Die Regel, der zu folgen wir uns verpflichten , ist eine Art HEILIGES und ERQUICKENDES TRIEBWERK; wenn man sich willig in dieses Triebwerk gleiten läßt, geht die Seele in ihren schlechten Teilen zermalmt daraus hervor, ist aber frei von jeder Anhänglichkeit und Gott sehr wohlgefällig. Der heilige Verfasser unserer Regel gibt uns das am Ende des Kapitels über die Demut mit bemerkenswerten Worten zu verstehen.“ [5]
Seit zweihundert Jahren gehen Kongregationen, Seminare, Klöster und Abteien nacheinander zugrunde, und zwar immer auf die gleiche Weise. Und immer kommt im entscheidenden Moment einer, der sagt: “Verstehen Sie doch, die Regel ist nicht mehr anwendbar; die Statuten müssen geändert werden.“ Und dann bricht alles zusammen, wird alles zunichte gemacht!
Käme ein einfacher Familienvater, der nicht einmal Medizin studiert hat, aber gesunden Menschenverstand besitzt und riefe: „Nein! Das wahre Mittel besteht in der Rückkehr zu den Quellen, in der vollständigen Beachtung der Regel und der Statuten, denn sie sind die Früchte der kirchlichen Weisheit, der jahrhundertelangen Erfahrung und der Heiligkeit des Gründers!“, wer würde wohl noch auf ihn hören?
(Quelle: „Sous la Bannière“ Nr. 171, Jan./Feb. 2014, leicht gekürzt)
[1] Hrsg. d. frz. Zeitschrift „Sous la Bannière“ (Anm. d. Übers.)
[2] Internationale Gemeinschaft der Konzilsväter (Anm. d. Übers.)
[3] „Bei denen, die entschieden voranmachen in der Reinigung von ihren Sünden…“ „denn nun ist dem bösen Geist eigen, zu beißen, traurig zu stimmen und Hindernisse zu legen, indem er mit falschen Gründen beunruhigt, damit man nicht weiter vorrücke.“ (Hl. Ignatius: Die Exerzitien, zweite Regel zur Unterscheidung der Geister)
[4] Zitiert von Dom Paul Chautard in „Die Seele jeglichen Apostolats“, 3. Teil
[5] Dom Colombia Marmion, Abt von Maredsous in „Christus, höchstes Ziel des Mönches“
